Textdaten
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Autor: Carl Roux
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Titel: Das harte Brod der Berge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 780, 782–783
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Branden der Berg-Brachfelder im Schwarzwalde.
Nach der Natur aufgenommen von Carl Roux.

[782]
Das harte Brod der Berge.
Mit Abbildungen.

Wie oft und vielfach ist der deutsche Gebirgsbewohner schon Gegenstand poetischer und novellistischer Schilderung gewesen, und wie selten ist er richtig geschildert worden! Wer in öfterem und längerem Verkehre mit ihm zu leben die Gelegenheit hat, der kann sich genugsam hiervon, wie von der Nichtigkeit des Bucle’schen Satzes überzeugen, daß Klima und Boden nicht nur die materielle Existenz des Menschen beherrschen, sondern auch bestimmend für seine geistige Richtung sind. Man gehe nach Tirol und sehe, wie mühsam der Mensch dort sein Dasein erringen, wie er oft sein Leben wagen muß, um nur ein Bündel Heu für das tägliche Bedürfniß seines bescheidenen Viehstandes vom Gebirge herunter zu bringen; man vertiefe sich in die steilen Thäler des Schwarzwaldes, um zu sehen, auf wie gefahrvolle Weise der Waldbewohner sein Feld bestellen, wie er das einzige Product seiner Berge, das Holz, herunterbringen muß, um es verwerthen zu können – und man wird zu der Ueberzeugung gelangen, daß solche Menschen, deren Leben fast täglicher Gefahr ausgesetzt ist, bei dem Mangel des Gegengewichtes der Bildung unmöglich gemüthliche und beschauliche Bäuerchen sein können, wie sie in so manchen Dorfgeschichten zu finden sind, sondern nothwendig die Richtung zum Abenteuerlichen und Phantastischen nehmen müssen, und dies um so mehr, je eifriger der religiöse Fanatismus bei ihnen gepflegt und dagegen der Zugang des Fortschritts im Wissen und Bestreben der Außenwelt erschwert wird.

Um zu sehen, in welchem Schweiße seines Angesichts dort der Mensch im Gebirge oft sein Brod essen muß, machen wir einen Gang in die rauhen Thäler des Schwarzwaldes, da, wo ihn die Kinzig durchströmt, ehe sie noch das Dampfroß zu sehen bekommt, das sich übrigens schon gewaltig weit in jene Schluchten vor und empor gewagt hat.

Dichte schwarze Fichtenwaldungen bedecken die mächtigen Kuppen der drei- bis viertausend Fuß hohen Berge bis weit nach unten, wo sie stellenweise einem einsamen Gehöfte, oft einem stattlichen Hofgute Platz machen, das zwischen Fels und Wiesen liegt, welch’ letztere stets die untere Grenze bilden, während der zum Gute gehörende Wald oben an den Staats- oder Gemeindewald stößt. In dem Hause, dessen geräumiger strohgedeckter Dachstuhl alle Vorräthe birgt, wohnen in sich gekehrte wortkarge Menschen, nicht ohne Gastfreundschaft und uneigennütziges Entgegenkommen, aber strenge sich unterwerfend der starren Form, die das sociale Leben des Bauern regelt und bindet. Ihren stärksten Ausdruck findet dieselbe in der rücksichtslosen Art, wie das Minorat dort gehandhabt wird, das seit undenklichen Zeiten bei den Hofgütern des Schwarzwaldes in Uebung ist und das wegen der Halsstarrigkeit, mit welcher der Bauer daran festhält, wie um der wirtschaftlichen Schwierigkeit seiner Abschaffung willen, von der badischen Regierung geduldet wird. Nach dortiger Uebung erhält der jüngste Sohn Haus und Hof nebst allem Zubehör mit der Verpflichtung, dann seine Eltern auf das sogenannte Leibgeding zu setzen, d. h. ihnen ein meistens neben dem großen stehendes kleines Haus einzuräumen und für alle ihre Bedürfnisse zu sorgen, die Brüder aber als Knechte zeitlebens bei sich zu behalten und mit den Schwestern einen Vertrag einzugehen, der ihnen unter gewissen Gegenleistungen das Verbleiben im Hause ermöglicht. Verheirathen aber darf sich nur der Minoratserbe.

„Das ist aber doch grausam!“ sagte Schreiber dieses einem alten Bauern, der ihm obige Erklärung gegeben hatte. Der Bauer aber zeigte auf die jenseitige Bergwand hinüber, auf der einsam von Wald umschlossen ein solches Hofgut lag, und setzte hinzu: „Sehen Sie, da drüben das Haus kann nur eine kleine Anzahl Leute beherbergen, wenn sie alle von dem leben wollen, was da herum wächst. Von außen her können sie nichts beziehen, und mehr dort zu bauen ist nicht möglich. Sehen Sie, so ein Hof im Wald ist gerade wie ein Schiff auf dem Meere, das nur so viel Menschen und keinen einzigen mehr mitnehmen kann, als es unterzubringen und zu beköstigen vermag. Nun denken Sie sich einmal, daß das Hofgut da drüben nach dem Landrecht in sechs Theile getheilt würde, denn so viel Kinder sind da, da hätte keines genug, um davon leben zu können, so reicht es aber für alle die Sechse aus, die sonst verhungern müßten.“

Von den Gütern bedürfen die Wiesen die wenigste Sorgfalt, wenn einmal ihre Bewässerung gut eingeleitet ist; der Wald und das Feld aber bedingen eine um so schwerere Arbeit. Wenn man so durch die einsamen Thäler dahinschreitet, wird man in gewissen Jahreszeiten plötzlich hoch oben große weiße Rauchsäulen gewahr, die, sich den Berg hinunterwälzend, mit hoch aufsteigenden Flammen untermischt, ein imposantes Schauspiel gewähren und das Zeichen sind, daß dort oben ein Stück Boden urbar gemacht – gebrandet – wird.

Der Bauer läßt, wenn der Wald ausgerottet oder der karge felsige Boden erschöpft ist, ihn einige Jahre ruhen, während deren dichtes Gestrüpp von Ginster darauf wuchert. Im ersten Frühlinge wird dann Alles gefällt und, mit dürren Reisern vermengt, der ganze Boden damit bedeckt, sodann aber ein Stück davon angezündet, gerade so breit, als es die vorhandenen Arbeiter zu bewältigen vermögen. Das flackert alsbald hoch auf und in wilder Arbeit von fast infernalischem Aussehen zerren die bald vom Rauche geschwärzten Leute mit langen Haken den Brand nach unten, ihm in großen Sätzen voraneilend. Je länger die Brandfläche gezogen, je weiter der Flammenstrom ausgedehnt wird, desto lebhafter dringt die Windströmung herbei und erschwert die harte Arbeit, weil sie die fliegenden Funken und die Rauchwolken oft auch nach der Seite der rastlos zerrenden und reißenden Hakenleute hintreibt. Mit wachsender Schnelligkeit muß der Flamme ihr Weg gebahnt werden, und doch darf sie nicht zu den Seiten hin ausschweifen, um dem wilden Element, das hier dem Nutzen dienstbar ist, nicht die Gelegenheit zu unberechenbarer Verheerung frei zu lassen. Es gehört Muth und Kraft zugleich zu dem [783] Werk, und wenn wir sogar Mädchen in den Reihen der jungen Bursche und Männer fest den Haken führen sehen, so ist das ein Zeichen, daß sie dort dem starken Geschlecht näher stehen, als sonst wo. Ist der Brand vollbracht, so bildet die zurückbleibende Asche dann den Dünger für den Boden, auf dem es nun während der nächsten drei Jahre wieder möglich ist, Korn oder Hafer zu bauen, um nach deren Verfluß dieselbe wilde Arbeit mit der Flamme von Neuem vorzunehmen.

Will der Mann aber sein Holz verwerthen, so steht ihm meistens kein anderes Transportmittel zu Gebot, als der Bach, der jedoch fast nirgends Wasser genug hat, um darauf flößen zu können. Deshalb sind überall sog. Schwellwasser angelegt – teichartige Wasseransammlungen, die mit Schleußen versehen sind – aus denen dann der Bach gespeist wird.

Wer an einem Sommernachmittage eine jener einsamen Schluchten im oberen Kinzigthale hinaufschreitet, von denen die wilde Schappach eine der romantischsten ist, der findet oft plötzlich weit oben in dem fast wasserlosen felsigen Bachbette ein gegen tausend Fuß langes Floß liegen, vorne nur sechs Balken breit, mit einem breiten nach oben gerichteten Kiele an der Spitze versehen, um über etwaige Hindernisse wegzugleiten. Das erste Glied wird mittels eines daran befestigten Balkens vom zweiten aus gelenkt, die folgenden Glieder werden dann breiter und länger, und gegen das Ende zu finden sich oft die längsten und schwersten Stämme. Erstaunt sehen wir das Ding an und wundern uns, wie es vom Platze kommen soll. Da nahen sich uns ein halbes Dutzend Männer mit langstieligen Beilen, die wir schon vorher, langsamer als wir schreitend, das Thal herauf kommen sahen. Ernst und ohne Gruß gehen sie vorbei, längs des Flosses hinauf und verschwinden im Wald. Bald darauf kommt auf einem leichten, von zwei Pferden gezogenen Wagen ein Mann in schlichter Arbeitertracht, aber ein intelligenteres Gesicht und feineres Wesen zeichnen ihn aus vor den Gesellen, denen wir vorher begegneten – es ist der Steuermann, der Mann, in dessen Hände das Schicksal des werthvollen Flosses und das Leben seiner Gefährten während der nächsten gefahrvollen Stunde gelegt ist, denn er ist der Lenker des ersten Gliedes, das, nur wenige Zoll zu weit rechts oder links, eine Secunde zu früh oder zu spät gewendet, Mann und Floß in’s Verderben stürzen kann. Wohl sind durch eine besondere Casse die Krüppel, Wittwen und Waisen einigermaßen gedeckt, aber die Aussicht, möglicherweise in der nächsten Viertelstunde durch die sich mit Blitzesschnelle kreuz und quer sperrenden, sich hoch aufbäumenden und splitternden Balken an einen Stamm oder Fels geschleudert zu werden, bleibt darum nicht minder schreckhaft. Das spiegelt sich denn auch auf den Gesichtern der Betheiligten, namentlich dem des Steuermanns ab, denn er ist ernst und bleich. Aber leicht und gewandt springt er vom Wagen, dem Matador gleich, der die Arena betritt, er grüßt mit feiner fast weltmännischer Miene und läd’t uns ein, dem Abgange des Flosses, der alsbald erfolgen werde, beizuwohnen. Dann steigt er hinab, untersucht mit prüfendem Blick, ob Alles in Ordnung sei, und bleibt unbeweglich auf einem Felsen neben der Floßspitze stehen.

Mittlerweile hat es unter den Balken angefangen zu rauschen und ein Wasserstrahl schießt darunter hervor, der sich bald vergrößert und reißend zunimmt. Wie mit einem Zauberschlage ist das stille friedliche Thal von dem wilden Gebrause der tosenden Fluth erfüllt, die sich in weißem Schaum immer toller daherwälzt. Jetzt kommen auch die Männer mit ihren Beilen, welche die Schleußen der Schwellwasser geöffnet hatten, in wilder Hast durch den Wald herunter, stellen sich an die Stämme, an denen das Floß mittels starker sogenannter Wieden festgelegt ist, und stehen schlagbereit mit erhobenem Beile, auf das Zeichen des immer noch unbeweglich nach oben blickenden Steuermanns harrend. Jetzt hebt sich das Floß, seine Balken ächzen und es beginnt in der rasenden Fluth sich zu wiegen – ein Wink – und mit zwei Hieben sind die Wieden durchhauen, mit einem gewaltigen Sprunge steht jeder auf seinem Platz in dem unheimlichen Fahrzeug und haut das Beil vor sich ein, um sich daran zu halten. Mit raschem Sprunge war auch der Steuermann auf dem zweiten Gliede, mit beiden Händen den starken Lenkbalken erfassend, und fort geht’s der Windsbraut gleich, daß den Männern Bart und Haare zurückgeweht werden, unter einem wahrhaft höllischen Lärmen von Wassergebrause, Balkenächzen und dumpfem Poltern über die Felsblöcke.

Athemlos blicken wir nach, bis in wenigen Minuten Alles hinter der finstern nächsten Waldecke in die Schlucht hinab verschwunden ist. Wenige Minuten später, und die Wassermenge läßt eben so rasch nach, wie sie gekommen war, fast betäubt von dem Lärme erwachen wir wie aus einem Traume, erstaunt sehen wir zu unseren Füßen das spärliche Wasser dahin rieseln, das wir angetroffen hatten, und wir hören das Rauschen der Zweige und den Gesang der Vögel wieder, als ob nichts vorgefallen wäre.

Die Männer aber sind hinabgefahren gen Wolfach. Ihr Floß hat glücklich die letzte gefahrvolle Wendung, an welche das Schild des Wirthshauses „zum letzten Gestöhr“ (Floßglied) mahnt, hinter sich und in weniger als einem Viertel der Zeit, welche der Fußgänger braucht, legen sie den Weg zur großen Kinzig zurück. Dort werden die Balken wieder in anderer Weise zusammengestellt, um zum Rheine gebracht zu werden, auf dem sie die stattlichen Flöße bilden, welche nach Holland gehen und dort meistens zum Schiffsbau verwendet werden.

Mühsam, hart und gefahrvoll, wie die Benützung von Feuer und Wasser, sind alle Arbeiten dieser Gebirgsbewohner, und man darf sich nicht wundern, wenn sie, so mancher gegentheiligen poetischen Auffassung zum Trotz, ihre Heimath gern verlassen und ein geträumtes angenehmeres Loos jenseits des Oceans suchen.

Indessen stellt sich die Liebe zur Heimath oft wieder im Alter nach erlangtem Besitz ein, wo dann plötzlich ein ergrauter Mann im Thale erscheint, den Niemand mehr kennt. Er frägt nach Diesem und Jenem; „todt!“ ist die lakonische Antwort, die er erhält. Aber der alte Schmiedjörgli ist ihm beobachtend nachgegangen – jetzt hat er’s heraus, es ist des Nachbars Toni, der vor vierzig Jahren mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert war und den er jetzt, trotz dessen eleganterem Rock, mit seinem Spitznamen von ehedem anredet. Der Toni, der sich im Thal ankaufen will, um sein Leben in seiner Heimath zu beschließen, nimmt ihn mit in’s Wirthshaus, wo das Wiedersehen der beiden alten Männer mit einer Flasche guten Markgräflers gefeiert wird. Dort erzählt er ihm dann, wie bei dem Schiffbruche, den sie auf der Ueberfahrt hatten, die Eltern ertranken und er mit wenigen Uebrigbleibenden sich auf einem losgerissenen Maste nach der nahen Küste rettete; wie es ihm dann gar kümmerlich erging, bis es ihm endlich durch unermüdete Thätigkeit gelang, sich ein Vermögen zu erwerben, das er, familienlos, seiner Heimathgemeinde vermachen wolle. Und war es denn nicht möglich, daß der rettende Balken, dem er sein Leben verdankte, die gleiche Heimath hatte wie er? Wer weiß, ob es nicht die große Fichte nahe bei seines Vaters Hof war, die er als Knabe schon bestiegen, um Vogelnester auszuheben, in deren Schatten er oft geschlafen, die er fällen und fortführen sah und die ihn dann unerkannt als Mast eines geborstenen Auswandererschiffes aus den drohenden Fluthen nach dem sichern Ufer trug.

Carl Roux.