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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Die Sage erzählt uns auch, daß die Kirche das Werk einer frommen gräflichen Frau gewesen sei. Zaghaft habe sie gefürchtet, daß ihr Reichthum nicht langen werde den Bau zu vollenden, aber mit dem letzten Heller sei auch der letzte Stein darein gefügt gewesen. Sie läßt noch jetzt „in der Nacht, da der Heiland geboren ward“, die erloschenen Kerzen am Hochaltare und die ewige Lampe im Seitenschiffe sich wieder entzünden, die verschwundene Orgel von Neuem erklingen, die Nonnen in langem Zuge durch den verödeten Gang vom Kloster herüber auf die Empore schreiten, die zinnernen Särge sich öffnen und die darin schlummernden Leiber der alten Grafen von Schwarzburg, der Herren von Witzleben und Anderer aus den dunkeln unterirdischen Grabgewölben heraufsteigen und eine geisterhafte Menge sich versammeln, der mitternächtigen Mette zu lauschen, bis die erste Morgenstunde den frommen Spuk wieder in die Gräber bannt. Sie erzählt auch von jenen zwölf silbernen Aposteln, die einst den Hauptaltar schmückten und die eine angstvolle Priesterhand in Kriegsnöthen an eine Stelle vergrub, die noch immer ihres glücklichen Entdeckers harrt. Zwar soll der sandsteinerne Katzenkopf im südlichen Seitenschiffe nach der Stelle blicken, wo sie verborgen liegen, aber Katzenaugen sind falsch und trügerisch. Dann soll es wieder ein Stein mit einem Maltheserkreuz sein, darunter sie liegen, aber noch hat ihn Keiner gefunden.

Eine noch spätere Zeit hat auf das Mitteldach der Kirche einen plumpen vierschrötigen Thurm mit mächtiger Helmhaube gesetzt, um die Glocken hinein zu hängen, welche die zierlichen Vorderthürme durch ihre Schwere gefährdeten. Da sitzt er nun auf dem Dachsimse groß und patzig wie eine dralle Viehmagd zwei schlanken und zierlichen Damen des Salons gegenüber. Noch gar manches Kleinod birgt das Innere der Kirche. So vor Allem einen köstlichen Altarschrein, der in seinen äußern Decken Scenen aus der Passionsgeschichte wiedergiebt, drinnen aber in reicher Vergoldung ein Schnitzwerk, die Krönung der Himmelskönigin darstellend, mit entsprechenden der biblischen und Heiligengeschichte entnommenen Bildern enthalt. In dem nördlichen Seitenchore begegnen wir einem mächtigen steinernen Sarkophage, der obenauf die Figuren eines Grafen, „Günther und seiner Frauen Elisabeth“ trägt. Zu den Füßen der Frau liegt ein Hund, das Sinnbild der Treue, zu denen des Mannes ein Löwe, das Sinnbild des Muthes, unten am Sockel aber steht als Sargwächter die thüringische Sagenfigur des treuen Eckardt. In der Sacristei stoßen wir auf ein buntes Durcheinander dahin geretteter Kirchenstücke; wir finden dort Gefäße, Schreine, Reliquienkästen, Klingelbeutel, Christuskreuze, theilweis mit Vorrichtungen zu künstlicher Blutung versehen, allerhand geschnitzte und gemalte Figuren, Heilige, Apostel, Grafen von Schwarzburg, Gustav Adolf, Doctor Luther, Alles im friedlichen Beisammensein.

Die sich gegenüber stehenden Giebel der beiden charakteristischen Häuser, welche die südöstliche Ecke des Marktplatzes bilden, haben unsern Künstler zur Zeichnung des hübschen Seitenbildes veranlaßt. Die Häuser haben aber auch ihre innere Bedeutung. Die beiden ersten Fenster des über einer Säulengalerie hervorspringenden Hauses – die Galerie zieht sich an der ganzen Breitseite des Marktes hin und dient namentlich an regnerischen Markttagen zur Verkaufshalle – erhellen das Zimmer, in welchem E. Marlitt das Licht der Welt erblickte. In diesem säulengetragenen Hause verlebte sie eine fröhliche, heitere Jugend, denn sie hatte nichts von dem träumerischen, kopfhängerischen Wesen, wie es ihr wohl die Legende andichtet, welche ungestillte Neugier bereits phantastisch um ihr Leben gewoben hat. Ein lustiges, neckisches unbefangenes Kind, hat sie aus dem herben Ernste eines wechselvollen Lebens von dieser Eigenart ihres Wesens Vieles noch hinübergerettet in ein, späteres Alter, und die sonnige Heiterkeit senkt auch noch ihre frischen Lichter in die Einsamkeit, zu welcher körperliche Leiden und eine gewisse keusche Scheu vor öffentlicher Schaustellung sie verurtheilen. In dem andern Eckhause mit seinen weit hervorspringenden Ecken, den erzenen Drachenköpfen hoch oben an dem langaufstrebenden Dache, die das Regenwasser hinunter auf die Pflastersteine speien, erkennt der Leser des „Geheimnisses der alten Mamsell“ bald die Staffage des Hellwig’schen Hauses. Es war eine Reminiscenz aus der fröhlichen Jugendzeit, welche sich in der Dichterin wieder belebte, als sie den Schauplatz ihres Romans an diese Stätte verlegte. Sie hat dieses Haus, das Gasthaus „Zum Schwarzburger Hofe“, zu einer Merkwürdigkeit umgeschaffen, welche kein Fremder mehr ungesehen läßt. Dieser ganze obere Stadttheil mit seiner Barfüßerkirche – in welcher die bigotte Frau Hellwig ihre Andachten verrichtete – und dem ganzen Complexe alter Kloster- und Stiftsgebäude ist in seiner Verkehrsstille ein wahrer Heimgarten der Poesie. Da ist weiter hinauf auch das „alte häßliche Stadtthor mit dem noch, häßlicheren Thurme“ – auch das Häßliche hat ja seine Aesthetik–, der, wie es in jenem Romane heißt, „auf seinem Rücken dräuet“, da „schlingen sich, wenn man durch die grünschimmernde Wölbung tritt, prächtige wohlgepflegte Lindenalleen in wunderlichem Contraste um alte geschwärzte Stadtmauern, wie ein frischer Myrthenkranz um einen ergrauten Scheitel“.

Bei dem Austritte aus dieser Lindenallee begrüßt uns das neue freundliche Heim der Dichterin, ihre in Bild und Wort schon oft geschilderte Villa. Auf freier Höhe, die im Hintergrunde noch hoch emporsteigt bis zur „Alten Burg“, liegt die Stadt gerade in ihrem am schönsten entwickelten Theile. Mit eigenthümlichem Zauber wirkt das Bild, wenn der Abend hereinbricht, die Contouren der Häuser sich im Dunkel verwischen und nur die Gasflammen als Hunderte von schwimmenden Lichtpunkten aus der dunkeln Fluth hervortauchen. Beim Ausblicke vom Balcon aber schweift das Auge hinüber nach dem Krater der Kefernburg, nach Oberndorf mit seiner uralten freiragenden Kirche und nach dem grünenden Haine dahinter.

Ganz im Gegensatze dazu liegt das einstige Heim eines andern Dichters tief drunten in der Niederung des Thales. Wilibald Alexis, der glückliche Nachahmer Walter Scott’s, baute sich sein Abbotsford, in dem er seinen von qualvollen Leiden getrübten Lebensabend verbrachte, dicht an die lauschigen Ufer der Gera unter die Schatten hochragender Kastanienbäume. Droben im Walde in noch tieferer Stille trägt ein einsames Plätzchen den Namen Alexis-Ruhe. Der Dichter aber hat schon längst das stillste und engste aller Häuser bezogen draußen an der Mauer des Friedhofs; die treue Pflegerin seiner Leiden, zuletzt selbst einem hülflosen Siechthume verfallen, ist ihm vor Kurzem dahin gefolgt und ruht unter einem Kreuze an seiner Seite.

Nur zwei Schritte weiter befindet sich ein anderes Grab mit einem liegenden Kreuze, neben welchem noch ein Platz frei gelassen ist, wo die eine treue Tochter neben dem Heimgegangenen heiß verehrten Vater einst ruhen will. Sie weiß, daß sie zum Theile diesem Vater als Erbtheil das eigene hohe künstlerische Empfinden verdankt und daß es nur das stillbescheidene Wesen des Verstorbenen gewesen ist, das ihm eine Anerkennung seines durch verschiedene nachgelassene malerische Kunstwerke zweifellos verbrieften Talents für eine größere Oeffentlichkeit versagt hat. Das liegende Kreuz trägt den Namen „Ernst John“.

Nur kurz wollen wir noch berühren, daß auch der Dichter Novalis, der Hauptvertreter der romantischen Schule, in Arnstadt einige Zeit sich aufhielt, um sich zum praktischen Juristen auszubilden, und daß dieser Aufenthalt für ihn dadurch zur hohen Bedeutung wurde, daß er unter den Damen des Hofstaates der verwittweten Gräfin Auguste Dorothea, welche aus den Trümmern der Kefernburg sich ein Lustschloß, die Augustenburg, gebaut hatte, in welcher es ebenso fromm wie lustig herging, seine erste Liebe nur fand, um sie bald wieder dem Tode abzutreten. Dieser Verlust drückte auf Novalis’ Stirn für immer die Weihe dichterischer Verklärung, grub in seine Seele den tiefen Sehnsuchtsdrang nach dem Jenseits, der durch seine Schriften geht und dem er selbst in früher Jugend erlag.

Wohl könnten wir noch manches Andere von unserer Stadt erzählen, von merkwürdigen Ereignissen und noch bemerkenswerthen Stätten, so von jenen seltsamen Bildnereien, welche die Fronten vieler Häuser zieren, von dem großen kinderfreundlichen Christoph bis zum schuppigen Karpfen, könnten erzählen von dem Wohlstande, dem Fleiße, dem biedern und stark ausgeprägten Familiensinne der Einwohner, aber die Raumbeschränkung, welche sich für jeden solchen Artikel, wie der unsere, vorschreibt, gebietet uns, Maß zu halten.

Nur auf die Bedeutung Arnstadts als Bad und Sommerfrische wollen wir noch hindeuten. Wir möchten auch hier der Dichterin des „Geheimnisses der alten Mamsell“ das Wort lassen. „Innerhalb der letztverflossenen Jahre,“ heißt es dort einmal, „hatte ein Ingenieur seine Wünschelruthe ziemlich nahe dem Weichbilde der Stadt spielen lassen. Der moderne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_539.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)