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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Mathilde Arnemann aus Hamburg, deren ganzes Leben den Armen und Nothleidenden gewidmet war. Gleich der heiligen Elisabeth von Thüringen hat auch sie Wunder bewirkt und wie diese Rosen in Brod verwandelt. Am Pfingstabend des Jahres 1867 erschien nämlich eine Abgesandte des Himmels in einer heitern Gesellschaft, die sich in dem nahen Schönbrunn versammelt hatte, und überreichte der Frau Arnemann einen Korb, in dem unter frischen Rosen eine Sparbüchse sich barg. Mit beredten Worten forderte sie zu einer Sammlung für die zahlreichen armen Patienten in Karlsbad auf, welche außer mit ihrer Krankheit noch mit der Noth und Sorge für den Lebensunterhalt zu kämpfen haben, da die vorhandenen Anstalten nicht für alle Hülfesuchenden ausreichen. Die Sammlung ergab sofort eine ansehnliche Summe, die durch die hinzugetretene Schenkung der Frau Nanette von Harder, geborene Baronin von Stieglitz aus Petersburg und andere Wohlthäter bereits zu einer Höhe von fünfzehntausendsiebenhundertneunundachtzig Gulden angewachsen ist. Viele Leidende haben der wackern Frau Arnemann und ihren „Elisabeth-Rosen“ die nöthigen Mittel zur Cur, die liebevollste Unterstützung und somit ihre Genesung zu verdanken; weshalb wir auch den Lesern der Gartenlaube die segensreiche Stiftung dringend empfehlen. –

Außer diesen bekannten und berühmten Personen findet man in Karlsbad alle Stände, Berufsarten und Nationalitäten vertreten; gekrönte Häupter und Parvenus, Millionäre und Proletarier, Russen und Amerikaner, feurige Italiener und kalte Engländer, stolze Ungarn und versteckte Czechen, höfliche Sachsen und massive Baiern, stramme Preußen und gemüthliche Schwaben. Schon am frühen Morgen versammelt sich die ganze Gesellschaft an den verschiedenen Quellen, wo sich ein eigenthümliches, buntes Leben und Treiben bei den Klängen der berühmten Labitzky’schen Badecapelle entwickelt. In einer langen Kette, worin die Späterkommenden die letzten Plätze einnehmen, bewegt sich der öfters unübersehbare Zug im langsamen Gänsemarsch, um sich den Becher von den kleinen, sauber gekleideten Brunnenmädchen, armen Stadtkindern, füllen zu lassen; was bei schlechtem Wetter und strömendem Regen, abgesehen von der Langenweile des Wartens, keineswegs zu den Annehmlichkeiten des Bades gehört, dem leider noch immer eine anständige Trinkhalle fehlt. Zwischen jedem Becher wird eine Verdauungs-Promenade von zehn bis fünfzehn Minuten gemacht, wobei Freunde und Bekannte in leichter, den Geist nicht anstrengender Unterhaltung auf und nieder schreiten. Der Inhalt des Gespräches dreht sich meist um die Gesundheit, um die Wirkung des Brunnens, über die selbst zarte Damen mit naiver Ungenirtheit reden, eingedenk des alten Spruches: naturalia non sunt turpia.

Nach mehrstündigem Herumwandern schlägt endlich die schönste Stunde, welche den Höhepunkt des Karlsbader Daseins verkündigt. Der sehnlichst erwartete und sauer verdiente Moment ist gekommen, wo der hungrige Curgast sein Frühstück einnehmen und den classischen Kaffee mit den obligaten „Kipfeln“ genießen darf, die man sich selbst in der berühmten Manul’schen Bäckerei auf der „alten Wiese“ zu holen pflegt. Mit den rothen oder gelben Papierdüten in der Hand, worin die zarten Semmeln liegen, wandert die Menge an dem schattigen Ufer der Tepl nach dem nahen „Posthof“, oder nach dem ferneren „Freundschaftssaal“ und „Kaiserpark“, wo ihm der duftige Trank von den Händen junger Nymphen gegen ein entsprechendes Trinkgeld mit Grazie credenzt wird. An den zahlreichen sauber gedeckten Tischen sitzen Freunde und Bekannte bei ihrer „Rechten“ oder „Verkehrten“ unter den grünen Bäumen, die Damen mit einer weiblichen Handarbeit beschäftigt, die Herren die unentbehrliche Cigarre mit unbeschreiblicher Wonne rauchend. Dazu die erquickende Bergluft, der balsamische Duft der nahen Fichtenwälder, das Rauschen der kühlen Fluth, und man wird gestehen, daß es gut ist, Hütten zu bauen und länger zu verweilen.

Der Nachmittag und Abend ist ausschließlich dem Vergnügen und Ausflügen in die Nähe und Ferne gewidmet, wozu die wahrhaft entzückende Umgebung von Karlsbad hinlängliche Gelegenheit bietet. Auf herrlichen Waldwegen wandert man zu Fuß nach dem Hirschensprung oder Drei-Kreuzberg, von dem man die schönste Aussicht auf das saatenreiche Egerthal mit seinem silberglänzenden Flusse, auf das blaue Fichtelgebirge und auf die waldbekränzten Höhen des Erzgebirges genießt, während zu unseren Füßen Karlsbad selbst mit seinen weißen Häusern ruht. Weitere Partieen führen nach Dallwitz zu den prächtigen Eichen, nach Hammer, wo die berühmte Porcellanfabrik der Herren Mieg und Fischer sich befindet, die sich ebenso sehr durch ihre geschmackvollen Erzeugnisse wie durch billige Preise empfiehlt. Daselbst sind auch zahlreiche Kunsttischler, unter denen besonders der bekannte Günther durch seine kostbaren Arbeiten aus den feinsten Hölzern und seltensten Palmen einen wohlverdienten Ruf genießt. Für größere Ausflüge zu Wagen eignen sich das schön gelegene Aich mit seinem Hans-Heilingfelsen, in dem die von Marschner zu einer Oper, von Theodor Körner zu einer Novelle und von dem Dichter Vogel zu einer Ballade benutzte Volkssage einen versteinerten Brautzug sieht. Nicht minder belehrend ist die Tour nach Hauenstein und nach Gießhübel, wo sich ein renommirter Sauerbrunnen befindet, dessen Wasser mit Zucker und Wein gemischt ein dem Champagner ähnliches erquickendes Getränk giebt.

Alle diese Partieen tragen wesentlich dazu bei, die Cur durch die gebotene Bewegung und den Aufenthalt in der reinen Bergluft zu unterstützen. Vor Allem aber ist der schöne Wald mit seinem balsamischen Fichtennadelduft ein nicht hoch genug zu schätzendes Heilmittel. Leider aber sind die schönsten Bäume seit Jahren dem Verderben geweiht, indem der feindliche Borkenkäfer um Karlsbad sich eingenistet hat und die furchtbarsten Verwüstungen anrichtet, wogegen sich alle bisher angewendeten Maßregeln der Verwaltung fruchtlos erwiesen. Wir hoffen, daß es den Anstrengungen derselben noch gelingen wird, den bösen Feind und außerdem noch manche andere dringende Uebelstände zu beseitigen, wozu vor Allem der Mangel einer großen und geschützten Trinkhalle gehört. Den Fremden aber, welche nach Karlsbad zur Cur gehen, rathen wir, hauptsächlich eine angemessene Diät zu beobachten und die gebotenen Heilquellen, Zerstreuungen und Genüsse der Saison mit Vorsicht zu gebrauchen, besonders aber sich von allen Sorgen und Gemüthsbewegungen frei zu machen, so weit dies in ihren Verhältnissen nur möglich ist.

Max Ring.




Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
VII.


Viele Dichter und Denker, verehrte Frau, haben das große Räthsel der Liebe zu lösen versucht,

Worüber schon manche Häupter gebrütet,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perrückenhäupter und tausend and’re
Arme, schwitzende Menschenhäupter –

und wie verschiedenartig klingen die Lieder der alten Sappho und des neuen Mirza-Schaffy, wie anders empfindet Schiller’s Thekla die Liebe, wie anders die Heine’schen Salondamen Angélique, Diane, Hortense!

Von allen neuen Dichterworten über die Liebe hat wohl keines eine größere Verbreitung gefunden, als die bekannten Verse:

Mein Herz, ich will dich fragen,
Was ist denn Liebe? sag’!
Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag.

Ein sehr gebildetes Mädchen aus dem alten Massalia, dem heutigen blutrothen Marseille, bekehrt durch diese Zauberformel einen wilden Tectosagen zu frommeren Sitten, und seitdem ist diese „Marseillaise“ der Liebe auf allen Clavieren und in allen Herzen heimisch geworden. Zuerst vernahm man sie in einem auf allen Bühnen erfolgreich aufgeführten Schauspiel: „Der Sohn der Wildniß.“

Warum ich Ihnen gerade heute vom „Sohn der Wildniß“ spreche? Sie glauben vielleicht, ich wolle die Zeit moderner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_510.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)