Seite:Die Gartenlaube (1870) 156.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

uns in trostloser Oede und Einsamkeit, kein lebendes Wesen zeigte sich; wir waren in der weiten Leere ganz allein. Unser schöner Schooner war ein vollständiges Wrack geworden, schwerfällig wie ein todtes Wesen rollte er im Wasser und dann und wann leckte in der Mitte eine gierige Welle über ihn hin. Wir gingen daran Nothmasten aufzurichten und alle die nothwendigsten Arbeiten zu vollenden, um den Schooner wenigstens wieder in unsere Gewalt zu bekommen. Es begann unterdessen wieder zu blasen mit allen den Anzeichen eines langwierigen, wenn auch nicht heftigen Sturmes. Unsre Arbeit wurde rasch gefördert und am Abend hatten wir das Mögliche gethan. Das Fahrzeug hielt sich wacker, und da uns keine Gefahr mehr drohte und wir vollständig aufgebraucht waren, begaben sich die Leute zur Ruhe.

Am Steuer lehnend wachte ich in trüber Sturmnacht; der treue Hund des Capitains hatte sich schmeichelnd zu mir gesellt und war mein einziger Gefährte. Ringsumher lagerte Finsterniß, nicht einmal ein Stern glänzte vom Himmel herab; vor mir im engen Gehäuse schwankte der Compaß bei mattem Lampenschein, träumend blickte ich in die kleine Flamme. Wie ganz anders mochte es jetzt in der Heimath sein; in behaglichen festlich geschmückten Räumen standen glückliche Eltern, tummelten sich fröhliche Kinder um den grünen, strahlenden Baum, überall Lust und Freude, – es war ja Weihnachtsabend. – Und wer gedachte wohl meiner todten Cameraden? Wo auf weiter Erde schlug für sein fernes Kind ein treues Mutterherz? Vielleicht wurde eben jetzt der Name des Theuren genannt und jubelnde Schwestern und Brüder gedachten seiner, was er bringen würde von fremden schönen Ländern, wie er erzählen würde vom tiefen Meer, vom grausigen Sturm; – und der, den sie liebten, sollte niemals wiederkehren. Das Meer giebt seine Todten nicht heraus.

Das schöne Schiff, dieses stolze Gebäude des Menschen und die Wiege so vieler Hoffnungen und Wünsche, gestern noch leicht dahinsegelnd, liegt heute als hülfloses Wrack in Wind und Wellen. Der kühne Seemann, Sehnsucht im Herzen und mit frischer Zuversicht nach der Heimath eilend, findet die ewige Ruhe in dem unersättlichen Grabe des Meeres; nicht Hügel noch Stein bezeichnen die Stätte, keine fromme Rede macht sein Scheiden zum Ereigniß, – aber das Brausen des Sturmes, der Donner der Brandung, die majestätischen Wogen des Oceans singen ihm ein Sterbelied, so schaurig, so erhaben, daß Menschenwitz verstummt.

M. E. P. 




Land und Leute.

Nr. 32. Eine Hochzeit im Spreewalde.

In eigenartiger Romantik liegt dort, wo in der Niederlausitz die Spree ihren Unterlauf beginnt, ein ausgedehntes Wald- und Wasserlabyrinth, der sogenannte Spreewald, der sich über den etwa drei Quadratmeilen großen ovalförmigen Landstrich zwischen Lübben und Fehrow erstreckt. Die Spree, das „bescheidene Veilchen unter den Flüssen“, wie Heinrich Laube sie nennt, findet nämlich, aus den großen Spremberger Forsten herausgetreten, eine Ebene von so geringer Neigung, daß ihr Abfluß erschwert und sie genöthigt wird, sich in Hunderte von Wasseradern aufzulösen, welche, ebenso viele Namen führend, durch die Niederung schleichen und dieselbe in ein Inselland verwandeln.

Nicht mit Unrecht ist der Spreewald als das „landschaftliche nordische Venedig“ bezeichnet worden; denn gleich der Lagunenstadt ist er von zahlreichen Canälen durchschnitten, und wie dort die Gondel, so vermittelt hier das primitive Fahrzeug mit dem ominösen Namen „Seelenverkäufer“ den Verkehr.

Was das „Schiff der Wüste“ für den Araber ist, das ist der „Seelenverkäufer“ für den Spreewäldler. Man könnte fast sagen, er ist auf dem Kahne geboren und lebt und stirbt auf demselben. Diese Kähne sind nicht etwa elegante Fahrzeuge, sondern ziemlich roh zusammengefügt, oder bestehen wohl gar nur aus einem ausgehöhlten Baumstamme. Sie schlagen leicht um, und daher soll ihr seltsamer Name seinen Ursprung herleiten. Der Reisende, der das nordische Venedig besucht, darf sich ihnen indeß ohne Bedenken anvertrauen; denn die Spreewäldler insgesammt verstehen diese einfachen Fahrzeuge mit der außerordentlichsten Geschicklichkeit zu führen, einer Geschicklichkeit, die einzig und allein durch die tägliche Uebung von Jugend auf erworben werden kann. Es hat schon mancher vorwitzige Fremdling, der mit Ruder und Kahn sonst trefflich umzugehen versteht, seinen unfreiwilligen Sprung in’s Wasser machen müssen, und man hat sich beinahe daran gewöhnt, sich als Fremder überhaupt in dieses Loos zu fügen; es ist im Umgange mit diesen „Seelenverkäufern“ landläufiges Sprüchwort: „jeder Nichtwende muß wenigstens einmal dabei die Bekanntschaft mit dem Naß unter seinem Boden machen – gleichviel wann – er entgeht diesem Geschick nicht; dann aber ist er gefeit.“ –

Im obern Spreewalde, den wir hier vorzugsweise vor Augen haben, finden alle Geschäfte, die sonst zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen abgemacht werden, ihre Erledigung zu Kahn. Wer Jemand besuchen oder dem Gottesdienste beiwohnen will, bedient sich des „Seelenverkäufers“. Der Kahn trägt Leben und Tod. Er führt die Pathen mit dem Täufling zur Kirche, wie den Leichnam des Verstorbenen zum Gottesacker. Ein rührender Anblick – eine solche Leichenbestattung, wenn dem Kahne mit dem Sarge in düsterm traurigen Schweigen die Kähne mit den Leidtragenden folgen!

Die Bewohner des Spreewaldes sind Wenden, Enkel jener heidnischen Wenden, welche in dem ehemals undurchdringlichen Bruchwalde eine Zufluchtsstätte fanden, als sie, nach riesenhaften Kämpfen, von dem siegenden deutschen Element nach Osten gedrängt wurden. Es ist ein prächtiger Menschenschlag, die Männer schlank gewachsen, doch kräftig, die Frauen wohl proportionirt. Letztere haben meist ein städtisches Ansehen. Das Gesicht ist schmal, Nase und Mund wohlgebildet, der Teint zart. Es ist allgemeine Sitte der Frauen, den Kopf durch ein großes Tuch, das in mannigfachen Formen umgelegt wird, zu verhüllen. Es ist hierdurch erklärlich, daß die jugendliche Frische der Haut und das herrliche Incarnat der Wangen ungemein lange conservirt wird. Die Augen sind meist dunkel und lebhaft. Während die Männer der nationalen Tracht entsagt haben, wird sie von den Frauen beibehalten; doch zeigt fast jedes Dorf kleine Unterschiede in derselben. Nach den gewissenhaften Studien eines Touristen und den Angaben anderer Forscher trugen die Frauen aus Leipe und Lehde als Sonntagsstaat gestickte Häubchen mit gebrannten Kragen an denselben, die von Boblitz rothe, nach Art der türkischen Fez gelegte Tücher; wieder andere tragen Tücher, deren Seiten hinten dreieckig herunterfallen und in Büschel enden. Besonders malerisch nehmen sich die graziösen jungen Wendinnen unter diesen großen Tüchern aus, welche auf dem Kopfe zu einem Knoten geschlungen zu werden pflegen, durch welchen rechts und links die Enden wagerecht vom Gesicht abstehen. Diese Tracht ist origineller und lebendiger, als jene Kragen selbst, deren wir oben erwähnten und welche meist nur bei feierlichen Gelegenheiten sichtbar werden, während jenes Knotentuch alltägliche Tracht ist. Seine Hauptgeltung erlangt es namentlich zur Zeit der Märkte, welche die jungen Schönen zu Hunderten, besonders in der Stadt Cottbus, vereinigt. Es ist dann für den fremden Besucher ein artiger Anblick, dieses Meer von grellen verschiedenen Farben und Trachten wogen und die reizenden Frauengestalten hin und her ziehen zu sehen und zu hören, wie sie mit wohlklingenden, sanften Stimmen in ihrem wendischen Idiom miteinander verkehren. Letzteres ist noch immer bei ihnen vorherrschend und ihre Zungenfertigkeit darin groß. Das Deutsch-Sprechen und -Schreiben wird zwar in ihren Schulen vornehmlich gelehrt, aber ungern und nur im Umgange mit Nichtwenden, dann aber in überraschender grammatikalischer Richtigkeit geübt. Das „H“ macht ihnen die meiste Schwierigkeit und es giebt einen komischen Klang, wenn sie es zu Unrecht anwenden oder weglassen und zum Beispiel „Henten“ statt „Enten“ und „Eu“ statt „Heu“ zum Kauf ausbieten. –

Auch in der Farbe der Röcke sowie der Besätze waltet einige Verschiedenheit; die rothe Farbe ist jedoch vorherrschend. Ueber dem rothen Rocke mit blauen Streifen um denselben wird eine weite blaue Schürze vorgebunden, an der nur das Einzige etwas unkleidsam ist, daß sie länger ist, als der Rock. Alle Frauen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_156.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)