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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Sie hätte sich mit einer einzigen oberflächlichen Phrase aus dieser peinvollen Lage helfen können, aber das fiel ihr nicht ein. Er hatte Recht – wie konnte sie wissen, ob er schuldlos, und die anklagende öffentliche Meinung im Unrechte sei? Freilich trug seine ganze Erscheinung den Stempel einfacher Geradheit und Wahrhaftigkeit. Sie fühlte sogar heraus, daß es eigentlich seine Art gar nicht sein könne, ungerechten Verdächtigungen gegenüber auch nur ein Wort zu verlieren, ja, daß er sich in diesem Augenblicke mit seiner Versicherung gleichsam herablasse. Dennoch war sie nicht fähig, etwas auszusprechen, für das sie keine innere Rechtfertigung fand.

Er hatte wohl auch keine Antwort erwartet; denn er wandte sich ab, aber mit so viel Würde und stolzer Gelassenheit, daß in Käthe ein Gefühl plötzlicher Beschämung aufstieg und ihre Wangen heiß röthete. „Darf ich die Kranke nun herüber bringen?“ fragte sie mit unsicherer Stimme.

Er bejahte, und sie verließ mit raschen Schritten das Zimmer. Drüben in der Hinterstube wischte sie sich die hervorquellenden Thränen von den Wimpern und ließ sich den erschütternden Vorgang von der Haushälterin erzählen.

„Die Geschichte hat dem Doctor in der Stadt schrecklichen Schaden gebracht,“ sagte Suse schließlich. „Erst gab’s keinen Besseren und er hatte alle Hände voll zu thun, und nun sagen sie auf einmal, er verstände seine Sache nicht. So sind eben die Menschen, Fräulein Käthchen. Und er ist nicht schuld an dem Unglücke. Es war Alles gut; ich hab’s ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber da sollte sich der Schloßmüller ganz ruhig verhalten – ja, der und ruhig! Ich weiß am besten, wie er beim kleinsten Aerger gleich kirschbraun wurde. Da darf nur der Franz draußen zu laut gesprochen haben, oder der Wagen ist zu schnell in den Hof gefahren – da hat schon die Wuth in ihm gekocht. So war er. Ich hab’ genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht“ – sie lachte scharf und zornig auf – „wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.“

Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.

„Nun meinetwegen auch – ich will still sein,“ grollte die Alte und ließ es still geschehen, daß das junge Mädchen ihren vertrockneten Körper wie ein hülfloses Kind in Decken und Kleider einmummte. „Es thut mir nur leid, daß so ein guter Herr, wie der Doctor, deswegen nun angeschwärzt wird und sein Brod verliert, und seine arme Tante, für die er sorgt und arbeitet, dauert mich auch. Sie hat ihn von ihrem Bischen Vermögen studiren lassen, die alte Frau Diaconus. Sie wohnt bei ihm; er ist immer ihr ganzer Stolz gewesen – und nun muß sie das mit erleben.“ –

Käthe machte der Mittheilung, die sehr in’s Breite zu gehen drohte, ein Ende, indem sie die Kranke vorsichtig aus dem Lehnstuhle hob. Sie war der früheren Heimath zu sehr entfremdet und wurzelte mit ihrem Denken und Empfinden viel zu sehr in ihrem Dresdener Heim, um sich für die Privatverhältnisse dessen so rasch zu erwärmen, der Flora’s Bräutigam war. Allerdings bedauerte sie den Arzt in ihm, dem das Mißlingen einer Cur so plötzlich Existenz und Stellung gefährdete, allein das Weh um den Großvater, der jedenfalls schwer gelitten hatte, überwog bei Weitem auch diesen Antheil.

Halb und halb getragen von den starken Armen des jungen Mädchens, hinkte Suse über den Vorsaal. Die Thür der Eckstube war offen, und am Fuße der herniederführenden Stufen stand Doctor Bruck mit ausgestreckten Händen, um die Leidende in Empfang zu nehmen und ihr herabzuhelfen. … Es war eine charakteristische Gruppe, die der Thürrahmen einen Augenblick umschloß. Käthe hatte sich den gesunden Arm der Kranken um den Nacken gelegt und hielt die knochige braune Hand mit ihren rosigen Fingern auf der linken Achsel fest, während ihr rechter Arm die Hüften Susens umschlang. Ausdrucksvoller konnte die opferwillige Barmherzigkeit nicht verkörpert sein, als in diesem Mädchen, das, seitlich über die gekrümmte Hülflose gebeugt, ihr strahlend junges Gesicht an den grauen Scheitel, die runzelvolle Wange des alten Frauenkopfes legte.

Nach wenigen Minuten saß Suse bequem und weich gebettet in der luftigen Stube. Sie musterte ängstlich die famosen Vorhänge, entsetzte sich über das Bett auf dem „stolzen Kanapee“ und bemühte sich vergeblich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie nun wieder jeden Sack zählen konnte, der drunten im Hofe auf- und abgeladen wurde.

Die junge Dame sah nach ihrer kleinen goldenen Uhr. „Es wird Zeit, mich in der Villa vorzustellen; sonst gerathe ich möglicher Weise mitten in den stolzen Theezirkel der Frau Präsidentin,“ sagte sie mit der anmuthigen Geste eines leichten Schauders und zog die Handschuhe aus der Tasche. „In einer Stunde komme ich wieder und koche Dir eine Suppe, Suse –“

„Mit den feinen Händen?“

Mit den feinen Händen, versteht sich. Glaubst Du denn, ich lege sie in Dresden in den Schoos? … Hast doch meine Lukas gekannt, Suse – sie ist heute wie damals; da heißt es, Hand und Fuß rühren und die Zeit ausnutzen. Du solltest sie nur einmal sehen! Sie ist eine Frau Doctorin geworden, die ihres Gleichen sucht.“ Damit verließ sie das Zimmer, um sich in Susens Stübchen zum Fortgehen zu rüsten.


(Fortsetzung folgt.)




Menschenaffen.


Von Brehm.


I. Aeußere Umrisse.


Noch vor zwei Jahrzehnten war es leicht, über Affen zu schreiben – heutzutage ist es schwierig. Man befriedigt Niemand mehr, weder die Gläubigen, noch die Ungläubigen, weder die Anhänger der alten Anschauung, nach welcher der Mensch das Ebenbild Gottes sein soll, noch die feurigen Jünger Darwin’s, welche viel weiter zu gehen pflegen als ihr Meister selber. Jene glauben, weil sie den Kern und das Wesen der neuzeitlichen Entwickelungslehre einfach nicht verstehen oder verstehen wollen, in jedem Schimpanse ihren Großvater erblicken zu müssen; diese wollen womöglich jeden Affen als einen werdenden Menschen betrachtet wissen; jene verletzt die Bezeichnung „Menschenaffen“; diese nehmen keinen Anstand, in ihrer Entwickelung zurückgebliebene Adamssöhne „Affenmenschen“ zu nennen. Die goldene Mittelstraße zu gehen ist also schwierig, von Affen zu reden und zu schreiben aber noch mehr. Ich habe dies vielfach erfahren. Daß mich ein Herr, dessen Handschrift offenbar einen durch Hochschulen gebildeten Mann verräth, in einem nur mit „Kein Schimpanse“ unterzeichneten Briefe, Postzeichen Sangerhausen, mit den Worten anredet: „Intoleranter, inhumaner Schimpanse“ anstatt „Hochgeehrter Herr“ (wie ich das übrigens übersetzt habe), will wenig besagen; denn derartige Aeußerungen einzelner durch meine Arbeiten erzürnter Eiferer, welche niemals den Muth haben, sich zu nennen, erhalte ich zu meiner Erheiterung in Menge; daß aber unter den verschiedenen Vorträgen, welche ich gegenwärtig öffentlich halte, der die Affen behandelnde unter zehn Fällen neunmal zurückgewiesen oder nur schwach besucht wird, thut mir nicht meinetwegen, sondern lernbegieriger Zuhörer halber aufrichtig leid. „Nur nicht die Affen!“ heißt es von hier oder dort; „nur nicht die Affen in unserem Saale!“ seufzt eine fromme Gesellschaft, welche besagten Saal jedoch recht gern zu anständigem Preise vermiethet; „nur nicht die Affen!“ lispeln Frauen, welche sonst alle naturwissenschaftlichen Vorträge eifrig besuchen und mir, wie ich offen gestehe, meine liebsten Zuhörer sind; „nur nicht die Affen!“ sagen selbst vorurtheilsfreie Männer in gerechtfertigter Berücksichtigung der herrschend gewordenen Ansichten über die Art und Weise, in welcher neuerdings diese uns zunächst verwandten Hochthiere von berufenen und unberufenen, kundigen und unkundigen Schriftstellern und solchen, die es sein wollen, behandelt werden.

Die Leser dieses Blattes, welches mein würdiger „Nichtschimpanse“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_044.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2019)