Seite:Die Gartenlaube (1866) 006.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Religion der Liebe, des Vertrauens kam er Allen herzlich entgegen, bot Jedem die Hand zu freundlichem Willkomm und erfaßte ihn liebreich in seiner Eigenthümlichkeit, und da war Keiner, dem nicht das Herz aufging, welcher Geistesstufe er angehören mochte, dem es nicht warm in der Seele wurde, der sich nicht geistig gehoben fühlte in seiner Nähe. Wie der Muhammedaner die Schuhe auszieht, ehe er den Tempel betritt, so ließ Jeder gern Ansprüche an Comfort und Rang vor der Thür und freute sich der ungezwungenen, idyllischen Einfachheit; war er aber wieder im Gebiete des Lebens, so erfaßte es ihn oft heimwehvoll nach dem kleinen Dichterhause und seinem Justinus.

So schrieb Lenau an ihn, Wien, Januar 1837: „O Freund, Du bist ein sehr guter Mensch, denn in meinen besten Stunden liebe ich Dich am meisten, da geht mir erst Dein Bild recht auf. Du bist einer von den Wenigen, nach denen ich mich umsehen, nach denen ich fragen werde, wenn ich dort ankomme, wo kein Zweifel mehr ist und kein Haß, sondern nur Wahrheit und Liebe!“ Und Ludwig Tieck im März 1853:

„Ich bin jetzt achtzig Jahre und habe schon seit lange eine wunderbare Sehnsucht nach meinem großen, starken, herzlichen Justinus Kerner getragen, ich möchte ihn noch einmal wiedersehen!“

Die Tochter eines armen Lehrers aber schrieb an ihn: „Seit meine Eltern gestorben, fühlte ich mich so unaussprechlich einsam und verlassen, die Erde bot mir nur Unglück und der Himmel keinen Trost, mir war’s, als wären die Sterne für mich ausgelöscht, und in der Seele war tiefe Nacht. Seit Sie mit mir so väterlich und herzlich gesprochen haben, mir so schön den Satz erklärten: die Letzten werden die Ersten sein, und daß meine Eltern meine Schutzgeister geworden seien und mich umschweben, solang ich brav und gut sei, habe ich wieder Vertrauen zu mir selbst und zu Gott und kann wieder beten und heiter sein. Ich zähle die Tage, wann ich Sie wieder besuchen kann.“

Auch wir wollen jetzt eintreten in das gastliche Dichterhaus, um uns in seinen verschiedenen Räumen heimisch zu machen. In seinem Grundstein ruht eine Pergamenturkunde des Inhalts:

„Dieses Haus ward mit Gott erbaut von Justinus Kerner, dem Arzte, der auch Lieder sang, und seiner Hausfrau Friederike, zur Zeit da man schrieb Eintausend achthundert zwanzig und zwei, als des Himmels Gestirne wärmend wie kaum je schauten auf Berg und Thal, aber Europas Fürsten abgewandt von den Sternen des Himmels eiskalt stunden und zuschauten dem teuflischen Morde von Hellas.“

Nicht ohne große Sorgen, denn Kerner und sein Riekele waren arm, ward der Bau dieses Hauses beschlossen; auch ergriff Kerner noch oft die Sehnsucht nach den Wäldern des Schwarzwalds und Welzheimer Waldes, wo er lange als Arzt gewesen.

Wär’ ich nie aus euch gegangen,
Wälder hehr und wunderbar!
Hieltet liebend mich umfangen
Doch so lange, lange Jahr!

Eure Wogen, eure Halle,
Euer Säuseln nimmer müd,
Eure Melodieen alle
Weckten in der Brust das Lied. –

Doch bald war ihm das kleine rebenumrankte Haus inmitten der Gärten eine liebe Heimath geworden und er konnte beglückt singen:

Jetzt, was kaum ich sah im Traume,
Bildete sich wirklich aus!
An dem Berg der Frauentreue
Stehet unter grünen Bäumen
Freundlich unser kleines Haus,
Und geliebter Kinder dreie
Hüpfen fröhlich ein und aus.

Theobald Kerner hat das Haus nach einem Plane seines Vaters, an dessen Ausführung diesen die einbrechende Blindheit hinderte, hübsch restaurirt, doch mit ängstlicher Pietät Zimmer und Einrichtung, die an den Vater erinnern, unverändert gelassen; gerne führt er uns durch die lieben Räume, es freut ihn, von alter Zeit mit uns reden zu können.

Gleich zu ebener Erde gelangen wir in das Zimmer, wo einst die Seherin von Prevorst ihr stilles magnetisches Traumleben lebte, wo später die Besessenen tobten, zwischen Fluchen und Beten hinein das Exorcico te, immunde spiritus erschallte. Die Seherin von Prevorst war bekanntlich jene nervenkranke Förstersfrau aus Kürnbach im Schwarzwald, in deren jahrelangem schmerzlichen Leiden merkwürdige somnambule Momente eintraten, während welcher die Kranke Geister zu sehen glaubte. Später (1826) in Kerner’s Haus gebracht, ward sie von diesem bis zu ihrem 1829 erfolgenden Tode magnetisch behandelt und der Verlauf dieser Behandlung in seiner vielgenannten Schrift „Die Seherin von Prevorst“ veröffentlicht. Einst in einer solchen Nacht, in der exorcirt wurde, sprangen General Kerner (Bruder von Justinus) und Minister Wangenheim schreckensbleich herauf in das Wohnzimmer.

„Es ist nimmer zum Aushalten, es ist das Gräßlichste, was der Teufel im Wahnsinn erfinden konnte!“ rief Wangenheim.

„Ich habe die Schrecken des russischen Feldzugs mitgemacht,“ sagte General Kerner, „aber die Teufelsscene unten überbietet Alles.“

In diesem Zimmer wohnte auch Lenau zur Winterszeit, im Sommer schlief er im Garten gegenüber in dem nach dem Grafen Alexander von Würtemberg sogenannten Alexandershäuschen. Wie oft trug noch um Mitternacht der Wind die Töne seiner Geige herüber! Sein Bild, von Rahl in Wien gemalt, hängt an der Wand. Welch’ herrliches melancholisches Auge, welche schönen geistigen Züge! Wie passend wählte Rahl zum Hintergrund eine öde Haide, eine schwarze Gewitterwolke; es ist als ob sie den Blitzstrahl bärge, der nachher zerrüttend auf Lenau’s Gehirn niederzuckte. Wie Lenau auch längst vor der Katastrophe das Nahen derselben fühlte, sehen wir aus seinem Briefe, Heidelberg, November 1831: „O Kerner, Kerner, ich bin kein Ascet, aber ich möchte gerne im Grabe liegen. Helfen Sie mir von dieser Schwermuth, die sich nicht wegscherzen, nicht wegpredigen, nicht wegfluchen läßt. Mir wird oft so schwer, als ob ich einen Todten in mir herumtrüge. Helfen Sie mir, mein Freund! Die Seele hat auch ihre Sehnen, die, einmal zerschnitten, nie wieder ganz werden. Mir ist als wäre Etwas in mir zerschnitten, zerrissen.“

Und Kerner, ahnend, daß es so traurig kommen könnte, wie es später gekommen, schrieb 1834 an Carl Mayer: „Gott sei mit ihm und dem Ende seines Lebens, vor welchem Keiner glücklich zu nennen ist!“

Im Zimmer nebenan hängt das lebensgroße Bild Mesmer’s mit der Unterschrift: F. A. Mesmer, Dr. M., âgé 76 ans, auteur du magnétisme animal. 1810. Unter diesem steht das Mesmerische Baquet, an welchem einst Isidorus Orientalis (Graf von Löben) Heilung suchte; vor Allem aber interessirt uns der „Nervenstimmer“ der Seherin von Prevorst, sie hat ihn im magnetischen Schlafe gezeichnet, die Construction angegeben, und manche Stunde saß sie davor, ihre zerrütteten Nerven zu heilen. Ueber diesem „Nervenstimmer“ hängt das Bild der Seherin, ein interessantes bleiches Gesicht mit schwarzen Augen, ein Tuch um den Kopf geschlagen, fast wie eine Nonne anzuschauen; und ringsum magnetische, elektrische, galvanische Apparate in voller Thätigkeit, und Kranke an Körper oder Seele gehen ab und zu. Wir sehen, diese Zimmer bleiben schon dazu bestimmt stygischen Kräften zu dienen, doch der gute Stern Kerner’s steht über dem Hause und Vielen wird Genesung.

Gehen wir eine Stiege höher, durchwandeln wir Kerner’s Wohnzimmer, Schlafzimmer, Studirzimmer, das Marienzimmer, so benannt von einem alten lebensgroßen Marienbilde von Alabaster, das einst in der Herbergskapelle im Welzheimer Walde stand und zu dem, wegen der Wunder, die es gethan haben soll, viele Wallfahrten geschahen, wonach sich eine eigene Brüderschaft die „Herbergsbrüder“ nannte – überall alte liebe Erinnerungen! Da noch an der gewöhnten Stelle der Armsessel, in dem Justinus in seinen kranken Tagen saß, da sein Stock, der treue Gefährte seiner Blindheit, da sein Trinkglas, ihm von Lenau 1831 geschenkt, da die Trinkbecher von des Grafen Alexander von Würtemberg Hand gedreht und hier Mesmer’s Doctordiplom auf Pergament unter Maria Theresia ausgestellt. Von der Wand schauen ernste Ahnenbilder, zwischen ihnen, von Ottavio Albucci 1850 gemalt, Justinus, die Maultrommel, auf der er Virtuos war, in der Hand. Unter diesem Bilde hängt ein kleineres, eine liebe freundliche Frau in schwarzem Häubchen darstellend. Das ist sein treues Riekele, die unsterbliche Liebe seiner Jugend, seines Alters, sie, von der David Strauß in seinen friedlichen Blättern so wahr sagte: „Der Dichter ist glücklich zu preisen, der wie Kerner eine Gattin findet, welche einerseits zwar seinem schwärmenden Gefühle den ordnenden Verstand gegenüberstellt, doch aber andrerseits selbst so viel Gefühl und poetischen Sinn besitzt, um das, was des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)