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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


durch die hellerleuchteten Gemächer der schönen Wirthin vor. Dumas willfahrt ihr gern. Sie bleiben vor hundert Kleinigkeiten stehen. Der Dichter hat überall etwas zu sagen, aber merkwürdiger Weise ist er heute nicht so geistreich wie sonst, obgleich sich jedes seiner Worte tief in des Kindes Seele senkt. Plötzlich bleibt er vor ihr stehen, macht seinen Arm los und nachdem er sie kurz angesehen, fragt er:

„Habe ich nicht Ihre Erwartungen von mir getäuscht? Sie sagten, daß Sie sich sehr gefreut auf diesen Abend. Der Abend hat sein Versprechen nicht gehalten, nicht wahr, mein Kind?“

Er fürchtete wohl, daß das Mädchen trotz seiner Jugend mit einer ihm angelernten Phrase antworten würde – aber das Kind war aufrichtig und sagte:

„Ich dachte mir Dumas witziger und nicht so liebenswürdig – nicht so gut.“

Er faßte ihre beiden Hände so fest, daß sie beinahe vor Schmerz aufgeschrieen hätte:

„Ich bin liebenswürdig und gut, gut! Hundertmal wollte ich witzig sein, aber Ihre blauen Augen brachen dem Witz die Spitze ab. Ich weiß jetzt, warum gute Leute gewöhnlich so langweilig sind.“

Der Backfisch war heute in einer neuen Welt; er wunderte sich über nichts, nahm Alles wie es kam, freute sich an Allem, während die unschuldige Seele sich, dem Mädchen unbewußt, vorbehielt, ob nach reiflicher Ueberlegung Alles zu vergessen, oder als Richtschnur für’s künftige Leben anzunehmen sei.

Die Beiden standen vor dem Schreibtische der Frau Maria, diesem reizenden Durcheinander, das nicht das Bild der Ordnung gab, sondern eine launenhafte Anhäufung hübscher Geschenke war. Er war das Ideal eines Dichterherdes und hatte nur einen Fehler – er war den Besuchern seiner Besitzerin ebenso leicht zugänglich wie deren Salon, Speisezimmer, Schlafgemach etc. Ueber dem Schreibtische hing Frau Maria’s lebensgroßes Oelbild, auf dem sie als Bacchantin dargestellt ist. Sie hat sich von derselben Künstlerin, die dieses Bild verfertigt, als Waldnymphe malen lassen und das pikante Gemälde einem Anbeter als Geschenk übersandt. Dumas hat sonst an dem Bilde viel Vergnügen gefunden – heute wendet er sich davon ab und zieht seine Gefährtin hastig fort.

„Es muß herrlich sein, den Namen Dichterin zu verdienen,“ sagt mit einem schwärmerischen Seufzer die Kleine.

„Werden Sie immerhin eine Dichterin – aber werden Sie keine Maria!“ flüsterte ihr Dumas zu. Er führte sie in den Salon zurück, wo der italienische Staatsmann mit seinem feinen, genialen Gesichtsausdrucke, dem seit einiger Zeit etwas vom Märtyrer beigemischt war, unter der Thür stand und sie freundlich begrüßte. Er spricht französisch, was dem Piemontesen trotz seines Patriotismus leichter von der Zunge fließt, als italienisch.

„Nun, Dumas, ich gratulire Ihnen zur Dame, die Sie sich erwählt. Ich möchte Zeuge Eurer Unterhaltung gewesen sein. Ich wußte nicht, daß Sie auch harmlos plaudern können.“

„Mademoiselle hat nur selbst das beste Zeugniß ausgestellt. Ich bin heute Abend weniger witzig, als liebenswürdig.“ Rattazzi lacht vor sich hin und läßt die Beiden vorübergehen. Dumas kann sich der Schicklichkeit nicht fügen – er bannt die Kleine an seine Seite – er verlangt, sie solle ihre beiden Hände in die seine legen, da er die eine kaum fühlt in seiner alles menschliche Maß überschreitenden, großen, breiten, ehrlichen Hand. Nachdem er sie ausgefragt und das einfache, kein Geheimniß bergende, freudevolle, stille Leben des Mädchens wie ein versteckter Gebirgssee, zu dem nicht Wind noch Wetter gelangt, spiegelglatt vor ihm liegt, erzählt er ihr vom Theuersten, was er besitzt, von seiner einzigen Tochter, der genialen Malerin, die am besten Zeugniß giebt, daß sie Dumas unbeeinflußt aufwachsen ließ, indem ihre Frömmigkeit beinahe in Schwärmerei ausartet. Sie schien das Ideal im Herzen Dumas’ zu vertreten, denn das ewig heitere, braune Riesenantlitz wird ernst, und die Augen ruhen nicht mehr auf dem Mädchen an seiner Seite; sie scheinen die Ferne zu suchen, und in der Ferne die einzige Tochter, die zugleich für sich und den Vater tugendhaft ist.

Jetzt tritt eine Frauengestalt an das eigenthümliche Paar heran, die erwähnte Malerin, die zugleich dichtet, singt, spielt, meißelt und nebenbei ein Geschäft betreibt, das sonst ein weibliches Wesen allein in Anspruch zu nehmen pflegt: – sie hofft noch immer auf einen Mann. In ihrer Toilette liegt etwas, das diesen Wunsch verräth; wir möchten bei ihrem Anblicke an Angelika Kaufmann erinnert werden, was jedoch nur insofern gelingt, als es zu einem für das Fräulein – ach, noch immer Fräulein, und schon längst alt genug, um Frau zu sein! – sehr ungünstig ausfallenden Vergleiche führt. Stammelnd, erröthend bringt sie ihr Anliegen an den „großen Dumas“ vor, die Bitte, er möge ihr auf einen augenscheinlich zu diesem Zwecke neu angekauften Fächer – er riecht noch nach den Ledergegenständen, die neben ihm im Schaufenster lagen – er möge ihr auf diesen Fächer „etwas“ schreiben, „irgend etwas, was es auch sei.“

Dumas läßt sich ziemlich lange bitten; er vergleicht offenbar seine Nachbarin mit dieser verblühten Angelika Kaufmann und hört kaum auf ihre wiederholte Bitte. Endlich läßt er sich herab, ein Tintenfaß zu verlangen. Angelika fliegt fort, daß die classischen weißen Gewänder flattern. Frau Maria hat ihr zum Tintenfaß noch eine Kielfeder gegeben. Dumas legt den Fächer auf einem Tische zurecht und fängt an, mit gemächlichen Zügen auf dem Holze herumzumalen. Angelika’s Wangen färben sich. Sie schaut triumphirend im Zimmer umher und wirft kaum einen flüchtigen Blick auf die Hand Dumas’, sie will sich die Ueberraschung nicht verderben; endlich darf sie den Fächer in die Hand nehmen. Auf dem weißen Holze prangen des Fräuleins Initialen, L.G., in zierlich ausgeführter mittelalterlicher Mönchsschrift, die Dumas wahrscheinlich auf den Bibelillustrationen seiner Tochter zu studiren Gelegenheit gehabt. Die arme Angelika hat einen harten Stand, nicht in Thränen auszubrechen, nicht zu rufen: „Das hat ja keinen Werth.“ Niemand wird ihr glauben, Dumas sei der Schöpfer dieser barocken Schnörkel, und wenn auch, so ist das keine Huldigung – sie hatte ein Sonnett auf die neue Angelika Kaufmann erwartet.

Als man Dumas später an demselben Abend auf der Künstlerin enttäuschtes Gesicht aufmerksam machte, brach er in helles Lachen aus, das bei ihm die Erinnerung an einen ähnlichen Fall erweckte, den er auch mit Laune erzählte. Eine Madame Bonbelles, die Frau eines französischen Gesandten, hatte vergessen, ihn zu einem von ihr veranstalteten Diner einzuladen, und sich den Tag darauf nicht entblödet, ihm ein Album zu bringen, in das er auch „etwas, was es sei!“ schreiben sollte. Dumas überraschte sie mit folgenden Zeilen:

Dites pourquoi ces gens s’appellent-ils Bonbelles?
Le mari n’est pas bon; la femme n’est pas belle.

(„Sagt, warum heißen die Leutchen Gutschön?
Der Mann ist nicht gut, und die Frau ist nicht schön.“)

Die gute Laune blieb Dumas bis an’s Grab getreu, denn klingt es nicht wie Galgenhumor, daß der geniale Schriftsteller, eine der ersten Größen Frankreichs, der Millionen vergeudete, welche doch ehrlich erworbene Arbeitsfrucht waren, daß er die letzten Jahre seines Lebens als Saucenfabrikant verbrachte? Welch’ volles Leben liegt zwischen dem Jahre 1803, wo er als Copist in der Schreibstube des Herzogs von Orleans saß, den Kopf voll Zukunftsplänen, die Brust von Ehrgeiz und Drang nach Großem geschwellt, und 1870, wo er in einem kleinen Dorfe seines Vaterlandes den letzten Athem aushauchte, während deutsche Kugeln die Häuser seines geliebten Paris durchdrangen! Eine Ueberfülle an Genuß lag hinter ihm, aber auch so viel Arbeit, wie sie kein gewöhnlicher Sterblicher zu vollbringen weiß. Das Geheimniß der dreihundert Bände freilich liegt nicht blos in einer das Wunderbare erreichenden Arbeitskraft, sondern auch in der fleißigen Mithülfe, die er sich zu verschaffen gewußt. So schrieb ein Neapolitaner, Namens Fiorentino, über zehn von Dumas’ Romanen. Dumas half sich, als man ihm diese Mitwirkung als eine Art von Betrug vorwarf, mit dem Beispiel Raphael’s, der ja auch der Schüler in Menge gehabt hat, und nur die letzte Hand an manches Werk legte, das jetzt als echter Raphael bewundert und bezahlt wird.

Dumas hat auch umgekehrt gehandelt, denn wie Vieles seinen Namen trägt, an dem seine Feder unschuldig ist, so hat er an Frau Rattazzi’s Werken Manches gearbeitet, das dieser den Ruf einer genialen Frau verschaffte. So erschien bald nach seinem Aufenthalt im Hause der Ministerin ein Buch von dieser, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_779.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)