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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

seinen Gruß erwiderte. D’Avelon’s Einladung, sich zu setzen, lehnten die Officiere ab. Sontheim erklärte mit einer sehr kühlen, sehr gehaltenen Höflichkeit in einem zwar nicht fließenden, aber zum Verständniß ausreichenden Französisch, daß er die Pflicht des Dienstes bedaure, die ihn hergeführt, und zunächst um des Hausherrn Aufschlüsse über das, was geschehen, was Aufhellung über des verschwundenen Cameraden Schicksal geben könne, bitten müsse. Merwig musterte währenddeß von der Seite Valentine – er fand nichts Räthselhaftes mehr in der bisher ihm unerklärlich gewesenen Bethörung des armen Cameraden, der ihr so schnell zum Opfer geworden schien.

Herr d’Avelon erzählte Alles, was er erzählen konnte, offen, bereitwillig, so umständlich, wie er vermochte. Sontheim setzte sich dabei an den Schreibtisch Valentinens am oberen Ende des Salons, um sich einige Notizen zu machen. Dann bat er Valentine um ihre Aussagen – Valentine erhob sich und trat in seine Nähe – auch Ellen erhob sich, wie magnetisch herbeigezogen, wie als ob sie in größerer Nähe von Valentine dieser die Worte auf den Lippen zurückhalten könne, die sie nicht gesprochen wissen wollte. Aber es war unnütz, wenn sie sich ängstigte. Valentine sah ein, wie furchtbar erschwerend es für sie Alle sein würde, wenn sie von ihren Beobachtungen in der Nacht rede, wenn sie verrathe, daß ein Complot geschmiedet worden, um Daveland zu überfallen; sie sprach kein Wort, das über die Darstellung ihres Vaters hinausging. Nur eine unbestimmte Sorge um den fremden Officier hatte sie getrieben, ihn zu warnen, ihn fliehen zu heißen – und geflohen war er, sicher und ungehärmt war er entkommen, das hatte sie gesehen, und wenn ein Unglück ihn betroffen, so war sicherlich Niemand auf der Ferme daran schuld – Herr von Daveland war längst von ihr in Sicherheit gebracht, als die Arbeiter wirklich erschienen, um ihn zu überfallen.

„Sie sprechen das so bestimmt aus, er sei von Ihnen in Sicherheit gebracht, mein Fräulein,“ sagte Sontheim, „was giebt Ihnen diese Sicherheit, die Ueberzeugung, daß er nicht auf seinem Fortgange von der Ferme den Uebelthätern in die Hände gefallen ist?“

„Mein Gott,“ rief Valentine aus, „ich selbst habe ihn begleitet, ich habe ihn in eine sichere Zuflucht geführt. …“

„Was nennen Sie sicher? …“

„Ich darf eine Felsenhöhle in abgelegener Bergschlucht, die Höhle der Jungfrau, so nennen – dorthin habe ich selbst ihn begleitet. Dort konnte Niemand in der Welt ihn vermuthen – als ich bei Tagesanbruch ging, ihn aus derselben zu befreien, fand ich ihn nicht mehr, aber auch keine Spur von einem stattgefundenen Ueberfall, von einem Kampf, von einer Anwesenheit vieler Menschen dort vor kurzer Zeit … es war nicht möglich, daß man ihn dort gesucht und gefunden!“

Sontheim wandte sich Ellen zu; Miß Ellen wußte nichts weiter anzugeben, als was Herr d’Avelon über die Veranlassung von dem Bleiben des deutschen Officiers gesagt, und daß alsdann um Mitternacht eine Arbeiterschaar in’s Haus gebrochen, die aber ihr Opfer schon entflohen gefunden. Sie wußte absolut nichts weiter; sie gab ihre Aussagen ebenso bestimmt als lakonisch, mit einer sehr wahrnehmbaren Verstärkung jenes nicht anmuthigen Zuges um ihren Mund, der weder für ihre Umgebungen schmeichelhaft, noch für den Lauf der irdischen Dinge überhaupt ermuthigend war; Miß Ellen sagte offenbar mit diesen nach unten gezogenen Winkeln ihres hübschen Mundes, daß sie weder das Bewirthen eines deutschen Officiers und Valentinens Sorge um ihn, noch das Vorhandensein von Eisenhammerarbeitern in der Welt, oder das Auftreten deutscher Soldaten als Herren im Hause als anständig, moralisch oder nur erträglich betrachten könne.

Der Hauptmann v. Sontheim hatte fortgefahren, sich Notizen zu machen – dann wandte er sich zu Herrn d’Avelon zurück.

„Sie müssen schon entschuldigen, mein Herr,“ sagte er ihn scharf fixirend, „daß ich, von Ihren Angaben nicht ganz befriedigt, zur Vernehmung Ihrer Leute übergehe, und sie mir vorführen lasse. Lieutenant Merwig, sorgen Sie dafür, daß es jetzt geschehe. Was Ihre Angaben betrifft, so werden Sie selbst fühlen, daß sie in einem bedauerlichen Grade unzulänglich und Verdacht erweckend sind. Es ist nicht allein sehr auffallend, daß Sie einen Ihnen fremden Officier über Nacht bei sich zurückhielten, sondern noch mehr, daß eine junge Dame, wie Ihr Fräulein Tochter, ihn ganz allein mitten in der Nacht, durch Regen und Dunkel, in eine einsame Berggegend, in ein Asyl geführt haben will. Es lautet das so überraschend romantisch, daß es nicht mehr wahrscheinlich genannt werden kann. Die Thatsache, daß ein Arbeiterhaufe während dieser Nacht in Ihr Haus gedrungen ist, gestehen Sie selbst ein – wir müssen annehmen, daß dieser Haufe nicht gekommen ist, ohne daß ihm vorher ein Wink wurde, der ihn herbeirief; auch, daß ihm vom Innern des Hauses aus die Mühe erspart wurde, sich gewaltsam hier einzuführen. …“

„Weshalb hätten wir’s auf die Gewalt ankommen lassen sollen,“ rief d’Avelon aus – „wir wußten, daß Herr von Daveland in Sicherheit war …“

„In Sicherheit?“ fiel Sontheim ein. „War er wirklich bereits entfernt, als der Ueberfall geschah? Und wenn auch – welcher Art die Sicherheit, in welche er geführt wurde, war, das sehen wir jetzt – er ist eben verschwunden!“

„Senden Sie zu dem Eisenhammer; lassen Sie dort die sämmtlichen Arbeiter vernehmen,“ antwortete d’Avelon auffahrend und im Beginne, über diese Ungläubigkeit, auf welche seine Erklärungen stießen, außer sich zu gerathen, „alle diese Leute werden Ihnen bestätigen …“

„O gewiß, gewiß!“ unterbrach ihn Sontheim achselzuckend und mit sarkastischem Lächeln – „diese Leute werden sicherlich darin übereinstimmen, daß sie durchaus unschuldig sind und die ganze Nacht bei ihrer Arbeit oder in ihren Betten zugebracht haben … leider ist es nicht unseres Amtes, hier lange regelrechte Criminalproceduren anzustellen, dazu haben wir keine Zeit – ich werde noch Ihre Dienstleute verhören und bedaure, dann das Weitere dem Kriegsgericht in Commercy überlassen zu müssen.“

„Also wir werden vor ein preußisches Kriegsgericht gestellt werden,“ sagte d’Avelon sehr bleich werdend, „ich nicht allein, sondern auch diese Damen hier?“

Sontheim antwortete nicht. Trotz der Härte, die er in seine Sprache legte, wurde ihm die Sache peinlich – er sah von d’Avelon fort und nach der Thür, durch welche Merwig verschwunden war, um die weiter zu vernehmenden Leute einzeln eintreten zu lassen – Valentine war unterdeß aufgesprungen und neben ihren Vater geeilt, an dessen Brust sie sich warf, um daran plötzlich in einen Strom von Thränen auszubrechen. D’Avelon drückte ihren Kopf mit seiner Rechten an seine Brust, während seine Linke ihre Schulter umschlang; auch in seine Augen traten die Thränen und mit zitternder Lippe sagte er:

„Mein armes, armes Kind – sei stark, sei muthig – dieser schauderhafte Krieg nimmt bessere Leute fort, als ich bin – sie werden ja nicht den Muth haben, an Dein süßes Haupt zu rühren – sie werden es nicht! Ellen, reichen auch Sie mir die Hand – wenn ich ein Opfer dieser entsetzlichen, unerklärlichen Geschichte werde, so soll Ihnen wenigstens kein Haar gekrümmt werden – Sie sind nicht allein schuldlos wie wir Alle, auf Sie fällt ja auch nicht der leiseste Verdacht …“

Wie von einem plötzlichen Schmerz durchzuckt bei diesen Worten ihres Vaters, fuhr Valentine von seiner Brust zurück.


(Schluß folgt.)




Ein Gang durch die Katakomben bei St. Stephan in Wien.


Seit Adalbert Stifter’s ergreifender Schilderung der Katakomben zu St. Stephan hat sich die Phantasie mit dieser seltsamen Stätte des alten Wien viel beschäftigt. Sie schuf entsetzenerregende Bilder aus den düsteren und helleren Gängen, welche sich unter unserem alten ehrwürdigen Dome ausbreiten, verknüpft mit Märchen über dort vorgefallene grauenhafte Scenen aus dem Volksleben. Und unsere Romanschriftsteller hatten dabei um so größeren Spielraum, als die Chronisten über den Ursprung und Zweck der Katakomben sehr schweigsam waren. Ich will es hier versuchen, eine wahrheitsgetreue Darstellung dieser unterirdischen Todtenstätte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_450.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2022)