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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

die gute Frau Doctorin und den erwähnten jungen Engländer schon im Flur unser wartend fanden.

„Ick war sähr mude,“ drückte aber bald mein lebhaftes „pleasure“ aus, Jemand zu finden, „who could speak English“, als sie Beide mich in dieser Sprache anredeten, und wurde, auf das Drängen des Doctors sofort zur Treppe hinauf und zu Bett gebracht, wobei der kräftige junge Englishman hülfreiche Hand leistete. Bald waren wir allein, d. h. der Doctor, seine Frau und ich, und nach kurzer Unterhaltung fühlte ich, daß ich Ursache hatte, meinen Freund Flügel und mein Geschick zu segnen, das mich in den Schooß einer so lieben und guten Familie gebracht, einer Familie, welche lange Uebung in solchen Werken der Barmherzigkeit hatte. Denn sie waren nicht nur gut, sondern auch klug und schweigsam, da während eines Aufenthalts von mehr als sechs Wochen auch nicht ein Hauch von meiner Anwesenheit nach außen hin verrathen wurde, ja meine Gegenwart sogar den vom Doctor absichtlich in’s Quartier genommenen preußischen Soldaten gänzlich verborgen blieb.

Rittler hielt es für das Beste, daß ich bei ihm blieb, bis meine Knochen wieder zusammengeheilt und die Wachsamkeit der Polizei nachgelassen haben würde. Und so richtete ich mich denn häuslich ein, und zwar in einem kleinen Gartenzimmer, das einen von Laubwerk versteckten Ausgang nach dem etwas hochgelegenen Garten und einen andern nach innen hatte, der leicht durch einen Kleiderschrank versetzt werden konnte. Das einzige Fenster ging in den Hof und war theilweise von Weinlaub verborgen, so daß man von außen nicht herein sehen konnte, während ich das Vergnügen hatte, die preußischen Pickelhauben auf ihren Pflöcken an einer gegenüber befindlichen Galerie zu betrachten, wenn ich Neigung dazu fühlte. Ich fand unter diesen Umständen die Kraft, mich mit einer literarischen Arbeit zu beschäftigen, die ich später in Brüssel an den Mann brachte und die noch jetzt zahlreiche Käufer findet.

Durch den Doctor und einige politische Freunde, welche er vorsichtig bei mir einführte, erhielt ich Nachricht von den Ereignissen im Süden Deutschlands und von dem Verfahren gegen unsere Freunde in Sachsen. In den ersten Tagen kamen viele Flüchtlinge durch Altenburg, von denen hin und wieder einer von Doctor Rittler verbunden oder auch in der Umgegend versteckt wurde. Er freute sich immer königlich, wenn er einmal wieder Jemand durchgebracht hatte, und erzählte mir wohl auch von Flüchtlingen einer früheren Zeit, denen er selbst mit Geld oder in dessen Ermangelung mit ihm werthen Kleinodien fortgeholfen und von denen er nicht selten mit Undank belohnt worden. Mit Vergnügen erinnerte er sich des General Bem, den er an einer Schußwunde behandelt und dessen ihm geschenkten Siegelring er am Finger trug und noch heute trägt. Als er ihm eine Kugel aus dem Rückgrate zog und ihn bat, ihm diese Kugel zum Andenken zu lassen, erwiderte der General: „Behalten Sie sie, behalten Sie sie; ich werde schon mehr bekommen.“

Um die Polizei von meiner Fährte zu bringen, schrieb ich gleich in den ersten Tagen einen Brief an meine Frau, den ich an ein befreundetes Parlamentsglied in Frankfurt schickte, mit der Bitte, ihn dort auf die Post zu geben. Ich zeigte meiner Frau darin an, daß ich glücklich in Frankfurt angekommen und im Begriff stehe, nach Baden abzureisen, wo mir ein Commando angetragen worden sei. Meine Wunde am rechten Fuße habe nicht viel zu bedeuten. Der Brief wurde natürlich geöffnet, und bald darauf sah ich aus meinem Steckbrief, daß ich am rechten Fuße durch einen Schuß leicht verwundet sei. Jener Steckbrief enthielt zweiundzwanzig der am meisten gravirten Namen, unter denen ich mich nicht zu schämen brauchte, da Männer wie Richard Wagner, Professor Semper, Dr. Köchly, Regierungsrath Todt, Leo von Zichlinski, Marschall von Biberstein etc. darunter waren.

So gut unsere Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, so war ich doch weit entfernt, mich vollkommen sicher zu fühlen. Meine Briefe an meine Frau gingen durch die Hände einer vertrauten Freundin aus den hohen aristokratischen Kreisen Dresdens und die ihrigen durch die des Consuls Flügel in Leipzig. Erst später war ich genöthigt, in ersterer Beziehung eine Aenderung eintreten zu lassen, „da die Dame manchmal verreiste“. Wie leicht war es möglich, daß ein Brief in unrechte Hände gerieth, oder eines von den Paketen mit Wäsche und anderen Bedürfnissen, welche an mich geschickt wurden, meinen Aufenthalt entdeckte! Allein nicht nur auf directem, sondern auch auf indirectem Wege drohte mir Gefahr.

Rittler hatte mehrere der Dresdner Flüchtlinge in der Nähe von Altenburg versteckt, die er häufig besuchte. Unter ihnen befand sich auch Todt. Plötzlich erhielt Rittler aus Leipzig Nachricht, daß man Todt in seinem Hause vermuthe und eine Requisition an das Altenburger Stadtgericht kommen werde, um nach ihm zu suchen. Ich drang darauf, daß der Doctor sofort nach Leipzig reiste und nähere Nachrichten einholte. Schon am Abend brachte er diese: Todt hatte an einen seiner Freunde, den geheimen Rath W., geschrieben und ihm eine Rechtfertigungsschrift zugesandt, deren Inhalt er den Freund bat dem Minister mitzutheilen und ihm so eine straffreie Rückkehr anzubahnen. W. übergab die ganze Geschichte dem Minister, und während man Todt längst in Baden oder der Schweiz geglaubt, wußte man nun, daß er sich noch in der Nähe befand, und ergriff sogleich Maßregeln, seiner habhaft zu werden. Eine Haussuchung bei Rittler konnte nun zwar nicht Todt, aber wohl mich zu Tage fördern, weshalb Alles geschehen mußte, um sie zu verhüten, da es kaum möglich war, mich selbst ohne Aufsehen fortzuschaffen.

Mein Entschluß war schnell gefaßt: Ich dictirte meinem Sohne einen Brief in die Feder, durch welchen der Schreiber den Doctor Rittler ersuchte, irgend an ihn kommende Briefe (unter Couvert) an eine bestimmte Adresse in Frankfurt zu schicken, und in welchem er die Hoffnung aussprach, daß ein alter Universitätsfreund ihm gern den erbetenen Dienst leisten werde. Der Brief wurde mit dem Universitäts-Spitznamen des Regierungsraths, „Pascha“, unterzeichnet, mit einem T, das zufällig vorhanden war, versiegelt, adressirt, ein wenig schmutzig gemacht und wieder aufgebrochen.

Mit diesem Briefe ging der Doctor früh am Morgen zum Stadtrichter und theilte ihm mit, daß er erfahren, er werde wegen eines unbedeutenden Gefallens, welchen er dem sächsischen Regierungsrathe Todt gethan, in polizeiliche Ungelegenheit gerathen. Er komme also lieber gleich freiwillig zu ihm, um ihm den Hergang mitzutheilen. Er habe den gegenwärtigen Brief vor Kurzem erhalten und in Folge der an ihn ergangenen Bitte zwei oder drei Briefe nach Frankfurt befördert, und das sei die ganze Verbindung, in welcher er mit Todt gestanden, von dem er nicht wisse, ob er noch in Frankfurt oder weiter gegangen sei. Der Stadtrichter freute sich sehr über die Mittheilung, bat den Doctor, mit nach dem Stadtgericht zu kommen, um sie zu Protokoll zu geben, und entließ den Maleficanten mit freundlichem Dank. Er mußte ja nun sehen, wie Alles zusammenhing, und konnte durch sofortige Beantwortung der Requisition – die allerdings noch im Laufe des Tages ankam – seinen Eifer und seinen Scharfblick beweisen. Wir aber waren sicher vor der Haussuchung, da man, selbst wenn man der Angabe Rittler’s keinen Glauben geschenkt hätte, voraussetzen mußte, daß gewandt, wie er es war, er seinen Todt längst aus dem Hause geschafft haben würde, ehe die Polizei ihren Eintritt daselbst machte. Rittler beeilte sich natürlich hierauf, Todt aus seinem Versteck zu entfernen, und brachte ihn auch glücklich fort nach der Schweiz, wo der Arme bald darauf starb, seine Familie in traurigen Verhältnissen zurücklassend. Es ist bekannt, daß Todt, so wie Heubner, einer der Triumvirn war, welche während der Maitage die provisorische Regierung darstellten. Rittler bemerkte, daß er fortan jedesmal, wenn er eine solche Expedition auf das Land machte, von der Polizei scharf beobachtet wurde, welche er indeß immer zu täuschen wußte.

Mein Bein machte mittlerweile unter den nassen Compressen gute Fortschritte, so daß ich versuchen durfte – wenn die Lust rein war – mit Hülfe von Krücken ein wenig in den Garten zu hinken und dort der so lang entbehrten Sonne zu genießen. Ein oder zwei Mal wäre ich indessen beinahe erwischt worden: das erste Mal von unserer Einquartierung und das andere Mal von der Frau Minister S–b, die nebenan wohnte und manchmal einen nachbarlichen Besuch im Garten machte. Beide Male waren die betreffenden Thüren aus Versehen nicht verschlossen worden.

Um jene Zeit machte mir mein theures Weib die Freude, in Gesellschaft Consul Flügel’s mich zu besuchen. Es war ein Wiedersehen und zugleich ein Abschied, vielleicht ein Abschied für immer; denn ich war fest entschlossen, mich eher zu erdolchen als mich fangen zu lassen, und hatte das Todeswerkzeug deshalb Tag und Nacht zur Hand. Ich will nicht versuchen meine Gefühle zu

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