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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

unter, dessen Lächeln nicht ohne Liebreiz ist, welches die Lieder in der fremden Mundart mit recht charakteristischem Gepräge vorträgt und durch sein gebrochenes Deutsch eine Sprache herausfordert, die es besser und ohne Hülfe eines Dragoman’s versteht. Doch die Mehrzahl der Harfenistinnen befindet sich in einem Alter, in welchem die Künstlerinnen das Fach der ersten Liebhaberinnen längst aufgegeben haben und in das der ehrwürdigen und komischen Alten übergegangen sind. Manche Harfenistin singt seit zwanzig Jahren in derselben Baude und scheint sich eines lebenslänglichen Engagements mit Pensionsberechtigung zu erfreuen. Sie singt dasselbe Lied dem Sohn vor, welches sie bereits vor zwei Jahrzehnten dem Vater vorgesungen, und erweckt in jenem Gefühle der Pietät, während sie in diesem vielleicht andere Gefühle zu erwecken vermochte. Ja, man ist conservativ oben auf den Bergen, conservativer, als bei unseren Stadt- und Hoftheatern, obgleich es auch an letzteren nicht an künstlerischen Mumien fehlt.


Baude auf dem Riesengebirge.


Die zum Baudeninventar gehörigen Harfenistinnen huldigen indeß der Kunst nicht mit jener Andacht, wie sie Platen verlangt:

Keiner gehe, wenn er einen Lorbeer tragen will davon.
Morgens zur Kanzlei mit Acten, Abends auf den Helikon!
Dem ergiebt, die Kunst sich völlig, der sich völlig ihr ergiebt,
Der die Freiheit heißer, als er Noth und Hunger fürchtet, liebt!

Nein, ihr Pegasus zieht im Joche, man sieht sie höchst wirthschaftlich in den Milchkellern und Kuhställen; sie sind gleichzeitig die Wirthschaftsfräulein und die Gesellschaftsdamen der Bauden.

Dieselbe Hand, welche eben tapfer im Butterfaß herumgearbeitet oder die zur Käsebereitung unentbehrlichen Handgriffe verrichtet, entlockt den Saiten elegische oder heiter scherzende Klänge. Es bedarf in der That der Anregungen des Tokayer Ausbruches, um sich durch diese Sängerinnen in poetische Illusionen versehen zu lassen.

Zu den Stammgästen der Bauten gehören zwei sehr feindliche Menschenclassen, die Grenzjäger und die Schmuggler, welche nicht selten unter einem Dache friedlich zusammenkommen, ähnlich wie die italienischen Carabinieri und Fra Diavolo’s. Erstere suchen meistens durch persönliche Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit die Strenge und Härte ihres staatlichen Berufes vergessen zu machen. Die Pascher aber, deren Zahl sich seit dem preußisch- österreichischen Zollvertrage vermindert hat, sind sehr kecke, unternehmende Burschen, voll lustiger Streiche, Kniffe, Neckereien, von einem unverwüstlichen Humor, den sie sich auf ihren Bergfahrten trotz aller Beschwerlichkeiten zu bewahren wissen. Vertrauter mit der Topographie des Gebirges, als alle Geographen, Naturforscher und Kartenzeichner, wissen sie ihren Pfad durch die verschwiegensten Schluchten, über die unwegsamsten Knüppeldämme der Wiesenmoore, an den steilsten Felsenhängen hinab zu nehmen, und es hat oft den Anschein, als könnten sie jeden Knieholzbusch vorn andern unterscheiden. Die officiellen Träger, meistens phlegmatische Kernmenschen, die sich durch ihre kameelartige, in Bezug auf die bewältigten Lasten oft staunenswerthe Tragfähigkeit auszeichnen, stehen mit ihrer localen Kenntnis des Gebirges, welche sich wesentlich auf die Hauptpfade des Verkehrs erstreckt, hinter jenen freizügigen Bergwanderern weit zurück.

Die zahlreichen Bauden der böhmischen Grenzdörfer unterscheiden sich wenig von einander und zeichnen sich dafür durch seltsame Namen aus. Da giebt es eine Ochsengraberbaude, Guckuckhäuser, Plauerbauden, Leierbauden, Geiergucken, Rehhornbauden, das Reibeisen u. s. f. Aus der großen Tour über den Kamm des Gebirges kehrt man nur in die Spindler- und Petersbaude ein, zwei der am wohnlichsten eingerichteten und mit gutem Ungarwein versehenen Herbergen. Zu dem böhmischen Dorfe Klein-Aupe gehören die bekannten Grenzbauden, welche von drei hierher verbannten österreichischen Officieren, Graf Aufschläger, Fürst Reuß und von Baumecker im Jahre 1663, nach einer andern Nachricht von verbannten Schweizern gegründet worden sein sollen. Jedenfalls ist ihre Lage auf einen, der blumenreichsten Wiesengründe des Gebirges von erquickendem Reiz; keine Fernsicht stört die idyllische Abgeschlossenheit; Alles ladet zur fröhlichen Einkehr; köstliche Weine erquicken den Wanderer. Hierher gehen im Sommer und Winter die Vergnügungspartien von Schmiedeberg aus; hier entwickelt sich der heiterste gesellige Verkehr. Eines gleichen Rufs aus alten Zeiten schon erfreut sich die Hampelbaude, über welche der Weg von Schmiedeberg auf die Koppe führt. Zur Zeit, als der schlesische Dichter Andreas Gryphius die Sudeten durchwanderte (1670), hieß sie, „Tanlabaude“, von ihrem Eigenthümer Tanla, einem würdigen Greise, welcher jeden Morgen auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_765.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)