Seite:Die Gartenlaube (1865) 590.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

beide Werke allein würden seinen Namen unsterblich machen; – der ehemalige Minister der französischen Republik bringt an diesem Schreibtische täglich viele Stunden zu, um mit der Feder das zu erwerben, was sein schlichter Haushalt kostet. Selbst das einfachste Leben in England ist theuer. Er brachte nichts mit hinüber, als er vor fünfzehn Jahren von Paris über das Meer floh, als seinen unbefleckten Namen und sein Talent. Aber die Arbeit ist ja einer der idealen Grundgedanken seines Systems.

Eines Tages speiste der Sohn des früheren Deputirten Barrère, der ebenfalls als Flüchtling in London lebt, mit uns, ein schöner, schlanker Knabe mit blauen Augen und blondem Lockenhaar. „Hören Sie, was vor einigen Tagen dem Kinde da und seinem Vater, der Lehrer an der Militärakademie in Woolwich war, passirt ist,“ sagte Louis Blanc, wie es schien entrüstet, zu mir, „doch, erzähle selbst, Emil.“

„Nun,“ sagte der Knabe, „vor der Schule in Woolwich kamen mir zwei englische Knaben entgegen, welche mit mir in der selben Classe sitzen. Der eine, der Sohn eines Lehrers an der Militärakademie, an der auch mein Vater angestellt war, rief mir zu: ‚Du bist ein elender Franzose; ich könnte mit zehn, wie Du bist, fechten.‘ ‚Versuche es,‘ erwiderte ich. Dann griff er mich an, aber ich warf ihn nieder und habe ihm ordentlich zugesetzt. Währenddem lief der andere Knabe zurück und holte noch drei englische Jungen herbei. Alle auf einmal fielen sie nun über mich her. Aber ich habe sie alle fünf zusammen niedergeworfen und zerzaust.“

„Nun hören Sie weiter,“ unterbrach Louis Blanc das Kind, „ich werde den Schluß dieser miserablen Geschichte erzählen. Der zuerst geprügelte Knabe ging mit zerzaustem Haar und geschwollenem Gesicht zu seinem Vater, und dieser wandte sich mit einer Klage an die Verwaltung der Akademie. Die Verwaltung gab Herrn Barrère auf, seinen Sohn exemplarisch zu züchtigen. Natürlich weigerte sich mein Freund diesem Befehle nachzukommen, sondern rief vielmehr seinen Sohn, lobte seine Energie und seinen Muth und theilte dies der Verwaltung mit. Und was that die Verwaltung? Sie entsetzte Herrn Barrère seiner Stelle. Was sagen Sie dazu? solche Dinge können auch nur in England vorkommen!“

Uebrigens hat sich Louis Blanc in das englische Leben leichter und besser hineingefunden, als irgend ein anderer von den französischen Flüchtlingen. Er hat die englische Sprache so fertig sprechen gelernt, daß er in dieser Sprache in London eine Reihe von wissenschaftlichen Vorträgen gehalten hat. Die Conversation mit den Damen in seinem Hause wird ebenfalls in englischer Sprache geführt, da dieselben nur deutsch und englisch, aber nicht französisch sprechen. Auch unterhält er einen regen, gesellschaftlichen Verkehr mit englischen Familien. Unter den deutschen Flüchtlingen verkehrt er am meisten mit Blind, dessen Umgange er eine so genaue Kenntniß der deutschen politischen Verhältnisse verdankt, wie ich sie nie bei einem Franzosen gefunden habe. Zu Ledru-Rollin hat er wenig Beziehungen. Der Grund liegt wohl in ihrer wesentlich verschiedenen politischen Stellung und Anschauung. Mit tiefer sittlicher Entrüstung spricht er von Louis Bonaparte, dem jetzigen Kaiser der Franzosen. Louis Blanc ist bekanntlich Corse von Geburt; er betrachtet deshalb Italien als sein zweites Vaterland und sprach von der Auferstehung seines schönen und tapfern Volkes mit der Liebe und Zuneigung, welche dem Franzosen eigen ist, wenn er seines Schwesterlandes gedenkt. Mit großer Begeisterung und Verehrung äußerte er sich über Garibaldi, den er damals noch nicht persönlich kannte. „Ich habe kurz nach dem Verrath von Aspromonte bei dem Banket Victor Hugo’s in Brüssel in meiner Rede den Helden gefeiert,“ sagte er in seiner bescheidenen Weise zu mir, „es war gerade in der Zeit, wo die Feinde und die Schwachen ihn schmähten; die große Masse der Menschen geht ja immer mit dem Erfolge.“

Auch im Hause der bekannten englischen Freundin Garibaldi’s, Frau Julie Salis-Schwabe, in Hanover-House im Park von Richmond, begegnete ich an einem jener glänzenden Gartenfeste, welche die Dame in jeder Saison giebt, Louis Blanc. Die Dame ist besonders stolz darauf, daß der „premier ouvrier de France“ ihre glänzenden Salons mit seinem Besuche beehrt. Am Tage vor meiner Abreise nach der Normandie ging ich nochmals zu Louis Blanc, obschon ich bereits Abschied von ihm genommen hatte. Er war mir unter allen Flüchtlingen in London besonders sympathisch geworden, und so schieden wir denn in der herzlichsten Weise von einander.

Gustav Rasch.




Aus deutschen Bädern.
2. Von Wiesbaden nach Homburg.

„Von Raubritterburgen und Flußpiraten sprachen Sie soeben mit gewisser Beziehung auf mein engeres Vaterland,“ bemerkte ein junger Rheingauer zu mir gewendet, als wir von dem Spielparadies Wiesbaden mit Dampfkraft nach der Spielhölle Homburg eilten, und wünschte eine nähere Erklärung. Da erst faßte ich den kühnen Fremdling, der mich, ohne mir vorgestellt zu sein, bismarcken zu wollen schien, in’s Auge und gewahrte eine unbedeutende Gaunerphysiognomie, wie man sie in den rheinischen Bädern täglich zu sehen gewöhnt ist. Der junge Mann verstand nur Winke mit dem Scheunenthor, und ich gewährte ihm deshalb gern die nähere, engere und weitere Erklärung, daß Raubritterburgen Burgen von Rittern vom Raube und Flußpiraten Inhaber von Schiffen seien, die Flüsse auf nähere oder weitere Strecken unsicher zu machen pflegen. Er schwieg eine Weile verblüfft, jedenfalls ob meiner biderben Deutlichkeit, machte aber dann die gelehrte Bemerkung: „Es wird dadurch bei uns doch nichts geändert!“ „Nein,“ lachte ich, „es wird bei Euch Alles geentert!“ Hiermit hatte ich leichtsinniger Weise einen gewiß ganz netten Calembourg an den jungen Rheingauer Gauner – denn ein solcher war es – vergeudet, ich hätte sagen sollen „bei Euch wird ruhig fortbarbiert,“ und deshalb schwieg ich nun selbst verblüfft.

Wiesbaden – Homburg! Sie liegen sich recht hübsch und bequem in der Nähe, diese Burgen der Ritter vom Raube, damit ja ein gerupfter Gimpel, der noch einige Haare zu lassen vermag, von hier nach dort natürlich nur der Gegend halber in möglichst kurzer Zeit gelangen kann. Aber diese Ritter vom Raube nennen wir sie getrost Gaunerbande, da sie, ganz abgesehen von dem Jedem freistehenden und von Jedem zu meidenden Spiel, schon durch ihr freches Wesen keinen andern Namen verdienen. überhaupt auch mit dieser Censur ganz zufrieden sind – aber diese Gaunerbande, will ich sagen, versteht es gründlich. wie man es von Gaunern von Profession wohl auch erwarten darf, ihre Spinnennetze zu den strahlendsten, von Marmor, Gold, Sammet und Krystallen prunkenden und die raffinirtesten Genüsse in sich vereinigenden „Erholungsplätzen“ auszustatten; diese ganze Gaunerbande, wie ich sie in Wiesbaden und in Homburg vom Directionsmitglied an bis herab zum Lakaien sah, der in bessern Zeiten als Commis an demselben Pulte mit dem Directionsmitgliede gesessen und „auch einmal“ irgendwo Croupier war, ehe er an der grünen Tafel einen kühnen Griff in seine Tabaksdose machte und dabei aus Versehen einige Friedrichsd’or hineinfallen ließ: diese ganze Gaunerbande, hündisch devot gegen die Masse und straßenbubenfrech gegen den Einzelnen, macht inmitten der von Natur und Kunst entfalteten Pracht auf den Beschauer selbstverständlich den ekelhaftesten Eindruck, bietet aber zugleich die reichste Galerie zu physiognomischen Studien und anderen ähnlichen Beobachtungen der sogenannten feinen Welt sammt der ihr anklebenden halben, Viertel- und Achtelwelt. In Wiesbaden fand ich an den grünen Tischen noch den größtmöglichen Anstand gewahrt und als Croupiers überhaupt eine bessere Sorte von Gaunern, die über ihre Fäulniß wenigstens noch anständige Manieren breiteten; das roheste, frechste und innen wie außen lumpenhafteste Gaunergesindel weisen dagegen die Homburger Spieltische auf. Hier sieht man in diesen Galgen- und Galeerengesichtern die wahren Prostituirten des starken Geschlechts, die sich der öffentlichen Schande für den täglichen Lohn von fünf Thalern preisgeben.

Man glaubt zu träumen, wenn man dem Treiben an diesen Tischen zuschaut und Zeuge der widerwärtigsten Vorfälle ist, die, fast immer in Schwindeleien entweder der Bank oder der Pointeurs bestehend, gewöhnlich auf Mißverständnisse zurückgeführt werden, und man fragt sich, ob diese Stätte des Fluches, der Verzweiflung, des Betrugs, des Diebstahls, Selbstmordes und Mordes eine Scholle deutscher Erde, jenem vielgerühmten Deutschland angehörig ist, das allen Ländern immer so gern als Muster vorstrahlen will. Es ist jedoch auch hier in der That Alles nichtdeutsch, und der deutsche Hans Taps wandelt auf diesem Marmor oder läßt sich an den Spieltischen schieben und zurückdrängen von den Angehörigen aller Nationen der Erde, als ob er, der sogenannte deutsche Michel, hier der „Etranger“ sei. O über den ewigen deutschen Hans Taps! Es ist das ein berechtigter Seufzer, wenn man hier und da und dort am Rhein die deutschen Hans Tapse von französischen Schwadroneurs, russischen Grobsäcken und englischen Flegeln bei Seite geschoben sieht, als ob sie hier Nichts zu suchen haben, nicht hierher gehören. Und wahrhaftig, der deutsche Michel gehört nicht hierher, man spricht hier nur französisch bis herab zum Kellnerburschen aus Hanau, der auf eine Frage in gutem Deutsch sich nicht entsinnen kann, in Hanau geboren zu sein, und eben deutsch zu radebrechen beginnt, als ihn ein „Sie Lausbub!“ noch zu rechter Zeit an seinen Namen und seine Heimath erinnert und er nunmehr sofort das fließendste Deutsch hanauert. „Ein bischen Französisch ist ja so wunderschön“, und die Sprache in der „Frankforter“ Gegend klingt gar so knollig!

Die Stunden eines diesen paradiesischen Spielhöllen in Wiesbaden oder Homburg gewidmeten Nachmittags schwinden bei den hier verschwenderisch ausgestreuten Reizen, durch die der Besucher berauscht oder auch berückt werden soll, im Fluge dahin, denn Jeder muß hier Etwas finden, was ihn fesselt oder zerstreut, und selbst wenn er sich auf eine einsame Bank im

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_590.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2022)