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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Er fuhr nun mit einem Geistlichen und unter Begleitung dreier Jäger in einem verschlossenen Wagen bis zur Reitercaserne in der Leopoldstadt. Hier wollte man Blum, wie üblich, Ketten anlegen. Er sträubte sich dagegen und sprach: „Ich will als freier deutscher Mann sterben. Sie werden mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht den lächerlichen Versuch machen werde, zu entkommen. Verschonen Sie mich mit Ihren Ketten!“ Gegen halb acht Uhr langte der Wagen unter sehr starker Infanterie- und Cavallerie-Escorte – gleichzeitige Berichte sprechen von 2000 Mann – auf dem zur Richtstätte erlesenen Platze in der Brigittenau an, damals einem Militärschießplatz mit Kugelfängen und einigen Bretterhütten; im Hintergrunde in weitem Bogen Erlen und Weiden und im Frühnebel dämmerndes Gebirge. In der Mitte der Militärmasse angelangt, fragte Blum, wer ihn erschießen werde? „Jäger,“ lautete die Antwort. – „Nun, das ist mir lieb,“ sagt Blum, „die Jäger sollen gut schießen.“ Als man ihm die Augen verbinden will, sagt er: „Er wolle dem Tode frei in’s Auge sehen“. Der commandirende Officier bittet ihn, das Verbinden der Sicherheit der Schützen wegen geschehen zu lassen. Da schlingt er sich die Binde selbst um die Augen, stellt sich vor das Peloton und ruft: „Ich sterbe für die Freiheit; möge das Vaterland meiner eingedenk sein!“ Drei Schüsse krachen zugleich. Sie haben Brust und Kopf des deutschen Mannes durchbohrt; er sinkt rücklings und verblutet – eine Leiche, einen Tag vor seinem 41. Geburtstage. – –

In ganz Deutschland brach ein Sturm der Entrüstung los, als die Kunde von der „Ermordung“ Blum’s ruchbar wurde. Das deutsche Parlament, das sächsische Ministerium, Rath und Stadtverordnete zu Leipzig, Hunderte von Volksversammlungen und Millionen deutscher Männer forderten Sühne für das begangene Verbrechen: Alle umsonst; denn wir waren ein ohnmächtiges Volk. In rührendster Weise zeigte sich, wie herzlich das Volk an dem Erschossenen gehangen. In Mannheim flaggten alle Schiffe schwarz; Todtenfeiern fanden überall statt; reich waren im Vergleich zu der damaligen Armuth unseres Volkes die Sammlungen für Blum’s Hinterlassene zu nennen. Manches schöne Gedicht hat die Erregung der schmerzlichen Kunde geboren, keines schöner als Freiligrath’sBlum“:

„Vor zweiundvierzig Jahren war’s, da hat mit Macht geschrieen
Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knieen!
Acht Tage sind’s, da lag zu Wien ein blut’ger Mann im Sande –
Heut scholl ihm Neukomm’s Requiem zu Köln am Rheinesstrande.“

Wir haben heute erreicht, was Robert Blum erstrebte und bei seinem Tode unerfüllt sah; wir haben es erreicht, in anderer Weise, als er dachte und auch unter uns Viele erwarteten. Einem Manne danken wir vornehmlich die Verwirklichung unserer nationalen Einheit. So mag denn dieses Mannes Urtheil über Robert Blum dieses Lebensbild beschließen.

Am 23. Mai 1870 nach einer Sitzung des Reichstages, in welcher das Strafgesetzbuch durch meine Stimme mit zu Stande gekommen war und in der mich die Herren Socialisten beschimpft hatten, ersuchte mich der Bundeskanzler, Graf Bismarck, in sein Cabinet zu kommen. Er reichte mir seine Rechte und sagte: „Lassen Sie uns in dieser Stunde, von der ich hoffe, daß sie für ganz Deutschland segensreich sein wird, ein Bündniß schließen“ – ich stutzte – „ein Bündniß,“ sagte er mit seinem Lächeln – „nicht zu Gunsten eines von uns oder eines Lebenden – sondern zu Gunsten eines Todten. Wenn es den Herren Socialisten wieder einfallen sollte, Ihren Vater herabzuwürdigen dadurch, daß sie ihn für einen der Ihrigen ausgeben, so verfügen Sie über die Macht, die ich besitze, namentlich etwa in der Presse, um dieses Bild rein zu halten. Ihr Vater war sehr liberal – er würde auch heute, wenn er noch lebte, sehr liberal sein. Aber er war auch gut national.“

Hans Blum.




Zum zehnten November.
Ein Mahnwort an die deutsche Nation.

Der Deutsche, der den Geist seiner Nation ehrt, wird den Namen „Friedrich Schiller“ nie ohne das Gefühl der Erhebung aussprechen – so groß steht der Mann vor unserer Seele, und so innig ist er mit unserem Leben und Weben verbunden. Dieser Zauber seines Namens war es, der das hundertjährige Fest seiner Geburt zu einem hohen Feiertag der ganzen deutschen Nation erhob; er war es, der es möglich machte, daß eine wahrhaft volksthümliche Begeisterung sich einem Unternehmen zuwandte, das bis dahin außerhalb des Kreises der Volks-Theilnahme lag: der Gründung einer Stiftung für nothleidende Schriftsteller und Dichter, der „Schiller-Stiftung“.

Das Jahr 1869 offenbarte in großartigster Weise die Sehnsucht des deutschen Volkes nach politischer Einheit und Macht; ihre geistige Einheit hatte die Nation auf eigene Faust durch die allgemeinste Verherrlichung ihres geliebtesten Dichters dargethan. Das Schillerfest hatte die Deutschen auf der ganzen bewohnten Erde zu einer Feier vereinigt, wie sie noch keinem Dichter, ja keinem Fürsten zu Theil geworden. Bis in das kleinste Dorf, die entfernteste Hütte, wohin wohl nie eine Zeile seiner Dichtungen gedrungen, ward sein Name getragen, und Hunderttausende von Bänden seiner Werke kamen nun erst in die Hände des Volkes. Gewaltige Ereignisse folgten diesem Jahre; sie hätten des Dichters Glanz in den Schatten stellen können, wenn nicht gerade in den Tagen der größten Gefahr sein Geist die Herzen erhoben und vor Allem sein „Wilhelm Tell“ die Begeisterung geschürt hätte. So feierte Friedrich Schiller mit uns Kampf und Sieg und den Triumph der deutschen Einheit in „Kaiser und Reich“. – Und dennoch steht die Thatsache beschämend vor unseren Augen, daß jenes erste Schillerfest fast überall in Deutschland das letzte war, daß fast nirgends das Bedürfniß sich zeigte, durch eine würdige Feier, dem Hohenpriester des Ideals geweiht, sich wenigstens einmal im Jahre der materiellen Richtung der Zeit zu entschlagen. Ja, es konnte die segensreichste Frucht jenes Schillerfestes, die „Schiller-Stiftung“, der großen Masse selbst der Gebildeten unseres Volkes aus dem Gedächtniß kommen und ihr etwas so Fremdes werden, als ob es die Kreise der Dichter und Schriftsteller allein angehe.

Besonders dieses letztere Verhalten ist bei der sonstigen Neigung zu freigebigem Wohlthun eine sehr auffallende Erscheinung. Wo suchen wir die Ursachen derselben? Gewiß nicht in geringerer Bildung der Gegenwart und daraus entspringender minderer Würdigung der Dichter, und ebenso wenig in geringerer Leistungsfähigkeit derselben. Im Gegentheil: wir können uns an Höhe und Ausbreitung geistiger Cultur mit jedem anderen Volke messen, ohne einem zu unterliegen, und unsere hervorragenden Dichter brauchen nicht mehr bis nach ihrem Tode auf öffentliche Verehrung zu wartet; sie wird ja den lebenden in vollem Maße zu Theil. Zudem ist die geistige Arbeit im Werthe gestiegen und der Schutz des geistigen Eigenthums ein Paragraph der Gesetze geworden. Auch die geistige Nahrung ist Tagesbedürfniß, und Guttenberg’s Kunst muß Dampf und Riesenmaschinen zu Hülfe nehmen, um jenes Bedürfniß zu befriedigen. Und dennoch war jene auffallende Erscheinung möglich! Wo sind die Ursachen?

Vielleicht finden wir sie in nächster Nähe und in jedem Hause. Trotz aller Bildung und Bildungsmittel, aller Lese- und Schaulust und aller Begierde nach immer neuen poetischen Schöpfungen fehlt uns Eines: ein innigeres Verhältniß zwischen den schaffenden Dichtern und dem empfangenden Volke. Es ist nicht genug, daß wir im Theater Beifall klatschen, wenn ein Stück uns gefällt; wird doch nicht selten von der Menge über dem Schauspieler der Dichter vergessen. Es ist nicht genug, daß wir das ergreifende Lied der Sängerin mit Beifall belohnten; bei der Abmessung desselben beansprucht der Componist den Löwenantheil. Es ist nicht genug, daß wir ein Epos, einen Roman der Leihbibliothek entnehmen, und daß einer neuen Novelle zu Liebe die Zeitungsblätter aus einer Hand in die andere gehen – das Alles ist gewiß schmeichelhaft für die Autoren, aber es ist nicht Das, was wir meinen.

Ich muß hier das Wort eines erfahrungsreichen Freundes citiren. Er schreibt mir hierüber: „Mit der Namensnennung eines Schriftstellers, den Beifallsäußerungen für einen von ihm empfangenen Genuß ist es allerdings nicht abgethan, so lange diese nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_747.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2019)