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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„J–a!“ seufzte Pospischil wiederum mit Nachdruck. „Wissen’s, Herr Collega, es war a dalketer Streich. Vierzehn Täg’ nach der Hochzeit fängt der Liebhaber an, um mei braves Weib herum zu manövriren. A bildsauberer Bub’ is’s – dös mueß i’ sag’n. Er war ehnder Tubabläser in einer Regimentsbanda. Aber was z’ vüll is, is z’ vüll. Mei braves Weib läßt sich fangen und wendet Alles an ihn. Vor vier Wochen hat’s mir alle acht Oellampen verkauft und hat ihm für den Erlös a paar Kravatteln zum Präsent g’macht. Ich hab’ keine Ahnung davon, und als ich Abends die Lampen richten will zur Kumedi – san’s alle pritsch, und ich mußt’ die Leut’ eingetretener Hindernisse wegen wegschicken.“

Ich mußte lachen. Pospischil war ein höflicher Mann. Er lachte mit.

„Aber Ihr Gast?“ fragte ich dann.

„Ich komm’ schon d’rauf. Vor fünf Täg’ ungefähr mach’ ich a kurze Permissionsreis’n in a Dorf, was vier Stunden entfernt ist. Ich komm’ nach Haus – und was glauben der Herr Collega? Ich tret’ in meine Stub’n – steht, mei erster Liebhaber d’rin und küßt mei braves Weib. ‚Herr,‘ schrei’ ich, ‚das is Mißachtung der Direction; das kost’t einen halben Gulden Straf’‘ – da thut sich die Zimmerthür auf und herein tritt der Mensch.“

„Wer? – Ihr Gast?“

„Ja. Er lacht unbändig über mei wüthendes G’fries und declamirt was. Was’s war, hab’ i’ nöt verstand’n. Dann fragt er, ob ich ihn nöt möcht’ gastir’n lassen. Ich schau’ ihn von oben bis unten an und gieb ihm zu verstehen, er schien’ mir auch der rechte ‚Gast‘ zu sein. Da wird er grob, und meint’, ich solle mit einem Hofschauspieler anders umgehen. Ergo: ich lass’ ihn vorgestern spüll’n – den Holtei’schen Hansjürgel. Ich sag’ Ihnen, Herr Collega, der Kerl hat den Teufel im Leib’. So was von Kumedi hab’ ich noch nicht gesehen. Aber – unter uns –“

„Nun?“

„Ich glaub’ –“

„Was?“

„Er sauft.

„So?“

„Ja. Aber a Capitalkerl is er. Morg’n Abend spielt er den Franz. Schau’ sich der Herr Collega morg’n Abend mei’m Gast an! Er spüllt a ganz sonderbare Kumedi.“

Der „Gast“ begann mich zu interessiren. Ich sagte zu.

„Geh’n der Herr Collega mit nach Aussig z’ruck?“

„Ich bleibe noch ein Stündchen hier. Auf Wiedersehen, Herr Director!“

„B’hüet’s God derweil!“

Director Pospischil schüttelte mir sehr herzlich die Hand und ging. Ich suchte mir ein bequemes Plätzchen. Der Vollmond stand schon lange als blasse Scheibe am Himmel. Die Abendschatten wurden tiefer und tiefer, der Mond heller und heller. In der jäh abfallenden Tiefe glänzte, mild beleuchtet, der Strom; die Sterne zweiter und dritter Größe wurden sichtbar; kein Lüftchen regte sich; unten verfolgte ein verspäteter Dampfer seine Bahn; war es ein Wunder, daß meine Gedanken ganz der herrlichen Natur gehörten und nur dann und wann Pospischil’s „Gast“ sich als lösenswerthes Räthsel in den Genuß drängte?

Die späteren Abendstunden des folgenden Tages fanden mich auf der Landstraße, welche von dem Städtchen Aussig nach dem nahen Dorfe Schönprießen führt. Mit Absicht hatte ich die späte Stunde gewählt. Es lag mir zunächst nichts daran, Pospischil’s Bekanntschaft zu erneuern oder die seiner Mitglieder zu machen. Ich rechnete darauf, daß die „Kumedi“ schon begonnen habe. Ich hatte mich nicht getäuscht. Als ich in den kleinen engen Saal des Dorfwirthshauses trat, wurde bereits „gemimt“. Ich drückte mich still in eine Ecke; denn ich habe es noch nicht gelernt, die Entwürdigung der Kunst heiter hinzunehmen. Der gerade bei meinem Eintritte gefallene Vorhang hob sich unter Schwierigkeiten wieder. Die Wirthshausscene des ersten Actes begann. Karl Moor trat auf und leistete in Bezug auf Verständnißlosigkeit und Gebrüll etwas, wie ich es nur noch einmal in gleicher Güte an einem großen Hoftheater gesehen habe. Uebrigens war Karl Moor wirklich „a bildsauberer Bub’“, höchst wahrscheinlich der vielgeliebte frühere Tubabläser. Der Rest ist Schweigen. Ich hätte mich gern schon jetzt entfernt. Der noch zu erwartende „Gast“ fesselte mich indessen.

Der schwermüthige Vorhang hob sich. Der zweite Act begann. Franz saß, den Kopf in die Hand gestützt, am Tische. Der berühmte Monolog vom „Arsenal des Todes“ begann.

Es ist ein eigenes Ding um die Wechselwirkung zwischen Darsteller und Zuschauer. Wer erklärt die ungeheure Macht des genialen Menschendarstellers? Der Franz da oben war ein Genie. Man vergaß die überreife Persönlichkeit; man vergaß das etwas mitgenommene Organ. Man empfand so manche Sonderbarkeit nicht – es war eben eine geniale Darstellungsweise. Ich mußte den Schauspieler, der dort auf dem „Nudelbrett“, wie die Komödianten eine sehr kleine Bühne nennen, agirte, schon irgendwo gesehen, ja bewundert haben. Vor Jahren allerdings. Ich suchte und suchte in meinem Gedächtniß. Endlich hatte ich’s. Der Schauspieler, der da oben mit allen Zeichen eines Rausches Komödie spielte, war der geniale Wilhelm Kl… – Die mir gewordene Klarheit hatte etwas Entsetzliches für mich. Ich hatte keinen Sinn mehr für die Vorstellung. Der elende Unsinn der Darsteller berührte mich nicht. Ich sehnte mich nach dem Ende, denn ich mußte den „Gast“ sprechen. Als der Vorhang, besser das Leichentuch, über dem nichtswürdig zerfetzten und umgebrachten Stücke gefallen war, drang ich hinter die Coulissen. Ich rannte den freundlich grinsenden Pospischil fast über den Haufen, kümmerte mich nicht im Geringsten um die boshaften Bemerkungen der Komödianten, welche mich in allen Dialecten umschwirrten – ich suchte nur den „Gast“ und nahm ihn in Beschlag. Wie ich es fertig brachte, nach so kurzer Zeit mit Wilhelm Kl… in einem Privatstübchen des Wirthes bei einer guten Flasche zu sitzen, weiß ich heute noch nicht. Genug, wir saßen bei einander, und mein sonderbares energisches Vorgehen hatte wenigstens ein Gutes bewirkt: es hatte den erstaunten „Gast“ so ziemlich ernüchtert.

„Mensch, wie kommen Sie hierher?“ fragte ich etwas ungestüm.

Kl… warf mir einen aus Hohn und Wehmuth gemischten Blick zu und meinte:

„Es ist allerdings eine etwas sonderbare Umgebung für einen ehemaligen Hofschauspieler. Indessen,“ er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und that einen tiefen Zug aus dem Glase, „es wird ja überall mit Wasser gekocht.“

„Allerdings. Aber kann Ihnen dieses schauerliche Trostwort der Mittelmäßigkeit genügen?“

„Was wollen Sie? Doch lassen wir das! Erklären Sie mir lieber, wie es kommt, daß so viele geistig gut ausgestattete Menschen dem Fatalismus zuneigen. Ich bin – vielleicht leider! – immer Fatalist gewesen.“

Sonderbar! Der Mann litt noch an den Folgen seines Rausches und sprach doch klar und vernünftig. Er fuhr fort:

„Die Umgebung wäre noch das Wenigste. Erbärmlichkeit und Dummheit finden Sie zur Genüge auch an den ersten Bühnen.“

„Leider. Aber –“

„Hören Sie mich zu Ende! Hier, in diesen Verhältnissen, weiß man doch, daß man es mit der nackten Dummheit zu thun hat. Aber oben, bei den ‚großen‘ Bühnen ist die noch hassenswerthere überfirnißte Dummheit zu finden. Hier hat man es mit der meist gutherzigen Rohheit, dort mit der katzbuckelnden, kriechenden Gemeinheit zu thun. Hier fehlt das Geld, um das äußerlich Erträgliche herzustellen; dort rinnen die Tausende durch hundert Hände, die auch nichts Gescheidtes zu Stande bringen.“

„O, o!“

„Gewiß!“ fuhr er heftig fort. „Ich kenne das genau. Hier freuen sich die armen Komödianten wie das Kind auf’s Weihnachtsfest, wenn ihr Director einmal ein neues Stück ergattert; dort ist der Schlendrian in Permanenz. Dem rohen Karl Moor pocht hier das Herz bei seiner urwüchsigen Komödie; dort wird Ihnen Beamtenkomödie vorgespielt, und wenn Sie ein genauer Kenner sind, können Sie dem Betreffenden an der Art seiner Darstellung gleich ansehen, wie viel Tausende er Gage hat. Hier ist das Kammerkätzchen froh, wenn es ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)