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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Kunde war ein Compère, der die Kauflust des Publicums anregen wollte. Die Kunst des Compère besteht natürlich darin, seine Rolle nicht zu verrathen. Wer aber das Pariser Straßenleben kennt, weiß den harmlosen Kunden von dem Compère leicht zu unterscheiden.

Es giebt in Paris Leute, die ein Gewerbe aus ihrer Liebenswürdigkeit machen. Sie sind von jedem politischen, literarischen und artistischen Klatsch unterrichtet und wissen vortrefflich zu erzählen. Man sieht sie daher gern bei Tische, und sie leben von der Gastfreundschaft. Diese Leute gehören indessen zur zahlreichen Classe der Schmarotzer, von denen ich ein anderes Mal die Leser der Gartenlaube zu unterhalten gedenke.




Aus der Welt des Geldes.


Das Geld ist flüssig wie Wasser, weshalb es auch so leicht zu Wasser wird. Nein, noch viel flüssiger und stiller. Diebes- und feuerfest verschlossen, steigt und fällt es mit der Fluth und der Ebbe des „Geld-Weltmarktes“, gewinnt und verliert es an „Kaufkraft“. Die Ueberschwemmung Deutschlands mit mehr als Tausend Millionen Thalern aus Frankreich verwandelte jeden ehrlichen deutschen Thaler in einen sehr fraglichen halben, obgleich er vielleicht just deshalb lange für einen „Heckethaler“ gehalten ward. Was gebar er? Nichts. Oft fraß er sich sogar noch selbst auf. Unzählige andere eingeschwemmte Thaler flossen durch die Weltmarktscanäle davon, sogar nach Frankreich zurück.

Es ging uns beinahe wie den Weintrinkern in Auerbach’s Keller, als der zapfende Teufel auf der Tonne davon geritten war – welche Pleite! „Mir däuchte doch, ich tränke Wein!“

Ja, wenn wir damals schon gewußt hätten, was „Geldmarkt“ heißt, schon das englische Buch gelesen hätten, welches zum ersten Male die Geheimnisse dieses Marktes verrieth!

Die Engländer selbst, sonst erfahrungsreiche Geldmenschen, wußten’s auch nicht und kauften das Buch binnen weniger Monate in vier Auflagen weg. Der englische Titel lautet: „Lombard Street. A Description of the Money Market. By Walter Bagehot.“ (Lombard-Straße. Eine Schilderung des Geldmarktes. Von Walter Bagehot.) Mit Leben und Literatur Englands vertraute Männer, wie Professor F. von Holtzendorff, entdeckten bald die Wichtigkeit dieses Werkes auch für Deutschland. Auf dessen Veranlassung und mit einem Vorworte von ihm, erscheint es denn nun auch bald deutsch (bei Hartung und Sohn), so daß jetzt auch wir die unverbrüchlichen Gesetze, durch welche diese eigenthümliche kosmopolitische Flüssigkeit, Geld genannt, bewegt wird, ganz genau, zum ersten Male genau kennen und anwenden lernen können. Wir eröffnen hier vorläufig die Vorhalle zu diesen Geheimnissen und zwar meist mit des Verfassers eigenen Worten.

Es herrscht die Meinung, der Geldmarkt sei etwas so Unfaßbares, daß man ihn nur mit allgemeinen Worten beschreiben könne und Bücher darüber stets ungemein schwierig seien. Aber ich behaupte, daß der Geldmarkt eben so concret und wirklich sei, wie irgend etwas Anderes, in einfachen Worten geschildert und so erklärt werden könne.

Am kürzesten und wahrsten läßt sich Lombardstreet, die Bank- und Geldmarktstraße in der City von London, als die größte Verbindung ökonomischer Kraft mit ökonomischer Delicatesse, welche die Welt je sah, bezeichnen. An der Größe dieser Macht wird Niemand zweifeln. Geld ist eine ökonomische Macht. Jeder weiß, daß England das größte Geldland der Welt ist; Jeder giebt zu, daß es mehr unmittelbar disponibles baares Geld, als jedes andere Land habe. Aber nur Wenige wissen, wie viel größer diese fertig liegende Bilanz – die flüssigen Fonds, die Jedem für jeden Zweck geliehen werden können – in England als irgendwo in der Welt sind. Zeigen wir dies durch einige Zahlen. Die bekannt gewordenen Depositen der Banken, welche Berichte veröffentlichten, waren am Ende des Jahres 1872 und zu Anfang 1873 so:

London (31. Dec. 1872) 120,000,000  Pfund.
Paris (27. Febr. 1873) 13,000,000  
New-York (Febr. 1873) 40,000,000  
Deutsches Reich (31. Jan. 1873) 8,000,000  “ (Nur? D. R.)

Und die unbekannten Depositen in Banken, welche keine Uebersichten veröffentlichen, sind zudem in London viel größer als in irgend einer dieser Städte. Depositen bei Banquiers in London sind vielmals größer als die irgend einer andern Stadt – die von England vielmals größer als die eines andern Landes. Allerdings sind diese Bank-Depositen kein genauer Maßstab für die Quellen eines Geldmarktes. Im Gegentheil giebt es außerhalb der Banken Frankreichs und Deutschlands und aller nicht „bankenden“ Länder viel mehr baares Geld, als in England und Schottland mit einem entwickelten Bankwesen. Aber dieses baare Geld ist nicht sogenanntes „Geldmarkt-Geld“: es ist nicht zu bekommen. Aber das englische Geld ist verborgbares Geld. Wir sind kühner mit Benutzung unseres Geldes als irgend eine Nation des Continents, und die bloße Thatsache, daß unser Geld in Banken deponirt ist, macht es viel leichter zugänglich. Eine Million in den Händen eines einzigen Banquiers ist eine große Macht; er kann sie sofort beliebig verleihen, und Leute, die Geld brauchen, können ohne Weiteres zu ihm gehen. Aber dieselbe Summe ist, wenn zehn- bis fünfzigfach durch eine ganze Nation verstreut, überhaupt keine Macht; Niemand weiß, wie er sie finden und wen er darum angehen kann. Concentration des Geldes in Banken ist die Hauptursache, weshalb der englische Geldmarkt so beispiellos reich geworden ist.

Man sieht die Wirkung beständig. Wir verleihen ungeheure Summen, die anderswo zu bekommen unmöglich sein würde. Man sagt zuweilen, daß jedes beliebige Ausland für einen Preis Geld in Lombardstreet borgen könne, einige billiger, andere theurer, also Jeder, wenn er nur genug dafür bezahle. Mit Unternehmungen zu Hause ist’s ebenso. Wir haben ganz die Vorstellung verloren, daß irgend ein gewinnversprechendes Unternehmen aus Mangel an Geld unausführbar sei. Ein Ort nun wie Lombardstreet, wo man, mit höchst seltenen Ausnahmen, gegen gute Sicherheit für jeden anständigen, Gewinn versprechenden Zweck Geld haben kann, ist deshalb ein Luxus, dessen sich kein Land je vorher erfreut hat.

Der englische Verkehr wird in einer Ausdehnung, von welcher Ausländer kaum eine Vorstellung haben, mit geborgtem Capital betrieben. In jedem District giebt es kleine Gewerbtreibende, welche ihre Wechsel tüchtig discontiren und mit dem so geborgten Capital den alten Capitalisten bedrängen oder wohl gar vertreiben. Dieser neue Gewerbtreibende hat offenbar einen ungeheuren Vortheil in dem Verkehrswettkampfe. Wenn ein Kaufmann mit 50,000 Pfund eigenem Gelde zehn Procent gewinnen will, muß er 5000 Pfund jährlich damit verdienen und für seine Waaren demgemäß fordern; aber wenn ein Anderer zu seinen nur 10,000 Pfund sich, wie dies jetzt nicht mehr ungewöhnlich ist, noch 40,000 durch Discontos borgt, hat er dasselbe Capital viel billiger und kann viel billiger verkaufen. Hat er zu fünf Procent geborgt, muß er 2000 Pfund Zinsen zahlen, und wenn er, wie der alte Gewerbsmann, 5000 Pfund jährlich verdient, hat er nach Zahlung der Zinsen noch 3000 Pfund oder dreißig Procent von seinen eigenen 10,000 Pfund. Da nun die meisten Kaufleute mit viel weniger Gewinn zufrieden sind, so kann er mit etwas weniger Profit den Preis seiner Waare erniedrigen und den alten mit blos eigenem Capital arbeitenden Concurrenten vom Markte drängen. So giebt’s im modernen englischen Geschäft wegen der Sicherheit, Geld durch Discontirung von Wechseln oder sonst wie gegen mäßige Zinsen zu bekommen, eine sichere Prämie auf Arbeit mit geborgtem Capital und eine beständige Entmuthigung der Einschränkung auf eigenes Capital.

Die zunehmend demokratische Structur des englischen Verkehrs ist in manchen Kreisen sehr unpopulär und deren Wirkung allerdings sehr gemischter Art. Einerseits wird dadurch die Dauer großer Familien von Kaufmannsfürsten wie einst in Venedig und Genua, diese Vereinigung großen Reichthums mit aristokratischem Geschmacke, verhütet. Sie werden sozusagen von dem schmutzigen Haufen kleiner Leute verdrängt und ziehen sich nach ein oder zwei Menschenaltern in müßigen Luxus zurück.

Aber diese Fehler der Verkehrs-Demokratie werden durch einen großen Vorzug ausgeglichen. Kein Land mit großem ererbtem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_260.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)