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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Vertreter unserer Nation aus dem Wagen. Der Graf ist eine schmale, zierlich gebaute Gestalt von müder Haltung; Haar und Bart sind grau, an manchen Stellen weiß; das Gesicht zeigt eine krankhafte Blässe und die mit einer Lorgnette bewaffneten Augen haben keinen besondern Ausdruck. Tizian hat viele Greise gemalt, deren Köpfe an den Grafen Arnim erinnern. Langsam steigt der Angeklagte im Innern des Gebäudes die breiten halbdunkeln Treppen hinauf. Von Freunden und Verwandten umringt, bleibt er oftmals stehen, um einem oder dem andern unter ihnen die Hand zu reichen oder einige Worte an den Betreffenden zu richten. Wohlgefällig lächelnd schweift dabei sein Blick über die Köpfe der Neugierigen. Das Benehmen des Grafen erinnert mich an jene römischen Patrizier, die, wenn sie angeklagt waren, mit möglichst vielen Mitgliedern ihrer Familie und sämmtlichen Clienten auf dem Forum erschienen, um dem Volke, vielleicht auch den Männern auf den curulischen Stühlen zu zeigen, wie gewaltig ihr Einfluß sei.

Großmüthig zeigt sich der Graf auch, wie ein echter Patrizier. Am ersten Tage der Verhandlung ließ derselbe in der rasch improvisirten Restauration neben dem Sitzungssaal eine artige Geldsumme deponiren, um alle Diener und Laufburschen zu erquicken, welche seine Person oder Vertheidiger zu bedienen hatten. Da kamen selige Tage für die schnellfüßigen zerlumpten Jungen aus der Reetzengasse. Ohne das mindeste Vorurtheil vertieften sich August und Fritze in die Caviarbrödchen, befeuchteten dieselben mit Erlanger Bier und wünschten gewiß in ihres Herzens Herzen, Arnim, der Wohlthäter, möge recht oft in die Tinte gerathen, damit sie auf sein Wohl essen und trinken könnten.

Im schmalen Sitzungssaale finden wir etwa hundertfünfzig Personen „eingekeilt in fürchterlicher Enge“. Das Stadtgericht ist rings von Arrestlocalen umgeben. Die kleinen Sitzungssäle liegen an der Vorderseite und gewähren die Aussicht auf den Molkenmarkt; dieselben sind so kahl und nüchtern, wie große Gefängnißzellen. Diese Localitäten stammen aus einer Zeit, wo man der Oeffentlichkeit des Gerichtsverfahrens nur einen geringen Werth beilegte. Staaten, welche von der Anschauung ausgehen, daß weise Fürsten sterben, weise Gesetze aber unvergänglich sind, thun alles, was in ihren Kräften steht, um die Majestät der Gesetze zu erhöhen, und dazu gehört vor Allem, daß man recht vielen Bürgern die Möglichkeit gewähre, den öffentlichen Gerichtsverhandlungen beiwohnen zu können. Zum Proceß Arnim wurde nur ein sehr geringer Theil von denen eingelassen, welche den Verhandlungen beizuwohnen begehrten. So kam es denn, daß für die Benutzung von Einlaßkarten ganz beträchtliche Summen geboten wurden.

Pünktlich nimmt der Angeklagte bei der Eröffnung der Sitzungen auf der etwas erhöht stehenden Bank, zur linken Seite des Gerichtes, Platz; die Verhandlungen beginnen.

Den Vorsitz führt der Stadtgerichtsdirector Reich. Dieser Richter ist etwas cholerischer Gemüthsart. Er liebt es gemeinhin, den Angeklagten ernst zu vermahnen, und legt dabei in manchen Fällen eine so große Leidenschaftlichkeit an den Tag, daß der Angeklagte Gefahr läuft, ihn für den öffentlichen Ankläger zu halten. Man denke aber dabei ja nicht an einen donnernden Zeus, von dem sich sagen läßt:

„Und die ambrosischen Locken des Herrschers wallten ihm vorwärts
Von dem unsterblichen Haupt; es erbebten die Höh'n des Olympos.“

Ach, nein! Der Herr Stadtgerichtsdirector ist ein kleiner Herr, von gedrungener Figur, geröthetem vollem Gesicht, dunklen lebhaften Augen und glattem halblangem Haupthaar. Wären die steife Cravatte am Halse und der Ausdruck großer Feierlichkeit im Gesichte dieses Mannes nicht, so könnte man glauben, ein gemüthlicher Niederländer aus einem Gemälde des Adrian von Ostade sei hier lebendig geworden.

Dem Vorsitzenden zur Linken steht in strammer Haltung der öffentliche Ankläger, Staatsanwalt Tessendorf. Bart und Haartracht dieses Mannes erinnern an einen preußischen Landwehrmann; sein Gesicht ist bleich, das Auge hell und grau, sein Blick scharf. Tessendorf erscheint mir als die Verkörperung des straffen preußischen Beamtenthums; er antwortet den Vertheidigern ruhig, aber mit großer Schärfe des Ausdrucks, und wo man ihm Formfehler vorwirft, wird er bitter, fast malitiös. Um einen armseligen Tisch herum sitzen auf wackligen Stühlen die Vertheidiger des Angeklagten, drei an der Zahl.

Da ist zuerst der Professor von Holtzendorff zu nennen, von dem ein französischer Berichterstatter nicht ganz mit Unrecht meinte, er gleiche einem französischen Officier in Civil. Der bei uns wenig gebräuchliche Schnurr- und Knebelbart verleiht ihm ein etwas fremdartiges Aussehen. Herr von Holtzendorff steht im besten Mannesalter, allein sein blondes Haar ist an den Schläfen schon stark von Silberfäden durchzogen; seine Sprache ist nicht allzu deutlich, da er etwas durch die Zähne spricht.

Einen völligen Gegensatz zum Professor von Holtzendorff, der jedenfalls ein besserer Staatsrechtslehrer als glänzender Vertheidiger ist, bildet äußerlich der Rechtsanwalt Dockhorn aus Posen, ein kleiner, behäbig aussehender, fast weißköpfiger Herr mit kurzem Bismarck-Schnurrbart, der sicher zu unsern gewandtesten Dialektikern gehört. Dieser Sachwalter führt eine sehr ruhige, fast salbungsvolle Sprache, allein er erspäht geschickt in den Ausführungen des Staatsanwalts jede Lücke und beutet sie ziemlich energisch aus. Er verschmäht bei Gelegenheit des Zeugenverhörs auch kleine Plänkeleien nicht, allein im Plaidoyer rückt er mit geschlossener Fronte von Position zu Position vor und erreicht eine überzeugende nachhaltige Wirkung.

Rechtsanwalt Munckel, als der Dritte im Bunde, gehört zu unseren genialsten Vertheidigern, wenn er sich auch bei den Verhandlungen einige Reserve auferlegt. Der äußeren Erscheinung nach würde man in diesem Manne eher einen Künstler als den Juristen suchen. Sein dunkelblondes, fast braunes Haar ist lang und wellig; ein dünner Bart umrahmt sein scharf geschnittenes Gesicht. Wäre sein Mund weniger breit, wären seine Backenknochen weniger hervorstehend, so würde er dem berühmten Maler Anton von Werner ähnlich sehen, wie ein Bruder dem anderen. Munckel besitzt ein volltönendes Organ; seine Repliken erfolgen so sicher, wie der Schuß dem Drücker des Gewehres gehorcht, und treffen meist in's Schwarze; seine Plaidoyers zeigen Humor und Sarkasmus. Wo der Gegenstand ihn ergreift, fehlt es ihm nicht an sittlichem Pathos und einer bedeutenden Kraft der Ueberzeugung.

Es läßt sich nicht leugnen, daß der öffentliche Ankläger bei solcher Gegnerschaft einen schweren Stand hatte. Es gehörte in der That viel Scharfsinn und Schlagfertigkeit dazu, bei so starker Bedrängniß die eingenommenen Positionen zu behaupten.

Den Vertheidigern gerade gegenüber und hinter dem Rücken derselben hat man einem halben Hundert Journalisten bescheidene Plätze eingeräumt. Dicht neben der Feder dieser Aermsten, welche unter den bedrückenden Verhältnissen ihre reiche Neuigkeitsernte einheimsen, liegt das Taschentuch; dasselbe ist zum Schweißtuch geworden und bleibt fortwährend in Function. Wenn je ein Held der Feder sein Brod im Schweiße seines Angesichts verdiente, so ist es im Proceß Arnim der Fall. Die Vertreter der feindseligsten politischen Strömungen hocken auf diesen Bänken friedlich kritzelnd neben einander.

Da finden wir zuvörderst Monsieur Périvier, welcher dem „Figaro“ so flott die Austern des Herrn Dressel anpries und dem Frankfurter Reichstagsboten Sonnemann so pikante Rathschläge ertheilte. An der Seite des Herrn von Rochebrune, der sich durch die lebendigen Manieren eines Bonvivants auszeichnet, sehen wir das kluge angelsächsische Gesicht des Correspondenten eines amerikanischen Weltblattes. Dieser eine Mann opfert dem Proceß Arnim mehr Geld für Kabeldepeschen, als der Jahresertrag unserer größten Berliner Zeitungen abwirft. Ein Kranz vornehmer Zuschauer nimmt in dem hintern Theile des Sitzungssaales Platz. Der Saal ist täglich überfüllt, aber selten lassen sich Personen aus dem mittleren Bürgerstande blicken. In glänzenden Uniformen sind vor Allem die zahlreichen Mitglieder der Familie Arnim erschienen; daneben eine Anzahl junger Diplomaten oder solcher, die es werden wollen. Sinaganka, der japanesische Gesandte, wird von der Robe einer eleganten Dame so überdeckt, daß nur das gelbe Gesicht mit den schiefgeschlitzten Aeuglein sichtbar bleibt. Fürst Lichnowski, Baron von Janser, Graf Perponcher und viele andere Träger berühmter Namen oder hoher Aemter erscheinen wiederholt, um dem Gange der Verhandlungen zu folgen. Bei alledem tritt eine intensive Bewegung weder während des Zeugenverhörs noch während des Plaidoyers zu Tage. Die Verlesung der Erlasse des Reichskanzlers ruft das größte Interesse hervor, denn hier treten überraschende Dinge von großer politischer Tragweite zu Tage, während sich das Zeugenverhör um Briefe an Zeitungsredactionen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_010.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)