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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hörte er mit Entzücken zu. Auch eine Goldammer pfiff auf einer Erle am Bach, und ich sagte ihm, daß man in meiner Heimath dem Gesange dieses Vogels allerlei Worte unterlegt; neben vielem Derben sagt man auch, daß die sechs kurzen Töne und der langgezogene Schlußton der Goldammer eigentlich heiße: „Wie, wie hab’ ich dich so lieb!“

Als wir wieder über die Elbe fuhren, sagte Rietschel: „Es ist doch schön! Wie, wie hab’ ich dich so lieb – singt der Vogel.“ Nochmals reichte er die Hand zum Wagenschlage heraus, hielt meine Hand fest und schaute mich noch lange an mit seinen treuen Augen, und das war das letzte Mal, daß ich in sein Auge schaute und seine Hand hielt. – Wenn ich wieder von Ufer zu Ufer fahre, werde ich des Liedes unsers Uhland gedenken:

Ueber diesen Strom vor Jahren,
Bin ich einmal schon gefahren;
Und von diesem Kahn umschlossen
Waren wir da zween Genossen …

So, wenn ich vergangner Tage,
Glücklicher, zu denken wage,
Muß ich stets Genossen missen,
Theure, die der Tod entrissen.

Doch was alle Freundschaft bindet,
Ist, wenn Geist zu Geist sich findet;
Geistig waren jene Stunden,
Geistern bin ich noch verbunden. –




Pariser Bilder und Geschichten.

Von Sigmund Kolisch.
Moderne Marktschreier

.

Gewöhnlich bezeichnet man Spanien und Italien als den classischen Boden der Charlatane und Charlatanerie, der Quacksalber, der Verkäufer von allerlei Wundertränken und allgemeinen Heilmitteln, kurz als die gelobten Länder ausgebeuteter Leichtgläubigkeit und irregeführter Unwissenheit. Gil Blas, Dulcamara und wie sie alle heißen mögen, die berühmt gewordenen Marktschreier der verschiedenen Länder, sie sind arglose Kinder im Vergleich zu dem ersten besten pariser Speculanten, Glücksritter, ja zu dem gewöhnlichsten pariser Geschäftsmanne.

Wer in Europa, sei es nun in dem alten oder modernen, kann sich mit Mengin, dem berühmten Bleistiftverkäufer messen, der als Ritter mit Helm und wallendem Federbusch, mit Musik und einem Wappen auf einem Wagen einherfährt, um auf öffentlichen Plätzen der gaffenden Menge seine Waare feil zu bieten, und der von sich rühmt und rühmen kann, daß er von derselben für mehr als eine Million Franken an den Mann gebracht habe.

Mit einer Offenheit, die Glück macht, erklärt es Mengin den Leuten, die sich, sobald er sichtbar wird, um ihn sammeln, warum er nicht wie gewöhnliche Menschenkinder, sondern in so abenteuerlicher Weise auftritt, wenn er sein Gewerbe treibt. „Sie werden mich einen Charlatan nennen,“ sagt er ihnen, „weil ich mich in einem solchen Anzug darstelle und mit Musik ankündige. Sie haben Recht; meine Verkleidung ist ein marktschreierischer Behelf; allein meine Bleistifte blieben trotz ihrer Vortrefflichkeit auf dem Lager, wenn statt des Helms eine gewöhnliche Mütze oder ein Hut mein Haupt und statt des weißen Mantels ein alltäglicher Paletot meinen Leib bedeckte.“ Und damit berührt der Philosoph der Straße den Kern des pariser Lebens und Treibens. Ohne Trompetenstöße, ohne Wind und Geräusch kein Gelingen, kein Erfolg. Für das stille Verdienst giebt es in diesem Meere von arbeitenden Kräften und arbeitenden Leidenschaften, das man Paris nennt, keinen Lohn.

Herr Merimé, der berühmte Novellendichter, hat eine Reise durch Spanien gemacht und natürlich ein Buch über das merkwürdige Land geschrieben, das von allen christlichen Ländern sich die meisten nationalen Eigenthümlichkeiten bewahrt und seine Sitten und Gebräuche am längsten der überwältigenden Einwirkung der Mode entzogen hat; allein der französische Reiseschriftsteller, weit entfernt, sich mit all dem Ungewöhnlichen und Seltsamen, das er vorfand, zu begnügen, tischte seinen Lesern die abenteuerlichsten Erfindungen auf, wie z. B. das Märchen von dem Dolche, den die Frauen auf der pyrenäischen Halbinsel im Strumpfband tragen sollen, und dergleichen mehr. Bei einem Zusammentreffen mit dem Herzog von Rivas, dem angesehenen spanischen Poeten, von diesem befragt, warum er in seiner Reisebeschreibung Dinge, die nie waren und nicht sind, mitgetheilt habe, gab der Franzose die mehr offene als würdige Antwort: „Sehen Sie, mein Freund, wenn ich die Dinge treu wiedergegeben hätte, wie sie sich vorfinden, so hätte mein Buch nicht angezogen und mir wenig Leser, noch weniger Käufer gefunden; aber etwas Unerhörtes, etwas Unmögliches, glücklich angebracht, ist eine Würze, die den Gaumen des Publicums reizt und den materiellen Erfolg einer Reisebeschreibung sichert.“

Der Schriftsteller Merimé geht von derselben Maxime aus, wie der Bleistiftverkäufer Mengin. Herr Merimé hat es bis zum Senator gebracht; wer weiß, ob es Mengin, mit der Begabung des Herrn Merimé ausgerüstet, nicht noch höher gebracht hätte.

Mengin, ohne sich viel in Schulen umgethan, ohne orthographisch schreiben gelernt zu haben, besitzt eine Naturberedsamkeit und einen Humor, von denen der Senator in dem Luxembourg-Palaste bis zur Stunde keine Beweise gegeben hat. Mengin erheitert seine Zuhörer, und man möchte sagen, daß sie ihm eher für die gebotene Unterhaltung, als für die Bleistifte die Zweisousstücke hinwerfen. Ein eben so vollendeter Zeichner als Redner, fängt Mengin damit an, sich aus der Schaar, die ihn umsteht, einen Kopf auszusuchen, den er mit Blitzesschnelle als Zerrbild aufs Papier wirft und alsbald der Menge zeigt, um darzuthun, wie trefflich sich mit seinen Bleistiften sogar zeichnen läßt. Der Haufen lacht auf über das Bild, und alle Blicke wenden sich abwechselnd nach der Person, welche unwillkürlich dem indiscreten Zeichner gesessen, oder besser gesagt, gestanden, und nach dem komischen Portrait. Diese Person, obgleich auf diese Weise dem Gelächter preisgegeben, weil entfernt sich verletzt zu fühlen, stimmt in das Gelächter ein, und die Heiterkeit ist allgemein. Hie und da ruft einer von den Umstehenden dem Marktschreier einen Witz zu, der diesem zu einer trolligen Antwort oder auch nur Grimasse Anlaß giebt und zur Erhöhung der Heiterkeit beiträgt.

Dieses Alles geht vor, während der Knappe hinter dem Ritter auf dem Wagen auf einem Leierkasten die Ouverture zu der Komödie spielt, welche der neugierige Haufen mit Spannung erwartet. Man kann nicht trefflicher als Mengin einen Boten für eine erwünschte Ernte bearbeiten. Der letzte Ton des Leierkastens verklingt, und Mengin ergreift das Wort.[1] Nachdem er sein Auftreten und seine Verkleidung, wie oben angedeutet wurde, erklärt hat, fährt er also fort: „Sie erkennen wohl mit mir, daß eine Waare nichts durch die Geschicklichkeit von ihrem Werthe verliert, mit welcher ein Verkäufer sie anzubringen weiß. Die künstlichen Mittel, welche ich angewendet habe, um Sie anzuziehen und Sie in Verbindung mit mir zu bringen, fallen von dem Augenblicke weg, als es sich um das Geschäft selber handelt. Könnte eine gute Waare schon dadurch, daß sie gut und wohlfeil ist, angebracht werden, ich brauchte wahrlich dieser auffallenden Ankündigung nicht. Meine Bleistifte sind die ausgezeichnetsten, welche in Paris, der Hauptstadt nicht nur von Frankreich, sondern der civilisirten Welt, zu finden sind, und im Verhältniß zu ihrer Vortrefflichkeit spottwohlfeil, ich möchte sagen zu wohlfeil. Es steht zu befürchten, daß Leute, die Billigkeitssinn und Verständniß, ein edles Herz und einen edeln Geist besitzen, sich Vorwürfe darüber machen, daß sie für einen so brauchbaren, allen Anforderungen entsprechenden Gegenstand, wie ein Bleistift aus der Fabrik, welche ich vertrete, so geringes Geld, wie zwei Sous, bezahlt haben. Ich weiß wie weit der Edelmuth bei Franzosen, überhaupt bei Menschen gehen kann, welche vom Lichte der Civilisation erleuchtet sind; das, was ich hier sage, glauben Sie mir, ist tief gefühlte Wahrheit. Ich schneide nicht auf und


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_360.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)
  1. Ich theile eine seiner Reden, die ich mir gemerkt und aufgezeichnet habe, fast wörtlich mit.