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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Im Paris des Waffenstillstandes. Wir erhalten von unserem Mitarbeiter Fr. Hofmann folgenden Vorläufer eines Berichtes über das dermalige Innere der französischen Hauptstadt, in welches vorzudringen demselben schon am siebenten Februar gelungen ist:

Paris, 8. Februar 1871.     

Ich kann mir die Freude nicht versagen, Ihnen einen Brief mit dem Poststempel von Paris zu senden, damit Sie amtlich davon überzeugt sind, daß ich wirklich im Kern der Stadt bin.

Wie ich hereingekommen, erzähle ich Ihnen morgen, wenn ich ebenso wieder hinausgekommen bin. Im Bahnhof von Orleans, am östlichen Ende des Boulevard de l’Hopital, stieg ich gestern aus dem Waggon.

Schon in den mächtigen Räumen dieses Bahnhofes fühlte ich mich in Paris, und der Contrast zwischen diesen für Tausende gemessenen Hallen und der verschwindend kleinen Anzahl von Reisenden, die sich darin verloren, ließ jetzt ahnen, was Paris seinem Wesen nach sein müsse und was es in diesem Augenblick ist: ein weites Galakleid, in welchem ein abgezehrter Körper steckt. – Immer noch Versailles im Kopfe, wohin ich eigentlich gehen wollte und auch noch zu müssen glaubte, weil ich nur deutsches Thalergeld bei mir hatte, schlug ich mich links am Boulevard de l’Hopital hinab, verließ aber schließlich die mit diesem zusammenhängenden Boulevards, auf denen nur der Kleinverkehr die Trottoirs belebte, verirrte mich in ein Gassengewirre, selbst eine Rue Humboldt passirte ich, und kam endlich bei dem Quai de la Tournelle wieder heraus – mit dem ersten Blick die weltberühmte Notre-Dame begrüßend, die mit der grauen Pracht ihrer wundervollen gothischen Glieder zur Linken jenseits der Seine emporragte.

„Hier bleiben!“ rief’s in mir. Vor Allem galt es nun eine vorsichtige Geldprobe. Wie wunderlich es mir dabei erging, muß ich Ihnen sogleich erzählen. Ich fing klein an. In einem Cigarrenladen legte ich ein Fünfgroschenstück auf den Tisch und bat um einige der besten Cigarren. Eine Frau verkaufte. Kaum hatte diese mein Geldstück in der Hand näher betrachtet, so warf sie’s mit einem Abscheu weg, als wenn’s plötzlich eine Kröte geworden wäre. „Fi-donc, d’argent prussien!“ Eiligst zog ich meinen armen Verschmähten zurück und empfahl mich. – Ich mußte höher hinauf; einige Häuser weiter fragte ich nach dem Preis eines Spazierstocks; „zwei und einen halben Franken.“ Der Zufall mußte es so wenden, daß der neue preußische Thaler, den ich hier auf die Tafel legte, das noch silbern glänzende Gesicht Wilhelm’s zeigte. Der Verkäufer – er trug rothe Streifen an den Hosen – berührte diesmal die Münze gar nicht. Mit außerordentlich verständlicher Gesticulation des Abscheus bat er mich, diesen „Prussien“ vom Tisch zu entfernen. Noch schlimmer fiel mein dritter Versuch aus. Ich hatte als Kaufstück einen Regenschirm zu zwölf Franken gewählt und legte zur Bezahlung einen preußischen Zehnthalerschein hin. Ganz habe ich die schöne Rede nicht verstanden, welche die schwarzgekleidete patriotische Dame mir hielt; der Schluß lautete, daß ich mich schämen solle, ein solches Papier des Feindes in dem unglücklichen Paris verwerthen zu wollen. Eine schöne Aussicht! – Ich wußte es nun haarklar, daß ich dastand mitten in der ergrimmten Franzosenhauptstadt ohne einen Pfennig Geld in der Tasche! Die Lage war um so störender, als Hunger und Durst ihr Recht forderten. Das nächste Beste erschien mir die Rückkehr nach Vitry; auf dem Wege zum Bahnhof von Orleans traf ich jedoch mit einem jungen Manne aus Paris zusammen, der sich mir zum Führer anbot und der mich in der That aus aller Verlegenheit gerettet hat. Wir gingen zunächst in ein Speisehaus, wieder am „Boulevard de l’Hopital“, und hier setzte ich meine Geldproben mit nun gedecktem Rücken fort. Der preußische Thaler erhielt auch hier keine Gnade, als ich aber einen österreichischen Vereinsthaler vorlegte und ihn durch Wappen, Kopf und Schrift als „Autrichien“ erklärte, – da war’s etwas anders, den nahm man sofort für drei und einen halben Franken. So tief greift hier der politische Haß in den Verkehr ein.

Mein Führer hatte mir gestern Abend ein einfaches, aber reinliches Schlafstübchen verschafft; beim Erwachen heute Morgen wollte mich allerdings der Gedanke schütteln, ob das Bett nicht im Dienste des jetzt in Paris so vielfach und unheimlich geschäftigen Todes gestanden; mit einer deutschen Cigarre dampfte ich ihn fort; seit halb Acht habe ich nun Paris in seinen wichtigsten Theilen durchlaufen und das blasse Bild der alten Prachtstadt gründlich genossen. Allen, welche dieselbe in den Tagen ihres Glanzes gesehen, wird es kaum möglich sein, die Straßen, Boulevards und Quais sich ohne die zwei Hauptstücke des Pariser öffentlichen Treibens vorzustellen: ohne Pferde und ohne Fremde! – Denken Sie sich die breiten Fahr- und Reitwege der endlos langen Häuserlinien ohne das Rasseln der Equipagen eines Kaiserhofes und all der diplomatischen, militärischen, finanziellen Hof- und Haushaltungen, ohne die stattlichen Reiter und Reiterinnen, ohne die schweren Güterwagen und die rastlosen Fiacres! – Als ich im Bahnhof von Orleans gestern hier ankam, stand ein, sage ein Fiacre da, welchen sofort drei Damen in Beschlag nahmen; bis jetzt habe ich noch kein Dutzend derselben zusammengezählt. Nur die Omnibuslinien gehen wieder ihren Gang, aber jedenfalls nur in einfachster Zahl. (Eben, während ich dies in dem „Restaurant à John Bull“ in der Rivolistraße schreibe, wird draußen ein Zug von mindestens zweihundert aufgeschirrten Pferdepaaren vorübergeführt, begrüßt vom Jubel des Volks. Das wird das jetzige Straßenbild bald verändern.)

Die Luxusläden hängen zwar ihre Siebensachen aus, aber der Käufer fehlt, der Fremde mit der vollen Börse. Die Einheimischen sind in Masse nur da zu finden, wo man Nahrungsmittel verkauft, also vor den Bäckerhäusern und in den großen Markthallen. Auch die Wahlurne half heute in den verschiedenen Straßen größere Gruppen bilden; man beehrte mich mit der Ueberreichung von wenigstens einem Dutzend Wahlzetteln, die ich von allen Parteien huldvoll entgegennahm.

Aber die Zeit drängt, der Brief muß fort. Ueber meinen heutigen Rundgang das nächste Mal. Eben komme ich vom Invalidendome und vom Concordienplatz zurück. Der Eingang zu jenem war verboten, weil darin „restaurirt“ werde; mein Führer ließ mich durch einen finstern Seitengang dahin gelangen, und was ich sah, erklärt mir das Verbot: sämmtlicher Fahnenschmuck ist entfernt; die Mehrzahl waren deutsche Fahnen; man hat sie wahrscheinlich „sauvés“. Der Degen des alten Fritz ist wohl auch bereits „sauvée“. – Dagegen glänzt auf dem Concordienplatz der schwerste Verlust der Franzosen im Schmuck nationaler Trauer: die Statue von Straßburg ist ganz überdeckt mit umflorten Fahnen und Todtenkränzen! –

Da winkt das „Dejeuner“! – Mir graut vor Dir! Aber – Hunger thut weh. Also – drauf los mit Todesverachtung – Gruß! Ihr etc.


Aus einer zerschossenen Stadt. (Mit zwei Abbildungen.) Ueber die Befestigungen und über die Zerstörung von St. Denis haben wir bereits in der letzten Nummer der Gartenlaube eine so eingehende Schilderung von Friedrich Gerstäcker, welcher der Uebergabe der Stadt persönlich beigewohnt hatte, gebracht, daß wir heute füglich auf diese verweisen und das treffliche, von Wilhelm Heine hinter Fort Double couronne in St. Denis aufgenommene Bild ohne weiteren Text veröffentlichen könnten. Indessen enthält auch der Brief des Malers einige nicht uninteressante Details, und da dieselben gerade auf seine beiden Illustrationen von St. Denis und der Riesenkanone auf „la Briche“ Bezug haben, so lassen wir die bedeutenderen Stellen des Briefes hier im Abdruck folgen.

„Als ich mich,“ schreibt Heine, „St. Denis am Tage nach seiner Uebergabe näherte, empfing ich gerade den Eindruck, als ob dortselbst Jahrmarkt sein müsse, ein so reges Leben hatte sich auf allen Haupt- und Nebenstraßen entfaltet. Zweirädrige Wagen gingen und kamen, blaublousige Männer und Bauerweiber, unaufhörlich schwatzend, mit Eiern, Butter und Käse beladen, zogen zur Stadt, Soldaten fuhren Möbel und andere Hausgegenstände in dieselbe. Dagegen kamen uns eine Menge Weiber, Kinder, Mobilgarden etc. entgegen, den Spaten über der Schulter, den Korb am Arm, um rechts und links sich über die Felder zu stürzen und dort nach Möhren, Zwiebeln und Kartoffeln zu graben. Mit steifgefrorenen Fingern kehrten Andere nach stundenlanger Arbeit schon wieder heim, vergnügt, wenn ihnen das Schicksal ein paar gelblichweiß gefrorene Krautköpfe in den Weg geführt hatte, aus welchen es möglich gewesen war, noch ein paar brauch- und eßbare Theile herauszuschneiden. Eine sehr schöne, mit hohen Pappeln bepflanzt gewesene breite Straße führte mich durch das Fort Double couronne in die Stadt hinein. Vor meinem Eintritt in dieselbe konnte ich sehen, welche ungeheuern Menschenopfer ein Sturm gekostet haben würde, wenn er wirklich zur Ausführung gekommen wäre. Ungefähr fünfzig Schritte vor den Palissaden ragten aus der Erde zwei Fuß hohe Pfähle hervor, kreuzweise und durch starke Drähte mit einander verbunden; dann kamen, dicht an einander gereiht, die stärksten Kronen von festen Bäumen, Rüstern, Buchen, Akazien, die Enden spitz zugeschnitten und wiederum Ast für Ast mit Draht verbunden; hinter diesen wieder kurze Pfähle, dann breite Pfosten, mit unzähligen, die Spitze nach oben streckenden Nägeln bedeckt, ein drei Fuß breiter und sechs Fuß tiefer Wall und nun erst die Palissaden, die von der eigentlichen Festung noch immer durch einen vierzig bis fünfzig Meter breiten freien Raum und durch einen halb so breiten, aber sehr tiefen Wassergraben getrennt waren. Jetzt freilich konnte man ungehindert passiren, die Kettenbrücke war heruntergelassen und Fuhrwerk auf Fuhrwerk, Soldaten und Civilisten drängten und zwängten sich im bunten Durcheinander hinüber und herüber.

Das Fort Double couronne ist bekanntlich eine Verschanzung, welche nach hinten, nach der Stadtseite offen ist. Man kommt unmittelbar darauf in die Vorstadt. Hier sah man, in welcher prächtigen und doch wieder schrecklichen Weise unsere Artillerie gewirkt hatte. Viele Häuser waren bis auf den Boden vernichtet, kein einziges war von den Granaten verschont geblieben. Das Pflaster war aufgerissen, tiefe Löcher waren in dasselbe gewühlt. Gleich hinter dem Fort liegt die Gasanstalt mit ihren vielen mächtigen Schloten. Dieselbe hatte eine völlige Verwüstung erfahren. Einige der Essen waren überhaupt ‚gewesen‘, andere waren so zerschossen, daß sie auf jeden Fall abgetragen werden mußten, durch die eine derselben aber waren ziemlich hoch oben zwei Granaten mitten durch gegangen und zwar so schön und sauber, daß es aussah, als wären hier zwei runde Löcher mit Absicht hineingearbeitet worden.

Die prachtvolle Kathedrale hatte wenig gelitten, schlimmer war die zweite, eine kleine im romanischen Stil gegen die Seine zu erbaute Kirche, davon gekommen, sie hatte nicht weniger als fünf Granaten erhalten. Ein Bruder Geistlicher führte mich in derselben herum. Beim Abschied sagte er mir ganz demüthig eindringlich, er habe gehört, daß heute viel Speck und andere Lebensmittel herein nach St. Denis geschafft worden sei – ob ich ihm nicht ein Stücklein von alledem zukommen lassen könne, er wolle mich gerne in meiner Wohnung aufsuchen. Da ich jedoch selbst nur Gast in der Stadt war, so konnte ich dem Gesuch, gegen dessen Dringlichkeit übrigens der noch ganz stattliche Umfang des Mönchleins lebhaft sprach, nicht willfahren und mußte mich begnügen, einige heimathliche Cigarren zu spenden, die denn auch mit großem Danke und vielen Bücklingen angenommen wurden.

Nachdem ich mir die Straßen von St. Denis angesehen hatte, begab ich mich des andern Tages in das Fort La Briche, mir dessen vielgenannte Riesenkanone zu betrachten. Ich fand sie hinter dem Pulvermagazin, auf einer erhöhten Stelle im Fort, da, wo man die schönste Aussicht auf Argenteuil und auf die nach Pontoise führende Eisenbahn hat. Von artilleristischer Seite war mir gerade dieses Monstrum von Geschütz als sehr beachtenswerth bezeichnet worden. Denn, hundertachtundfünfzig Centner schwer, war es der einzige Hinterlader unter all’ den Geschützen in den Forts von St. Denis und verdiente schon darum, von den Soldaten angestaunt und bis in’s Einzelne untersucht zu werden, weil es seine riesigen ‚Zuckerhüte‘ mit großer Präcision und leider oft mit verheerender Wirkung auf die deutschen Stellungen geworfen hatte.“


Berichtigung. In einem kleinen Theile der Auflage von Nr. 7 der Gartenlaube ist ein Druckfehler stehen geblieben, der durch die verschiedenen Sätze entstand. Der in dem Artikel „wie Mühlhausen französisch wurde“ vorkommende Name muß „Souvestre“ – nicht „Sauvestre“ gelesen werden.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_156.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)