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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Er würde es auch ohne den politischen Haß thun, der täglich mehr heranwächst im Lande und riesengroß zu werden droht, – aus Geringschätzung und im Bewußtsein seines eigenen Werthes.

Mein Gastfreund führte mich zuerst in seinen auf der rechten Seite des Hauses belegenen Kuhstall. Der Kuhstall ist der Stolz des schleswigschen Bauern. Auf stattliches Vieh wird außerordentlich viel gehalten, meistens noch mehr, als auf schöne Pferde. Geringe Aeußerlichkeiten in der Farbe oder in der Bildung des Kopfes oder der Hörner werden oft sehr hoch bezahlt. Ich habe zuweilen stundenlang im Wirthshaus drei oder vier Bauern um den Tisch sitzen sehen. Sie waren in ernste Unterhaltung vertieft, und wenn ich hinantrat, um an dem Gespräch Theil zu nehmen, so handelte es sich um die Vorzüge dieser oder jener Kuh, welche einer von ihnen so eben gekauft hatte. Im Kuhstall meines Freundes war es heute leer; sein Vieh war auf der Weide zwischen den Knicks. Er versprach, mich am andern Morgen hinzuführen; heute sollte ich nur die außerordentliche Reinlichkeit und Sauberkeit in seinen Ställen bewundern. Von dort ging es in den Milchkeller, die Freude der schleswigschen Bäuerin. Dann wurden mir von einem Knecht, der in den im Lande üblichen Holzschuhen, welche den ganzen Fuß umschließen und vorn in der Spitze schnabelartig in die Höhe gebogen sind, einherschritt, zwei schöne Pferde anglischer Race vorgeführt, welche der Hofbesitzer zum Reiten für sich und seine Tochter angeschafft hatte, und welche zu keinem andern Zwecke verwandt wurden. Alle andern Pferde waren auf dem Acker beschäftigt. Der Pferdestall war äußerst sauber und reinlich gehalten, weiß gestrichen, die Raufen von Eisen, ein Weg, mit breiten Steinen belegt, führte in der Mitte zwischen den Ständen hindurch. Auch nicht der geringste Schmutz war in den Ständen zu bemerken. Alles war gefegt, gespielt und gewaschen, wie im Marstall eines reichen Edelmannes, welcher seinem Besitzer einzig und allein zum Luxus dient. Ich konnte nicht umhin, meine Bewunderung über die überall herrschende Sauberkeit und Ordnung auszusprechen.

„Nun kommen Sie, jetzt will ich Sie zu meiner Familie führen,“ sagte der Hofbesitzer, als wir mit der Besichtigung der Ställe und des Milchkellers fertig waren. Wir gingen durch den Blumengarten, in dem ich einige künstlich mit bunten Muscheln ausgelegte Beete erst genauer betrachten mußte, zu der steinernen Treppe, welche zu der Thüre des Wohnhauses führte. Wir traten ein. Auf dem hellgestrichenen, gedielten Vorplatz öffneten sich nach beiden Seiten mehrere Thüren von getäfeltem Holz zu zwei Zimmerreihen.

Der Hofbesitzer brachte mich in den „Saal“, der gleich links der Hausthür zunächst lag. Der „Saal“, auch „Pesal“ genannt, ist der größte und am reichsten eingerichtete Raum im Hause eines schleswigschen Bauern. Im „Saal“ werden die Gäste empfangen; dort finden die Hochzeiten und Kindtaufen statt; dort werden die Schmäuße abgehalten, und dort wird auch das Leichenmahl gegeben, wenn der Besitzer des Hofes oder eins seiner Familienmitglieder aus dem Hausthor hinausgetragen wird zur ewigen Ruhe. Auch der Saal meines Gastfreundes war ein großes und äußerst stattliches Gemach, die Wände und die Decke waren tapezirt, vergoldete Leisten rahmten die Tapeten in den Ecken, an der Decke und am Boden ein, welcher in brauner Farbe gestrichen und spiegelglatt gebohnt war. Große, reichgestickte Teppiche waren vor den Sophas und unter den Tischen ausgebreitet, sämmtliche Mobilien waren von ganz neumodischer Form, von Palisianderholz und hier und da mit Elfenbein und vergoldeten Zierrathen ausgelegt. In der einen Ecke stand ein prächtiges Pianino, in der andern ein mit Roßhaar gepolstertes, großes und bequemes Sopha hinter einer großen Tafel von Mahagoniholz, deren nach dem innern Raum offene Seite von mehreren bequemen und mit Stickereien bedeckten Armstühlen und Schaukelstühlen umstellt war. Ein breiter Spiegel, aus nur einem einzigen Stück vortrefflichen Glases bestehend, in übergoldeter Einfassung, reich mit Blumen und Arabesken verziert, reichte von dem getäfelten Boden bis zu der tapezirten Decke, aus deren Mitte ein Kronleuchter aus vergoldeter Bronze herabhing. Dem Pianino gegenüber stand ein großer, reich mit Elfenbein ausgelegter Schreibsecretair. Mein Freund ging hinaus, um seiner Frau und Tochter, welche im „Kohlhof“ waren, unsere Ankunft anzuzeigen. Ich hatte während seiner Abwesenheit Muße genug, mir den Saal des schleswiger Bauern genau zu betrachten. Die ganze Einrichtung war zierlich, reich und geschmackvoll. An der einen Wand war eine Etagère mit Büchern angebracht. Unter einigen klassischen und belletristischen Werken der neuesten deutschen Literatur fand ich dort die „schleswig-holsteinischen Briefe“ von Moritz Busch, und das Buch des Pastors Valentiner „über das Kirchenregiment in Schleswig“, prächtig eingebunden, daneben Uhland’s und Geibel’s Gedichte. An der dem Spiegel gegenüber liegenden Wand war eine kostbare, große Stutzuhr auf eine Console von vergoldeter Bronze aufgestellt; die breite, der Eingangsthür gegenüber befindliche Wand war mit einer Reihe von Bildern geschmückt. Unter ihnen befand sich ein Steindruck, die deutsche Majorität der letzten schleswigschen Ständeversammlung darstellend und ein mit großer Sauberkeit in Wasserfarben gemaltes Schiff. Es war ein Zweimaster. Das Schiff gehörte dem Hofbesitzer, wie er mir hernach erzählte, führte für seine Rechnung Waaren über’s Meer, und befand sich augenblicklich in Valparaiso.

Dann führte mein Gastfreund seine Frau und seine Tochter in den Saal, um mich ihnen vorzustellen. Erstere war eine angehende Vierzigerin, groß und stattlich, blond, mit einem intelligenten Gesicht, aus Holstein gebürtig. Schleswig und Holstein waren auch hier durch Familienbande verschwägert, wie bei vielen Familien in den Herzogthümern; die Tochter war ein hübsches, junges Mädchen von zwanzig Jahren, von schlanker, zarter Figur, mit hellblondem Haar und weißem, rosig angehauchtem Teint. Das „Unglück im Lande“ war auch hier nach wenig Minuten der Gegenstand, auf den sich das Gespräch hinwandte. Ich fragte nach dem Prediger des Kirchspiels. Er war, wie fast überall, ein Däne, aus Kopenhagen hergesandt, um in schlechtem, fast unverständlichem Deutsch Predigten zu halten, welche fast Niemand besuchte, und das Vertrauen seiner Gemeinde in keinerlei Weise zu genießen. Auch diese ganz deutsche Gemeinde hatte sich früher durch ihre Kirchlichkeit ausgezeichnet, jetzt war der kirchliche Sinn fast ganz verschwunden. Niemand im Kirchspiel hatte mit dem Prediger Umgang, er vertrieb sich die Zeit mit Besuchen seiner dänischen Collegen, im Umgange mit den dänischen Beamten, mit Fahrten über Land, mit Kartenspiel und in Gelagen. Mein Gastfreund war seit mehreren Jahren gar nicht mehr in der Kirche gewesen. Die Eingesessenen ließ er im Hause taufen, um nur nicht die Kirche betreten zu müssen, und wenn die kirchliche Handlung zu Ende war, setzte man dem dänischen Prediger mit Höflichkeit und, wenn es nicht anders ging, auch mit groben Worten den Stuhl vor die Thür, um nur nicht mit ihm an demselben Tische sitzen zu müssen. Auf der Straße grüßte man ihn nicht, man wandte den Kopf weg, um ihn nicht zu sehen. Früher bot man dem Prediger den besten Platz im Saale an, man legte ihm die besten Bissen bei Tisch vor; zu seinem Geburtstage fand er ein schönes Pferd von mehreren hundert Thalern an Werth im Stalle, welches ihm die Gemeinde zum Angebinde machte. Dem jetzigen verweigerte man das Feuer, um seine Pfeife anzuzünden. Der Frau und dem jungen Mädchen traten die Thränen in die Augen, als sie mit mir von den jetzigen Zuständen sprachen. Auch in dieser Gemeinde hielten die Hofbesitzer, denen es ihre Mittel irgend erlaubten, Hauslehrer und Gouvernanten, nur um ihre Kinder nicht zu dem dänischen Schulmeister in die Schule schicken zu müssen. Mit den dänischen Beamten im Kirchspiel ging Niemand um. Auch hier herrschte der zäheste passive Widerstand, wie überall im Lande. Aber der dänische Prediger, der dänische Schulmeister, die dänischen Beamten kümmerten sich um den allgemeinen Widerstand nicht, der ihnen auf Schritt und Tritt entgegentrat; ihre Stirn war von Eisen, wie die Stirn einer Panzerfregatte. Jeder suchte von seiner Stelle so viel Sporteln zu erheben, wie irgend möglich war.

In Schleswig wird herzhaft gegessen und getrunken, trotz alles Herzeleids, wie in Mecklenburg. Bald war der Tisch gedeckt, und ich mußte mit meinem Gastfreunde ein zweites Mittagessen einnehmen, trotz aller Weigerungen meinerseits. Der Tisch war auf’s Reichlichste besetzt, das Roastbeef von derselben Güte, wie in England, der Wein vortrefflicher alter Medoc. Der Hofbesitzer war allein mit mir zu Tisch; seine Frauen hatten noch im Hause zu thun, da sie zum Abend Besuch erwarteten. „Sie sehen,“ sagte er, „ich lebe hier in wohlhabenden Verhältnissen – und doch, wäre ich meinen Hof los zu einem erträglichen Preise, ich ginge über die Eider nach Holstein und kaufte mich in der Nähe von Hamburg an. Aber ich müßte ihn zu einem Spottpreise losschlagen, und dann wäre schon ein Däne da, der ihn durch einen Agenten kaufen ließe und sich hier festsetzte. Der Dänen Bestreben geht täglich dahin, soviel Grundbesitz in die Hände zu kriegen, wie immer möglich. Noch weit schlimmer ist es in den nördlichen Districten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_811.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)