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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

seinen Fürsten suchende Gefolge, unter welchem sich zufällig einige Räthe („Geheime Hofräthe“ würden wir heute sagen) befanden, rieth ihm nach Anhörung des Traumes, an dieser Stelle eine Burg zu erbauen; denn die Hirschkuh bedeute das Wendenvolk. Otto aber erwiderte: „Eine Burg will ich hier gründen, aber eine solche, von der aus alle teuflischen Widersacher verjagt werden durch die Stimmen geistlicher Männer, und ich selbst will darinnen den jüngsten Tag erwarten.“ So ward das Kloster um’s Jahr 1180 erbaut, und Otto nannte es „Lehnin“, zu deutsch: Hirschkuh. Also die Sage, der augenscheinlich gewisse geschichtliche Thatsachen zu Grunde liegen.

Wie man weiß, hatte Albrecht der Bär die Wenden in der Zauche durch Waffengewalt besiegt, die im Teltow aber durch Vertrag sich unterworfen. Aeußerlich beugten sie sich vor der Macht, innerlich aber hielt dieses zähe Volk nach wie vor fest an seinen heidnischen Gebräuchen und an seiner Nationalität. Ein vollständiger Sieg der Deutschen konnte nur durch Einführung des Christenthums errungen werden. Mehr als Albrecht erkannte dies Otto, und so wählte er sich zu diesem Zwecke diejenigen Verbreiter der christlichen Lehre aus, welche ganz und voll von deren Wahrheit durchdrungen und der großen Sache die schwersten Opfer zu bringen bereit waren: er ließ die Cisterzienser Mönche kommen.

Wie die Wenden sich mit Vorliebe an Sümpfen anbauten, so suchten auch die Cisterzienser die düstersten und unwirthlichsten Plätze auf, um von da aus durch Wort und Beispiel auf das Volk zu wirken. Die Zahl der Mönche belief sich auf einige dreißig; sie bildeten einen Convent, der einen aus freier Wahl hervorgegangenen Abt an seiner Spitze hatte. Wie mächtig übrigens Kloster Lehnin in kurzer Zeit emporgeblüht sein muß, das geht unter Anderem auch aus der Thatsache hervor, daß von hier aus die Klöster Chorin, Himmelpfort und Neuzelle gegründet und mit Mönchen besetzt wurden.

Der erste und zugleich bedeutendste Abt von Lehnin war Sebaldus, der in Ausübung seiner Amtspflicht den Märtyrertod starb. Ueber die Ursache seines Todes lauten die Ueberlieferungen verschieden. Der im Volke verbreitetsten Legende zufolge ging Sebaldus in Begleitung eines Mönchs eines Tages nach einem entfernter gelegenen Orte; auf dem Rückwege kehrten sie ermüdet in das Dorf Namitz ein. Hier erregt die Ankunft der beim Volke verhaßten Mönche große Aufregung; die Kinder erheben ein Geschrei, und die in den Häusern anwesenden Frauen suchen sich eiligst zu verstecken. Der Abt, nichts Böses ahnend, tritt in eins der Häuser ein und setzt sich, um auszuruhen, auf einen umgestürzten Backtrog, unter dem eines jener furchtsamen Weiber einen Unterschlupf gesucht hatte. Ihr Kind eilt zu dem Vater auf’s Feld und meldet ihm, der Abt sei im Hause und säße bei der Mutter. Daraufhin stürzen die Männer in’s Dorf, bewaffnen sich mit Aexten und dringen auf den Abt ein; dieser ergreift die Flucht und erklettert im nahen Walde einen Eichbaum. Vielleicht wäre er hier, durch dichtes Laubwerk versteckt, gerettet worden, hätte er nicht zum Unglück ein Bund Schlüssel verloren, das von den Verfolgern gefunden ward und ihn so verrieth; der Baum wurde gefällt und der Abt getödtet. So berichtet die Sage.

Die Eiche, unter welcher Otto, der Stifter des Klosters, begraben sein soll, ließ man so lange stehen, bis das Dach der Kirche aufgelegt werden mußte, worauf man sie bis zur obersten Stufe der zum Chore hinaufführenden Treppe absägte. Der Stamm ist heute noch sichtbar, doch erzählt man, derselbe habe keine Wurzel, sondern sei auch unten glatt abgeschnitten. Zu erwähnen ist noch, daß die Einrichtung des Klosters erst zweiundachtzig Jahre nach seiner Gründung, und zwar im Jahre 1262 durch den Erzbischof von Magdeburg und die Bischöfe von Havelberg und Brandenburg bewirkt wurde.

Die Aufgabe der Mönche von Lehnin, nämlich die Beförderung der deutschen Cultur im Zauch-Belziger Kreise und im Teltow, war längst erreicht, als die Reformation dem Fortbestehen des Klosters ein Ende machte. Im Jahre 1539 ward die neue lutherische Lehre unter Joachim dem Zweiten in der Mark eingeführt, doch gebot der Kurfürst die Aufhebung des Klosters aus Pietät gegen seinen dort ruhenden Vater und aus persönlicher Hochachtung für den dasselbe damals verwaltenden Abt Valentin nicht sofort. Nachdem jedoch Letzterer im Jahre 1542 das Zeitliche gesegnet hatte, wurde Lehnin in ein kurfürstliches Amt verwandelt; das Kloster hat also im Ganzen 362 Jahre bestanden.

Die ehemalige Klosterkirche hat eine romanische Basilika, ein langes und in schönem Verhältniß der Breite zur Höhe gehaltenes Mittelschiff und zwei ungefähr halb so hohe Seitenschiffe. Ein Querschiff, welches Chor und Langschiff trennt, bildet mit diesem ein römisches Kreuz, und ein Theil des Langschiffes liegt jenseits des Querschiffes und vertieft das Chor wesentlich. Auch die äußeren Formen der Kirche sind einfach und edel gehalten, und zwar der Hauptsache nach in romanischem, einzelne Bautheile jedoch, die erst in späterer Zeit hinzugefügt worden, in gothischem Stile. Nachdem unter König Friedrich dem Zweiten behufs Gewinnung von Baumaterial die Seitenschiffe und das Gewölbe des Langschiffes bis zum Querschiffe weggerissen und an deren Stelle eine Balkenschaldecke angebracht worden war, wurde von Friedrich Wilhelm dem Vierten zuerst der Gedanke angeregt, die Lehniner Klosterkirche in ihren ursprünglichen Formen wieder herzustellen, und wurden noch unter der Regierung dieses kunstsinnigen Fürsten die bezüglichen Pläne gezeichnet; da sich jedoch kein vollständiges Bedürfniß herausstellte, so unterblieb einstweilen die Ausführung. Je rascher sich aber Lehnins Einwohnerschaft durch die seitdem erfolgte Anlage größerer Ziegeleien vermehrte, um so dringender machte sich ein Zurückgreifen auf jenen Gedanken der Erneuerung nöthig, und so wurde denn die Wiederherstellung der Kirche nach den vorhin erwähnten Plänen in ihrem alten Grundriß und in ihren alten Formen vor etwa zehn Jahren in Angriff genommen und unlängst beendigt. Merkwürdig war es, daß die königliche Genehmigung zum Aufbau genau in den Zeitpunkt fiel, da König Wilhelm in Versailles zum deutschen Kaiser proclamirt wurde, was uns Veranlassung giebt, auf die Lehninsche Weissagung näher einzugehen.

(Schluß folgt.)




Die Herrschaft des französischen Geistes.

Eine Studie aus der Zeit.

Auf meinem Büchertische finde ich in diesem Jahre drei literarische Novitäten, welche biographische Bilder aus der Pariser Welt enthalten. Ich blicke in das erste Buch und finde im Inhaltsverzeichniß unter anderen Namen Victor Hugo, Labiche, Zola; ich blättere im zweiten und finde Zola, Sarah Bernhardt, Labiche, Gambetta; ich schlage das letzte auf und finde Gambetta, Sarah Bernhardt, Emile Zola, Victor Hugo. Im verflossenen Jahre fand ich um dieselbe Zeit die Novitäten von drei anderen deutschen Autoren an derselben Stelle, und jede enthielt die Portraits von Victor Hugo, Gambetta, Zola, Daudet, Sarah Bernhardt und anderen französischen Berühmtheiten. Diese Erscheinung und der Umstand, daß auch noch unzählige Feuilletons in jedem Jahre sich mit Paris beschäftigen – giebt nicht dies alles zu zeitgemäßen Erwägungen Anlaß?

In einem holländischen Volksliede wird Paris die größte Uhr der Welt genannt, welche allen Völkern die Stunde wies. Das ist ein zutreffender Vergleich. Mag heute das Werk dieser Uhr in manchen Theilen etwas rostig geworden sein, immer noch vernehmen wir das laute Ticken ihres Pendels, und immer noch schauen wir nach dem weithin leuchtenden Zifferblatt. Manches Volk ist es müde geworden, sich nach der Pariser Zeit zu richten, uns in Deutschland aber verkündet die Presse noch immer gewissenhaft, was an der Seine die Glocke geschlagen hat. Von dem Baron Grimm an, welcher im vorigen Jahrhundert die deutschen Fürstenhöfe mit pikanten Neuigkeiten aus Paris versah, bis auf die heutigen deutschen Journalisten in der Seinestadt hat es jenseits des Rheins an allzu bereitwilligen Berichterstattern nicht gefehlt, welche unsere Presse zu einem Canal für die Uebertragung des französischen Geisteslebens nach Deutschland gemacht haben. Seit Börne und Heine ist dieser Canal ganz besonders breit geworden, und man muß gestehen, daß französische Ideen bei keinem andern Volke so tief durchgesickert sind, wie gerade bei uns.

Man schaue nur auf den Büchermarkt! Heute, wo die besten Romane und Gelehrtenwerke unserer heimischen Autoren nur zum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_130.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)