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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Verbannten gehe, dessen Name gleichbedeutend war mit der Sympathie des republikanischen Frankreich für die italienische Sache. Garibaldi war dazu rasch bereit. Von meinem Hause aus begaben wir uns zuerst zu Ledru-Rollin, dann zu Louis Blanc, die Beide in der Nähe wohnten und deren Freundschaft mir gleich werth war. Die Zusammenkunft des italienischen Volksmannes mit den beiden französischen Freunden war eine herzliche. Offen erklärte er bei dieser Gelegenheit, daß seine Gesinnungen noch die alten von 1849 seien. An demselben Tage theilte er mir die überraschenden Einzelheiten der Unterredung mit, welche Gladstone und Shaftesbury mit ihm gehabt und in Folge deren er England plötzlich verließ. „Ich sehe Bonaparte’s Hand in der Sache,“ setzte er hinzu.

So feindlich Ledru-Rollin den herrschenden Classen Englands und dem Engländerthum überhaupt war, so folgte er doch mit Antheilnahme den Fortschritten der Freiheitsbewegung innerhalb der englischen Volksmassen. In der irischen Frage dachte er wie die meisten Franzosen aller Parteien. Er hielt die Trennung von England für das Richtige, während eine solche doch nur jener ultramontanen Partei zu Gute käme, gegen die er sich mit aller Entschiedenheit aussprach. Mazzini, der zwar auch allem Kirchenglauben abhold, aber sonst von einer gewissen mystisch-religiösen Neigung war, hatte in einer besonderen Schrift abermals seine alte Ansicht entwickelt, daß das „Rom der Republik“ und das „Rom der Päpste“ eine von der Vorsehung bestimmte Sendung erfüllt habe und nimmermehr berufen sei, eine dritte Sendung als Anreger einer neuen Religion zum Nutzen wahrer Menschlichkeit und Volksfreiheit auszuführen. Ledru-Rollin flammte heftig auf, als er das „Rom der Päpste“, wenn auch in geschichtlichem Rückblick, so als eine richtige Folge, statt als ein verderbliches, scheußliches Hemmniß des menschlichen Entwickelungsganges behandelt sah. Es wurde mir, der ich Ledru-Rollin’s Meinung vollkommen theilte, nicht leicht, einen drohenden Bruch zwischen den beiden alten Freunden zu verhüten; doch ließ sich glücklicherweise das gute Vernehmen schließlich wieder herstellen.




Sein langes öffentliches Schweigen brach Ledru-Rollin zuerst wieder im Jahre 1865, als er eine im edelsten Geiste gehaltene Zuschrift zu Gunsten italienischer Einheit und zur Bekämpfung der damals noch von Thiers verfochtenen gegnerischen Meinung an mich richtete. Die Zuschrift war für den „Deutschen Eidgenossen“ bestimmt, der damals unter meiner Leitung und unter Mitwirkung von Louis Büchner, Georg Fein, Ludwig Feuerbach, Ferdinand Freiligrath, M. Gritzner, General Haug, Friedrich Hecker, Th. Mögling, K. Nauwerck, Theodor Olshausen, Gustav Rasch, Emil Rittershaus, General Franz Sigel, F. W. Schlöffel, Arnold Schloenbach, Gustav Struve, J. D. H. Temme und N. Titus erschien.

Ledru-Rollin und Mazzini, Garibaldi[1] und Louis Blanc sprachen durch Einsendungen ihre warme Theilnahme aus. Der Erstere nannte in der seinigen die weltliche Herrschaft des Papstthums „einen Hohn auf die Sittlichkeit wie auf die Religion, und ein beständiges Hinderniß der Einheit Italiens, dem es zur Geißel geworden“, Aeußerungen, die bereits Macchiavell vor Jahrhunderten gethan. Am Schlusse der Abhandlung war gesagt: – „Bedürfte es, um die herrschende Erstarrung aufzurütteln, eines gewaltigen Beispiels, nun, so laßt uns dasjenige benutzen, welches uns die unbezwingbare amerikanische Republik gegeben hat. Dieser Sieg, der die Rechte der Menschlichkeit, die Gleichheit der Racen, die vollkommene menschliche Brüderlichkeit bestätigt; dieser Sieg, der nach dem großen Heldengedicht von 1792 der Welt einen neuen Beweis giebt, daß ein freies Volk ein Volk von Riesen ist – dieser Sieg ist der Sieg aller Demokratien.“ Unter Napoleon dem Dritten waren die Preßgesetze damals derart, daß Ledru-Rollin nichts in Frankreich veröffentlichen konnte. Diese an eine deutsche Zeitschrift gerichtete Abhandlung wurde dann insgeheim in Frankreich als Flugblatt verbreitet.

In mehreren in England erschienenen Lebensbeschreibungen hat man Ledru-Rollin zum Communisten stempeln wollen. Nichts könnte mit seinem ganzen Bekenntnisse, seinem Leben, seiner Handlungsweise in grellerem Widerspruche stehen, als diese falsche Behauptung. Gleichwie Mazzini, hegte Ledru-Rollin vielmehr geradezu Haß gegen eine Lehre, welche die verschiedenen Seiten der menschlichen Natur außer Acht lasse und durch Erregung utopischer Hoffnungen, wie auch durch gehässige Aufrührung eines Classenkampfes innerhalb der Bewegungspartei selbst, jeden wirklichen Fortschritt störe. Von Jahr zu Jahr, namentlich als in Frankreich die Freiheitsbewegung wieder im Steigen war, drückte sich Ledru-Rollin mit immer größerer Bitterkeit über die communistische Richtung aus. Er war ein entschiedener Anhänger des deutschen und englischen Genossenschaftswesens. In einem Briefe an die Brüsseler „Association“, ein Blatt, das damals als Sprechsaal von Genossenschafts-Bestrebungen diente, sprach er sich darüber aus, indem er Fourier, St. Simon und Proudhon bekämpfte, andererseits aber die herzlose volkswirthschaftliche Lehre des bloßen „Gehenlassens“ und „Geschehenlassens“, wobei die Armuth unter die Speichen des Triumphwagens der Geldaristokratie geräth, mit ebenso großer Entschiedenheit verwarf. Ueber die Leiden der Armen habe ich seinen Lippen oft Aeußerungen des innigsten Mitgefühls entströmen hören. In solchen Augenblicken fühlte man an ihm die Herzenswärme des echten Volksfreundes.

Die Frage tauchte auf, ob die Altrepublikaner den vorläufigen Eid leisten dürften, um ihre Wahl in den gesetzgebenden Körper möglich zu machen. Den hierher gekommenen Pariser Abordnungen gegenüber sprach sich Ledru-Rollin aus Nützlichkeitgründen bejahend aus. Rochefort, Gambon und Andere erschienen bei ihm und drängten ihn stark, er möge sich als Bewerber für einen Abgeordnetensitz aufstellen lassen. Die Unterhandlungen, die mehrmals dem Abschlusse im Sinne der Annahme ganz nahe schienen, wurden im entscheidenden Augenblicke immer wieder abgebrochen. Die lange Unthätigkeit hatte des Magnetes Kraft geschwächt. Ledru-Rollin konnte sich, trotz wiederholten Eingehens in die Sache, nicht genügend entschließen.

Er besprach in jenen Tagen Alles mit mir. Da der Sturz Napoleon’s unvermeidlich schien, suchte ich ihn, wie ich es gegenüber anderen französischen Führern oft gethan, darauf aufmerksam zu machen, daß eine Republik, wenn auch durch einen kühnen Schlag in Paris errungen, unmöglich sich halten könne, so lange man bei dem jetzigen Zustande der geistigen und politischen Volkserziehung in Frankreich die alte Stimmrechtsformel beibehalte. Allgemeines, gleiches Stimmrecht, sagte ich, sei gewiß grundsätzlich zu wünschen. Allein um unter gegenwärtigen Verhältnissen die etwa durch ein glückliches Ereigniß gewonnene Freiheit zu halten, erscheine es mir für Frankreich nothwendig, den Städten eine verhältnißmäßig größere Anzahl von Abgeordneten zuzutheilen, wie dies auch in anderen Ländern der Fall ist. Vielleicht empfehle es sich überdies, an das Wahlrecht die Bedingung zu knüpfen, daß, wer den Staat wolle mitregieren helfen, des Lesens und Schreibens kundig sein müsse. Ledru-Rollin, der „Vater des allgemeinen Stimmrechtes“, wollte davon nichts hören.

Ich hatte 1869 die obige Ansicht in einer Abhandlung[2] entwickelt und that es nochmals im Jahre 1871.[3] Manche französische Freunde stimmten mir zu, glaubten jedoch, sich öffentlich

  1. In der Gartenlaube erschien unlängst von R. H. ein schönes, kraftvolles Gedicht: „An Garibaldi“, welches mit den Worten beginnt: „Endlich, Alter von Caprera, stimmst Du ein in Deutschlands Ruhm, und von deutscher Kraft erwartest Du ein würdig Menschenthum.“ Es dürfte daher von Interesse sein, Garibaldi’s Worte aus dem „Deutschen Eidgenossen“ vom Juli 1865 hier auszugsweise mitzutheilen. „Der Fortschritt der Menschheit ist in’s Stocken gerathen … Es fehlt der Welt ein Führer-Volk: nicht um sie zu beherrschen, sondern um sie zu leiten auf dem Pfade der Pflicht, welch’ letztere in nichts Anderem besteht, als in der Verbrüderung der Nationen und in dem Umsturze der Schranken, die von der Selbstsucht gezogen worden sind … Dieser Ehrenposten, den die Wechselfälle der Zeiten unbesetzt gelassen haben, könnte füglich von der deutschen Nation eingenommen werden. In dem ernsten und philosophischen Charakter Ihrer Mitbürger liegt eine Gewähr des Vertrauens für die Zukunft Aller … Bildet Ihr daher im Herzen Europas die achtunggebietende Einheit Eurer fünfzig Millionen – und wir Alle stürzen uns mit Begierde und Entzücken in Eure brüderlichen Reihen! …“ Mit seinem neuesten Briefe, den R. H.’s Gedicht so eindrucksvoll feiert, ist der italienische Führer somit zu seiner früheren Meinung zurückgekehrt. Nicht blos die Einheit jedoch, sondern auch die Freiheit Deutschlands betonte Garibaldi in jenem Schreiben von 1865 mit außerordentlicher Kraft.
  2. The Condition of France.
  3. The French Republic and the Suffrage Question.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_163.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)