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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Heute müßt Ihr Euch besinnen,
Was das Schicksal mag Euch spinnen.
Und das Unglück bricht herein.
Doch da ist das Glück nicht fern.
Wo die Noth am größten ist,
Denket an den Herrn.“

O, Du armer Schiller! Wie sehr ist nach dieser Probe Deine poetische Ader im Elysium versiecht! Oder solltest Du diese Zeilen nur in einer üblen Stimmung dictirt haben? Vielleicht aus Aerger über Heine, der dort drüben, Herrn Epp zufolge, immer noch „lascive Gedichte schreibt und sich unanständiger Ausdrücke bedient“, zugleich aber, wie alle Anderen, den katholischen Glauben als einzig wahren anerkennt. Oder verdrießt es Dich, was Maria Stuart dem Herrn Epp mittheilt: „Ich kam,“ erzählt die hohe Frau, „sechs Minuten nach der Enthauptung zum Bewußtsein. Ich sah lange Gestalten, wie Menschen in langen Gewändern über einen Abgrund, der in der Tiefe dunkel war, auf- und abschweben und sich an mich herandrängen. Darüber war es helle. Ich sah mich selbst gottähnlich, gottgeweiht, gottgebenedeit, gottgerecht, gottgeboren, gottgesalbt, gottgebildet. Viele Anschuldigungen, die man mir zur Last legte, sind unwahr. Elisabeth ist die Urheberin meines Todes. Ich habe sie gesehen nach ihrem leiblichen Tode. Sie kam zu mir flehend. Ich sagte: ‚Elisabeth, warum hast Du mich getödtet?‘ – Sie bat: ‚O vergieb mir!‘ – Ich vergab ihr.“

Marie Antoinette beklagt sich sehr, daß sie so jung sterben mußte, und legt ein besonderes Sündenbekenntniß ab, das Epp aus Discretion nicht mittheilt. Dagegen erzählt er uns, daß Ludwig der Sechszehnte ihm prophezeite, nach Napoleon’s des Dritten Tode werde in Frankreich Revolution ausbrechen, und daß Katharina die Zweite, die ihm am 9. Juni 1865 psychographirt, ihren Zustand nach dem Tode folgendermaßen schildert:

Katharina: „Ich war kaum verschieden, so nahm ich auch meine Seele wahr, wie sie gottgeweiht zu werden wünschte, aber nicht konnte wegen der vielen Sünden, welche ich im Leben begangen habe. Ich sah mich dort angehalten durch Menschen, welche von mir im Leben gestraft worden waren, und die sich zuvor von einander Nachricht gaben; – ich sah Menschen, welche ich gezüchtigt hatte, mich anklagen – und wohlgebildete Männer, welche ich mißbraucht hatte, mich verurtheilen. Ich war zwanzig Jahre im Raum der Bösen und anbetete Gott, daß er mich erlösen möge aus dem schrecklichen Ort der Trübsal und des Schreckens, und ich war zwanzig Jahre am Orte der Mörder und bat Gott, er möge mich erlösen aus diesem Orte des Jammers, und ich war zwanzig Jahre zu Zarskojeselo und konnte Alles sehen, was da vorging – und sah mich verachtet und vergessen da, wo ich früher so mächtig und so angebetet war. Das größte Verbrechen, welches ich begangen habe, war der Mord an meinem Gemahle, und ich habe schwer gebüßt. O, Du guter Mensch! – sage meinem Kaiser, er möge mich zu sich rufen; ich will ihm Mittheilungen machen, daß ich gewiß weiß, wer ihm bald das Leben nehmen will.“

Sand erzählt auch ganz ergötzliche Dinge. „Als ich wieder zum Bewußtsein kam, sah ich lange Gestalten lobsingend über weite Flächen schweben. Ich wurde gottähnlich, gottbegeistert, gottgeweiht, gottgebenedeit. – Ich sah auch Kotzebue, den ich ermordet hatte: ich bat ihn um Vergebung. Er vergab mir. Wir verständigen uns durch geistige Mittheilung. Der Mord ist in keiner Weise erlaubt. Ich habe meine Missethat eingesehen und bereut. Ich bin jetzt selig.“

Aus Johannes Müller’s Mittheilungen geht hervor, daß es eine vom Gehirn unabhängige Seele gäbe, während Schönlein seiner Verehrung für Jesus Ausdruck verleiht, dem Dr. Epp in Krankheitsfällen trefflichen (unentgeltlichen!) Rath ertheilt und ihm anvertraut, daß die Geister lieber runde, dreibeinige Tische rücken, als eckige, vierbeinige. Der jüngst gefallene amerikanische General Jackson hatte sogar die Gefälligkeit, sich selbst mit Uniform, Armirung und Pferd, sowie die Scene seines Todes zu zeichnen, wobei er erzählte, daß er durch das Feuer der eigenen Soldaten gefallen sei. Die Seele Napoleon’s des Ersten äußerte sich, indem der Tisch mit heftigen Sprüngen sich bewegte und förmlich ausschlug. Die schriftlichen Antworten waren präcis und consequent, bald in deutscher, bald in französischer oder italienischer Sprache. Der Kaiser sagt, daß es ihm Anfangs nach dem Tode wegen der öden Stille „schrecklich“ gewesen wäre; erst nach zwanzig Jahren sei der Zustand etwas erträglich geworden. Er sprach sich, besonders gern mit Militärs, als fachkundiger Politiker aus, konnte aber geborene Preußen nicht leiden. Alexander von Humboldt findet das Leben dort oben „langweilig“, erklärt sich für das apostolische Glaubensbekenntniß, bereut, daß er bei Lebzeiten das Tischrücken für Täuschung gehalten habe, und giebt eine genaue Anweisung zum Psychographiren, ein Dictat der psychographischen Gesetze und eine Abhandlung über den Bastard des Menschen und Affen. Und inmitten der heraufbeschworenen Schatten, die eine zauberhafte Formel aus den düsteren Gründen des Tartarus emporzog, steht, das Herz voll Reinheit und die Hand voll Magnetismus, Herr Dr. Epp aus Heidelberg, der Geisterseher und Geisterfreund par excellence, dessen Ruf die Geister Folge leisten und mit dessen zwar geisterreichen, aber nichts weniger als geistreichen Erzählungen wir dem Leser ein Viertelstündchen geraubt haben, das er vielleicht mit „Nichtsthun“ noch besser verbracht hätte.




Beim Hagelsturm in den Alpen.
Von H. A. Berlepsch.


Ganz hinten im letzten Winkel des Veltlins, an der Grenze von Graubünden und Italien, wo das Thal mit himmelhohen Felsen vermauert ist und es außer der Stelvio-Straße nur ungebahnte Auswege durch’s Val di Dentro, Val Fraele und Val Furva giebt, liegen die von Schweizern und Italienern ehedem noch mehr als jetzt besuchten Bäder von Bormio. Von diesen will ich in einem nächsten Artikel erzählen. Für heute ist es mir darum zu thun, den Gartenlaube-Freunden einen Gebirgs-Uebergang kennen zu lehren, den man noch auf wenig Karten finden wird. Es ist der Passo di Gavia.

Beim Städtchen Bormio öffnet sich südöstlich das vom gletscherentsprossenen Fredolfo durchströmte Val Furva. Der Eingang ist nicht vielversprechend: ein schmales Sträßchen, das halb trocken liegende, breite, von großen Rollblöcken und Gesteinstrümmern erfüllte Flußbett zur Seite, armselige Dörfer mit ruinenhaften Steinhäusern und freskenbemalten Capellen, Alles von Bergen begrenzt, die das Interesse nicht besonders erwärmen können; das ist der General-Eindruck.

Aber hinter Contrada di San Nicolo steigert sich’s mit einem Mal; die blendend-weiße, scharfkantig-geschnittene Firn-Pyramide des Pizzo Tresero (11869 Fuß) tritt plötzlich in des Thales Tiefe hervor, ein Ueberraschungsmoment von drastischer Wirkung. Nun wird’s waldig, tannendunkel. Die Straße steigt und zur Rechten, tief drunten, schäumt in jugendlich wildem Humor der Fredolfo-Bach seine eintönige und doch harmonische Oberstimme in das Natur-Concert, welches der Wind durch die Gipfel rauscht. Diese Landschafts-Symphonie wächst; der Decorativ-Ausputz wird immer prächtiger, wild-erhabener, und wem das Hirn noch nicht über allem Suchen nach dem arithmetischen X selbst zu einer unbekannten Größe vertrocknet ist, der muß, wenn anders die wettermachenden Atmosphärilien ihm einen kornblumenblauen Himmel schenken, hell aufjauchzen vor Freude. Mir wenigstens ging’s damals so, als ich mit meinem getreuen Conrad, dem stalliere aus den Wormser Bädern, doppelt beritten da hineintrabte. Er kauderwelschte ganz vortrefflich das bergamaskische Patois, war ein unerschrockener, derbknochiger, großer Bursch, der viele der verborgensten Felsengassen dieser Gegend kannte und eine Orientirungs-Spürnase hatte wie ein Prairiehund – aber über den Gavia war er noch nicht gegangen.

Eben läutete es zum Mittagessen, als wir bei den kohlensaueren Stahlquellen von Santa Catarina einzogen. Die Hälfte der dortigen Luftschnapper, Magenausspüler und Nervenstärker sind Geistliche, Weltpriester, Leute des Schlages, von denen auch in Italien zwölf auf ein Dutzend gehen und man gern noch einen drein gäbe, wenn die Sorte nur abginge. Wie es mit der Bildung des niederen Klerus in Italien steht, ist genugsam bekannt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_187.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)