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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Seit einer Stunde schwiegen die Batterien; im Kampfe war eine Pause eingetreten. Einer lebendigen Mauer gleich schlossen sich die Sieger des blutigen Tages als doppelter, dreifacher Ring um die Veste und blickten voll wachsender Spannung nach den Wällen, auf denen sich die erwartete Parlamentärflagge noch immer nicht zeigte. Und doch war den Franzosen nur noch die eine Wahl zwischen Ergebung und Vernichtung geblieben.

Tausende von Gefangenen waren in Schaaren zusammengetrieben, Tausende von Todten und Verwundeten bedeckten das weite Schlachtfeld – Mann und Roß, Freund und Feind in jammervoller Eintracht aufeinander gehäuft. Hinter den Kampfeslinien zogen sich ringsum die Sanitätsdetachements. In unheimlicher Geschäftigkeit wanderten Krankenträger mit Bahren und Matratzen rastlos hin und wieder; jene leichten, auf Federn ruhenden, mit Riemen und verhängnißvollen Vorrichtungen aller Art ausgestatteten Fahrzeuge, mit Frischverbundenen immer von Neuem gefüllt, rollten in langsamer Behutsamkeit von den Verbandplätzen den nächstgelegenen Lazarethen zu, um dann, ihrer stöhnenden Insassen entledigt, in raschem Trabe zurückzukehren.

Einen Schleier über die Stätten, wo blühendes Leben wider Qual und Tod streitet!

Eben sprengt ein Adjutant über das Feld hin; er scheint in höchster Eile; plötzlich aber reißt er so scharf den Zügel zurück, daß sein Schimmel sich hoch aufbäumt, ehe er ihn zum Stehen bringen und absitzen kann. Das Pferd am Zügel, folgt er raschen Schrittes einer eben vorübergetragenen Bahre, auf deren Matratze ein Officier ruht, die Augen geschlossen, das Haupt zurückgesunken. Wie ein Marmorbild starrt Eckhardt auf den Regungslosen. Er faßt die schlaff herabhängende Hand und ruft mit dringendem Ton: „Triefels!“ Kein noch so leises Regen antwortet ihm. Während er die kalte Hand aus der seinen gleiten läßt, wendet er sich zu einem der Träger: „Schwer verwundet?“ –

„Durch die Brust geschossen!“

Mit einem Seufzer, der aus dem Grunde der Seele kommt, schwingt sich der Officier auf’s Pferd und reitet in gestrecktem Laufe weiter.

Im nächsten Augenblicke dröhnt es von Neuem auf; der Befehl zur Beschießung der Festung war an die vor den Höhen stehenden baierischen Batterien gelangt. Zündend fliegen die Granaten auf Wälle und Straßen, Alles zerstückelnd, zertrümmernd. Jetzt lodert ein mit Stroh gefülltes Magazin hoch auf; zugleich mit der aus dunkelm Rauchwirbel aufschlagenden Flamme erhebt sich auf dem Walle der Festung die weiße Fahne.

Wie der Sturmwind von Wipfel zu Wipfel über den Wald hinfährt, brauste bei diesem Anblick aus hunderttausend Kehlen ein donnerndes Hurrah! Jauchzen und Springen, Mützenschwenken und Helmeheben, Hochrufe für König und Vaterland blitzten, zündeten gleich einem Lauffeuer durch alle Bataillone und Schwadronen! Als Eckhardt bei seinem Regiment anlangte, ritt eben dessen Commandeur vor die Front. Auf einmal wurde es todtenstill; in kurzen, begeisternden Worten forderte der Oberst seine Truppen zum Danke gegen Gott auf. Wie durch sympathische Uebereinkunft stimmten beide Chöre der Brigade auf denselben Tactschlag den Choral an: „Nun danket Alle Gott!“ und entblößten Hauptes fielen Tausende von Kehlen in strömendem Gesange ein.

Die Schatten des Abends begannen sich über die Betenden herabzusenken. Plötzlich tauchte glühender Wiederschein die Gruppen in helle Beleuchtung – die Flammen von Bazeilles rötheten den Himmel mit feuriger Lohe.


(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Eine Erinnerung an Robert Prutz. Im Januar 1868, als Robert Prutz in Berlin angekommen war, um seine herrlichen literarhistorischen Vorträge zu halten, lebte dort seit wenigen Wochen ein junger Literat, der in der werdenden Weltstadt sein Glück, das heißt nur ein bescheidenes Auskommen, suchte, bei diesem Bestreben aber, baar aller Subsistenzmittel, in die traurigste Lage gerieth. Er las die Ankündigungen der Prutz’schen Vorträge. Wie hätte er aber den Preis für den Cyclus erschwingen können, da ihm mehr als einmal die Mittel fehlten, seinen Hunger zu stillen! Er wandte sich daher brieflich an den Dichter, bat denselben um ein Billet für die Vorträge und gab, um sein Anliegen zu motiviren, eine kurze Schilderung seiner traurigen Lage. Er erhielt hierauf schon am folgenden Morgen nachstehenden Brief:

„Berlin, Sonnabend früh, 8. Februar 1868.     

In diesem Augenblick, hochverehrtester Herr, werden mir die Zeilen überbracht, welche es Ihnen gefallen hat unter dem gestrigen Datum an mich zu richten. Sie eröffnen mir darin die Aussicht auf Ihre persönliche Bekanntschaft, und so angenehm es mir sein würde, Sie bei mir zu empfangen, so darf ich mir, wenigstens für diese nächsten Tage, doch kaum Hoffnung darauf machen, indem ich, Tag um Tag zwischen hier und Stettin hin- und herreisend, nur selten in meiner hiesigen Wohnung zu treffen bin. Erlauben Sie mir denn, Sie schriftlich meines aufrichtigen Mitgefühls an Ihrer bedrängten Lage, sowie meines Dankes für das Vertrauen zu versichern, mit welchem Sie mir dieselbe dargelegt haben. Ich selbst bin mit dergleichen Bedrängnissen bekannter, als Sie vielleicht glauben, und zwar habe ich dieselben durchmachen müssen, nicht wie Sie in erster rüstiger Jugend, getragen von den Schwingen der Hoffnung und des Muthes, sondern als bejahrter Mann, krank, mit gebrochener Kraft, müde von Enttäuschungen und belastet mit der Sorge für Frau und Kinder. Ich weiß also und fühle in Ihre Seele hinein, was Sie augenblicklich zu leiden und zu kämpfen haben; ich weiß aber auch und habe an meinem eigenen Beispiel erfahren, welche Kraft des Widerstandes sich eben in diesen Kämpfen entwickelt und daß, wer sich nur nicht selbst verläßt, niemals wirklich verlassen ist. Sie sind jung, haben Sie denn auch den Muth der Jugend und glauben Sie fest, daß jedes redliche Streben endlich doch siegt und siegen muß! – Sehr glücklich würde es mich machen, könnte ich durch augenblickliche ausreichende Hülfe Ihnen diesen Sieg erleichtern … Es wird hoffentlich bald die Zeit kommen, wo Sie von einer durch ehrenhafte Thätigkeit gesicherten Stellung aus mit humoristischem Behagen auf Ihre gegenwärtigen Jugendkämpfe und Verwickelungen zurückblicken können. Mit aufrichtiger Hochachtung etc.“

Diesen herrlichen Zeilen, welche der niedergebeugten, von den gemeinsten Sorgen des Lebens bestürmten Seele des jungen Mannes wirklich neuen Muth einhauchten, war die erbetene Karte und ein namhaftes, nicht erbetenes Geldgeschenk beigelegt, welches den Darbenden in den Stand setzte, seinen drückenden Verpflichtungen nachzukommen. Es gelang ihm später, dem edlen Dichter und echten, goldherzigen Volksmann seinen Dank persönlich auszudrücken und einige Worte der Ermuthigung und einen herzlichen Händedruck von Robert Prutz zu empfangen. Diese kurze Berührung hat wie ein Gottessegen gewirkt und wirkt noch jetzt, wo der damals von den Furien des Nahrungskummers Gehetzte in einer sicheren und auskömmlichen Stellung, wie es der Verblichene vorausgesagt, mit humoristischem Behagen auf jene düsteren Zeiten blickt. Der abgedruckte Brief aber ist eine seiner theuersten Reliquien.




Das Muttergottesdorle. In Bezug auf eine Notiz unter „Blätter und Blüthen“ in Nr. 16 Ihres geehrten Blattes erlaube ich mir Ihnen über das weitere Schicksal des Muttergottesbildes aus dem Nachlasse des vulgo Muttergottesdorles Folgendes mitzutheilen:

Wie am Schlusse jenes Artikels bemerkt, wurde jenes wunderthätige Bild öffentlich versteigert. Es ist von einer marianischen Brüderschaft unseres Nachbarstädtchens Scheßlitz auf Veranlassung des Vorstandes des dortigen katholischen Casinos, welcher zugleich Benefiziator ist, um den Preis von zweitausend Gulden ersteigert. Nach Verlauf von einigen Wochen wurde ein bis dahin unbekanntes Testament der früheren Besitzerin producirt, wonach dieses Bild in der Jakobskirche zu Bamberg aufgestellt werden sollte. Allein die wackeren Scheßlitzer ließen sich ihren theuer erkauften Gnadenschatz so leicht nicht nehmen und wahrten ihren Eigenthums- und Besitztitel auf gerichtlichem Wege.

Unter dem Vorantritte obigen Benefiziators wurde denn das Bild in feierlicher Procession in die Stadtcapelle von Scheßlitz übertragen, wo nun der Schwindel von Neuem losgeht. Die ersten Erträge sollen dazu verwendet werden, an die Stelle der jetzigen alten Capelle eine neue glänzende zu setzen, in welcher dann der Humbug in großartigem Maßstabe fortgesetzt werden kann. Es scheint also, daß man mit diesem Bilde ein sehr einträgliches Geschäft machen kann. – Das Ihren werthen Lesern zur Notiz, wenn dieselben allenfalls die Wunderkraft erproben wollten.

Bamberg, den 21. August 1872.




Louis Büchner, der vielgenannte Verfasser von „Kraft und Stoff“, ist vor einigen Tagen nach Amerika abgedampft, wo er auf Einladung in verschiedenen Städten Vorlesungen halten wird. Eine Minimaleinnahme von fünfzehntausend Dollars ist ihm dort garantirt worden. Wir freuen uns, den Lesern der Gartenlaube dabei mittheilen zu können, daß Louis Büchner in einer Reihe von Briefen unter dem Titel „Aus dem Lande der Freiheit. Amerikanische Reise- und Vorlesungsbilder“ seine Erlebnisse und Erinnerungen in unserer Zeitschrift veröffentlichen wird.




Kleiner Briefkasten.

E. K. in P. Ihren früheren Brief haben wir nicht erhalten. Schiller’s Tochter, Freifrau von Gleichen-Rußwurm, lebt in Greifenstein ob Bonnland in Unterfranken.

Herrn Alexander Grenz. Ihrem Gedichte „Wenn Du“ sind die Spalten der „Gartenlaube“ nur für den Fall geöffnet, daß Sie die Maske der Pseudonymität lüften. Die Redaction folgt, indem sie diese Forderung stellt, einem nicht zu umgehenden Principe.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_628.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2016)