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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Klopfer sich mit einer ordentlichen Reiselegitimation versieht. Ohne eine solche geht der Klopfer nicht über das Weichbild seines Ortes hinaus, denn er weiß, daß er dann ohne Weiteres seiner großen Gegnerin, der Polizei, verfallen ist. Zweitens sucht derselbe stets den Schein sich zu bewahren, daß er draußen nicht vom Mitleid, sondern von der Arbeit gelebt habe, weil dies namentlich wiederum dazu beiträgt, ihn bei der Polizei in ein gutes Licht zu stellen und ihm immer von Neuem zu einem Passe zu verhelfen. Er macht sich daher auch immer zum Träger eines Gewerbes und wählt dazu namentlich eines der unzünftigen Gewerbe, was einen nach der alten Zunftordnung nothwendigen Befähigungsnachweis nicht erforderte. Er erschien und erscheint demnach als Gärtner, Korbmacher, Siebmacher, Bierbrauer, Büttner, Weißbinder (Tüncher). Es fällt ihm aber nicht ein, in einer dieser Professionen zu arbeiten. Das verstieße zu sehr gegen die Hauptgrundsätze des Ordens. Er legt vielmehr blos seinen Paß oder sein Wanderbuch „auf Arbeit“, d. h. er legt ihn bei einem ihm bekannten wirklichen Meister in der Nähe seines Heimathsorts nieder und läßt sich nach einiger Zeit gegen ein gutes Honorar von demselben bescheinigen, daß er während der Zeit bei ihm gearbeitet hat. In Wahrheit hat er aber zu Hause gesessen, – ein Manöver, welches übrigens zur Zeit des Wanderzwangs auch von gewissen die Fremde fürchtenden Muttersöhnchen exercirt worden ist. Mit diesem Arbeitszeugniß, das ihn günstig legitimirt, versehen, tritt er nun seine Arbeits-, d. h. Klopfer-Tour, an. Dies Verfahren hat freilich noch den großen Uebelstand, daß der Klopfer einen großen Theil des Jahres, während der Arbeitszeit seines Passes, zu Hause verbringen muß, während er – auch für ihn ist Zeit Geld – diese Zeit nützlich verwerthen könnte. Sein Trachten geht daher dahin, sich in den Besitz einer zweiten Legitimation zu setzen.

Dies bewerkstelligt er dadurch, daß er bei einer Behörde, bei welcher er kurz vorher visirt, also den Besitz eines Passes documentirt hat, erscheint und angiebt, er habe seinen Paß verloren. Diese vermittelt ihm im günstigen Falle dann einen neuen und macht ihn dadurch zum glücklichsten der Sterblichen. Er legt nun den einen Paß auf Arbeit, während er mit dem anderen klopft, und wechselt damit in kürzern Zeiträumen ab. Dadurch erhält er in beiden Pässen Arbeitszeugnisse auf das ganze Jahr und hat doch keine Stunde gearbeitet. Er steht auf der Höhe der Kunst; er verdient doppelt so viel wie die nur einpässigen Brüder und kann zur Kirchweih, wo die ganze Cameradschaft daheim ist, schon etwas mehr aufgehen lassen.

Man kam aber auch auf ein noch gewöhnlicheres Auskunftsmittel, man machte selbst Pässe oder Arbeitszeugnisse. Es zweigte sich zu diesem Geschäfte eine besondere Fraction ab. Förmliche Paßfabriken entstanden, deren Leitung namentlich heruntergekommene Kanzlisten übernahmen. Sie arbeiteten gewöhnlich in den Dachstuben der ansässigen Klopfer. Ihre von dem Klopferhandwerk gesonderte geheime Kunst vervollkommnete sich mehr und mehr und mußte ebenso gelernt werden, wie das Klopfen. Man fertigte falsche Petschafte von Thon, Gyps, Blei, wußte sich von alten Urkunden Oblatensiegel zu verschaffen, die man auf die Pässe aufklebte, beizte die Siegel mit Bleistift durch ölgetränktes Papier. Mit diesen Helfershelfern wurde dann der auswärts erklopfte Verdienst getheilt.

Das eigentliche Klopferhandwerk ist kein so leichtes. Es verlangt Gewandtheit und Menschen-, auch Localkenntniß. Daher reist der jugendliche Klopfer eine Zeit lang erst mit einem älteren, der ihn anlernt und mit den Kniffen und Pfiffen des Handwerks vertraut macht. Die auf das stete Ausweichen der Sicherheitsbehörden gerichteten Handwerksregeln verbieten namentlich dem Lehrling die Ausübung des Handwerks in den Städten. Seine Sporen muß er sich auf dem Lande, wo die Polizei weniger wacht, bei gutmüthigen, einfältigen Bauernfrauen verdienen. In den Städten, wo das Handwerk allerdings lohnender ist, wird nur von ausgelernten Meistern geklopft.

Da gilt als Regel, daß nur in der Mittagsstunde, wenn die Polizei, wie andere Menschen, zu Tische sitzt, geklopft wird. Mit wahrhaft organisatorischem Talente wird dann die Stadt in mehrere Bezirke vertheilt, diese den Einzelnen zugewiesen und nun im Sturmschritt Haus um Haus der Straße entlang genommen.

Die Lehrlinge sind verpflichtet, dem Meister den erklopften Verdienst ganz oder theilweis als Lehrgeld abzuliefern; im erstern Falle erhalten sie einen Wochenlohn. So lautete die Aussage eines vor nicht langer Zeit protokollarisch vernommenen jugendlichen Klopfers: „Der Andreas L. sagte mir, ich solle mit in die Fremde gehen. Er wolle mir wöchentlich zwei Thaler geben mit der Bedingung, ihm alle Abende das am Tag über erklopfte Geld abzuliefern. Ich war einverstanden und wir gingen nach der Kirmß’ fort in’s Sächsische. Nach drei Wochen waren wir in Leipzig. Die nöthige Anweisung zum Klopfen und die Orte, welche ich passiren mußte, sowie der jedesmalige Sammelplatz wurden mir immer von L. angegeben. Als ich wieder fort wollte, bot er mir wöchentlich zwei und einen halben Thaler.“

Man sieht schon daraus, daß das Geschäft seinen Mann nährt. Nach actlichen Ermittelungen hat Einer in elf Wochen einundzwanzig Thaler, ein Anderer in acht Wochen fünfzehn Thaler verdient. Der Verdienst eines Klopferzugs wurde früher, als das Handwerk noch mehr blühte, besonders als man noch den Rhein und Baden „abklopfte“, auf dreißig bis fünfzig Gulden rheinisch angenommen, und in dem kleinen Orte Gehaus sollen jährlich fünftausend bis zehntausend Gulden zusammengeklopft worden sein. Mancher hatte sich draußen Haus und Feld zusammengeklopft, einer war sogar Capitalist geworden und hieß darum der „Zinsenpeter“.

Die Klopfer sind meist gesunde, blühende Leute und, so lange das Handwerk nicht das Armensündergesicht verlangt, heiter und sorglos. Es ist die Poesie des Vagabundenthums, was sie erfrischt. Die gemeinen Verbrechen, namentlich der Diebstahl, werden von dem Klopfer nicht geübt. Er hält auf eine Art von Corpsehre und weiß sich, wenn ihm sonst sein schweifender Lebenswandel vorgehalten wird, damit groß zu thun, daß er ja eigentlich noch nichts verbrochen habe. Hier und da ist indeß auch noch ein anderes Kunststückchen bei ihm im Gange: das Weißmachen von Kupfermünze vermittelst Scheidewasser und Quecksilber, in der Absicht, dieselben dann Abends für Silberstücke auszugeben; ein Stückchen, das unsres Erinnerns auch einmal die liebe, wohlerzogene Jugend zu Zeiten, wenn die alte Bäckersfrau ihre große Hornbrille nicht zur Hand hat, zur Gewinnung eines Stückchens Kuchen in der Dämmerung ausübt.

Vordem war hauptsächlich Süd- und Westdeutschland der Schauplatz der klopferischen Thätigkeit. Insbesondere bot der Rastatt-Ulmer Festungsbau einen günstigen Arbeitsvorwand. Mit der Zeit kam man aber dort doch hinter die Schliche und so ist jetzt der Zug mehr nach Nordwestdeutschland, neuerdings auch nach Thüringen und Sachsen gerichtet. Hier sind es namentlich Festungsbauten in Magdeburg, welche zum Vorwand dienen müssen. Von da geht es aber meist weiter nach Bückeburg, Stade, Hamburg, Bremen, Verden und so fort.

Der Polizei konnte dies gegen die sociale Ordnung verstoßende Treiben nicht gleichgültig bleiben und sie ergriff ganz besondere Maßregeln zur Unterdrückung des neuen Bettelordens. Sie führt über das Sündenregister jedes einzelnen Klopfers jetzt Buch und Rechnung, veröffentlicht ohne alle Discretion deren Namen und Lebenslauf in den Polizeianzeigern, wie sie mit derselben Indiscretion bereits die geheimen Regeln des Handwerks offenbarte. Sie weigert dem notorischen Klopfer die Ausstellung eines Passes, wenn er nicht vorher einen Arbeitsnachweis beibringt, und hat für dieselben eine ganz specielle Kategorie von Reiselegitimationen, sogenannte Klopferpässe, erfunden. Dieselben enthalten namentlich die den Ordensartikeln entschieden entgegenstehende Bemerkung, daß der Inhaber, wenn er binnen vierzehn Tagen kein Arbeitsunterkommen nachweise, in die Heimath zu weisen sei. Wenn die Arbeitsscheu und die Anhänglichkeit an die Gesetze des dolce far niente allzu groß geworden sind, dann bringt sie auch wohl den wackern Meister unter Dach und Fach eines Hauses, wo der einmal Eingetretene zu einer täglichen Verehrung der Arbeitsgöttin wider seinen eignen Willen gezwungen wird. Diese und namentlich die letztere, gegen die gewohnten Freiheitsbegriffe zu grell ankämpfende Maßregel hat theilweis die Klopfer veranlaßt, nach dem gepriesenen Freiheitsland, nach Amerika, auszuwandern. Ob sie dort, wo man für Arbeit noch viel mehr Sinn hat als hier und wo eine gewisse deutsche Gemüthlichkeit, welche für den Fechter der Landstraße gern Sympathien hegt, noch nicht eingebürgert ist, das Erwünschte gefunden haben, läßt sich sehr bezweifeln.

In weit werthvollerer Weise hat man aber dem Uebel dadurch zu steuern gesucht, daß man den Bewohnern jener Gegend durch Anlegung von Fabriken, durch öffentliche Unternehmungen, z. B.

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