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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Wo man fröhlich versammelt in traulicher Runde ist,
Ohne zu achten, ob’s früh oder spät an der Stunde ist –
Wo der Becher von Wein überfließt und die Lippe von Witz“,

da weilte er gern, wie weiland Mirza-Schaffy in Tiflis, dem Friedrich Bodenstedt diese Verse nachsang. Und die Zecher?

„Wenn Mirza-Joel den Becher erhebt,
 Einen Witz im Munde,
Wie sich freudig das Herz der Zecher erhebt
 In der jauchzenden Runde!“

Freilich waren diese Witze nicht immer hoffähig, aber originell und den Nagel aus den Kopf treffend waren sie durchweg, mochten sie sich auf dem Gebiete harmloser Neckerei, beißender Satire oder des höheren Blödsinns bewegen. Dem entsprechend gestaltete sich auch die Behandlung der Gäste, je nach ihrer eigenen Art oder Unart und dem Eindrucke, den sie auf den alten Joel machten. So imponirte ihm einmal beinahe ein ebenfalls unverzärtelter Professor, den er, wie die andern Nachtgäste, Morgens drei Uhr aufweckte mit dem gewöhnlichen Zurufe:

„Heda, die Sonne will aufgehen.“

„Die geht auch ohne mich auf,“ brummte der Professor und drehte sich wieder herum.

Joel aber rief: „Hören Sie, Sie sind der gescheidteste Kerl, der auf der Schmücke war, so lange ich hier wohne.“ Und sie wurden gute Freunde.

Mitunter fand man ihn auch in Pantoffeln mit Sporen im Gastzimmer einherwandelnd, ohne daß dies immer ein Zeichen besonderer Heiterkeit gewesen wäre. Diese war aber untrüglich obenauf, sobald Musik erklang. Für ihre Freuden hatte er selbst gesorgt, denn einige Cithern hingen stets gut gestimmt an der Wand, und sein Hausknecht Johann gehörte als „Saitenkundiger“ zum wohlgeschulten Personal seines Hausorchesters. Dieser Johann Wagner, nunmehr seit siebenundzwanzig Jahren Hausknecht auf der Schmücke und in der Gegend als „das Wahrzeichen der Schmücke“ bekannt, bewegt sich dort heute noch brav in seinem Berufskreise.

Und war „die schöne Zeit“ vorbei und der Winter kam, was dann? Da beschränkte sich freilich wochenlang die Gesellschaft auf die Familie Joel und den damaligen Förster der Schmücke, Herrn Morba, dessen Name mit der Schmücke ebenfalls eng verwachsen ist. Derselbe hatte, ehe er zu „den Grünen“ ging, in Jena vierundzwanzig Semester Theologie studirt, und so stand beiden Männern hinlänglicher Unterhaltungsstoff aus ihrer eigenen Vergangenheit zur Disposition.

Herr Morba ist am 10. Januar dieses Jahres als herzoglicher Forstcommissär zu Ohrdruff seinem langjährigen Schmückenachbar im Tode nachgefolgt; ich verdanke dem liebenswürdigen alten Herrn so manche Notiz zu gegenwärtiger Skizze.

Herr Landrath Ewald in Gotha hat solch eine stille Winterunterhaltung auf der Schmücke vor Jahren gezeichnet. Diesem Bilde ist das vorstehende Portrait Joel’s entnommen.

Wenn in jener stillen Zeit Gäste einsprachen, dann gestalteten sich namentlich die Abendstunden zu festlichen. So kam einst einer meiner Freunde an einem häßlichen Novembertage bei einbrechender Nacht auf einer Geschäftstour in der Schmücke an. Er war herzlich froh, aus der Dunkelheit und dem heftigen Schneegewirbel in ein sicheres behagliches Obdach zu gelangen, und ahnte nicht, welche Stunden voll Winterwaldpoesie vor ihm lagen. Kaum war das Abendessen vorüber, so constituirte sich das Hausorchester, verstärkt durch einen jungen Jägersmann, den das Unwetter ebenfalls hereingetrieben hatte. Mit wollenen „Strickstrümpfen“ bewaffnet, nahmen die vier weiblichen Dienstboten des Hauses Platz. „Da schlug Johann die Saiten; er schlug sie“ – ganz vortrefflich zu einer wohlgeschulten Begleitung, „dann strömte himmlisch helle“ der bergfrische Gesang der Schmückedirnen dazwischen. Etwas verlegen ungelenk schoben sich kurz darauf noch vier stämmige Burschen aus dem benachbarten Goldlauter durch die Thür, welche gekommen waren, mit ihren Herzallerliebsten zu plaudern, und die nun unbarmherzig in die ausübende Künstlergesellschaft einrangirt wurden, Nun ging’s doppelchörig, immer voller, immer besser! Wie herzig und natürlich klang da das Thüringer

„Ach, wie ist’s möglich dann!“

Da auf einmal: „sei nicht so dumm!“ war es dem Munde einer Sängerin während einer plötzlichen Pause entfahren. Die weihevolle Stimmung machte einem homerischen Gelächter Platz. Naiv gestand die ganz roth anlaufende Tochter der Berge: „ihr Schatz da habe sie bei dem Worte: ‚Du hast die Seele mein so ganz genommen ein‘ etc. mit dem Ellenbogen in die Seite gepufft und dabei ein ganz erbärmliches Gesicht geschnitten.“

Die Bierflaschen waren verschwunden; die Bowle dampfte – als Künstlerlohn. Da gingen dem jungen Volke die Beine durch – Hopsa und Juchheirassa bis spät in die Nacht hinein. Ehe mein Freund sein Lager suchte, warf er noch einen Blick in die winterliche Landschaft hinaus: vier dunkle Schatten glitten über die weiße Fläche hin durch den wilden Braus des Schneesturmes, aber stärker als das Heulen des Sturmwindes klangen die schallenden Jauchzer der heimkehrenden Goldlauterer durch die Novembernacht.

Nicht lange sollte sich Joel seiner schönen neuen Einrichtung, welche 1851 fertig geworden war, erfreuen. Im Herbste 1852, als er sich zu einer landwirthschaftlichen Ausstellung nach Gotha begeben hatte, fühlte er sich dort sehr, sehr unwohl. Er merkte, „das war der böse Thanatos“. Es hielt ihn nicht länger in Gotha; krank, wie er war, kehrte er heim in seine Berge. Noch einmal hatte er Gelegenheit, mit seinen Ilmenauer Freunden gesellig zu verkehren; auch absonderlicher Weise sollte gerade ein Krebsmahl sein Abschiedsmahl werden. Ungefähr acht Tage danach, am 15. October 1852, schloß er die Augen für immer.

Den Menschen kommt es bisweilen vor, als ob die Natur um Heimgegangene, die sie lieb hatten, auch mit trauere. – So legte sie damals einen naßkalten Tag auf das Thüringer Waldgebirge. Nur dann und wann blitzte auf kurze Zeit durch graues Gewölk ein Sonnenstrahl hernieder und ließ die düstere Stimmung der Natur um so deutlicher hervortreten. Durch die schwarzen Tannenwälder zog dumpfes Brausen, wie ein Abschiedslied, welches der scharfe Herbstwind der schönen lustigen Blüthenzeit nachsang.

Das war eben der Tag, an welchem als entsprechende Staffage zu diesem Naturbilde vom Gasthause zur Schmücke ein dunkler Leichenzug daherkam. Langsam bewegte sich derselbe auf dem Kamme des Gebirges hin, an der Kuppe des hohen Beerberges vorüber, den uralten Rennstieg entlang dem Walddörfchen Oberhof zu. Neben der von schwarzgrauen Brettern umkleideten kleinen Kirche senkte man den Verstorbenen in’s Grab. Dem Dahingeschiedenen sang sein Freund Ludwig Bechstein eine Elegie nach, von der wir oben schon einige Verse verrathen haben und die auch noch die folgenden enthält:

„Trauernd steht nun ob des Mißgeschickes
Einsam dort der Schmücke hohes Haus,
Und die Waldnatur reicht nassen Blickes
Ihm noch ihren letzten Blumenstrauß.
Ach, kein Wirth war je den Freunden werther,
Als Du, alter dicker Joel, bist.“ – – –

Seit Joel’s Humor die Schmücke nicht mehr belebt, ist es den Winter über, das heißt vom October bis Mai, still dort geworden; die Wirthschaft schläft den Winterschlaf. Aber mit der schönen Jahreszeit regt sich’s wieder, und wie die Sennen der Alpen treiben’s auch die Naturfreunde in Thüringen:

„Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.“


Julius Keßler.




Blätter und Blüthen.


Hans Makart’s „Künstlerheim“. Die namhaftesten deutschen Maler haben eine große Vorliebe, ihr Atelier mit allem Aufgebote künstlerischer Mittel und geläuterten Geschmackes zu verzieren. Die Geburtsstätten der Werke eines Professor G. Richter, eines Widder, Henneberg, Piloty etc. sind Merkwürdigkeiten von Berlin, Rom und München.

Wie aber Hans Makart an blendender Farbenpracht seiner Palette und glühender Phantasie die meisten seiner Collegen überragt, so hat er auch sein Atelier in eine farbensprühende, bunte Märchenwelt verwandelt, welche die Wenigen, die zu diesen wunderbaren und wunderlichen Räumen den verborgenen Eingang finden, wie das Gebilde eines mächtigen Zauberers überrascht. Ein Freund Makart’s, einer der namhaftesten und sachverständigsten Kunstindustriellen der Residenz, übernahm es, mich in das geheimnißvolle Künstlerheim einzuführen, welches sich, bei der scheuen Zurückgezogenheit des deutschen Veronese, nur wenigen Begünstigten öffnet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_569.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)