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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


mit den bloßen, aber ziemlich rauhen und mit Oel eingeriebenen Händen Ameisen und Puppen haufenweise und wirft sie in den Sack; in manchem Ameisenhause sind 20 bis 40,000 Puppen. Von Klippe zu Klippe, von Schlucht zu Schlucht sucht nun der Ameiser, den festverbundenen Sack auf dem Rücken, andere Beute. Die Ameisen, rothe und schwarze, große und kleine, sammt den Puppen, kommen alle in den nämlichen Sack, bis er voll ist, worauf er irgendwo an geschütztem Orte untergebracht wird, bis die Ameiser nach 6-8 Tagen zu Thal steigen. Keine der emsigen Gefangenen vermag zu entrinnen, so sehr sie sich auch innerhalb der Umhüllung um die Freiheit abmühen; die rothe Ameise ist die heftigste und greift, nachdem sie die Unmöglichkeit der Flucht bemerkt, die sanfteren und schwächeren Schwestern an und tödtet sie mit ihren scharfen Zangen. Die Rothen sind durchweg schärfer als alle Anderen, und sie machen sich aus dem Schwestermorde nichts.

Haben die Ameiser einige Säcke voll gemischter Beute, so ziehen sie mit denselben zu Thal, um die Ameisen an abgelegenen waldigen Orten „auslaufen“ zu lassen, d. h. die Puppen und den Weihrauch von den bisherigen Besitzerinnen zu reinigen. Das Standquartier haben in dieser Gegend die Ameiser beim Euterrottacher Hofe. Im Schatten der Bäume, an den Säumen des Bergforstes strecken sie die müden Glieder, diese Ruhezeit zugleich zum „Auslaufenlassen“ benützend.

Dies geschieht nur bei hellem Sonnenscheine. Ein sehr langes und breites weißes Tuch wird auf der Erde ausgebreitet, dessen Ränder werden umgeschlagen, und innerhalb den eingebogenen Tuchränder legen sie frisches Laub in der Runde herum. Der Sack wird geöffnet und der Inhalt desselben in die Mitte des Tuchs geschüttet. Nun sollten Sie sehen, an welches Rennen es geht! Alle sind gierig, in’s Grüne zu entkommen, und rennen den Rändern des Tuches zu; aber ebenso schleunig kehren sie alle wieder um, der Instinct, die junge Brut zu retten, treibt sie zum Haufen zurück. Jede ergreift nun eine Puppe, jede diejenige, die ihr zunächst liegt; die große Ameise birgt die Puppe der kleinen und trägt sie eiligen Laufs unter das Laub, und die kleine zerrt und quält sich ab, um die Puppe der großen Schwester zu retten. Die rothe Ameise ist fast die emsigste und ohne Zaudern rettet sie nicht nur die Puppen der eigenen Art, sondern auch gleich eilfertig jene der schwarzen Schwester, welche sie während der Gefangenschaft im Sacke so grimmig angegriffen und verfolgt oder getödtet hat.

Der Ameiser aber sitzt, sein Pfeifchen schmauchend, in einiger Entfernung und füllt von den Häufchen, welche die Ameisen aufgeschichtet haben, einen Becher nach dem andern mit den weißen Puppen, sodaß er an günstigen Tagen dreißig und vierzig Maß Puppen gewinnt, welche er an die Besitzer von Singvögeln in den größern Städten verkauft. Ist endlich keine Puppe mehr auf dem Tuche, so laufen die Ameisen über dasselbe hinaus in’s Freie, wo sie sich, nachdem die erste Verwirrung vorüber, bald in Familien sammeln, von den Fichten-, Tannen-, Föhren-, Lärchen- und Wachholder-Nadeln neue Haufen errichten und nach ein paar Jahren dem Ameiser in der bequemeren Lage am Fuße der Berge neue Beute liefern. Bei Sichtung des auf dem Tuche liegenden Materials ergiebt sich dann noch eine Menge wohlriechenden starkduftenden Harzes, das als gemeiner Weihrauch ebenfalls verwerthet werden kann. Es möchte Jedem, der Brustleiden hat, anzurathen sein, nach Enterrottach zu gehen und zugegen zu sein, wenn die Ameiser die vollen Säcke ausschütten und „auslaufen“ lassen. Ein kräfter Harzduft dringt in alle Adern und erfüllt die Atmosphäre ringsum. Wessen Brust dies nicht stärkt, der hat für seine Brust wohl nichts mehr zu hoffen.

(Schluß folgt.)


Friedrich Christoph Dahlmann.

Von Heinrich v. Treitschke.
(Schluß.)


… Und dieser Mann voll Rechtsgefühles, voll wissenschaftlicher Ruhe und maßvoller Pietät vor dem Gegebenen sollte jetzt als ein Staatsverbrecher schmachvoll des Landes verwiesen werden! Schon als im Sommer 1837 die Kunde kam von dem Tode des guten Königs Wilhelms IV. von England-Hannover, ahnte Dahlmann, seines Bleibens sei nicht lange mehr in Göttingen, wo er politischen Einfluß, wissenschaftlichen Ruhmes die Fülle und Beweise der Liebe und Verehrung von allen Seiten gefunden hatte. Am 1. November hob der neue König Ernst August die zu Recht bestehende Verfassung eigenmächtig auf, welche Dahlmann nach Bürgerpflicht ehrte, als sein Werk liebte. Die Beamten entband der König ihres nicht ihm geleisteten, Verfassungseides. Während ein dumpfes Murren durch das Land ging und mancher Beamte sich jenes trostlosen Wortes getröstete: „ich unterschreibe Alles, Hunde sind wir ja doch,“ gingen die Göttinger Gelehrten mit einander zu Rathe, und am 18. November unterzeichneten Sieben von ihnen eine von Dahlmann entworfene Vorstellung an das Universitätscuratorium, worin sie erklärten, daß sie sich auch jetzt noch durch ihren Verfassungseid gebunden hielten. Es war kein politischer Act; denn die „bösen Sieben“ waren keineswegs sämmtlich Parteigenossen, und nur Dahlmann, Albrecht und Gervinus wurden durch ihre Wissenschaft auf Staatsfragen hingeführt, während die beiden Grimm, Ewald und Wilh. Weber in ihrer gelehrten Thätigkeit mit dem Staate Nichts zu thun hatten. Es war eine „Protestation des Gewissens,“ eine That der Bürgertugend, die einzig mögliche Antwort ehrlicher Männer auf die Zumuthung den Eid zu brechen. Aber dahin war es mit unserem Vaterlande gekommen, daß die schlichte Rechtschaffenheit, welche im bürgerlichen Verkehr Jedermann bei uns erwartet und ausübt, im öffentlichen Leben als waghalsige Kühnheit, als Staatsverbrechen erschien. Auch heute, wo dem Beispiele Hannovers so viele deutsche Landesherren gefolgt und von dem Rechtsboden in den meisten Einzelstaaten nur wenig karge Reste noch übrig sind auch heute soll unser Volk es den Sieben nicht vergessen, daß sie damals durch eine mannhafte That den Bann der Trägheit brachen, der auf unserem Lande lastete. Unsere Gelehrten insbesondere sollen wieder und wieder die goldenen Worte durchdenken, womit Dahlmann und seine Genossen damals die Aufgabe des deutschen Gelehrten bezeichneten: „Das ganze Gelingen unserer Wirksamkeit beruht nicht sicherer auf dem wissenschaftlichen Werthe unserer Lehren, als auf unserer persönlichen Unbescholtenheit. Sobald wir vor der studirenden Jugend als Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebenso bald ist der Segen unserer Wirksamkeit dahin. Und was würde Sr. Maj. dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Solchen ausginge, die eben erst ihre eidliche Versicherung freventlich verletzt haben?“ Hatte man am Hofe zu Hannover es kaum der Mühe werth gehalten, nach einem Rechtsvorwande für den Staatsstreich zu suchen, so war man jetzt auch sofort entschlossen, das aufsässige „Federvieh“ zu beseitigen. Nach wenigen Wochen wurden die Sieben abgesetzt, ohne daß man auch nur jene wahrlich sehr bequemen Formen achtete, welche der Bundestag für die Entfernung „staatsgefährlicher“ Professoren vorgeschrieben. Dahlmann ward mit Jakob Grimm und Gervinus sogar aus dem Lande getrieben, weil die Drei ihren Protest brieflich an Verwandte mitgetheilt hatten. Wohl mochte dem großen Wiedererwecker alldeutscher Dichtung das Wort aus den Nibelungen in der Seele klingen: „war sint die eide kommen?“ als eine Schaar Kürassiere die Zierden der Göttinger Hochschule über die Landesgrenze brachte und drüben auf hessischem Boden der in Schaaren vorausgeeilte Göttinger Bursch die geliebten Lehrer zum letzten Male mit einem Hoch empfing.

Dahlmann, den seine Schüler damals als den „Mann des Wortes und der That“ begrüßten, ging nach Leipzig, um eine Stätte zu finden, wo er nicht nöthig hätte, „die Lehre des Meineids in seine Vorträge über Staat und Versassung aufzunehmen“. Die That der Sieben wirkte nach. Zu deutlich hatte sich offenbart, daß ein Kleinstaat heutzutage nicht mehr fähig ist, Charaktere zu ertragen. Und als der Bundestag zusah, ruhig zusah, wie eine Landesverfassung vor seinen Augen „wie ein Spielzeug“ zerbrochen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_183.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)