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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Der Beherrscher eines Kleinstaates.[1]


Wenn wir den bereits mitgetheilten Zügen und Scenen aus dem Leben und Wirken Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten noch eine zweite, einer anderen Feder entflossene Charakterschilderung desselben folgen lassen, bedarf es wohl kaum der Versicherung, daß wir damit der Persönlichkeit dieses einstmaligen Regenten eine geschichtliche Bedeutung nicht beilegen wollen. Dennoch ist es nicht blos ein psychologisches Interesse, nicht blos das Ergötzen an einer charakteristischen Figur, wodurch die Gestalt des Mannes unserer Aufmerksamkeit sich nahe legt, sondern vor Allem doch der Umstand, daß dieser Sonderling nicht ein Privatmann, sondern unter dem Schutze des hohen Bundestages der unumschränkte Beherrscher eines Landes, daß das Wohl und Wehe von immerhin vierundzwanzigtausend menschlichen Wesen den verkehrten Anschauungen und Begriffen, den willkürlichen Einfällen, Leidenschaften und Launen eines solchen Menschen anheimgegeben war. Vierundzwanzigtausend sicher zum großen Theile gesittete und gebildete Deutsche standen schutzlos und ohnmächtig seinem oft unzurechnungsfähigen Willen gegenüber, mußten ihm Treue und Gehorsam schwören, sich der Liebe und Ehrfurcht gegen ihn befleißigen, vor ihm im Staube kriechen, für ihn nöthigenfalls in den Tod gehen, bei jeder Beschwerde über ihn, jedem Tadel oder jeder Auflehnung gegen ihn die Strafe der Majestätsbeleidigung oder des Hochverraths erwarten und in den Kirchen dem lieben Gott an jedem. Sonntage für das Glück danken, von einem solchen Fürsten beherrscht zu werden!

Die Kleinheit eines Gemeinwesens ist an sich kein Uebel, sondern kann unter Umständen ein Vorzug und eine Bürgschaft glücklicher Zustände sein. Nicht in ihrem geringen Umfange liegt das Unglück der kleinen Staaten, sondern in der bisherigen Unverantwortlichkeit ihrer Gewalthaber, die nach oben durch keine Schranke ihres Beliebens, von unten her nicht durch eine imponirende Volkskraft in Schach gehalten werden. Selbst in einem absolutistisch regierten Großstaate ist ein Despotismus nicht möglich, wie er bei einigem guten Willen von den souveränen Fürsten kleiner deutscher Staaten und ihrem Anhange von Bedienten und Schmeichlern noch vor nicht allzulanger Zeit im hellen Tageslichte des neunzehnten Jahrhunderts verübt zu werden vermochte.

Möge man daher in dieser Beziehung Heinrich den Zweiundsiebenzigsten nicht als eine zu starke Abnormität und Ausnahme betrachten. Was bei ihm in so auffallenden Formen zu Tage getreten, wird von jedem Kenner deutscher Zustände nur als der schiefe, verschrobene, barock-originelle, aber durchaus consequente Ausdruck gewisser specifischer Anschauungen, Neigungen und Charaktereigenschaften erkannt werden, wie sie die ganze Erziehung und Stellung vieler kleiner Fürsten, namentlich der Widerspruch zwischen ihrer großen Bedeutungslosigkeit nach Außen und einer fast gottähnlichen Macht nach Innen auch an andern deutschen Höfen in den verschiedensten Gestalten erzeugen mußte. Mit wenigen Ausnahmen – die weisen und trefflichen unter ihnen werden uns dies zugestehen – sind die kleinen Fürsten und ihre Familienmitglieder extravagante Menschenkinder mit scharf ausgeprägter Seltsamkeit gewesen. Und wenn irgendwo, so liegen in der neuern Geschichte dieser Familien und ihrer Länder noch ungehobene und unenthüllte Schätze von interessanten Geheimnissen, merkwürdigen Beiträgen zur Geschichte deutscher Cultur, deutschen Elends und auch deutschen Gemüths und Humors, welche die schriftstellerischen Kräfte der verschiedenen deutschen Länder dem Publicum nicht vorenthalten sollten. Möchten unsere Artikel über den letzten Ebersdorfer hierzu eine Anregung und ein erster Anfang sein.

Was wir dieses Mal über denselben mittheilen, ist wörtlich aus den noch ungedruckten Denkwürdigkeiten eines ehemaligen königlich sächsischen höheren Staatsbeamten entlehnt, welcher sich im Sommer 1848 längere Zeit in politischen Missionen in den reußischen Fürstenthümern aufgehalten hat.

Der Charakter des Fürsten Heinrich des Zweiundsiebenzigsten stellte sich als kalt-egoistisch dar und in der Stellung, welche der Fürst einnahm, mußte er daher als in hohem Grade hochmüthig erscheinen. Dazu kam ein heftiges, reizbares Temperament, welchem er die erforderlichen Zügel anzulegen weder Lust noch Kraft hatte. Er gehörte zu den Willensschwachen, welche sich mit den Worten: „Ich bin nun einmal so!“ für alle Unziemlichkeiten hinlänglich entschuldigt und darauf hin das Recht zu haben, glauben, sich fernerhin nach Belieben gehen zu lassen. „Ich bin zu nervös,“ sagte er selbst sehr häufig von sich und ahnte nicht, daß er sich, als Regenten, damit selbst das Urtheil sprach. Sein Hochmuth zeigte sich gleich von seinem in noch jungen Jahren erfolgten Regierungsantritte, 1824, an in den von ihm erlassenen Verordnungen, in deren Eingange er sich stets als regierenden und souverainen Fürsten bezeichnete, was früher nie üblich gewesen war (wenigstens nicht in der jüngeren reußischen Linie).

Der Gedanke an seine Souverainetät verfolgte ihn bei allen seinen Handlungen und verleitete ihn zu unverantwortlichen Dingen. So sagte er einmal zu einigen Soldaten, welche auf der Jagd als Treiber benutzt worden und ungeschickt gewesen waren: „Ihr Kerls glaubt wohl, ich brauche erst Jemand, um Euch todtschießen zu lassen? Hier ist mein Schrotgewehr (den Hahn aufziehend) und mit dem will ich Euch so viel Blei in den Leib jagen, daß Ihr genug haben sollt!“ Häufig ließ er die Aeußerung hören: „Der Kaiser von Oesterreich ist auch nicht mehr, als ich!“ Im März 1848 hatte er von der Absicht gesprochen, nach Frankfurt zu gehen, um sich als deutschen Kaiser ausrufen zu lassen, und nur die Erinnerung seiner Umgebungen an seinen „nervösen“ Zustand hat ihn von der Idee wieder abgebracht.

Wiederholt hatte er in der letzten Zeit Werth darauf gelegt, daß er seit dreizehn Jahren damit umgegangen sei, den Ländern der jüngeren Linie eine Repräsentativ-Verfassung zu geben, und daß nur sein Vetter, Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste zu Schleiz, dazu nicht seine Einwilligung habe geben wollen; soviel ich jedoch habe in Erfahrung bringen können, mag auch die Verfassung nicht eben die liberalste gewesen sein. – Sein Hochmuth und sein kalter Egoismus mußten natürlich diejenigen zumeist treffen, die ihm am nächsten standen, die Hofdienerschaft, die Beamten und die Officiere.[2] Es ist unglaublich, wie viel und oft mit welchem Gleichmuthe sich die Leute von ihm gefallen ließen. Einen alten Diener, der schon bei seinem Vater Tafeldecker gewesen war, schlug er einst mit der geballten Faust auf’s Auge, daß dasselbe schwarzblau unterlief. Den folgenden Tag wollte er ihn nach Lobenstein schicken, der alte Mann sagte aber: „Nein, das will ich Ew. hochfürstlichen Durchlaucht nicht zu Leide thun, denn käme ich nach Lobenstein, wo die Leute wissen, daß ich nicht der Mann bin, der sich in den Schänken herumprügelt, so sähen sie gleich an meinem Auge, daß Ew. Durchlaucht mich geschlagen hätten, und ich möchte doch nicht gern, daß sie das erführen.“

Seine Beamten und Officiere haben erst, seitdem er sich aus dem Lande entfernt hatte, frei aufgeathmet und behaupteten im Scherze, die in seiner Nähe verlebten Jahre müßten ihnen als Campagnejahre doppelt angerechnet werden. Er hat fast nie einen Tadel anders als ehrenrührig ausgesprochen und Bezeichnungen als Hochverräther und dergleichen sind nicht selten vorgekommen. Dabei hat er ihnen sehr häufig gesagt: „Glauben Sie, daß ich einen Beamten halten würde, wenn ich seinetwegen beim Volke in Verlegenheit käme?“

Dem Oberforstrath W. zu Gera, der sich lediglich im fürstlichen Interesse beim Volke mißliebig gemacht hatte, war von ihm, als es den Anschein gehabt, man wolle seinethalben einen Auflauf erregen, ein abgerissenes Stück Papier mit den Bleistiftworten zugeschickt worden: „Wenn Sie nicht ein Capitalvieh sind, so machen Sie, daß Sie fortkommen!“

Der Lieutenant Baron von S. hatte im Jahre 1847 sechsunddreißig bange Stunden neben seiner Frau während einer sehr schweren Entbindung derselben zugebracht und nach deren Erfolg einige Stunden geschlafen. Plötzlich wird er geweckt: er soll sogleich zum Fürsten kommen. Als er bei diesem eintritt, wird er von ihm angefahren:

  1. Die nachstehenden interessanten Mittheilungen aus den Denknissen eines höheren sächsischen Beamten werden zu Ergänzung unserer Skizze „Der Beherrscher eines deutschen Kleinstaates“ in Nr. 38 unsers Blattes dienen.
    D. Red.
  2. Daß auch seine eigene Familie davon nicht verschont blieb, beweist der Umstand, daß er gegen den Schleizer Fürsten unbedenklich sagte: „Die Verheirathung dessen Bruders mit seiner (des Ebersdorfer Fürsten) Schwester sei für Letztere eine Mesalliance!“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_806.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)