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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

pflegt man das Fleisch etwas zu salzen und verzehrt es gewöhnlich in Verbindung mit drei Gemüsen, die von einem Solanum (S. anthropophagorum, das von Seemann bereits in die europäischen Gärten eingeführt ist), einer Nesselart und einer Wolfsmilchart hergenommen werden.

Wenn gleich der Cannibalismus auf den Fidji-Inseln noch ziemlich verbreitet ist, so meint Seemann doch, man würde irren, wenn man annehmen wollte, daß alle Fidji-Insulaner, die nicht zum Christenthum bekehrt sind, noch Cannibalen wären. „Es giebt unter ihnen,“ sagt er, „eine Anzahl, die man in Ermangelung einer besseren Bezeichnung die ‚liberale Partei‘ nennen könnte, die nie Menschenfleisch ißt, auch den Bures sich nicht nähert, wenn Leichname dort hingebracht sind, und welche diese Sitte ebenso verabscheut, wie wir Europäer, und ihr die abscheulichen Hautkrankheiten zuschreibt, von denen die Kinder so oft heimgesucht sind. Aber ihre Gegner behaupten, daß es, um den Feinden und den niederen Volksclassen Schrecken einzuflößen, für einen großen Häuptling durchaus nothwendig sei, Menschenfleisch zu essen. Das Gefühl des Volkes hinsichtlich dieses Punktes scheint dem Schrecken ziemlich ähnlich zu sein, den unsere Ammenmärchen durch die Episode einflößen, in welcher die Riesen nach Hause kommen und die versteckten Kinder zu riechen anfangen. Die aufgeklärte Partei protestirt auch gegen das Tödten von Weibern und geht von der Ueberzeugung aus, daß es ebenso feig ist, ein Weib, wie ein Kind zu tödten. Aber die Advocaten der Unmenschlichkeit haben auch hier noch immer das Uebergewicht. Sie machen geltend, daß es die beste Rache an den Männern sei, wenn man ihre Weiber todtschlage, da sie sich darüber grämen müßten, und daß, da zu allen Streitigkeiten ganz unzweifelhaft stets ein Weib die Veranlassung gebe, es vollkommen in der Gerechtigkeit begründet wäre, daß die Weiber, die das Blutvergießen verschuldet haben, nicht ungestraft davon kommen.“

Eine wie scheußliche Verirrung die Menschenfresserei auch sein mag, so dürfen wir doch die Menschen, die dieser Sitte seit Jahrhunderten und mit äußerster Hartnäckigkeit ergeben gewesen sind, nicht in jeder Beziehung uns als Unmenschen und Scheusale vorstellen. Auf die Fidji-Insulaner wenigstens paßt das nicht. „Sind sie auch Cannibalen,“ sagt Seemann, der lange unter ihnen verweilt und mit ihnen verkehrt hat, „so haben sie doch viele gute Eigenschaften; wären sie auch nur halb so schlecht, wie man sie schildert, so würden sie längst zu den ausgerotteten Stämmen gehören. Das Publicum hat viel darüber gehört, daß die im Kampfe erschlagenen Feinde gefressen werden, aber sehr wenig von der allgemeinen Freude über die Geburt eines Kindes und über die gegenseitige Liebe der Familienmitglieder; es hat viel gehört über die Sitte des Vatermordes und über die Erdrosselung der Weiber bei dem Tode ihrer Männer, aber nicht über das angeborene Gefühl der Anhänglichkeit, welches in diesen Handlungen einen allerdings befremdlichen Ausdruck sucht.“ –

Wie auf den Fidji-Jnseln, hat wohl auch auf den meisten oceanischen Inseln in früherer Zeit die Menschenfresserei geherrscht. Auf den Marquesas-Inseln wurden noch zu Krusenstern’s Zeit nicht blos die erschlagenen Feinde verzehrt, sondern in Hungersnoth sogar die eigenen Weiber, Kinder und greisen Eltern erwürgt, gebacken und gegessen. Im Innern Borneo’s scheint diese Unsitte noch nicht ganz erloschen zu sein, und die berühmte Reisende, Frau Ida Pfeiffer, die sich unter diese Cannibalen wagte, meint es nur ihrer Magerkeit zuschreiben zu müssen, daß sie nicht den Appetit ihrer liebenswürdigen Wirthe erregte. Aus Neuseeland kann die Menschenfresserei wohl gegenwärtig als vollständig erloschen betrachtet werden. Die Berichterstatter der „Novara-Expedition“ erzählen, daß jede Anspielung auf diese ehemalige Sitte dem heutigen Neuseeländer peinlich sei, weil sie ihn an den früheren niederen Standpunkt seiner Race erinnere. So oft die Reisenden gegen die Eingeborenen eine Erwähnung der Art machten, wandten sie sich mit dem Gefühl der Beschämung ab. Ja es scheint sogar, als ob sie, die Abkömmlinge von Menschenfressern, die von ihnen verabscheute Sitte jetzt den Europäern zutrauten. Die Novara-Expedition bemühte sich nämlich vergeblich einige der Maoris, wie die Eingeborenen Neuseelands heißen, zur Mitreise zu bewegen. Man erfuhr endlich, daß ihr Hauptbedenken darin bestand, daß sie alles Ernstes glaubten, die Weißen wollten einige ihrer Genossen nur statt frischer Provision mitnehmen, in der Absicht, wenn Mangel an Nahrungsmitteln eintreten sollte, sich durch Maorifleisch zu entschädigen und sie aufzuessen. Umsonst wies man auf einige Kaffern hin, die sich schon 15 Monate lang als Matrosen an Bord befanden und die freundlichste Behandlung erfuhren. „Wer weiß,“ warf einer der Besorgtesten unter den Maoris ein, „vielleicht hat man auch die Kaffern blos ausgespart, weil der Nothmoment noch nicht gekommen war!“ –

Weniger scheint der Cannibalismus in Australien erloschen zu sein, und hier sogar unter den nördlichen Stämmen die Sitte zu herrschen, die eigenen Familienmitglieder nach ihrem Tode zu verzehren. Der Novara-Expedition wurde bei ihrem Aufenthalte in Australien ein Fall erzählt, wo in der Nähe von Moreton-Bai ein Knabe starb, dessen Kopf und Haut vom Körper getrennt und an einem Stock über dem Feuer getrocknet wurden. Herz, Leber und Eingeweide wurden unter die anwesenden Krieger vertheilt, welche Stücke davon an den knöchernen Spitzen ihrer Speere mit forttrugen, während die gerösteten Oberschenkel, angeblich die größten Leckerbissen, von den Eltern selbst verzehrt wurden. Haut, Schädel und Knochen dagegen packten die Eingeborenen sorgfältig zusammen und nahmen sie in ihren Säcken aus Grasgeflecht auf die Reise mit. Uebrigens existirt gerade in Australien noch ein anderer eigenthümlicher Cannibalismus, der weniger in das kulinarische, als in das medicinische Gebiet gehört und auf einer abergläubischen Meinung von gewissen Heilkräften des Menschenfleischgenusses beruht, eine Meinung, die auch anderwärts vorkommt und selbst in Europa einmal dagewesen sein soll. So soll in Australien nicht selten eine Mutter ihr eigenes Kind in dem Wahne aufessen, daß jene Kraft, welche ihre Leibesfrucht ihr entzogen, auf solche Weise wieder in den Körper zurückkehre. So sollen ferner die Eingebornen, wenn ihnen ein Krieger eines feindlichen Stammes in die Hände fällt, ihrem Opfer mit fanatischer Wildheit das Fett der Nieren aus dem Leibe reißen und sich damit beschmieren, in dem Glauben, daß es dem Körper Kraft, dem Herzen Muth verleihe. Endlich ist auch Australien eines der seltenen Länder, in denen ein Theil des menschlichen Skelets zum Geräthe dient. Im südlichen Australien nämlich benutzen die Urbewohner ausgehöhlte Menschenschädel als Trinkgefäße, wie es die Geschichte ähnlich von den alten Longobarden berichtet. Jedes Weib soll dort eine solche Kalebasse besitzen, die es gewöhnlich selbst fabricirt.

Wir müssen nun den Leser noch in ein anderes Land hinübergeleiten, das in neuester Zeit das Dorado aller derer geworden ist, die das Gruseln lernen wollen, und in dem seit Menschengedenken auch die Menschenfresserei sich einer besondern Gunst und Gnade erfreut hat, nach Afrika. Schon Claudius Ptolemäus berichtete vor 1700 Jahren von einem schwarzen Cannibalenvolke, das an den Küsten des barbarischen Meerbusens im Osten der Nilquellen wohnen sollte. Auch die Portugiesen, welche auf ihren Entdeckungsfahrten nach Ostindien sich für längere Zeit an der afrikanischen Ostküste festsetzten, erzählen von Negerstämmen, welche „die Hände und Köpfe ihrer erschlagenen Feinde im Triumph vor ihren Häuptling brachten und das Fleisch ihrer blutigen Trophäen dann kochten oder brieten und verzehrten, während die Schädel ihnen zu Trinkgefäßen dienten.“ Die Sage von den afrikanischen Menschenfressern hat seitdem nie geschwiegen, und ihre Existenz in den verschiedensten Theilen Afrika’s konnte kaum in Zweifel gezogen werden. Leider aber wollte es lange keinem Reisenden gelingen, bis zu ihnen vorzudringen und ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Erst ganz neuerdings haben wir durch Männer wie Vogel, du Chaillu, v. Heuglin, welche diese vielleicht mehr interessanten als liebenswürdigen Völker besucht haben, zuverlässige Nachrichten über deren Existenz, wie über die Sitten und Gewohnheiten derselben erhalten.

Ganz so schrecklich, wie die Fama sie machte, haben sich diese Menschen denn doch nicht erwiesen. Als Vogel auf seiner Reise zum Benue nach Jacoba, der Hauptstadt von Bautschi, kam, wurde er vor Cannibalenstämmen gewarnt, die an den Ufern des Benue hausen sollten, und die man allgemein als Njem-njem bezeichnete, unter denen aber die Tangala die schlimmsten sein sollten. „Diese Stämme,“ schreibt Vogel (5. Dec. 1855), „habe ich besucht und bin recht wohl aufgenommen worden. Die Tangala, der Schrecken der umliegenden Gegend, sind wirklich wilde Burschen, die Menschenfleisch allem Anderen vorziehen. Entweder war ich ihnen aber zu mager, oder meine Flinte flößte ihnen einen heilsamen Schrecken ein; kurz, sie hielten sich in ehrfurchtsvoller Entfernung, und nur einige der Kühnsten kamen nahe genug, um die Perlen u. s. w., die ich ihnen entgegenhielt, in Empfang zu nehmen. Daß sie aber die Kranken ihres Stammes essen,“ schreibt er weiter, „ist unwahr; ich habe zufällig zwei Leute in ihren Dörfern sterben sehen und gefunden, daß sie mit äußerster Sorgfalt gepflegt wurden. Dagegen essen sie alle im Kriege erlegten Feinde; die Brust gehört dem Sultan, der Kopf, als der schlechteste Theil, wird den Weibern übergeben. Die zarteren Theile werden an der Sonne getrocknet und dem gewöhnlichen Mehlbrei als Pulver beigemischt.“

Unter den vielen Uebertreibungen, welche sich die Afrikaner in Betreff ihrer menschenfressenden Nachbarn erlauben, ist eine der gewöhnlichsten die auch von Vogel berührte, daß sie Kranke und halbverweste Leichen äßen. Auch du Chaillu hat sich von den Küstenstämmen am Gabun dies Märchen aufbinden lassen und erzählt sogar in dieser Hinsicht Manches, was er mit seiner etwas lebhaften Phantasie erlebt zu haben glaubt. So sei, während er sich bei dem Könige der menschenfressenden Fans aufhielt, eines Tagen der todte Körper eines Mannes aus einem benachbarten Orte gebracht worden, der angekauft war und nun zertheilt und verschmaust ward, obgleich er noch die Spuren der Krankheit, an welcher er gestorben, an sich trug. Es wurde ihm ferner von den Fans selbst erzählt, daß sie beständig die Todten von einem benachbarten Stamme kauften und ihnen dagegen die ihrigen überließen, ja, daß in ihrem eigenen Stamme die Familien gegenseitig ihre Todten verkauften und sie selbst die Körper der gestorbenen Sclaven von Nachbarstämmen um eine Kleinigkeit an Elfenbein einzutauschen suchten. Das Aeußerste glaubt du Chaillu selbst nicht mehr, daß nämlich ein Trupp Fans nach der Seeküste gekommen sei und von dem Kirchhofe der Mission einen frischbegrabenen Leichnam gestohlen und verzehrt habe. Im Uebrigen unterliegt es keinem Zweifel und wird auch durch andere Gewährsmänner bestätigt, daß die Fans arge Menschenfresser sind. Ueberall in ihrem Dorfe sah du Chaillu Knochen und blutige Ueberreste von Menschen liegen, und „war ich noch ungläubig,“ erzählt er, „so beseitigte ein Weib, dem ich begegnete, jeden Zweifel; sie trug, wie bei uns eine Köchin eine Kalbskeule, ein Stück von einem menschlichen Schenkel.“

Auch Ladislaus Magyar erzählt von Cannibalenstämmen Westafrika’s, die er auf seiner Reise von Benguela nach seiner neuen Heimath, dem Königreich Bihe, angetroffen. Bei den Hambo oder Munano, sagt er, werde das Menschenfleisch öffentlich feilgeboten, aber nur für die Einheimischen, da man Fremden gegenüber überhaupt diese Unsitte verleugne. Sie pflegen Kranke, Greise, Kinder und Sclaven zu schlachten, wie Magyar selbst wiederholt mit angesehen. Vom Mann wird der Kopf, vom Weibe der Oberschenkel weggeworfen, warum, weiß der Erzähler nicht anzugeben. Von den Kiakka in derselben Gegend berichtet er, daß sie bei festlichen Gelegenheiten Kriegsgefangene schlachten und ihr Fleisch mit Hundefleisch und Rindfleisch vermischt verzehren. Auch sollen sie von ihren Nachbarn Kinder stehlen, um sie zu essen.

Wären es nicht Augenzeugen, die über solche Gräuel berichten, so würden wir kaum dem Leser zumuthen, etwas davon zu glauben. Denn was Neger darüber erzählen, ist selten sehr glaubhaft. Es ist ganz gewöhnlich in Afrika, daß man benachbarte Stämme, mit denen man in Feindschaft lebt, von denen man durch Sitte, Abstammung, vielleicht auch Religion geschieden ist, deren Ueberlegenheit man überdies vielleicht oft empfunden hat, als Cannibalen, als Njem-njem bezeichnet. Es ist das oft nichts, als ein nationaler Schimpf, durch den man seinem Hasse oder seiner Furcht einen Ausdruck giebt. An der Westküste Afrika’s gilt der Europäer sehr gewöhnlich als Menschenfresser, und zwar einfach, weil man sich seinen Menschenhandel nicht recht hat ohne Menschenfresserei erklären können. Der englische Reisende Reade erzählt eine amüsante Geschichte, die mit diesem Verdacht

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