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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der badischen Waldungen bei den heutigen Holzwerthen reichlich auf 450 Millionen Mark schätzen und die Einnahme jährlich auf 23 Millionen. Zur Ausbeutung und der überall sehr geordneten Bewirthschaftung dieses immer werthvoller werdenden Capitals sind jene Wegebauten unentbehrlich. Dies führt uns dazu, einen Blick auf die Arbeit des Schwarzwälder Volkes zu werfen.

Da treten uns zuerst alle die Gewerbe entgegen, welche sich an die Holzproduction anschließen, als Sägemühlen, Bretschneiderei, Parqueterie, Küblerei, Bürstenfabrikation und Holzschnitzerei. Letztere dient besonders der Uhrenindustrie. Diese, der in neuerer Zeit die amerikanische auf den auswärtigen Märkten Concurrenz zu machen beginnt, ist immerhin noch von höchster Bedeutung; sie ist eine dem Lande ganz ursprüngliche, nicht importirte. Reichlich 2000 Meister und etwa 7000 Gehülfen mag sie beschäftigen; dieselbe ist zum Theil eine Familienbeschäftigung, die im Winter getrieben wird, und zwar so, daß ein Arbeiter meistens nur einen bestimmten Theil fertigt. Zur höchsten Kunst ist die Spieluhren- und Orchestrionfabrikation erwachsen, von deren Leistungen in Tryberg eine permanente Ausstellung zu finden ist. Vielleicht ebenso bedeutend ist die Flechterei aus dem Stroh einheimischer Kornarten; ihre Verfeinerung ist so weit gediehen, daß gewisse Erzeugnisse mit den feinsten Florentiner Arbeiten concurriren dürfen. Beide Industriezweige vertreiben ihre Fabrikate durch sogenannte „Factoren“ in aller Welt. Spinnereien, Wollen-, Baumwollen-, Seidenwaarenfabriken treten überall hervor. Hüttenbetrieb und fast jede Art Fabrikbetrieb findet sich.

Viehzucht und Milchfabrikatebereitung nehmen selbstverständlich in diesem almenreichen Gebirge eine erste Stelle ein, und die Bienenzucht blüht erfreulich. Von der hoch entwickelten Weincultur, von den vortrefflichen Markgräfler-Weinen und denen aus der Ortenau brauchen wir nicht erst zu reden. Ebenso ist die Obstcultur in lebhaftem Fortschritt begriffen. Bisher legte man sich allerdings besonders auf die Kirschenzucht, welche einen großen Betrieb von Kirschbranntweinbrennereien nährte. – Wir wollen nicht unterlassen, hier noch auf zwei sehr anschauliche und belehrende Artikel mit Illustrationen hinzuweisen, welche die „Gartenlaube“ 1868 in Nr. 49 über das „Branden“ der abschüssigen Felder und das Holzflößen brachte.

Die malerische Trachten, welche die Bewohner des Schwarzwaldes früher auszeichneten, verschwinden leider von Jahr zu Jahr immer mehr. Dagegen greift das sogenannte „städtische“ Kleid, als das unvergleichlich billigere, immer mehr um sich. Der Reisende sieht die alten Trachten nicht gerade viel, etwa an Markttagen in den Städten und Sonntags. In einige Thälern hat sich die Landestracht allerdings noch mehr erhalten, ist aber – man muß es gestehen – keineswegs immer schön. So tragen in der Gegend um Waldkirch bis gegen Tryberg die Weiber an Schulter und Aermeln ausgepolsterte Puffen und einen hohen, rothgelb lackirten Cylinder. Andere Trachten mit dem bunten Mieder, den bauschigen, weißen Oberhemdsärmeln nähern sich allerdings den hübschesten Schweizertrachten, und manchem weiblichen Gesichte steht die in einigen Gegenden übliche Goldstoffmütze allerliebst. Eine nun fast ganz verschwundene, aber wirklich malerische Tracht ist übriges die der Hauensteiner. Ueber dieses Völkchen, seine Absonderlichkeiten und seine Tracht ist in der „Gartenlaube“ 1868, Nr. 23, Ausführlicheres berichtet worden. Soviel für heute; über unsere Illustration in der nächsten Nummer!




Aus vergessenen Acten.
Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.


Es war Johannistag. Die kleine Stadt in dem kleinen Fürstenthum feierte den Johannistag in eigenthümlicher Weise. Der Tag galt als der Tag der Todten. Schon von Tagesgrauen an strömte die Bevölkerung auf den Friedhof, um die Gräber zu schmücken, den geschiedenen Lieben eine stille Thräne zu weihen. Man konnte nichts Rührenderes sehen, als diesen kleinen Friedhof, der am Berge ruhte, wie das Städtchen selbst, in den ersten Morgenstunden des Johannistages. Aber sowie die Sonne dem Zenith sich näherte, war der Ernst der Feier in der Hauptsache vorüber; der Lebende war in sein Recht getreten. Die öffentlichen Wirthschaften füllten sich mit Besuchern. Die Ressource vereinigte die Honoratioren des Städtchens im „Blauen Hecht“ zur Mittagstafel, im „Ochsen“ zur Abendunterhaltung.

Im „Ochsen“ waren jetzt die Honoratioren bei einander. Es war gegen neun Uhr Abends, und die ernste Feier, die auch hier die Zusammenkunft einleitete, war vorüber. Im Saal saßen, an einzelnen Tische vertheilt, spielend und trinkend, plaudernd und rauchend die Mitglieder der Ressource. Das Gespräch war an allen Tischen in vollem Gange.

„Wollen Sie denn schon gehen, Meister Wolf?“ fragte verwundert der Bürgermeister am Vorstandstisch, als ein junger, etwa dreißigjähriger Mann sich erhob, den Ueberrock über den Arm legte, nach Stock und Hut griff und den Stuhl unter den Tisch rückte.

„Meine Mutter hat Besuch,“ erwiderte mit sanfter Stimme der junge Mann. „Ich muß ihr und ihrem Besuch doch noch Gute Nacht sagen, ehe sie sich zur Ruhe legen.“

„Sehr rücksichtsvoll von Ihnen, Meister Wolf,“ sagte lächelnd der Bürgermeister. „ Der Besuch Ihrer Mutter ist ja wohl Frau Steuerrath Martin aus der Residenz, nicht wahr? Und die Damen der Residenz muß man zart nehmen, da haben Sie Recht – besonders wenn eine zukünftige Frau Schwiegermama etwa darunter sein sollte – nicht wahr?“

Der junge Mann erröthete. Allgemeines Lachen folgte den Worten des Bürgermeisters.

„Na, na, brauchen sich nicht zu schämen, Meister Wolf. Nanette Martin ist ein sehr niedliches Mädchen, und Sie selbst – bieten einer Frau doch wahrhaftig alles nur Wünschenswerthe. Das schöne Kürschnergeschäft –“

„Gehört meiner Mutter,“ warf der junge Mann ein.

„Nun ja, aber alles Leugnen und alle Ausflüchte helfen Ihnen nichts, Wolf; wir wissen genug. Gehen Sie in Gottes Namen zur Frau Schwiegermama, und wenn Sie an’s Bräutchen schreiben –“

Kopfschüttelnd und abwehrend empfahl sich der junge Meister unter erneuter Heiterkeit der Tafelrunde. Das Lächeln, mit dem er Allen die Hand zum Abschied reichte, sagte deutlich, daß er die Anspielungen des Bürgermeisters durchaus nicht übel genommen habe, seine Verlobung aber noch als Geheimniß betrachtet wissen wolle. In diesem Gedanken drückten ihm auch Alle herzlich die Hand; denn man gönnte ihm allgemein sein Glück. Er war so bescheiden und tüchtig, wenn auch ein bischen schwächlich und zart in Gestalt und Wesen, wofür er übrigens nichts konnte. Das war Vaters-Erbtheil. Der Vater war seit einigen Jahren todt, und der Sohn hatte damals sofort eine sehr günstige Stellung in Leipzig aufgegeben, um der Mutter das einträgliche Kürschnergeschäft weiter zu führen, und seine Kenntnisse und Erfahrungen hatten dem Geschäfte großen Vortheil gebracht. Steuerrath Martin’s Nanette hielt man recht passend für ihn. Ihre Mutter hatte aus der Gegend in die Residenz geheirathet, und man kannte das brave häusliche Mädchen in der kleinen Stadt. Man wußte auch, daß es dem Meister Wolf nicht leicht geworden war, ihr Jawort zu erhalten. Sie sollte, wie man sich im Städtchen erzählte, eine Neigung zu dem etwas wilden und lockeren Fleischer Bahring – auch einem Stadtkinde – auf Zureden ihrer Mutter überwunden haben, ehe sie dem Meister Wolf im Stillen sich verlobte. Soviel wußte man im Städtchen – woher, das war natürlich allgemeines, tiefes Geheimniß.

Niemand an der Tafelrunde, an der Wolf gesessen, hatte bemerkt, daß während der Hin- und Widerrede zwischen dem Gehenden und dem Bürgermeister an einem der nächsten Tische ein junger Mann mit dunklem, wirrem Haar und Bart und einem unheimlich blitzenden, schwarzen Auge sich rasch und finster erhoben hatte. Er warf dem Kellner eine Silbermünze auf den Tisch, welche die geringe Zeche reichlich ausglich, griff nach der grauen Mütze und nahm, mit einem undeutlich gemurmelten Gutenachtgruß an die Zurückbleibenden, seinen grobwollnen Flausrock vom

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_542.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2020)