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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Nothsignale und den brausenden Trommelwirbel der Gegner gefördert, deren Geltung als Kenner und Bewahrer der angeblichen göttlichen Geheimnisse so ernstlich bedroht wurde. Sie hätten völlig blind sein müssen, wenn sie nicht sofort die schwere Gefahr der Wendung erkannt, wenn sie nicht gesehen hätten, daß hier nicht ein dreister und frivoler Handstreich abzuwehren sei, sondern daß man es in dieser Leistung zu thun habe mit der imponirenden Würde echter Wissenschaft, mit der gründlichsten Sachkenntniß und dialectischer Meisterschaft, dabei mit dem Zauber einer Sprache, dem Schönheitsglanze einer Darstellung, wie sie bis dahin bei wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland unerhört gewesen. Ein Sturm brach los – mehrere Jahre lang drehte sich bei uns die ganze theologische Literatur um dieses einzige Buch, und eine englische und französische


Lappländische Schlittenfahrkunst.
Originalzeichnung von H. Leutemann.


Uebersetzung bewiesen, wie lebhaft das Interesse dafür auch in außerdeutschen Ländern erregt war. Hunderte von Gegenschriften jeden Tones und Umfanges, unter denen viele sich als die gemeinsten Angriffe und die erbärmlichsten Denunciationen kennzeichneten, bliesen immer von Neuem die Flamme an, die sie austreten und aus der Welt schaffen wollten – sie loderte nur um so heftiger empor: schon 1838, also nach drei Jahren, war eine dritte Auflage des Werkes nothwendig geworden, welcher bald darauf eine vierte folgte.

Eines Erfolges aber konnte dennoch das zelotische Geschrei sich rühmen: noch vor dem Erscheinen seines zweiten Bandes war Strauß von seiner akademischen Docentenstelle in Tübingen entfernt und statt dessen als Knabenlehrer an das Lyceum seiner Vaterstadt Ludwigsburg versetzt worden. Ein Jahr lang hatte er es in dieser für ihn unpassenden Stellung ausgehalten, dann entsagte er, um in Stuttgart sich ungetheilt seinen literarischen Arbeiten zu widmen. Hier lebte der jugendliche, so schnell zu hohem Ansehen gelangte Schriftsteller in einem, seinem Geschmacke gemäß, auf’s Bescheidenste eingerichteten Gartenhäuschen das stille Leben eines Einsiedlers, unablässig seinen großen Aufgaben und Studien hingegeben. Und hier in Stuttgart sind denn auch jene berühmten „Streitschriften“ gegen Steudel und Eschenmayer, gegen Hengstenberg, Wolfgang Menzel etc. verfaßt, die Rudolph Gottschall treffend als ein Gemmencabinet mit den plastischen Charakterköpfen dieser Gegner bezeichnet, Thaten des nothwendigen Angriffs, wie sie glänzender die deutsche Literatur seit Lessing nicht gesehen hatte; von hier gingen ferner auch jene zum Theil gewaltigen kleinen Sachen aus, die unter den Titeln „Zwei friedliche Blätter“ und „Charakteristiken und Kritiken“ große Fragen der Zeit in neuer und schärfster Beleuchtung zeigten. Hier in Stuttgart ist später auch als nächste Folge des „Leben Jesu“ das große Werk über die „christliche Glaubenslehre“ entstanden, das in systematischer Reihenfolge die sämmtlichen Hauptstücke des Kirchenglaubens zergliedert, ihren menschlichen Ursprung und ihre Entwickelung oder Verflüchtigung im Kampfe mit der modernen Wissenschaft zeigt und nach Strauß’ eigener Bemerkung der kirchlichen Dogmatik das leisten sollte, was einem Handlungshause die Bilanz leistet.

Ein Zwischenfall unterbrach dieses arbeitsreiche Stillleben des Forschers und stellte ihn eine kurze Zeit hindurch vor das Ziel seiner innigsten Wünsche: es winkte ihm ein Lehrstuhl, der Beruf, auf den tiefe Neigung und große Befähigung ihn vor Allem hinwiesen. Man weiß, wie diese Berufung nach Zürich infolge eines dort von den Pfaffen und Frömmlern erregten Pöbelaufruhrs rückgängig gemacht wurde. Es war das ein harter Schlag für Strauß, denn es wurde ihm damit für immer eine Hoffnung abgeschnitten und eine Entsagung auferlegt, die er bis an sein Ende mit Schmerz ertragen hat. Später hat er selber über diesen Schmerzenspunkt seines Lebens in ergreifenden Worten sich ausgesprochen. „Eben in diesen Tagen,“ so schrieb er in einer seiner Vorreden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_740.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)