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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

eines Wegweisers, und dann ziehen die Berge eine enge Linie, über die das Auge nicht hinaus kann; ich wette, weiter kam auch Ihr Fuß und Blick nicht, als bis zu diesem Horizont! …“

„Und deshalb ist es eine unverzeihliche Anmaßung von mir, ein Urtheil über Welt und Menschen zu haben,“ unterbrach ihn Magdalene, indem sie auf seinen spöttischen Ton einzugehen suchte, wobei jedoch ihre Stimme merklich zitterte. „Es giebt aber noch andere Wege,“ fuhr sie fort, „die über engen Horizont und beschränkte Verhältnisse hinausführen, und ich nehme mir deshalb die Freiheit, zu denken, daß die moralischen Gebrechen der Menschheit überall dieselben sind – wie sich ja der Mond mit seinen Flecken im kleinsten Gewässer genau so abspiegelt, wie im unermeßlichen Weltmeer… Uebrigens,“ fuhr sie nach einer Pause fort, indem sie tief Athem schöpfte, „muß ich Sie ersuchen, nicht zu früh zu wetten; denn ich habe diese Berge schon einmal überschritten und weiß seit jenem Moment genau, was jene ersten, unseligen Menschenkinder empfinden mußten, als das Paradies hinter ihnen geschlossen wurde – ich vertauschte damals meine südliche Heimath mit dem Norden.“

„Ach, Sie waren ja damals noch ein kleines Kind!“

„Aber kein Kind, das gedankenlos auf dem heimischen Boden umherhüpft, das, infolge der Gewohnheit des täglichen Anschauens, keinen Begriff für Schönheit oder Häßlichkeit seiner Umgebung hat!“ entgegnete Magdalene heftig. „O, ich wußte, daß meine Heimath schön war! … Der Schaum des Meeres netzte meine Füße, und über mir rauschte der Lorbeer… Und das Sonnenlicht, wie flammt es dort! wie glüht der Mond, wenn er feierlich heraufschwebt! Das ist Licht und Gluth, das ist Leben! … Ihr nennt die blasse Luft da droben ‚den Himmel‘… Wenn Sonntags die Kirchenglocken verstummt sind, dann verlaßt ihr euer Haus und wandelt bedächtigen Schrittes vor die Thore, erzählt euch, was euer Nachbar Alles nicht hätte thun sollen, und sagt dann und wann: ‚Ei, wie schön blau ist heute der Himmel!‘ … Ach, daheim, da lag ich stundenlang vor der Thür, unter den Bäumen! Ich hörte das Brausen des Meeres, wie es sich gegen den Strand bäumte; auf den Zweigen über mir zitterte es golden – sie bewegten sich leise, und das tiefe, prächtige Blau fluthete herein – das ist Himmel! – der Himmel, den ich mir voll schöner Engel denke! … Man schleppte mich hierher, wo die Sonne mich kalt ansieht, wie die Augen der Menschen; wo der Schnee lautlos niederfällt und tückisch die letzten Blumen erstickt. Ich wurde unter einen Haufen roher, wilder Kinder gesteckt. Das Kind, das bis dahin nur die weiche Hand einer zärtlichen Mutter berührt, das ein treues Vaterauge ängstlich und unausgesetzt bewacht hatte, weil es das einzige ihm gebliebene war, es wurde von der ausgelassenen Kinderschaar verfolgt und gemißhandelt, weil es arm, fremd und – häßlich war und weil es nicht sein wollte wie sie, die um einen elenden Apfel rauften und die sich gegenseitig die Fehler und Mängel ihrer Eltern vorwarfen… Ich lernte den Unterschied zwischen Reich und Arm bitter erkennen. Der goldene Glaube, daß das Brod vom Himmel falle, zerstiebte an der sorgenvollen Stirn der alten, guten Muhme, die mühsam um den täglichen Unterhalt rang und die von den Nachbarn geschmäht wurde, weil sie mich, die Last, sich aufgebürdet hatte… Ach, wie oft empörte sich mein heißes Kinderherz! Wenn ich allein war, warf ich mich auf den Boden, weinte und schrie und rief nach meiner todten Mutter.“ …

Magdalene war, während sie sprach, wieder unter den Baum getreten. Das heiße Auge auf die Kirche gerichtet, sprach sie, als habe sie ihres Zuhörers vergessen und als quelle wider ihren Willen ein Gedankenstrom, bis dahin mühsam gebändigt, an das Licht, nicht achtend, an welche Ufer er rausche. Bei den letzten Worten schlang sie ihre Arme heftig um den Baumstamm und drückte die Stirn an die harte Rinde.

(Schluß folgt.)




Land und Leute.
Nr. 21. Herrgottshändler.
(Mit Abbildung.)

So reich und bunt geschmückte Dorfkirchen wie in Tirol trifft man wohl nirgends in den Alpen. Die ärmste Gemeinde verwendet auf einen Sammetbaldachin mit Goldtressen oft mehr, als das Capital beträgt, dessen Zinsen zur Erhaltung des Schullehrers dienen, und die Hochwürdigen wissen bei ihren Sammlungen für solche Zwecke auch die Sparkreuzer der Armuth flüssig zu machen. Das wäre freilich unmöglich, entspräche nicht diesem Ansinnen die Vorliebe des Volkes für bildnerischen Schmuck. In jedem Bauernhause begegnet man schönen „Gemahlern“ wenigstens im Winkel über dem Eßtisch, wo das Crucifix hängt. Darunter nickt meistens eine Gerte der dornigen Gleditschie, mit der Christus gekrönt worden sein soll, obwohl dieser Baum erst aus Amerika eingeführt ward, und ein Oelzweig, der am Palmsonntag geweiht wurde und das Einschlagen des Blitzes verhindert. An den Füßen des Erlösers bemerkt man etliche Maiskolben, rothe oder gelbe, wie sie eben durch Schönheit ausgezeichnet sind.

Das Bedürfniß nach Kunstwerken ist daher ein sehr großes, nur dürfen sie nicht viel kosten, weil die Leute nicht viel zahlen können. Da findet man fast in jedem Thale einen Tuifelmaler, der freilich auf keiner Akademie Studien machte, aber dafür auch nicht viel fordert. Er streicht die Kreuze auf dem Friedhof an und schreibt schöne Sprüchlein darauf – in den Friedhof von Achenthal verirrten sich sogar Verse von Klopstock und Hölty! – er malt an die Läden des breiten Ehebettes Lilien und Rosen, bei welchen ihm vielleicht statt der duftigen Blüthe Aphrodite’s ein sechspfündiges Tirolerknödel als Modell vorgeschwebt zu haben scheint. Um das Glas zu ersparen, klext er gleich die Bilder selbst mit dicker Oelfarbe auf die Rückseite einer Glastafel, schließt diese in schwarze Rundstäbe ein und ladet etliche Dutzend zwischen Heu gepackt einem Händler auf den Rücken, der sie von Haus zu Haus ausbietet. Nebenbei vertrödelt er gräuliche Holzschnitte, meist Illustrationen zu „Gebethern“ und Viehsegen, gewöhnlich auch noch mit einem Ablaß auf hundert Tage oder sieben Jahre versehen. „Gaggesbeten“ – Rosenkränze, die aus den Körnern einer Grasart, der sogenannten Josephszehe, mit Messingdraht geflochten sind – werden auch sehr geschätzt und viel begehrt. In großer Auswahl kann man diese Herrlichkeiten auf den Jahrmärkten der Dörfer in hölzernen Buden ausgestellt sehen. Bisweilen ergreift ein solcher Künstler auch den Pinsel des Frescomalers und ziert Capellen. Dabei thut es nichts, wenn bei einem Heiligen Hand oder Fuß fehlt, nur müssen die Höllenflammen hübsch in Zinnober brennen und die Verdammten schreckliche Gesichter schneiden, über welche Thränen wie Haselnüsse herabfließen.

Steht die Malerei hoch in Ehren, so wird ihre Schwester, die Plastik, nicht weniger gefeiert, und der „Herrgottschnitzer“ hat einen Künstlerstolz wie ein Phidias. Besuchen wir ihn im Winter in seinem Atelier. Da sitzt er, den kurzen Pfeifenstummel im Mund, das Messer in der Hand, und arbeitet, daß die Spähne fliegen.

„Was machst Du, Alter?“

„Milchschüsseln aus Zirmholz.“

„Zu was hast Du die Lärchenstöcke hier?“

„Das giebt Knospen für die Hirten.“

Unter „Knospen“ versteht man die groben Holzschuhe, mit denen die Sennen auf den steinigen Almen herumstolpern.

„Und der Plunder da?“

Unser Meister wird unwillig und wirft die Pfeife weg. „Was Plunder? Gehst unteri mit dem Geschwätz. Das werden ‚Herrgotte‘ und ‚Muttergottessen‘, daß Du eine Freud’ dran haben kannst. Aber das Hauptstück habt Ihr doch nicht ausgeschnüffelt. Da ist’s!“ Mit stolzem Blick zeigt er uns einen Pfeifenkopf, den er sorglich aus Maßholder gemeißelt. Den soll sich der Postmeisterbua für einen Thaler kaufen und mit Silber fassen lassen.

Mitunter kommen aber auch andere Bestellungen. Da ist ein neuer Calvarienberg einzurichten, dort ein Florian für einen neuen Brunnen zu machen. Der muß extra schön werden, mit goldenem Helm, silbernem Harnisch, verdrehten Beinen und einem tüchtigen Eimer. In neuester Zeit ist der Gute freilich ein bischen

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