Seite:Die Gartenlaube (1875) 370.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Gehaltserhöhung von fünfundzwanzig, sage fünfundzwanzig Gulden verlieh.

Seit dem Jahre 1845 war Künzel besonders thätig für das Auswanderungswesen; er agitirte mit aller Energie des ehrlichen Mannes gegen den sogenannten Adelsverein, der bekanntlich von Texas aus Amerika zur Monarchie überzuführen gedachte, und gründete im Verein mit Dr. Stricker in Frankfurt die Zeitung „Der deutsche Auswanderer“, welche fünf Jahre lang erschien und viel Gutes gestiftet hat. Damals stand Künzel auch in engerem Verkehre mit dem alten Gagern in Hornau, von dem sich hochinteressante Schriftstücke in seinem Nachlasse vorfinden. Inzwischen war er mehrere Male wieder nach Frankreich und England gereist; in London trat er in Verbindung mit dem unternehmenden Buchhändler John Mitchell, der eben im Begriff war, eine französische Künstlergesellschaft auf die Bühne von St. James zu bringen, und welcher Künzel’s Idee, ein deutsches Musterschauspiel in England einzuführen, mit Feuereifer aufgriff. So kam eines der für die deutsche Kunst ehrenvollsten Unternehmen zu Stande.

Welche Sorgen, Mühen, Plagen aber die Zusammenbringung eines solchen erfordert, kann nur Derjenige ermessen, der sich jemals mit Aehnlichem befaßt hat. Künzel hatte die gesammte artistische Leitung übernommen, die Engagements zu besorgen, die Auswahl des Repertoires zu treffen, die Theaterzettel zu verfassen wie den Prolog – kurz, er mußte Alles in Allem sein. Seiner fieberhaften Thätigkeit, seinem gereiften Kunsturtheile und dem Einflusse seiner allen Interessenten diesseits und jenseits sympathischen Persönlichkeit gelang das scheinbar Unmögliche. Das deutsche Schauspiel in London ward zum Ereigniß; es gelang glänzend in jeder Richtung. Emil Devrient war die bedeutendste unter den gewonnenen Kräften, der Hauptträger des Erfolges; neben ihm wirkten hervorragend Grans, Kühn, Lehfeld, Wisthaler, Denk, Birnstill, von Frauen Lina Schäfer, Frau Stolte, Fräuleins Eppert und Stromeyer. Der berühmte Maschinist Brandt vom Darmstädter Hoftheater leitete die Scenerie; als Musikdirector war A. Thomas engagirt. Vom 2. bis 30. Juni 1852 brachte die Gesellschaft an vierzehn Abenden die folgenden Dramen zur Darstellung: „Egmont“ (zweimal), „Don Carlos“, „Kabale und Liebe“ (zweimal), „Der arme Poet“, „Humoristische Studien“, „Der gerade Weg der beste“, „Der Majoratserbe“, „Die Eifersüchtigen“, „Hamlet“ (zweimal), „Emilia Galotti“, „Faust“ (zweimal), „Die Räuber“, dann in einer Matinée „Das Sololustspiel“ und „Einer muß heirathen“, endlich das dramatisirte „Lied von der Glocke“ (zweimal). Mit jeder Vorstellung stieg der Enthusiasmus des Publicums. Dieses treffliche Zusammenspiel, in dem auch die schwächere Kraft ihren Platz mit voller Wirkung ausfüllte, dieses Maßhalten im Affect ohne Einbuße der Wärme, diese Schönheit der Sprache und der Bewegungen waren den Briten völlig neu. Prinz Albert hatte (in einem uns vorliegenden Briefe) davor gewarnt, Schillers „Maria Stuart“ zu bringen: die ganze Auffassung sei anti-englisch, das Kirchliche, wenn auch versteckt, ein Gräuel. Ebenso rieth er dringend davon ab, Stücke Shakespeare’s in deutscher Sprache auf die Londoner Bühne zu bringen, er sei überzeugt, daß ein solcher Versuch verunglücken müsse. Nun, es wurde gewagt, und „Hamlet“ hat unter allen Stücken, nächst „Faust“, den glänzendsten Erfolg gehabt, worüber sich Niemand mehr freute, als der Prinz-Gemahl selber. Die Briten bewunderten nebenbei die Treue und Schmiegsamkeit der Schlegel’schen Uebersetzung, welche fast alle Zuhörer vor sich hatten; die strenge „Times“ selber ließ sich zu dem Ausspruche herbei: „Die Deutschen sind das einzige Volk, welches übersetzen kann.“

Der Earl of Ellesmere, dessen Kunsturtheil damals als das erste in England galt, schrieb nach der Aufführung gleich in der Nacht an Bunsen (der Brief liegt ebenfalls vor uns): „Ich bewahre eine treue, unauslöschliche Erinnerung an John Kemble, Young und den ältern Kean in der Rolle des Hamlet, ebenso habe ich Talma darin gesehen, der, trotz der schlechten Uebersetzung von Dulis, darin seine großen Momente hatte. Ohne Bedenken stelle ich aber Emil Devrient über Alle. Er bringt die feinsten Spitzen des Charakters und der Situation mit einer Bravour zur Geltung, daß sich Shakespeare selber – dessen Geist heute zweifellos unter uns weilte – zum höchsten Beifall hingerissen gefühlt hätte, mit gleicher Vollkommenheit giebt er aber auch die ruhigeren, empfindungsvollen Stellen wieder. Die Monologe lassen absolut nichts zu wünschen übrig, weder von Seiten des Schauspielers noch des Uebersetzers. Die Belehrung der im Stücke auftretenden Mimen war gleichfalls ganz vollkommen, und um per saltum auf die übrigen Mitwirkenden zu kommen, so sage ich nicht zu viel mit der Behauptung, daß ich niemals die nebensächlichen Rollen so gut dargestellt gesehen habe; bei uns werden dieselben stets auch nebensächlich behandelt. Sie haben alle Ursache, stolz auf Ihr vaterländisches Theater zu sein, dem sich in Bezug auf höchste Kunstentwickelung kein anderes vergleichen kann, weder in London noch in Paris, obgleich letzteres die Rachel hat. Ich habe jene Zuhörer wahrhaft beneidet, welchen die schönen Klänge der deutschen Sprache geläufiger waren als mir, doch selbst trotz dieses fühlbaren Mangels haben die empfangenen Eindrücke mir wieder die Erinnerung an die besten Tage der englischen Bühne auf das Lebhafteste erweckt. Egerton Ellesmere, 18 Belgrave Square, 17. Juni 1852.“

Man hätte glauben sollen, der außerordentliche Erfolg, den das deutsche Theater in London erzielte, habe auch seinem Gründer und Leiter nur Anerkennung gebracht. Dem war aber nicht so. Kaum zurückgekehrt, wurde Dr. Künzel von seiner vorgesetzten Behörde darüber zur Verantwortung gezogen, daß er es gewagt, ohne gnädige Erlaubniß der großherzoglich hessischen Oberstudiendirection während seiner Ferienzeit ein Pionnier der deutschen Kunst zu sein. Zwar vermochte man seiner dem verbohrten Zopfthum gegenüber glänzend ironischen Rechtfertigung nichts anzuhaben, allein man versagte ihm kurzweg im nächsten Jahre den Urlaub, und ein Anderer mußte die Leitung der zweiten Saison des deutschen Schauspiels in London 1853 übernehmen. Obgleich diesmal noch bessere Kräfte engagirt waren, neben Emil Devrient Dessoir, Gabillon, Fräulein Fuhr, und der Enthusiasmus des britischen Publicums ebenso groß war, wie im Jahre vorher, kam doch kein rechter Zug in dieses zweite Gastspiel; innere Zerwürfnisse brachen aus, und somit wurde die Idee der permanenten Einführung der deutschen Schaubühne in London wiederum begraben. „Die Seele fehlte!“ hatte John Mitchell geschrieben – vielleicht hat er dabei an die hochpreisliche Oberstudienbehörde in Abdera gedacht. Es ist noch zu bemerken, daß Künzel sich früher selbst dramatisch mit Erfolg versucht hat; sein Festspiel „Elisabeth“ erwarb ihm schon 1836 die goldene Medaille vom Könige von Preußen; ein anderes, „Mozart“, kam zur wiederholten Ausführung.

Von nun an lebte Dr. Künzel vorzugsweise den Wissenschaften und einer außerordentlich regen gemeinnützigen Thätigkeit. Seine Schriften sind sehr zahlreich; er veröffentlichte vorzügliche Uebersetzungen von Benjamin Constant’s „Adolph“, Cooper’s „Geschichte der amerikanischen Marine“, Sheridan’s Lustspiel „die Liebesjagd“, Wellstedt’s „Reisen nach der Stadt der Khalifen“, Charles Lamb’s „Shakespeare-Erzählungen“, Sir Robert Peel’s „Leben und Reden“ (dem Ritter von Bunsen zugeeignet). An selbstständigen Werken gab er heraus eine „Geschichte von Hessen“, ein ebenso originales als höchst interessantes Werk, und das für die Geschichte des spanischen Erbfolgekriegs hochwichtige „Leben und Briefwechsel des Landgrafen Georg von Hessen, des Eroberers und Vertheidigers von Gibraltar“. Für das Letztere erhielt er die einzige Auszeichnung, welche ihm jemals für seine großen Verdienste wurde, den ebenso unfruchtbaren wie billigen Titel „Hofrath“. Schon 1837 war Künzel dem Freimaurerorden beigetreten, in welchem er eine weit über die engeren Grenzen seiner Heimath hinausreichende Wirksamkeit entfaltete; abgesehen von einem größeren Werke über das Freimaurerwesen, hat er dasselbe in zahlreichen Abhandlungen und Aufsätzen von jeder Seite beleuchtet und gefördert. Sein großes Talent ließ ihn auch in diesen Kreisen bald zum Mittelpunkte werden; längere Jahre hindurch war er Meister vom Stuhle, und seine Reformbestrebungen stehen bei den „Brüdern“ in gutem Andenken. Auch als Dichter hat Künzel viel Schönes geleistet. Er ließ sich nicht leicht eine Gelegenheit entgehen, sein Votum in gebundener Rede hinausfliegen zu lassen; besonders waren es Zeitereignisse, welche ihn zu zündenden Strophen begeisterten, denn er war ein deutscher Patriot im besten Wortsinn, ein freisinniger Ehrenmann, abhold allem Unwahren und Unedlen. Leider hat ihn seine große Anhänglichkeit an die engere Heimath

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_370.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)