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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Kanonen, die Schlafröcke untadelhaft zerrissen, die Tabakspfeifen von echt burschikoser Länge; die Reiter waren der in schönster Jugendherrlichkeit blühende Coburger „Louis“ und die schmucke „kleine Cravatte“, zwei Prachtjungen. Und nun sind beide schon todt.

Hinter den Reitern stolzirte ein Ziegenhainer Bäuerlein, die lange Peitsche in der Hand und das Angesicht voll einer Glückseligkeit, wie sie noch kein Mensch erlebt hat, denn neben ihm schritt sein Ochsenpaar im höchsten Festschmuck: die vergoldeten Hörner seiner Ochsen waren es, die dem Bauer so in’s Herz lachten. Und auch die Thiere fühlten sich bedeutend geschmeichelt, sie wandelten daher wie über ihren Stand erhoben, kurz, wie frisch geadelt. Ich hätte nie geglaubt, daß ein geputzter Ochse so stolz sein kann.

In der ersten viersitzigen Chaise saß Niger I. allein und im rothen Talar, den er als zukünftiger guter Hausvater höchst billig dadurch herstellte, daß er seinen rothgefütterten Mantel umgekehrt umlegte. Sein Alltags-Hakenstock war, zugleich mit den Ochsenhörnern, vergoldet worden und dadurch zum einflußreichen Krummstab umgewandelt. Neben ihm saß sein Hund, den er als Oberhirte nicht entbehren konnte. Der liebe heilige Vater arbeitete an einer Verschmelzung von Priesterwürde und Leutseligkeit in seinem erhabenen Antlitz; die Freude des Volks über seinen Anblick that seinem gerührten Herzen wohl, und er würde die Menge „Gläubiger“, die ohne Zweifel hier vertreten war, auch mit milder Hand gesegnet haben, wenn die Hast, mit der einige Pudel (Pedelle) den Zug umschwänzelten, ihn nicht bewogen hätte, dies zu unterlassen. Aber sein theures Haupt neigte er oft vor den Grüßen der Begeisterung.

Auf dem Tritt hinter dem Sitze des Papstes standen zwei Kammerherren, schwarz vom Hut bis zum Stiefel, mit Fräcken von verschiedenem Styl und ungewissem Eigenthum. Auf der linken Brust trug Jeder einen Stern von Goldpapier, zur Feier der größtmöglich weimarischen Bedeutung des Tags, und hinten am Frack, zwischen den beiden Schößen, seinen hier angenäheten Hausschlüssel. Wer weiß, was ein alter Jenenser Hausschlüssel besagen will, der weiß auch, daß dieses Zeichen sichtbar und gewichtig war.

Hierauf folgte, nach angemessenem Zwischenraum, der zweite Wagen. Die Ochsen desselben trugen ihre versilberten Hörner mit einem Anstand, den man des großen Augenblicks würdig nennen konnte; das Bäuerlein hatte den Kutschersitz der stattlichen Chaise eingenommen und lenkte von hier mit der langen Peitsche und dem Bedürfniß entsprechenden „Hot hüjoh!“ sein vornehmes Gespann.

Im zweiten Wagen saß, ebenfalls in einen Mantel gehüllt, blaß und angegriffen, Jettchen. Das unwissende Ketzervolk dieser lutherischen Studentenstadt hielt das glattgesichtige, lockenköpfige und schmachtende Bild, wegen seiner besonderen Zartheit und Anmuth, für des Papstes Gemahlin. Um nicht durch Widerspruch die Gemüther zu reizen, ließ man die Volksstimme vor der Hand gelten; hatte doch Niger I. selbst im Conclave, man vermuthet, um die Stimme der Mehrzahl der Cardinäle für sich zu „keilen“, bereits die Aufhebung des Cölibats in nahe Aussicht gestellt.

Jettchens Kammerherren zeichneten sich durch blaue Fräcke mit silbernen Sternen auf der Brust aus; die Kammerherrenschlüssel entsprachen hinsichtlich des Kalibers denen ihrer goldigen Collegen.

Es war am Vormittage Wochenmarkt in Jena gewesen. Gar mancher Landmann hielt noch mit seinem Geschirr in der Stadt, und alle sahen von den Seiten der Gassen und den Winkeln der Plätze her, wohin sie zurückgedrängt waren, fast neidisch auf die vom Glück dieses Tages so bevorzugten Genossen. Nur Einer war klüger, als Alle; er schloß sich mit seinem Leiterwagen dem Festzug an, und kaum bemerkte dies der Bruder Studio des Burgkellers, so hatte auch dieser Wagen seine akademische Ladung und theilte die Ehren des Tages. Diese kühne That ermuthigte ein Bäuerlein um das andere, es schloß sich wieder ein Wagen und noch einer an, alle mit Studenten belastet, und endlich fuhr die Lust auch in die Philister, und es wuchs die Anerkennung des großen Gedankens mit der wachsenden Länge des Zuges. Daß die Ochsen an diesen Leiterwagen nicht gold- und silbergeschmückt, sondern mit ihrem werkeltägigen Schmutz angethan waren, gehörte sich so, weil sie ja doch nur „das Volk“ trugen.

So ging die bunte Wagenreihe in feierlich gemessenem Ochsenschritt und mit vieler topographischer Kenntniß durch alle Straßen und Gassen der Musenstadt und kam auch auf den Marktplatz. Siehe, da widerfuhr ihr die höchste Genugthuung: auf dem Prangersteine am Rathhauseck ragten über vieles Volk hoch empor die Häupter mehrerer der geliebtesten Professoren Jena’s; da standen die ewig jungen Studentenfreunde Scheidler und Göttling, da stand der alte Fries und der alte Kiefer, der alte Schott sogar, also manches ehrwürdige Mitglied des akademischen Senats, und sie Alle blickten so freudig auf die seltsame Procession, daß man in ihren Augen den Ausspruch lesen konnte: Gott Lob, daß die Jugend noch immer so jung ist! –

So ziehe denn hin, du frommer Zug! Ihr glücklichen Festochsen, lebet wohl! Als simple Alltags-Geschöpfe sehen wir uns wieder. – Wir geleiten Euch bis zum Saalthore hinaus, wo die Leiterwagen „des Volks“ größtentheils umkehren, ja, wir gehen bis auf die Saalbrücke mit, weil es von da gar schön aussieht, wie die Reiter und Festwagen, wenn sie hinterm Geleitshaus hervor auf das hohe Ufer der Saale gelangen, sich so stattlich im Strom spiegeln, wie die Hörner der Ochsen in der Sonne funkeln und die Kammerherren ihre kurzen großköpfigen Pfeifen anstecken und wie endlich Papst Niger I. von seinem Sitze sich erhebt und, mit jeder Hand einen Flügel seines rothen Talars fassend, die Arme ausbreitet, also daß er wie der Samiel der Wolfsschlucht dasteht, und mit nun pudelfreiem Gemüthe die Stadt und das Thal segnet, und die Weinberge, die’s so nöthig haben, und alle Söhne der Musen und die Töchter der Philister und dahinter, soweit es austrägt, die ganze übrige Welt.

Wir verrathen für diesmal Nichts von Allem, was im Vatican zu Ziegenhain vorging, auch nicht, wie Papst und Cardinäle am andern Morgen heimzogen; wir sehen nur, wie sie daheim für ihren gestrigen öffentlichen Frevel die Citation vor das Universitätsgericht empfangen, und finden sie, Jeden mit seinem Papierlein in der Hand, kurz nachher auf der Stube des Schwarzen wieder beisammen. – Etwas Untersuchung mußte ja doch sein! Die neue akademische Freiheit kostete jedem Genossen der Ochsenfahrt 19 Groschen 8 Pfennige weimar. Courant; dazu erhielt Jeder einen entsprechenden Verweis und nur ich außerdem noch eine herzoglich Sachsen-Coburgische Consistorialnase. Kein späterer öffentlicher Auszug der Burschenschaft wurde wieder bestraft.




Fünfundzwanzig Jahre hat seitdem Jenas alter Marktbrunnen Tag und Nacht fortgerauscht, und er rauscht noch wie damals. Aber wohin seid Ihr zerstreut, Ihr Ochsenfahrtgenossen? Wie sucht man Dich zusammen, selige Unsinnia? Wer lebt noch, und wo und wie? Machen wir erst die Kreuze in’s Stammbuch: für den fröhlichen Papst, Bente in Brannschweig, der zuerst starb; für Ludwig Braun in Coburg; für Philipp Gerber aus Sonneberg, einst in Sachsen-Meiningen, Kroatien und England als Theolog, Mediciner und Geiger heimisch und nun in Nordamerika begraben; für Paul Ingwersen, der, von den Dänen aus seinem Schleswig Holstein vertrieben, Publicist in Wien und Kaffeewirth in Constantinopel war und 1862 starb; für Adolf Trützschler, den sie zum Märtyrer begnadigt haben. – Und die Lebendigen, wo sind sie? Es sind eitel Schriftsteller geworden: Strackerjan in Oldenburg, Jäde in Weimar, Friedrich Hofmann aus Coburg, jetzt in Leipzig, Heinrich Schmidt in Hermannstadt, Siebenbürgens Nationalgraf beim Reichstag in Wien. Lorenz Stein, der Nationalökonom, Ludwig Häusser in Heidelberg, der Historiker; letztere Drei sind dazu unter die Professoren, nur Wydenbrugk ist unter die Diplomaten gegangen, was ihm Gott verzeihe, wenn’s möglich ist. Und die Andern? Backhaus, Rosenhagen etc., wo seid Ihr?

Werden all’ die noch lebenden deutschen Burschenschafter sich beisammen sehen an den Tagen des 14., 15. und 16. August, denen ganz Jena mit echter Burschenlust entgegenjauchzt? O, kommt, kommt Alle, ihr Treuen und Lieben, Fernen und Naiven! Wahrlich, zu beklagen ist Jeder, den das Herz dazu drängt und den die Verhältnisse fesseln! Aber noch weit mehr ist der zu beklagen, dem es nicht an Mitteln, sondern dem das Herz dazu fehlt! Möchte ein solches Unglück von den Tausenden der alten und jungen Burschenschafter auf allen deutschen Hochschulen, die alle zum Feste geladen sind, nur wenige betroffen haben! Und meldet Euch dem Festcomité in Jena zu rechter Frist (bis 15. Juli), denn die philisterhaft Säumigen sollen, wie der Fest-Ausschuß droht, verdonnert werden zu der gerechten Strafe, auf den Heuhaufen der Wöllnitzer Wiesen campiren und beim Festmahle eine ganze Flasche Jenenser 64er Schattenseite allein leeren zu müssen, wofür uns Alle gütig der Himmel bewahre!



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