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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


schenkte dasselbe der Schule zu Weihnachten und erzielte dadurch alljährlich eine große Einnahme für die armen Kinder. Ja, jedes Jahr wird das Transparent am heiligen Abende gegen ein Eintrittsgeld gezeigt, lockt durch seine große Schönheit stets die ganze Umgegend herbei und bleibt so eine Wohlthat für die Dorfkinder.

Mintrop fand in der Familie des Malers Geselschap, dessen innigster Freund er ward, trautes Familienleben. Es war ein reizendes Heim, welches sich ihm hier erschloß. Die junge liebliche Frau des Hauses mußte ihn gleichsam bemuttern, denn von den täglichen Bedürfnissen der civilisirten Welt hatte er keinen Begriff. Geld durfte er gar nicht in der Tasche haben, denn, ob viel, ob wenig, er gab Alles weg, und so sagte er selbst: „Gebt mir keines mehr!“ Aber eine Natur läßt sich nicht ändern. Oft, wenn er nach Hause kam, hatte er zehn Schritte hinter sich – damit es nicht auffalle – mehrere Bettler und Arme, die er dann in einem Specereigeschäfte, das unten in seinem Hause war, speisen ließ.

Ferner erinnere ich mich eines Winterabends, wo wir ihn zum Thee erwarteten. Er blieb länger als gewöhnlich. Frau Geselschap ward unruhig; endlich trat er ein. „Dores, wo bleibst Du?“ rief’s ihm entgegen.

„Ja, ja,“ sagte er, unwillkürlich vor Kälte schauernd, „da war ein armer Kerl mit zerrissener Hose; der schlotterte vor Frost, und da ich kein Geld hatte und er mich so dauerte, bat ich ihn mit in die Akademie zu gehen; da habe ich meine Unterhose ausgezogen und ihm gegeben.“ Alles brach in ein gutmüthiges Lachen aus, und er, der Gutmüthigste, lachte selbst am tapfersten mit.

Trotz seines riesigen Talents gab’s für Mintrop Jahre, in denen er Noth hätte leiden müssen, wenn er nicht bei seinem Freunde Geselschap Zuflucht gefunden hätte. Hier ward er mit Liebe gehegt und gepflegt, wie ein Lieblingsbruder. Hier verstand man ihn. – Köstlich war es, wenn er im Eifer der Rede, mit dem Wort, dem noch wenig gefügigen, der glühenden Phantasie nicht zu folgen vermochte; dann suchte er mit den Händen in der Luft zu zeichnen, was dem Worte nicht gelingen wollte. – Der Künstler bedarf vor Allen des Familienlebens, des Familienlebens im wahren Sinne des Wortes. Ein Heim, wo die Regungen des Herzens Widerhall finden, wo die Phantasie Boden gewinnt, wo die Liebe Anregung und Maßhalten dictirt. Und Dores ward der „Sonnenschein“ des Hauses. Nach ihm verlangten Mann, Frau und Kind – er war der Mittelpunkt ihres Glücks. –

Was aber seine Arbeiten betrifft, so gaben der Zauber von Wald und Busch, die weiten Fernsichten seiner Heimath, die Frömmigkeit des Volkes, der Märchenschatz ihnen ihr Gepräge. Seine Göttin war die Schönheit. In seinen Arbeiten ist elementare Poesie. In Mintrop’s Wesen paarte sich Unschuld mit hohem Adel. Die Unmittelbarkeit seiner Anschauungen, die Wahrheit seiner Begeisterung, das Echte, Kräftige, Ursprüngliche seiner Empfindung neben rührend kindlicher Naivetät gaben seiner Erscheinung einen Zauber, dem Niemand widerstehen konnte. Darum tragen auch Mintrop’s Madonnen und Engel eine solche Hoheit, daß bewährte Kunstkritiker sagen: „man denkt an einen Schüler Sanzio’s von Urbino.“ Originell und ihm tief eigen sind die Verherrlichungen des Landlebens. Da ist ein Zauber von Ideen, Formen und Gruppen in nie dagewesener Lieblichkeit. In Kindergestalten drückte er vorzugsweise seine Gedanken aus, und wenn man sie sah, so sagte man sich, diese anmuthige Form sei für ihn, den Reinen, die richtige. Ja, die Form ward Styl. Wahrhaft classisch in der Composition sind die Friese, die den Weinbau, die Jahreszeiten, den Winter, das reiche Jahr, die zwölf Monate des Jahres behandeln und welche alle bäuerischen Verrichtungen, durch meist nackte Kinder, in wunderbarem Reiz darstellen. Da ist Alles Leben, Freude und Arbeit, und in der Arbeit Genuß – das echte Leben! Es ist, als hörte man das Jauchzen, das Lachen, den Schall des fröhlichen Schritts. – Die höhere Richtung in der Malerei (die Richtung Leonardo’s, Raphael’s) ist es aber nicht allein, was wir bei Mintrop hervorheben wollen, sondern es muß vor Allem der nationale, der germanische Charakter in den Werken des Verstorbenen betont werden. In ihnen prägt sich die deutsche Geistes- und Gemüthsrichtung in hoher Schönheit aus.

An Lob hat es dem todten Meister im Leben nie gefehlt; man hat ihn besungen in allen Tonarten, ihn himmelhoch erhoben. Aber man war nur von der hohen Schönheit seiner Werke entzückt, man ahnte den charaktervollen Zug in ihnen nicht. Und deshalb war ihm diese Anerkennung keine ‚moralische Hebung‘; das geschwätzige Lob konnte ihn, den bescheidenen, von der Größe seiner Sendung aber dennoch durchdrungenen Mann nicht befriedigen. Und wenn ihm die wohlwollenden Freunde den Pinsel in die Hand drücken wollten und meinten, er könne sich eine Million ermalen – dann lächelte er nur wehmüthig vor sich hin. – ‚Sie verstehen mich Alle nicht‘ – ‚man könnte rasend werden, wenn man sieht, wie sie es nicht begreifen‘ – ‚ich könnte einen König arm malen‘ … das sind Worte, die ihm oft entfuhren. Er, ein König im Reiche der Kunst, sollte sich des ‚redlichen Erwerbes‘ befleißigen; er, ein schöpferisches Genie, welches fast erstickte an der Fülle hoher künstlerischer Ideen, sollte mit dem Pinsel tage- und wochenlang an einem einzigen Figürchen oder gar an einem bunten Kleide herumstreichen! Die sittliche Höhe des Jahrhunderts nahm sogar Anstoß an der Nacktheit seiner Engelgestalten. Mußte er doch wirklich einem jüdischen Banquier die unschuldsvollen Kindlein mit einem Schamfetzen bekleiden!

Winckelmann rühmt als höchstes Kennzeichen griechischer Meister: edle Einfalt und stille Größe, sowohl in der Stellung wie im Ausdrucke. Man werfe das Auge auf die herrliche Schöpfung Mintrop’s: „Drei Grazien, einen geborenen Genius beschützend,“ mit der stolzen, ihm nach seinem Tode gegebenen Unterschrift: „Der deutsche Raphael“. Hier waltet edle Einfalt; hier athmet stille Größe. Alle Vorzüge seiner schöpferischen Kunst vereinigte er in seinem letzten Hauptwerke, dessen Veranlassung ihm für immer den Frieden des Herzens und schließlich noch das Leben kostete. Der Vorgang wurde uns in folgender Weise erzählt:

Eines Mittags, als Dores nach Hause kam, stutzte er, denn in der Thür des Wohnzimmers stand ein junges Mädchen, noch halb Kind, doch so voll Anmuth und Grazie, daß sie sein Auge ganz gefangen nahm und – bald genug seine Seele. Das holde Wesen blieb den ganzen schönen Sommer lang im Geselschap’schen Hause. In dem steten, ungezwungenen Verkehr der Familie, wo sich Jedes ganz gab, entwickelte sich bald eine tiefe Neigung des ernsten Mannes zu der Lieblichkeit dieser Mädchenblume. Und sie? Sie ahnte nicht die gewaltige Leidenschaft, die sie erweckte. Sie begriff sie kaum, weil sie dieselbe nicht theilte. Sie liebte und verehrte den Dores wie einen Bruder; ihm aber wollte, da sie fröhlich schied, schier das Herz brechen.

Als ihn die Kunde ihrer Verlobung traf – eilte er in den Wald. Nach einigen Tagen sagte er seinem Freunde: „Ich werde Johanna’s Andenken in einem Werke feiern und sie verherrlichen mit ganzer Seele.“ Und so befreite er denn seine Seele durch Bilder, in welchen er im Gewand des Märchens als Schutzgeist der Johanna auftritt, da es ihm nicht vergönnt war, im Leben ihr zur Seite zu stehen.

Er nennt es „König Heinzelmann“. An die siebenzig Blätter entstanden so, die ein rührendes Zeugniß geben, wie sein Herz sprach. Entzückend ist die Naivetät der verschiedensten Situationen, in denen König Heinzelmann als Schutzgeist der Geliebten nahe tritt. Tausend und tausend drollige kleine Gestalten, mit dem köstlichsten Humor ausgestattet, umgeben die Gebieterin, im Dienste des Herrn, des König Heinzelmann, folgen ihr von Ort zu Ort, schützen und begleiten sie, bald hier, bald dort, bei Tag und bei Nacht. Die Poesie seines Herzens hat sich hier verkörpert; er legte seiner Phantasie keine Zügel an. Ein vielseitigeres Werk hat Mintrop nicht geschaffen; es athmet bald hohe Romantik, bald liebliche Naivetät, nun seltsamen Ernst und dann wieder lustige Ausgelassenheit, um hoher Tragik und harmlosem Spuk zu weichen – just wie die Wogen seines Seelenlebens sich hoch aufbäumten, tändelten oder düster grollten.

Wir können nicht sagen, daß ein neuer „Liebesfrühling“ hier in Bildern an uns vorüberziehe. Der arme Gnomenkönig ist ja von vornherein nicht so glücklich, sich der Gegenliebe zu erfreuen. Wir verfolgen ihn Bild um Bild nur in immer emsigerem Liebesdienste, den die heimlich Geliebte sich ohne Weiteres gefallen läßt. Um so tragischer wirkt freilich dann der Schmerz des Verstoßenen, der eigentlich gar nicht verstoßen wird, sondern der seine bisherige Liebesdienstrolle ungehindert weiter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_147.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)