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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Tode verurtheilt, beschuldigt: „eine Verschwörung im Gefängnisse angezettelt zu haben, um durch Ermordung der Volks-Repräsentanten die Republik zu stürzen und das Königthum wiederherzustellen.“ Mit Gleichgültigkeit hörten die Angeklagten das Urtheil an. Man war zu jener Zeit abgestumpft gegen den Tod und seine Schrecken, denen man täglich in’s Auge sah; man verabschiedete sich von einander mit den Worten: „Auf Wiedersehen, vielleicht unter der Guillotine.“ Um zwei Uhr war das Urtheil gesprochen, um vier Uhr brachten die Karren die Verurtheilten zum Revolutionsplatz. Fest umschlungen hatten sich die Freunde. Ein Gesang schwirrt durch die Luft, ein Gesang von festen, ergreifenden Männerstimmen. Es ist der „Chant du départ“, den die Verurtheilten singen.

Man sang zu jener Zeit, auch wenn man zum Tode ging; man sang, wenn man in den Krieg zog; man sang während der Blutarbeit. Boucher und Chenier unterhielten sich von ihren Schwärmereien, ihrer einst so rosig lächelnden Zukunft.

„Warum so frühe schon zum Tode?“ rief Chenier. „Hier war Etwas.“ Er schlug sich vor die Stirne.

„André,“ entgegnete Boucher. „Es sind Ideen, die Du verlässest – ich aber meine Kinder – mein holdes Weib. Jenseits finden wir uns; und nun enden wir edel, geben wir den Henkern nicht das Schauspiel des Zagens oder der Schwäche.“

„Ich zittre nicht,“ sagte Chenier, „aber ich bedaure, daß ich der Welt nicht noch nützen konnte.“

Mit entschiedenen Zeichen des Mitgefühls betrachtete das Volk die vorüberfahrenden Karren.

„Was wollt Ihr, was staunt Ihr?“ rief Trenck mit fester Stimme. „Dies ist nur eine Komödie à la Robespierre!“

Man war am Fuße der Guillotine angelangt. Hier erst zeigte Trenck die ganze Kraft seiner Seele, den ungebeugten, mächtigen Willen. Er verschmähte es, der Erste zu sein. Einen Kopf nach dem andern sah er fallen; ohne eine Bewegung der Unruhe stand er ruhig da, die Arme über der Brust gekreuzt, seine Augen fest auf das blutige Schauspiel gerichtet, das sich 29 Mal vor ihm wiederholte. Hoch über alle Häupter hinweg ragte seine riesige Gestalt; sein greises Haar flatterte um das energische Antlitz. Welche Gedanken wogten durch sein Gehirn? – „Bleib Er bei mir, ich will etwas Großes aus Ihm machen,“ hatte Friedrich der Einzige 1749 zu ihm gesagt.

Da fiel Boucher’s Haupt. Er war der Vorletzte.

Die Reihe kam an Trenck. Festen Schrittes ging er auf das Schaffot zu; die Stufen der Treppe knirschten unter seinen gewichtigen Schritten. Oben angelangt übersah er ruhig die Menge. „Franzosen!“ rief er, „wir sterben unschuldig. Unser Tod wird gerächt werden durch Euch – stellt die Freiheit her, indem Ihr die Ungeheuer opfert, die sie schänden.“

Schnell warf er sich in die Maschine. Blitzend fuhr das Beil herab, und in den Sack des Henkers rollte das Haupt des unglücklichen Abenteurers. – Dreißig Köpfe waren in fünfzehn Minuten gefallen. – Auseinander stob die Zuschauermenge. – Wie ein Oceanbrausen schallte donnernd durch die Lüfte der Ruf:

„Vive la Nation!“
George Hiltl.[WS 1]



Heilung und erste Hülfeleistung bei Knochenbrüchen.
Vormerke beim Glatteis.


Verzweifeln möchte man über das abergläubische Vertrauen, welches verständige Menschen auf die Heilmacht von allerhand Personen und allerlei Dingen setzen. Gegen die Thatsachen, welche ganz klar beweisen, daß in unserm Körper fast alle Krankheiten ohne jedweden Arzneikram und Hokuspokus, nur durch die schon so oft besprochenen Naturheilungsprocesse (siehe Gartenlaube Jahrgang 1855 Nummer 25 und 1862 Nummer 13) gehoben werden, wehrt sich die große Menge, ebenso der Aerzte wie Laien, mit Händen und Beinen, nur um nicht aus ihrem bequemen, aber verdummenden Aberglauben gerissen zu werden. Von leicht ansführbaren Versuchen, durch welche man ganz sicher hinter den Blödsinn der verschiedenartigsten Heilmethoden und Charlatanerien kommen könnte, will die abergläubische Mensch- und Arztheit durchaus nichts wissen, denn sie befindet sich ruhiger bei ihrem blinden Vertrauen auf unnatürliche und unvernünftige Heilmächte.

Hat denn wohl schon einmal einer von den fanatischen Anhängern und Lobhudlern der homöopathischen Heilkünstelei das ganz gefahrlose Experiment mit Chinarinde nachgemacht, auf welches doch Hahnemann die Homöopathie gründete? Nein! Einer schlabbert’s dem Andern nach, daß China bei einem Gesunden einen dem Wechselfieberanfalle ähnlichen Zustand erzeugt und daß deshalb, weil diese Rinde Wechselfieberanfälle wirklich unterdrückt, die homöopathische Heilmethode auch ihre volle Berechtigung habe. Daß aber die Erzeugung eines wechselfieberähnlichen Zustandes durch die China gar nicht zu ermöglichen und Hahnemann’s Behauptung: „Aehnliches heilt Aehnliches“ geradezu Unsinn und Lüge ist, davon wollen sich die meisten, auch sonst ganz vernünftige Leute durchaus nicht überzeugen, obschon dies so leicht wäre. Und ein solches unvernünftiges Sträuben gebildeter Menschen gegen eine vernünftige Aufklärung über ihr körperliches Heil sollte die Anhänger des Fortschritts nicht zur Verzweiflung bringen? Am Menschenverstande sollte man nicht irre werden, wenn man diese heillose Lutze’-, Lampe’-, Laurentius’sche Wirtschaft mit ansehen und die Hoff’sche Malzextract-Geldmacherei in allen Zeitungen gelobhudelt lesen muß?

Man lasse sich’s doch ein für allemal gesagt sein: wo immer in einem kranken Körper Heilung eintritt, da half der Naturheilungsproceß (oft selbst trotz der unsinnigsten Curirerei), und die Macht eines wissenschaftlich gebildeten Arztes besteht blos darin, diesen Proceß durch diätetische Hülfsmittel zu unterstützen. Nur in sehr wenigen Fällen lassen sich durch Arzneistofle (niemals aber in homöopathischer Gabe), Beschwerden lindern oder beseitigen.

Was der Naturheilungsproceß zu leisten im Stande ist, zeigt sich, und zwar auch dem blindesten und vorurtheilvollsten Homöopathen, am deutlichsten bei äußern Schäden. Betrachten wir z. B. einmal den Heilungsproceß bei Knochenbrüchen.

Zum bessern Verständniß desselben sei aber vorher kurz des Knochens im Allgemeinen und seiner Umgebung gedacht. Letztere besteht gewöhnlich aus Muskeln (Fleisch) und Zellgewebsgebilden; der Knochen enthält in seinem Innern mit Mark (Fett) erfüllte Hohlräume und hat an seiner äußern Oberfläche einen sehnigen Ueberzug, die Knochenhaut. Alle diese genannten Theile besitzen eine größere oder geringere Anzahl der feinsten Blutröhrchen.

Zerbricht nun ein Knochen, so zerreißt natürlich gleichzeitig mit der Knochenhaut, in der Regel auch eine stärkere oder schwächere Portion der fleischigen und sehnigen Umgebung desselben, und aus den verletzten Blutröhrchen nicht nur dieser zerrissenen Theile, sondern auch des zerbrochenen Knochens und seines Markes selbst, läuft mehr oder weniger Blut heraus, welches sich ebenso rings um die Bruchstelle, wie zwischen den Knochenstücken und im Markcanale ansammelt, theilweise flüssig bleibt, zum größten Theile aber gerinnt und allmählich, schneller oder langsamer, wieder weggesogen wird. Kurze Zeit nach diesem Blutaustritte zeigt sich, in Folge der Reizung und gesteigerten Blutfülle in den umliegenden Blutröhrchen, eine flüssige Ausschwitzung von schnell gerinnenden Blutbestandtheilen. Das Ausgeschwitzte kommt zuerst in den Weichtheilen äußerlich rings um die Bruchstelle und an der geschwollenen Knochenhaut zum Vorschein und bildet hier eine Geschwulst von dichter speckiger Masse, welche, sehr fest mit der Beinhaut verschmolzen, die Knochenstücke wie eine Kapsel oder Zwinge umfaßt und so mit einander vereinigt. Diese anfangs weiche Zwinge (äußerer, zeitiger oder provisorischer Callus) wird allmählich immer härter, knorplig und endlich theilweise knöchern. Innerhalb dieser Zwinge bildet sich nun erst zwischen den Knochenenden, ganz besonders aber vom Marke aus, eine sofort verknöchernde, die getrennten Knochenstücke innig verbindende Ausschwitzung (innerer, späterer oder definitiver Callus). Nach Wiederherstellung der gehörigen Festigkeit durch knöchernen Callus schwindet allmählich der größte Theil des viel zu reichlich abgesetzten Verbindungsmaterials, besonders der Zwinge, fast vollständig, und der Knochen bekommt dadurch seine natürliche Gestalt wieder. Auch im Innern des Knochens stellen sich die Markräume wieder her.

Wenn dieser Heilungsproceß naturgemäß und ungestört verlaufen kann, so heilt beim Erwachsenen (auch im Alter) ein Oberschenkelbruch


  1. Vorlage: George Hiltt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_011.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2020)