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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


bildend, die Schule des praktischen Landwirths durchgemacht. Er hat ein durch Vernachlässigung heruntergekommenes Gut wieder emporgebracht und dabei seine Begabung zu entwickeln begonnen, heruntergekommene große Güter, Staaten, wieder emporzubringen.

Die Landwirthschaft schärft, wie wenige andere Beschäftigungen, den Blick für die natürlichen Verhältnisse; sie lehrt Mögliches rasch von Unmöglichem unterscheiden und in Folge dessen die Dinge praktisch anfassen; sie lehrt verwalten und regieren. Es wäre darum meines Erachtens gut, wenn unsere Politiker in größerer Anzahl in diese Schule gegangen wären.




Ferienstudien am Seestrande.
Von Carl Vogt.
5. Kiemenschmarotzer.

In den zwanziger Jahren kam Alexander von Nordmann, ein junger Naturforscher aus Finnland, nach Berlin, um sich dort mit zoologischen Studien zu beschäftigen. Rudolphi, der Vorgänger Johannes Müller’s, hatte damals die Untersuchungen über Eingeweidewürmer in Berlin in Schwung gebracht, und Ehrenberg arbeitete an seinen bahnbrechenden, freilich in der Deutung der Resultate so oft verfehlten mikroskopischen Forschungen über Infusorien. Der scharfe Blick des Finnen sah bald ein neues, erfolgreiches Feld der Thätigkeit in dem Ablaufen der verschiedenen Süßwasserfische, welche der Markt von Berlin in reicher Fülle, wenn auch nicht in vorzüglicher Qualität biete. Möge der Himmel den armen Sündern gnädig sein, welche alljährlich die Producte des Stralauer Fischzuges, trotz ihres Reichthumes an Gräten, hinabschlucken müssen! Zwar behauptete einmal in meiner Gegenwart der Arzt des Rekrutendepôts der Neuchâteler Schützen, ein echtes Berliner Kind, daß ein Spreekarpfen in Biersauce wohl noch vorzüglicher sei, als die herrliche Seeforelle in Weinsauce, an der wir uns eben erquickten – aber das war wohl ein Ausfluß desselben Patriotismus, welcher den Hauptmann desselben Depôts versichern ließ, Friedrich Wilhelm der Dritte würde ein ebenso ausgezeichneter General gewesen sein wie Napoleon, wenn er nur die Gelegenheit gehabt hätte, seine Talente zu entwickeln. Dem Naturforscher kann aber der geringe Preis der in Schlamm und Moder halb erstickten Spreefische sehr zu Statten, denn er konnte sich das Material zu seinen Untersuchungen für weniges Geld in Hülle und Fülle verschaffen, ohne die Verlockung bekämpfen zu müssen, ein schönes Stück zur Tafel zu sparen, und was Ungeziefer betrifft, so findet man dessen bekanntlich in allen großen Städten, selbst an den Kiemen der Fische.

Lernanthropus Kroyeri.
Fig. 1. Rückenansicht des Männchens, dreißigfach vergrößert. – Fig. 2. Das Weibchen, sechsfach vergrößert, im Profil. – Fig. 3. Das Junge, dreihundertfünfzigfach vergrößert, Rückenansicht.

Nordmann verdeutlichte seine Untersuchungen in einem mit schönen Tafeln ausgestatteten Quartanten unter dem Titel: „Mikroskopische Beiträge“, und die wissenschaftliche Welt staunte. Sie wurde zum ersten Male mit einer Menge neuer und höchst seltsamer Formen von Würmern und Krebsthieren bekannt, die, an den Kiemen der Fische festgekrallt, sich nach der wahrscheinlich irrigen Ansicht Vieler von deren Blute nähren. Unter den Würmern lehrte Nordmann jenen seltsamen Doppelwurm kennen, den er Diplozoon paradoxum nannte, dessen Räthsel erst in der jüngsten Zeit dahin aufgelöst wurde, daß es in der That zwei ursprünglich getrennte Individuen sind, welche zu einem einzigen untrennbar zusammenwachsen; unter den Krebsthieren, von welchen einige Arten schon bekannt waren, fand er Formen, welche durch die Reduction der Sinnes- und Bewegungswerkzeuge, sowie durch die Verkümmerung der Männchen eine besondere Stufe in der rückläufigen Entwickelung der Schmarotzer darstellen.

Die Forschungen, zu welchen Nordmann den wesentlichsten Grund legte, sind seitdem in vielfältigster Weise vervollständigt worden. Wir kennen jetzt über zweihundert Arten solcher an den Kiemen der Fische schmarotzender Krebsthierchen und können wohl behaupten, daß Jeder, der einen nicht allzu sehr durchforschten Küstenpunkt besucht, seinen Namen in den Registern der Wissenschaft durch eine neue Art verewigen kann. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß es kaum einen Fisch giebt, der nicht solche Krebsthierchen beherbergte, bei manchen findet man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_263.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)