Seite:Die Gartenlaube (1876) 241.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sie die Sträuße in Empfang nahm. Jedes Auge war mit Thränen der Freude und des Schmerzes gefüllt. Nun wurde Trab gefahren, und in wenigen Augenblicken war eine der Lieblinge Weimars den Augen der Menge durch das Thor auf der Straße nach Berlin entschwunden.[1]

Mit besonderem Interesse gedenke ich heute noch meines Abschiedsbesuches bei Goethe. Er klebte sein Bild in mein Stammbuch und schrieb mit eigner Hand die Verse darunter:

Was verkürzt mir die Zeit?
     Thätigkeit.
Was macht sie unerträglich lang?
     Müßiggang.
Was bringt in Schulden?
     Harren und Dulden.
Was macht gewinnen?
     Nicht lang besinnen.
Was bringt zu Ehren?
     Sich wehren.

Wie kräftig und knapp sind diese Verse, wie voll der Passendsten, weisesten Winke, die einem jungen Manne gegeben werden können! Er schenkte mir auch eine Medaille, welche zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum geschlagen worden war. Man konnte sie als Brosche brauchen, und ich trug sie als solche.

Dr. Eckermann und Reinhold von Schwendler, der nachherige Präsident, begleiteten mich zur Post, und ein Schotte Herr M–e, – derselbe, dessen Gegner ich einige Monate vorher in einem schon festgesetzten, aber noch durch freundliche Versöhnung beigelegten Zweikampfe sein sollte, – gab mir das Geleite bis Fulda.

Die Verse Goethe’s bewahre ich noch jetzt sorgfältig als heilige Erinnerung. Die Medaille aber verlor ich leider in der Grafschaft Kildare, als ich bei einer Fuchsjagd vom Pferde stürzte. Dort, in einem Graben und tiefem Schlamme, liegt die Medaille mit dem Bildnisse des größten Dichters der letzten beiden Jahrhunderte begraben, ohne daß die genaueste Durchsuchung sie aufzufinden vermocht hätte!



  1. Das sinnige, durch seinen Ton an die launige Muse des wackeren Commissionsraths, Hofbuchhändlers W. Hoffmann in Weimar, erinnernde Gedicht, welches bei dieser Gelegenheit, am 22. Mai 1827, zehn Mädchen, „gleichzeitig Bräute in der gemeinsamen Vaterstadt“, der fürstlichen Braut Herzogin Marie mit Blumen überreichten, ist noch erhalten; es lautete:

    Ein fröhlich Herz, ein munt’rer Sinn
         Ist stets den Bräuten eigen;
    Man pflegte sie zu jeder Zeit
         Mit Blumen zu vergleichen.

    So mögen auch nur Blumen Dir
         Der Schwestern Wunsch verkünden,
    Denn was der Braut am Herzen liegt,
         Kann nur die Schwester finden.

    Stets war ein Wunsch aus Brautesmund
         Von guter Vorbedeutung.
    Drum sei Dir unser Schwestergruß
         Die freundlichste Begleitung!




Blätter und Blüthen.


Ferdinand Freiligrath. In allen Blättern erscheinen in diesen Tagen, da unser edler Dichter zu den Todten gegangen ist, Nekrologe, welche ihn schildern, wie er in den letzten Jahren war. Ich will in diesen Zeilen versuchen, von dem wohlthuenden Eindruck, den ich von Ferdinand Freiligrath im Gedächtnisse trage, Rechenschaft abzulegen, um so zu ergänzen, was von anderer Seite über ihn gesagt worden ist.

Ich lernte ihn erst zur Zeit seines Stuttgarter Aufenthalts kennen, da eine vormals in London verabsäumte Gelegenheit, ihn zu begrüßen, sich nicht früher wieder bieten wollte. Er pflegte damals mit seiner Gattin regelmäßig Nachmittags im Stuttgarter Hofgarten zu spazieren. Hier sah ich ihn denn auch zuerst. Es ist immer, auch für den Unbetheiligten, ergreifend, ein Elternpaar in Trauer zu sehen. Hier empfand man beim Anblicke der beiden Gealterten und von einem noch frischen Verluste Heimgesuchten eine um so lebhaftere Rührung, weil es bekannt war, mit welcher Innigkeit sie an dem verstorbenen zweiten Sohne Otto gehangen hatten und wie vereinsamt, fern von ihren anderen Kindern, sie sich jetzt in Deutschland fühlten. Wir Alle erinnern uns noch des herzlichen Gedichts, mit welchem Freiligrath beim Ausbruche der Feindseligkeiten diesen seinen Liebling als Pfleger in den Krieg entließ. Unversehrt war der Jüngling in’s Elternhaus zurückgekehrt, hatte dann sein Freiwilligen-Examen gemacht und bereitete sich für seine weitere kaufmännische Laufbahn vor, als ihn das Scharlachfieber auf’s Krankenlager warf und bald darauf dem Leben entraffte.

Die Gattin Freiligrath’s, eine stattliche Matrone mit sehr regelmäßigen Zügen, silbergrauem Haare und etwas geschwächtem Augenlichte, aber um so hellerem und jugendfrischem Geiste, ist eine Weimaranerin. Sie hatte in dem Sohne eine ihrer liebsten Hoffnungen zu Grabe getragen. Stuttgart war ihnen seitdem verleidet. Sie hatten dort ohnehin noch nicht Wurzel gefaßt, verkehrten nur mit Wenigen – am meisten wohl mit Edmund Höfer, Walesrode und Hofrath Hemsen – und wären am liebsten nach England zurückgekehrt, wo bei Sydenham ihre Tochter Käthe, die Dichterin, als Gattin eines deutschen Kaufmanns in freundlichem Landhause lebt; auch eine zweite Tochter ist dort an einen deutschen Kaufmann verheirathet, während die beiden anderen Söhne, Wolfgang und Percy, sich als Kaufleute in Amerika angesiedelt haben.

Die Wohnung, welche Freiligrath bis zu seiner Uebersiedelung nach dem nahen Cannstatt inne hatte (in Ludwigsburg und Gengenbach suchte er vor seiner Uebersiedelung ebenfalls Quartier), lag drei Treppen hoch in einem schönen Eckhause der hügelansteigenden Ulrichstraße und war eleganter, als dem Dichter behaglich sein mochte. Auch klagte er über die Treppen und meinte mit Recht, bei seiner im Zunehmen begriffenen Wohlbeleibtheit möchte er lieber die freilich reizende Aussicht drangeben, welche die meisten seiner Fenster boten. Die langjährige Gewohnheit des Bureausitzens hatte seinem körperlichen Befinden wohl Abbruch gethan. Als Flüchtling nach London gekommen und bei den christlichen Kaufleuten mit seinen Gesuchen um Beschäftigung erfolglos geblieben, war er zunächst durch einen jüdischen Kaufmann zu einer festen Stellung gelangt, hatte aber allabendlich bis sieben und am Dienstag und Freitag sogar bis elf Uhr im Geschäfte arbeiten müssen, bis er später, namentlich durch seine Anstellung bei der Schweizer Bank, sich etwas Erleichterung verschaffen konnte.

Als ich Freiligrath zum ersten Male in seiner Wohnung aufsuchte, ging die Wintersonne eben hinter dem westlichen Höhenkranze des Stuttgarter Thales unter, und ihre letzten röthlichen Strahlen glitten langsam über das schöne Oelbildniß des Dichters, welches der ihm befreundete Düsseldorfer Künstler Hasenclever vor etwa drei Jahrzehnten gemalt hatte. Da sein volles Haupthaar noch kaum in’s Graue überzugehen begann, glich Freiligrath jenem Bilde noch jetzt, nur daß alle Formen sich in’s Rundliche verändert hatten. – Seine Freude und seine Plage war eine in einem der anstoßenden Zimmer untergebrachte sehr reiche Bibliothek; vor Allem enthielt dieselbe eine Menge englischer Werke in den schönen Ausgaben, für welche in der bücherkaufenden englischen Aristokratie immer willige Abnehmer sind. An der Wand hing unter Glas das Lied „an die Freude“ in der Bleistift-Handschrift Schiller’s[WS 1], ebenso eine blonde Locke Schiller’s und eine dunkelbraune Goethe’s. Auch ein Bild Carlyle’s und eins von Rittershaus, „dem sein Bauch,“ wie Freiligrath sich scherzend ausdrückte, „beneidenswerth stattlich steht.“

Auf Grund dieser Umfangs-Verwandtschaft, erzählte Freiligrath weiter, habe Rittershaus sich eines Tages den Spaß gemacht, bei Theobald Kerner unter dem Namen Freiligrath’s einzusprechen, eine Mystification, die sich dann nicht mehr habe rückgängig machen lassen, so daß sich Kerner bis zuletzt in dem Wahne befunden habe, er bewirthe Freiligrath selbst.

Mit Sehnsucht gedachte er der am Rheine verlebten schönen, poetisch gehobenen Tage, vor Allem seines Aufenthaltes in dem malerischen Unkel. „Es stand einst,“ erzählte er, „gerade ein Bouquet auf dem Tische, das ich, in Ermangelung des Wassers, in ein Glas mit Wein gestellt hatte, als ein junger Mann im dicken Winterrocke eintrat – es war im Juli – und angesichts dieses sybaritischen Blumenglases zu erzählen begann: er sei Commis in einem soeben bankerott gewordenen Aachener (?) Geschäftshause gewesen und habe bei dem allgemeinen Krache für’s Beste gehalten, sich und seine Garderobe vor den Creditoren in Sicherheit zu bringen. Dabei sah er immer auf das Blumenglas, nicht wenig erfreut, daß die Schriftstellerei in Unkel sich solche Extravaganzen erlauben könne. Dieser junge Mann war unser jetziger lieber Nachbar – Hackländer.“

Mit den englischen und amerikanischen Dichtern war Freiligrath zumeist persönlich bekannt und correspondirte auch mit mehreren derselben. Am wenigsten Sympathie flößte ihm Swinburne ein, so wenig er auch dessen hohe Begabung verkannte. Sein excentrisches Anlehnen an französische Unsitten hat Swinburne’s Freunde freilich schon oft genug verletzt.

Mit Vergnügen erinnerte er sich, daß er durch Empfehlung der „Rabbiata“ im Athenäum P. Heyse zuerst in die englische Lesewelt eingeführt habe; ebenso, daß die Begnadigung des politischen Gefangenen Heubner (jetzigen Dresdener Stadtraths) erfolgt sei, nachdem er dessen Milton-Uebersetzung ausführlich im Athenäum besprochen und daran einen Appell an den Dante-Uebersetzer, Philalethes, – den König Johann von Sachsen – geknüpft habe, eine Besprechung und Verwendung, die sowohl in der „Augsburger allgemeinen Zeitung“ wie in der „Deutschen allgemeinen Zeitung“ nachgedruckt worden sei und dem Könige also wohl zu Gesicht gekommen sein werde.

Die inzwischen an den Reichstag gelangte und erfolglos gebliebene Petition gegen die holländischen Nachdrucker hatte Freiligrath zur Zeit meiner Stuttgarter Berührungen mit ihm eben angeregt; er versprach sich zwar wenig davon, hielt es aber doch für geboten, sich in solcher Weise gegen die Nachdrucker zu rühren. Er zeigte mir einen ihm soeben durch Cotta übermittelten Nachdruck, der in Amsterdam erschienen war und bei dem sich merkwürdiger Weise, gerade wie dies bei Banknotenfälschungen zu geschehen pflegt, ein ganz plumper Druckfehler eingeschlichen hatte – der Titel lautete nicht auf Ferdinand, sondern auf „Ferninand“ Freiligrath. Geibel, welcher in gleicher Weise in Holland geplündert wurde, hatte sich auf Cotta’s Vorschlag zu einer Concurrenzausgabe verstanden, welche in Holland nur fünfzehn Groschen kosten sollte. Freiligrath hielt das Mittel für verfehlt und ließ sich nicht darauf ein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schille’s
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_241.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)