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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und das Instrument aus der Hand legen wollte, rief mir Lenau, der meinem Spiele, in den Stuhl gelehnt, den gesenkten Kopf in die Hand gestützt, aufmerksam zugehorcht hatte, mit lauter, herausfordernder Stimme die Worte zu: „még egyzer, még egyzer“! (noch einmal.) Es war ein Aufruf, welchem ich nicht anstand bereitwillig zu entsprechen. Kaum aber hatte ich die verlangte Wiederholung beendet, als Lenau aufstand, mir schweigend die Geige aus der Hand nahm und nun selbst zu spielen begann. Was ich vergebens von ihm zu erbitten gesucht, er that es nunmehr freiwillig. Die vaterländischen Anklänge schienen ihn in eine Stimmung versetzt zu haben, welche die Schranken der Schüchternheit durchbrach, die er um die Kundgebung seiner musikalischen Leistungsfähigkeit gezogen hatte.

Es fiele mir in der That schwer, ein musikalisch-kritisches Urtheil über seinen Vortrag abzugeben. Derselbe ließe sich überhaupt kaum in eine bestimmte Kategorie rangiren, allein, daß mich sein Spiel tief ergriffen und die Töne, die er angeschlagen, mir das Herz schneller schlagen machten, dies muß ich zugestehen. Was er spielte, war keine ungarische Nationalmelodie, es war eine tiefe Melancholie, welche in Tönen Ausdruck fand, welche er den Weisen der Magyaren abgeborgt hatte.

Auf den Stuhl hingesunken, horchte ich den magischen Klängen, die aus dem nächtlichen Dunkel – es war mittlerweile im Zimmer ganz finster geworden – heraustönten, so zauberhaft und dabei so wehmüthig und tiefergreifend. Schien es doch, als wäre er unbewußt zum Seher des traurigen Geschickes geworden, das ihn ja nur zu bald ereilen sollte. In jedem Tone lag der Ausdruck des Schmerzes, der in den langgezogenen Tönen des Lassan seine Qualen aushauchte, so erschütternd und rührend zugleich. Noch aber hatten die letzten Töne desselben nicht ausgezittert, als mit einmal der gespensterhafte Wirbeltanz eines wilden, rasenden Frissen wie ein Wettersturm hereinbrach, mit schneidendem, immer gesteigertem Crescendo die geängstigte Seele wie in einer Parforcejagd bis in die höchsten Lagen der Applicatur verfolgend, und mit höhnisch zerstörendem Humor die Bande der Melodie und des Rhythmus sprengend. –

Ich weiß nicht, wie lange Lenau gespielt, plötzlich aber verstummten die Klänge und die Ruhe gänzlicher Erschöpfung trat ein. Ich suchte tastend die Thür und kam tief erschüttert auf die Straße.

Die Töne, welche ich soeben vernommen hatte, brachten auf mich einen schmerzlichen Eindruck hervor, aber sie haben bleibende Spuren in meinem Gedächtnisse hinterlassen.


Blätter und Blüthen.


General Gurko. (Mit Abbildung, S 155.) Eine kecke That ist das beste Mittel, mit einem Schlage ein berühmter Mann zu werden. In dem Kriege, aus welchen wir jetzt schon, obwohl noch alle durch ihn geschlagenen Wunden bluten, als aus etwas hinter uns Liegendes, Abgetanes zurückblicken, ist mancher bis dahin dunkle Name an das Licht gehoben worden, und zwar auf türkischer wie auf russischer Seite; – im heutzutage ungewohnten Glanze ritterlicher Romantik schimmerte aber keiner so, wie der Name desjenigen Generals, welcher Mitte Juli 1877 den die ganze Welt überraschenden russischen Reiterflug über den Balkan führte. Unsere Abbildung zeigt ihn auf diesem seinem Ruhmespfade.

Joseph Wladimirowitsch Gurko steht jetzt im fünfzigsten Jahre, hat also die Laufbahn vom Zöglinge des Pagencorps bis zu den höchsten militärischen Ehren ziemlich rasch durchmessen. Er begann mit achtzehn Jahren den Dienst im Leibgarde-Husarenregiment, machte dann die Generalstabsschule durch und kam aus dem Krimkriege als Rittmeister zurück. Von da an rasch eine Staffel um die andere ersteigend, nahm er am polnischen Feldzuge von 1863 bereits als Oberst Theil, commandirte zehn Jahre später eine Brigade der zweiten Garde-Cavalleriedivision und drei Jahre später diese selbst als Generallieutenant.

Die Division blieb in Petersburg zurück, während für General Gurko aus einer Schützenbrigade, der bulgarischen Legion und vier Cavalleriebrigaden, ein Avantgardecorps gebildet wurde, dessen Aufgabe es war, der Hauptarmee überall kühn voran zu gehen. Die bodenlose Nachlässigkeit der türkischen Heerführer vor und nach dem Uebergange über die Donau lockte von selbst zu immer größeren Wagnissen. Nur zehn Tage waren vergangen, seitdem Gurko das bulgarische Ufer betreten, und schon stand er mit seiner Avantgarde in Tirnowa, der Residenz der alten Bulgaren-Könige, - und sieben Tage später hat er den Balkan überstiegen. Bulgaren waren es, die ihm verriethen, daß sie selbst den Chainkioipaß unbesetzt gefunden; sie führten die Russen, die auf diese Weise am 13. Juli in das Tundschathal vordrangen, wo ein türkisches Bataillon stand, das überrumpelt und zerstreut wurde. Gurko rückte sofort mit seiner Hauptmacht, in fortwährendem Kampfe mit den Truppen des Reuf Pascha, gegen Kazanlik los, das er am 17. Juli diesem entriß und besetzte.

So war über die lachende Rosenstadt mit ihren friedlichen und schönen Menschen, zu deren blühendem und duftendem Erntesegen wir unsere Leser zu Anfang dieses Krieges („Gartenlaube“ 1877, Seite 88) geführt haben, alle Schreckniß und Gräuel der Verwüstung gekommen. Das Glück so vieler Menschen und die entzückende Herrlichkeit all der Rosengefilde sind einen Weg gegangen - ins Elend und Verderben.

Von Kazanlik wandte General Gurko sich gegen Norden, säuberte auch die Pässe von Schipka und Trajvna von den schwachen türkischen Besatzungen und hatte somit in kürzester Zeit drei Balkanpässe für die russischen Armeecorps geöffnet. Sein Kaiser erhob ihn dafür zum Generaladjutanten. Die nächsten Folgen dieser kühnen That waren eine allgemeine Flucht der türkischen Bewohner nach Adrianopel und Constantinopel, die Befreiung Montenegros von den Armeen Suleiman Paschas und eine neue Ministerkrisis beim Pfortenregiment. Da kam der Rückschlag als Strafe für den moskowitischen Uebermuth. Die drei Schlachten vor Plewna schleuderten die Panik in’s russische Hauptquartier, und der Schrecken stieg über den Balkan. General Gurko’s Avantgardecorps wurde aufgelöst und mußte, an andere Truppenkörper vertheilt und von feindlicher Uebermacht gedrängt, sich in den Schipkapaß zurückziehen, während der General selbst nach St. Petersburg eilte, um seine Gardecavalleriedivision eiligst nach Bulgarien zu führen.

Hier kam er an, nachdem General Totleben die fachmännische Leitung der Einschließung von Plewna übernommen und damit der bisherigen Dilettanten-Kriegführung mit menschenschlachtenden Stürmereien und unaufhörlichem Schießen hier ein Ende gemacht hatte. General Gurko überkam die ihm besonders zusagende Aufgaben die Cernirung gegen äußere Angriffe zu schützen, und da die gefährlichsten aus der Richtung von Sofia her drohten, wo Chefket Pascha eine befestigte Stellung bei Gornji Dubniak einnahm, so stürmte Gurko dieses Lager und setzte sich selbst darin fest. Nachdem er es durch eine Besatzung gesichert, bemächtigte er sich des festen Telisch, brachte die Brücke bei Radomirze wieder in russische Gewalt und nahm dann Aufstellung gegen Orkhanie. Das kaiserliche Hauptquartier war um diese Zeit der völligen Einschließung Osman Paschas, Anfangs November, in Poradim, das des Großfürsten Nikolaus in Bogot, bis der Ausfall und die Ergebung Osman Paschas am 10. December Festung und Heer nach hundertdreiundvierzigtägiger Belagerung und heldenmüthiger Vertheidigung den Russen überlieferte.

Der Krieg drang nun abermals über den Balkan, und abermals fiel dem General Gurko, der gegen Sofia operirte, eine schwierige Aufgabe zu. In drei Colonnen begann er am 23. December den Marsch über das Gebirge. Nach unsäglichen Schwierigkeiten gelang es ihm, sämmtliche Colonnen am letzten Tage des Jahres südlich des Balkans zu vereinigen; der Weg nach Sofia stand offen, und schon am 4. Januar hielt Gurko seinen Einzug in die alte bulgarische Hauptstadt. Der Erfolg dieses Zuges glich jenem seines ersten Balkanrittes. Die russischen Corps drangen nun durch drei Pässe zugleich über den Balkan, und schon am 4. Januar fiel die ganze türkische Schipkaarmee in Gefangenschaft. General Gurko setzte seinen Siegeslauf gegen Adrianopel fort, das die Russen bekanntlich von Vertheidigern entblößt fanden. Die Reihe der Großthaten dieses Krieges ist nunmehr wohl auch für General Gurko abgeschlossen.



Joseph Watter (siehe S. 147) ist unter den Münchener Malern der Gegenwart neben Moritz von Schwind und Andern als ein verdienstvoller Vertreter des deutschen Märchens und der deutschen Sage bekannt. Mehr noch fanden seine Leistungen auf einem völlig entgegengesetzten Gebiete, seine Bilder in der Richtung der modernen Münchener Realisten, allgemeine Anerkennung, und das mit Recht; denn was frische und kecke Erfindungsgabe, frappante und packende Situationsmalerei und humorvolle, oft auch sarkastische Wiedergabe des Lebens betrifft, stellt er sich den besten Meistern seiner Schule würdig an die Seite. Als einen Beleg für die letzterwähnte Seite seines Talentes brauchen wir den Lesern nur die humoristische Scene: „In einem bairischen Stellwagen“ in’s Gedächtniß zu rufen, welche wir im Jahrgang 1870 (Nr. 12) wiedergaben. Der „göttliche Funke“ des Humors ist es auch, der den Künstler inspirirte, als er das Bild schuf, mit dem wir unsere heutige Nummer schmücken. Wie alle Schöpfungen Watter’s aus der jüngsten Zeit - wir verweisen nur auf die anmuthige Idylle „Am Waldesrand“ (Nr. 15 von 1877) - ist auch unser neckisches Paar der Zeit des Rococo entnommen. Das Bild spottet in der Anschaulichkeit und Lebendigkeit seiner Darstellung jedes Commentars. Man könnte als lustige Arabesken zu diesen zwei frischen, fröhlichen Gestalten wohl einen kleinen Liebesroman erfinden - aber wozu? Der lachende Mund unserer Schönen, die schelmischen Augen unter dem koketten Hütchen, erzählen sie nicht besser, als Worte es vermöchten, eine Geschichte von Jugend und Liebe, voll lachender Heiterkeit und übersprudelnder Lebenslust?


Erklärung. Die Mittheilung im Briefkasten unserer Nr. 7, soweit sie Anfragen medicinischen Inhalts betrifft, ist leider vielfach mißverstanden worden. Wir halten uns durchaus nicht für verpflichtet, jede nach dieser oder einer anderen Seite hin an uns gerichtete Frage zu beantworten, und haben nur nicht unterlassen wollen, solche Fragesteller, welche in schnell zu erledigenden sanitären Angelegenheiten unsere Ansicht hören wollen, darauf hinzuweisen, daß in solchen Fällen der Weg einer directen schriftlichen Antwort uns ermöglicht werden muß, weshalb die volle Adresse anzugeben ist. Anonyme Anfragen, was auch immer ihr Inhalt sei, werden wir von jetzt ab der Regel nach nicht mehr berücksichtigen und alle ohne Namensangabe eingehenden Manuscripte dem Papierkorb einverleiben. Nur so glauben wir den wachsenden Sturm der Einsendungen von unberufener Seite abwenden zu können.

Die Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_158.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)