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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


dem freundlichen Leser die Gesellschaft vorzustellen. Zunächst der Hausherr, der Bey, aber ein deutscher Bey, mit seiner jungen Gattin, einer liebenswürdigen Wienerin … alle Wienerinnen sind liebenswürdig, hatte man noch vor wenigen Minuten behauptet, und die Frau Bey strafte diese Behauptung wahrlich nicht Lügen – alsdann der Schwager des Bey, ein Banquier aus Alexandrien, gleichfalls mit seiner Gattin, einer Rheinländerin, die dasselbe Prädicat wie die Wienerin verdient; ferner der Doctor F., ein angesehener Arzt von Kairo, endlich der Maler, dann noch ein junger Engländer und zuletzt meine Wenigkeit. Also sämmtlich Deutsche mit einer einzigen Ausnahme, aber dies traf sich gut, denn ein Engländer gehört einmal zu jeder Pyramidenfahrt. Der Maler stieß indeß bei seiner Abstimmung auf einigen Widerspruch. Zunächst opponirte der Doctor: die Pyramiden seien etwas Altes und er sei Gott weiß wie oft schon dagewesen; endlich fügte er sich, jedoch nur unter einer Bedingung.

„Unter welcher?“ fragten mehrere Stimmen.

„Unter der Bedingung eines guten Soupers,“ antwortete der Doctor pathetisch. Wir lachten und sagten, daß sich das von selbst verstände. „Und zu einem guten Souper,“ fuhr der Doctor fort, „gehört in erster Reihe eine Bowle, und zwar eine Bowle, wie eigentlich nur ich sie zu machen weiß.“

„Gut,“ rief der Bey, „dann sollen auch Sie, Doctor, und kein Anderer sie machen.“

„Also ein Piknick!“ sagte die Gattin des Banquiers und fragte an, für welchen Theil der Mahlzeit sie zu sorgen hätte.

„Ein Piknick! Ein Piknick!“ hieß es nun von allen Seiten, bis sich die Frau vom Hause in’s Mittel legte und um das Wort bat. Sie erklärte, da die Partie bei ihr zur Sprache gekommen sei, auch das Souper höchstens unter Beihülfe ihrer Schwägerin übernehmen zu wollen, erlaubte uns aber, weil wir Einwendungen machten, einige Kleinigkeiten mit beizutragen.

„Die Bowle ist aber keine Kleinigkeit,“ warf der Banquier ein, „und die bleibt dem Doctor.“

„Die Bowle bleibt dem Doctor!“ riefen wir im Echo, und dieser versicherte energisch, er ließe sie sich auch gar nicht nehmen, und wir sollten unsere Sache nur ebenso gut machen wie er.

„Auch das Eis darf nicht vergessen werden,“ sagte der Bey, und der Maler verpflichtete sich zur Eislieferung. Ich bat um die Erlaubniß, Früchte mitbringen zu dürfen, was gleichfalls zugestanden wurde. Jetzt blieb nur noch der Engländer übrig, und die Damen trugen ihm auf, für Salz und Pfeffer zu sorgen; aber der rothblonde Sohn Albions verneigte sich verbindlich und erklärte, er würde auch das Seinige beisteuern, bäte aber, es geheim halten zu dürfen, denn es solle eine Ueberraschung sein. Auch dies wurde angenommen, nicht ohne neugierige Fragen; aber der Gentleman blieb stumm.

„Also morgen Nachmittag präcise vier Uhr, hier im Hause des Beys, wo die Abfahrt stattfinden soll, und damit Gott befohlen!“ rief der Doctor, aber unten, bevor wir uns trennten, mußte er es sich noch einmal gefallen lassen, daß wir ihm die Bowle an’s Herz legten.

„Nur unbesorgt! Verlassen Sie sich ganz auf mich!“ entgegnete stolz der Medicus. –

Ich war am Nachmittage des folgenden Tages der Erste auf dem Rendezvous im Hause des Beys, der die Freundlichkeit gehabt, mir einen Platz in seinem Wagen anzubieten. Ein Araber folgte mir mit einem verdeckten Korbe, der mein Contingent zum Piknick enthielt: frische Datteln, Bananen und Feigen, köstliche Weintrauben aus Fayum, jener einige Meilen südlich von Kairo liegenden Oase, dem eigentlichen Blumen- und Fruchtgarten Aegyptens, und (am Nil eine große Rarität!) einige Pfund Kirschen.

Mittlerweile war auch der Schwager mit seiner Gattin angekommen, und die Damen hatten alle Hände voll zu thun, um noch die letzten Anordnungen zu treffen. Die Diener trugen mehrere Körbe hinunter und vertheilten sie in den Sitzkasten der beiden Kaleschen. Dann begaben wir uns auf den Balcon, um die anderen Herren zu erwarten. Nach einigen Minuten bog auch schon ein bunter, stattlicher Läufer um die Ecke, dem ein Wagen folgte, in welchem der Doctor mit dem Maler saß. Vor ihnen auf dem freien Rücksitze stand, mit einer Decke verhüllt, die der Doctor beim Hinaufgrüßen fortnahm, die Bowle, groß und silberglänzend, ein wahres Cabinetsstück. In demselben Momente erschien auch der Engländer und zwar zu Pferde, im Jagdcostüme, die Flinte über der Schulter. Sein Diener, ein kleiner schwarzer Sclave, den ihm ein Freund als Geschenk aus Oberägypten mitgebracht hatte und der nach Landessitte nebenher traben mußte, trug zwei prächtige Bouquets, die unser Cavalier den Damen überreichte, welche unterdeß herabgekommen waren. „Das war also die Ueberraschung?“ fragte man.

„O nein,“ entgegnete der Engländer, „die Ueberraschung kommt später, aber unsere Damen durften doch nicht ohne Blumen abfahren.“

„Die Bowle voran!“ rief der Banquier, als wir einstiegen, und der Wagen des Doctors war der erste, der abfuhr, und erst nach ihm kamen wir übrigen Sterblichen, auf die zwei anderen Wagen vertheilt. Der Engländer galoppirte lustig nebenher, und sein kleiner Schwarzer galoppirte ebenso lustig an der Seite seines Herrn, aber auf seinen eigenen Beinen. Auch unsere Läufer tanzten leichtfüßig vorauf, wenigstes so lange es durch die Stadt ging, um uns durch ihr lautes „guarda! guarda!“ das sie unaufhörlich in das Menschengewühl hineinschrieen, Platz zu machen. Als wir aber an die große Nilbrücke kamen, hießen wir sie, sich neben die Kutscher setzen, und documentirten uns durch diese humanen Befehl als Ausländer; denn der Inländer, und vorzüglich der echte Türke, läßt die armen goldgestickten Burschen stundenlang seinem Wage vorauftraben, wie seine Pferde, die ihm überdies weit mehr am Herzen liegen. Dem kleinen Schwarzen des Engländers wurde der Bedientensitz hinten auf unserm Wagen angewiesen; er kletterte wie eine Katze hinauf und schnitt so vergnügte Grimassen und fletschte so hübsch mit den schneeweißen Zähnen, daß Darwin seine Freude an ihm gehabt haben würde.

Auf der großen Brücke ließen wir einige Minuten anhalten, um einen Blick hinunter auf den wogenden, schäumenden Nil zu werfen. Ein gewaltiges, wirklich majestätisches Schauspiel! Der Fluß war in diesen Tagen (gegen Ende September) fast auf seine höchste Höhe gestiegen, gegen achtundzwanzig Fuß höher, als sein niedrigstes Niveau zu Anfang des Sommers, und er wälzte seine ungeheuren Wassermassen unaufhaltsam nach Norden, um das Delta zu überfluthen und sich dann in’s Mittelländische Meer zu ergießen … gewissermaßen ein Meer in ein anderes. Und doch war dieser Blick von der Brücke herab nur ein Vorspiel dessen, was uns jenseits derselben erwartete, denn kaum hatten wir sie passirt, als sich eine unermeßliche Wasserfläche vor uns ausbreitete, ein weiter, glänzender Spiegel bis zum fernste Gesichtskreise. Das war das überschwemmte Nilthal, nur von hohen schmalen Dämmen durchschnitten, auf deren einem wir selbst dahinfuhren. Was aber in andern Ländern Noth und Verderben bringen und eine furchtbare Heimsuchung sein würde, das ist hier in Aegypten ein Segen des Himmels, ja eine Grundbedingung der gesammten materiellen Existenz des Landes. Hunderte von halb- oder ganz nackten dunkelbraunen Kindern waren bei den Erdarbeiten beschäftigt und schleppten unter einförmigem und sehr disharmonischem Gesange von den höher gelegenen Punkten Erde in Körben herbei; als sie aber unsere Wagen sahen, waren sie nicht mehr zu halten; sie warfen ihre Körbe fort und umschwärmten uns mit unaufhörlichem Geschrei um „Bakschihsch“. Bakschihsch ist bekanntlich das gewöhnlichste Wort in ganz Aegypten, weil dort Jeder ein Trinkgeld verlangt. Wir warfen ihnen eine Hand voll Kupfermünzen zu, um die sie sich rissen und balgten, wobei einige fast in’s Wasser gefallen wären. Aber auch das wäre kein großes Unglück gewesen, den sie schwimmen Alle wie die Enten.

Als wir rechts in die sogenannte neue Allee einbogen, lagen die Pyramiden bereits vor uns, obwohl noch in ziemlicher Entfernung. Dieser Moment bleibt immer ein großartiger, selbst für Den, der die Tour schon oft gemacht hat; auf den Neuling aber, den Fremden, der sie zum ersten Male sieht, ist der Eindruck wirklich grandios und unvergeßlich. Da liegen sie also, die ewigen Wächter der Wüste, deren Alter nach vielen Jahrtausenden zählt und die schon Moses und Alexander der Große geschaut, wie wir jetzt. Menschengeschlechter waren und sind für sie wie Sandkörner, und fast jedes andere menschliche Bauwerk auf der Erde ist ein Kinderspiel im Vergleiche zu ihnen. Die Sonne bestand bereits tief im Westen, und die ungeheuren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_217.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)