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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


auch die eben betrachteten Zeiten, so sind sie doch historisch erhellt, hier aber umfängt uns die Dämmerung der alten griechischen Götterlehre. Wir befinden uns an classischer Stätte, die einst Persephone-Proserpina's Verzweiflung sah. Nachdem die göttliche Jungfrau beim Blumenpflücken auf Ennas Wiese (60 bis 70 Miglien nordwestlich von Syrakus) durch Pluton geraubt worden, gelangt der Räuber mit seiner schönen Beute bis in die Gegend des Quells Kyane, die Nymphe desselben will dem Frevel wehren und wirft sich mit ausgebreiteten Armen dem finsteren Todesfürsten in den Weg. Umsonst; ihrer Ohnmacht spottend öffnet der Gott mit seinem Scepter die Erde und taucht zum Hades hinab. Kyane aber, so berichten Ovid's „Metamorphosen“:

 ... „trauernd zugleich um Proserpina und die Verachtung
Ihres geheiligten Quells, nährt nun unheilbare Wunde
Tief in der schweigenden Brust, und ganz in Thränen zerrinnt sie,
Und, wo als Göttin sie jüngst obwaltete, in die Gewässer
Löst sie jetzt völlig sich auf.“

Später gelangte Demeter, die verlorene Tochter suchend, zum Quell, allein die verwandelte und der Sprache beraubte Nymphe vermochte ihr nichts zu künden. Nur den Gürtel, welchen einst die widerstrebende Persephone hatte in den Strom fallen lassen, schickte sie an die Oberfläche des Wassers. Da verzweifelte die Mutter in wildem Schmerz und strafte die trinakrischen Fluren mit Mißwachs, bis ihr die benachbarte Nymphe Arethusa den Aufenthaltsort des gesuchten Lieblings verrieth. In der Folge wurden hier Feste zu Ehren beider Göttinnen, Mutter und Tochter, gefeiert und dabei geweihte Thiere als Opfer in den klaren Teich versenkt; noch sollen die Unterbauten eines alten Kyanetempels irgendwo in der Nähe sichtbar sein.

Friedliche Stille waltet heute am Quelle der „blaulockigen“ Nymphe. Leise rauscht der Wind in den Papyrushalmen und kräuselt die Fluth, die eine bläuliche Farbe zeigt, wenn auch nicht jenes tiefe glänzende Blau, auf welches der Name Kyane, der ja auch der Demeterblume, der Kornblume, eigen war, schließen ließe. Aber rein und durchsichtig ist das Wasser; fast jeden Stein kann man auf dem Grunde des acht bis zehn Meter tiefen Beckens erkennen. Ringsum herrscht das Schweigen der Wüste; denn stundenweit breitet sich hier der Palude Pantano aus, in dem man den Sumpf Syraka wiedererkannt hat, der einst dem großen Syrakus seinen Namen gab. Nur das Quaken der Frösche unterbricht momentan die fast beängstigende Stille; hin und wieder entfaltet auch ein bunter Wasservogel, deren hier eine große Anzahl nistet, kreischend seine Schwingen. Später erst trafen wir die ersten Menschen in dieser Einöde, zwei Jäger, die, das Gewehr auf der Schulter und von ihrem Hunde begleitet, in hohen Wasserstiefeln die öden Sümpfe durchstreiften.

Aber die Zeit drängte zur Umkehr. Bald hatten wir die dichte Schilfhecke, die das lauschige Plätzchen von der Außenwelt abschließt, wieder hinter uns, und in rascherem Tempo ging es flußabwärts. Allein nicht lange, so rasteten wir abermals an einer besonders malerischen Stelle, wo sich der plötzlich teichartig breitwerdende Fluß in zwei Arme theilt, die verschiedene, mit Papyrus dicht bewachsene Inselchen umschließen, während den Hintergrund dieses reizenden Landschaftsbildes die stolze Schneepyramide des Aetna wirksam abschließt. (Vergl. die Illustration.) Die Ruderknechte entzündeten ein Feuer, an welchem sie, im Verein mit unserem Führer, aus mitgenommenen Vorräthen unser Mittagsmahl bereiteten, bald stand dasselbe auf den Bänken vor uns: einige gebratene Triglien (im Ionischen Meere häufig vorkommende Fische), Oliven, mit gehacktem Eiweiß und Zwiebeln gefüllt, sowie Ricotta, ein mit Zucker und Zimmt angemachter Quark von zweifelhaftem Wohlgeschmack; dazu saftige Orangen und eine Flasche des feurig süßen Moscato, den die heißen Trümmerfelder Siracusas zeitigen. So volksthümlich frugal dieses Mahl auch war – die Poesie der Situation, mitten auf der blauen Kyane und umrauscht von den mythischen Papyrusbinsen, machte es zu einem der genußreichsten, das wir je abgehalten, und mit halbem Mitleid dachten wir der Freunde daheim, die jetzt wahrscheinlich hinter dem warmen Ofen saßen. Später stellten wir mit Hülfe der Bootsknechte Versuche an, einige der Stauden in halber Höhe der Stengel abzuschneiden, was aber bei deren Zähigkeit und Dicke nur mit Mühe gelang, und wir tauschten dabei unsere Kenntnisse über die botanischen Eigenschaften und die culturgeschichtliche Vergangenheit der so hoch interessanten Pflanze aus.

Die Papyrusstaude gehört bekanntlich zur Familie der Cypergräser. Man unterscheidet von ihr verschiedene Arten, deren wichtigste von jeher die ägyptische war, die früher an den Ufern des Nilstromes in großen Mengen wuchs. Heutzutage wird sie dort nur selten gefunden, und zwar nur noch in Nubien. Ihre eigentliche Heimath sind jetzt die großen Sümpfe Nordafrikas; auch in den kleinasiatischen Küstenländern und an den Brüderströmen Euphrat und Tigris soll sie vorkommen. Man weiß, welchen hohen Werth das Alterthum dieser Pflanze beimaß und welch umfassenden Gebrauch es von ihr machte. Aus ihrem Baste wurden Kleider und Schuhwerk gefertigt, Körbe, Stricke, Dochte und Matten geflochten; aus den dicksten Halmen verfertigte man leichte Flußkähne und Geräthschaften zum mannigfachsten Gebrauche; die holzige Wurzel diente als Brennmittel, ja sogar zur Nahrung.

Von culturhistorischer Bedeutung aber ward die Pflanze vornehmlich durch ihre Bearbeitung zu jenem Schreibmaterial, dem sie ihren Namen in fast allen Sprachen aufgedrückt hat. Das Bereitungsverfahren des alten „Papiers“ war nach auf uns gekommenen Nachrichten (vornehmlich bei Plinius) folgendes: das Zellengewebe des Schaftes – daß derselbe aus verschiedenen Bastlagen bestehe, ist ein durch eine mißverstandene Stelle bei Plinius allgemein gewordener Irrthum – ward mit einem scharfen, spitzen Instrumente in Lamellen zerlegt, welche man auf einer angefeuchteten Tafel ausbreitete und, nachdem man sie mit einem in Wasser löslichen Bindemittel, wahrscheinlich Gummi arabicum oder Eiweiß, überstrichen hatte, mit einer zweiten Schicht derart bedeckte, daß deren Fasern sich mit den Fasern der ersten Lage kreuzten; nur bei gröberen Sorten kam noch eine dritte Lamellenschicht hinzu; dann wurde das Ganze gepreßt, an der Sonne getrocknet und schließlich mit Hämmern geklopft. Mittelst eines glatten Instrumentes, eines Zahnes oder einer Muschel verlieh man den Blättern Politur, um das Auslaufen des Schreibstoffes zu verhindern.

Die Erfindung dieses ganzen Verfahrens ist höchst wahrscheinlich in Aegypten selbst gemacht worden. Daß man es dort schon frühzeitig kannte, dafür sprechen die ältesten Wandgemälde und das Zeugniß Herodot's. Freilich hat man aus einigen Stellen bei Varro und Plinius auf ein weit geringeres Alter dieser Industrie schließen wollen, und der Archäologe Böttiger hat darauf hin den Ruhm ihrer Erfindung der griechischen Colonie Naukratis in Unter-Aegypten zugesprochen, doch ist diese Ansicht unhaltbar. Nachdem Aegypten römische Provinz geworden, ward die Papierfabrikation besonders in der neuen Welthauptstadt Rom eifrig cultivirt und verfeinert; die am meisten geschätzte der hier bereiteten Sorten war die aus dem innersten Mark der Staude verfertigte charta Augusta, deren sich die Kaiser bedienten.

In der Folge begann das Material wegen des gesteigerten Consums sehr kostspielig zu werden; das Pergament war dem Papyrus schon längst ein gefährlicher Feind gewesen; noch größere Gegner erwuchsen ihm jetzt in Baumwolle und Leinen, aus welchen Stoffen man einfacher und billiger Papier herstellen lernte. Indeß erhielt sich der Papyrus noch bis gegen das zwölfte Jahrhundert in Benutzung, vornehmlich bei den orientalischen Völkern. Ibn Haukul, der reiselustige Kaufmann aus Bagdad, sagt in seiner interessanten Beschreibung der Stadt Palermo vom Jahre 972, daß aus dem dort wachsenden Papyrus Schiffsseile verfertigt würden, sowie das wenige Papier, welches dem Emir gehöre. Die neuere Zeit hat, sowohl aus wissenschaftlichem wie aus kaufmännischem Interesse, an dem syracusanischen Papyrus wiederholt Versuche mit der alten überlieferten Verfahrensweise angestellt. So schon zu Anfang unseres Jahrhunderts der Cavaliere Landolina, Platen's bekannter Freund. Neuerdings ist die Bereitung von Papyrus zu einem Erwerbszweige der Ciceroni von Syrakus geworden – der ehrwürdige Stoff, einst der Wissenschaft dienend, durfte zum Befriedigungsmittel reisender Neugier herabsinken. Die Analyse, welche Hofrath Schenk, Professor der Botanik in Leipzig, mit solchem neusyracusanischen Papyrus im Vergleich mit altägyptischem (Papyrus Ebers, Papyrus Harris, Leipziger Todtenbuchfragment) anstellte, ergab, daß zu sämmtlichen dieselbe, Cyperus Papyrus genannte Pflanze das Material geliefert hat (obgleich Parlatore, die syrische Herkunft des sicilianischen Papyrus verfechtend, ihn dem ägyptischen als Cyperus Syriacus gegenüberstellt), und daß die Herstellungsweise überall die gleiche gewesen ist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_242.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)