Seite:Die Gartenlaube (1872) 248.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

einen Walter Scott’schen Roman gelesen hat, wird sich hier mitten in der Situation befinden. Da ist der große Kamin, und um denselben die Sitze, auf denen sich das Schloßgesinde und die Clangenossen um das Feuer gruppiren und sich Hochlandsgeschichten erzählen, da ist der Stuhl für den House Steward, da sind alte Geräthe aller Art – aber wir können uns nicht aufhalten. Der Kaiser steigt die Treppe in die erste Etage hinan, in derselben liegen die Zimmer der Kaiserin und die an dieselben anstoßenden Repräsentations-Räume, wie der große Gesellschaftssalon, die Bibliothek, der prachtvolle, durch zwei Etagen gehende Tanzsaal, der weiße Eßsaal mit dem gewaltigen gothischen Kamin und der imposanten Deckenwölbung. Der Kaiser steigt noch eine Treppe höher, seine Gemächer liegen in der zweiten Etage. Schon die Treppenwände und Fluren der ersten und zweiten Etage wären einer eingehenden Besichtigung werth. Sie enthalten eine Sammlung der verschiedenartigsten Gegenstände, namentlich alte schöne Holzschnitzereien, Bilder, Waffentrophäen, Jagdstücke etc. – In den Räumen dieses seines Sanssouci läßt der Kaiser ungern fremde Hände walten, von all’ den Möbelgeräthen, Bildern, Nippes- und sonstigen tausend Gegenständen, die hier im Schlosse aufgestapelt sind, existirt nicht das kleinste Stück, für das er nicht den Ort angegeben hätte, wo es Platz finden sollte, und viele Sachen, namentlich die Bilder, hat er mit eigener Hand angebracht. Originell ist das Arrangement einer kleinen Galerie, die an die Vorhalle der zweiten Etage stößt; dieselbe enthält in einer reichen und mannigfaltigen Sammlung von Jagdgeweihen, von dem imposanten Stirnschmuck des Elchs, des Schauflers, des Sechszehnenders an bis herab zu dem Gehörn des schwachen Rehbocks, eine interessante und vollständige Geschichte der Jagdfahrten des Kaisers im eigenen wie in fremdem Lande. Der Kaiser ist kein Nimrod, die Hohenzollern sind überhaupt keine Jagdfamilie, wie es theilweise die Bourbonen und die Habsburger waren. Aber wenn die Blätter fallen und die dichten Herbstnebel kommen, dann zieht es ihn doch hinaus in den Wald, dann beginnt er, umgeben von einer auserwählten Waidmannsschaar, seine Jagdreisen in die Mark, nach den großen Forsten in Sachsen und Hannover, um in freier Bewegung und frischer Natur sich von den Anstrengungen seiner Tage zu erholen und wie jeder andere gute Hausvater sich seinen Braten selbst zu schießen.

Front-Ansicht des Schlosses Babelsberg.

Der vorangehende Castellan hat eine niedrige eichengeschnitzte Thür geöffnet, der Kaiser steigt einige teppichbelegte Stufen empor, er ist in seinem Arbeitszimmer. (Siehe Abbildung.) Dasselbe nimmt das oberste Geschoß eines achteckigen Thurmes ein und ist in räumlichen Proportionen gehalten, die einem derartigen Gemache das Gepräge traulicher Behaglichkeit verleihen. Die Decke bildet ein sogenanntes Sterngewölbe, die Wände sind blau und dieses Kornblumenblau, die Lieblingsfarbe des Kaisers, wiederholt sich überall, namentlich in Stühlen, Kissen, Teppichen, die von zarten Händen gearbeitet und dem Kaiser verehrt worden sind. Den Boden bedeckt ein bunter Velours-Teppich, von dem sich die weißen, gothisch geschnitzten Ahornmöbel mit den naturfarbenen Lederbezügen effectvoll abheben. Die beiden Chaiselongues des Zimmers sind aber nicht zum Ausruhen da, sie sind zum Niederlegen für Karten, Bilder, Bücher, Musikalien bestimmt, die an den Kaiser gelangen.

Für den haushälterischen Sinn desselben liefert ein kleiner Schreibschrank, der am südlichen Fenster steht, einen neuen Beleg. Da hängen um eine Säule eine Menge Bindfaden, an denen man noch die Spuren von Siegellack entdecken kann; das sind dieselben, die der Kaiser von an ihn gelangenden Packetsendungen abnimmt und zu ähnlichem Zwecke wieder verwendet. Er kann nicht sehen, wenn etwas, und wäre es auch das Geringste, das noch einem Zwecke dienen kann, unnütz weggeworfen wird. Ebenso ist es auch mit den großen Couverts, in denen die Einläufe aus dem Ministerium an ihn gelangen und die gewöhnlich die Unterschrift tragen: An des Kaisers Majestät; wenn dieselben Sachen an die betreffenden Ressorts zurückgehen, dann ist das „An“ von des Kaisers Hand ausgestrichen und an dessen Stelle „Von“ hingeschrieben und darunter die Adresse der betreffenden obersten Behörde, so daß es also heißt: Von des Kaisers Majestät an das Ministerium so und so; ebenso ist auf das erbrochene Siegel ein neues mit der Krone gedrückt.

Das Kronprinzenhaus in Babelsberg.

Ueberall in dem Zimmer sieht man auf Eigenthümlichkeiten und Details, in denen sich der Charakter des Kaisers widerspiegelt. So geht oberhalb der einen Chaiselongue aus der Wand ein eiserner Knopf, es ist ein Klingelzug; an demselben hängt ein Fähnchen von weißem Atlas, das etwa eine drittel Hand groß ist; mit Golddruck stehen auf demselben ungefähr die Worte: „Ein treuer Unterthan seinem geliebten Könige den 3. Juli 1867.“ Das genannte Datum ist der erste Jahrestag der Schlacht von Königsgrätz, und das Fähnchen hat seine kleine Geschichte. Eine wohlhabende Frau aus Schlesien wollte dem Könige in Erinnerung an die Siegesglorie jenes Tages eine Aufmerksamkeit, eine Liebe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_248.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2018)