Seite:Die Gartenlaube (1859) 206.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

in Essig, gesäuerte Milch oder in Quaß, ehe es an den Spieß kommt.

Unsere Heimfahrt führte an einem jener künstlichen, durch Aufdämmung gebildeten Teiche vorüber, in welchen das Winterwasser sich sammelt, den Heerden der Steppe zur Tränke. Er war rings mit hohem Schilf umkränzt, nur da und dort waren tiefe Pfade von den Weidethieren bis zum Wasserspiegel hindurchgebrochen. Wir scheuchten eine Kette Krickenten auf, aber die kleinen schwarzen Streckhälse waren schon weit, ehe ich auf dem Wagen fertig wurde. Auch ein paar Spießenten rauschten empor; zwar knallte ich hinter den bei uns ziemlich seltenen Wanderern drein, aber leider vergeblich. Der Jagdeifer war ohnedies erstickt in der fabelhaften Gluth des Himmels, der über uns lag, wie ein Brennspiegel, die Zunge klebte mir am Gaumen, ich wollte vom Wagen springen und vom schlammigen Wasser des Teiches schöpfen, allein Sergei litt es nicht, indem er mich auf wenige Schritte vertröstete. In der That enteilte er nicht lange darauf plötzlich und kam nach kurzem Verzug wieder, schwer beladen mit einer Last, die er im Schooße seines Kittels oder Hemdes – das Kleidungsstück ist Beides – herbeischleppte. Es waren Gurken, welche unterhalb des Teiches, der zur Bewässerung diente, in weiten Feldern angepflanzt standen. Sie sind eine Lieblingsspeise der Russen, und zwar roh, höchstens geschält, aber nicht immer, und mit etwas Salz; so findet man sie selbst auf den besten Tafeln. Dem Beispiel meines Begleiters folgend, machte ich mich rasch daran, rohe Gurken zu verspeisen, zum ersten Male in meinem Leben; sie löschten trefflich den Durst, und obgleich ich gewiß ein halbes Dutzend davon zu mir nahm, fühlte ich keinerlei Beschwerde darnach. Sergei hatte freilich durch mehrmalige auffallende Bewegung der Hand zum Munde und mit schmachtend nach dem Himmel gerichteten Augen, während seine Lippen das magische Wörtlein „Wodka“ murmelten, deutlich zu verstehen gegeben, was zu solcher Kost gehöre, allein ich konnte dem Guten nicht helfen. Uebrigens brachte er, denn es war ja Sonntag und jedem Tage muß sein Recht werden, die Entbehrung reichlich wieder ein, wie ich mich am lichten Abend überzeugen konnte, als ich ihn im Stalle zwischen den Pferden liegend fand, die anscheinend an diese Vertraulichkeit durchaus gewöhnt waren und sie respectirten.

Das Glück der ersten Jagdfahrt bewährte sich nicht auf den folgenden. Es war gerade, als hätten sich die Trappen meilenweit in der ganzen Umgegend die drohende Gefahr und die List des Menschen mitgetheilt; denn fernerhin ließ niemals wieder ein Volk den Wagen bis zur Schußweite herankommen. Die Vorsicht und Scheu dieser großen Vögel mußte ich bewundern, so sehr ich mich darüber auch ärgerte. Der Ersatz war, dem Quantum und der Jagdfreude nach, ein ziemlich geringer; der tägliche Gegenstand der Suche waren Wachteln, deren die Steppenfelder unzählige Mengen bergen und welche in der Erntezeit außerordentlich fett sind. Dazu braucht man einen guten Hund; der, welcher mir zu Gebote stand, war gut, aber nur für sich; er dachte nicht anders, als der Jäger mache sich seinetwegen alle die Mühe, und spielte daher den angenehmen Wirth, der jeden Braten anschneidet, ehe ihn der Gast erhält. Seufzend oder fluchend, je nachdem, dachte ich manchmal sehnsüchtig an die gute Diana daheim und an ihre wohlgerathene Tochter Cora, der es im alten Sachsenlande gelungen war, was man nur in Amerika noch möglich glaubt, nämlich vor dem letzten Bieber zu stehen. –

(Schluß folgt.)




Winke für Eltern über die Geistesschwäche kleiner Kinder.

Erkennung und Behandlung der ersten Spuren der Geistesschwäche.
Von Auguste Herz.[1]

Das geistige Thätigsein des Menschen ist, wie bekannt, innerhalb unseres Körpers einem bestimmten Organe, dem Gehirne, übertragen. Es muß nun aber diese Tätigkeit des Gehirns mit Hülfe von Eindrücken und Empfindungen, zumal von der Außenwelt her durch die Sinne, ganz allmählich entwickelt werden. Krankhafte Zustände des Gehirns, sowie der Sinnes- und Empfindungsorgane können beim Kinde diese Entwicklung aufhalten, verzögern oder auch ganz und gar verhindern. Aber nicht immer scheinen derartige Zustände an der mangelhaften oder verzögerten Geistesthätigkeit schuld zu sein, bisweilen hängt sie wohl auch von unvollständigen, unzureichenden und falsch geleiteten Eindrücken auf die (vielleicht zu schwachen, weniger reizbaren) Sinnes- und Empfindungsorgane, und durch diese auf das (möglicher Weise etwas träge) Gehirn des Kindes ab. In solchen Fällen bleibt das Kind in seiner geistigen Ausbildung in der Art zurück, daß es erst weit später und unvollkommener die verschiedenen Zeichen des allmählichen und immer mehr zunehmenden Erwachens des Geistes an sich gewahren läßt.

Um nun einer solchen in Folge mangelhafter Erregung des Gehirns entstehenden Geistesschwäche gehörig erfolgreich entgegentreten zu können, ist ihr baldiges Erkennen durchaus erforderlich, und ebenso die Erregung der Sinne und des Gehirns durch passende Eindrücke. Man muß deshalb auf das Gebahren des Kindes in seiner ersten Lebenszeit gehörig aufmerksam sein und stets darnach forschen, ob die Geistesäußerungen desselben der Altersstufe, auf welcher es steht, entsprechen oder nicht. Um dies zu können, muß sich natürlich eine Mutter über die naturgemäße geistige und körperliche Entwicklung und über die richtige Pflege des Geistes und Körpers des Kindes gehörig unterrichten (s. Gartenl. 1854. Nr. 51 und 1855. Nr. 9.). Es ist in der Regel ganz falsch, wenn Eltern glauben, daß ihr geistesschwaches Kind vorher geistig ganz gesund und nun plötzlich erkrankt sei; sie haben früher das Kind nur nicht aufmerksam genug beobachtet oder sie hatten eben keine Kenntniß von den Erscheinungen beim naturgemäßen Entwicklungsgange des Geistes. Möchte es mir gelingen, durch einige Beispiele die Aufmerksamkeit der Eltern, besonders der Mütter, auf diesen Gegenstand zu ziehen, damit von diesen in Zeiten der Geistesschwäche ihrer Kinder vorgebeugt werden könne.

In einer Familie führte man mir ein 41/2jähriges Mädchen vor. Das Kind (Lieschen) war seinem Alter angemessen groß, von gesundem, ebenmäßigem und kräftigem Körperbau[WS 1] und in ruhigen Momenten von ganz angenehmem Gesichtsausdrucke. Nur der Ausdruck des Auges sprach von geistiger Armuth und Störung, die denn auch durch völlige Sprachlosigkeit sich zu erkennen gab. Eine Unruhe, die fast an Raserei grenzte, trieb das Kind pfeilschnell[WS 2] im Zimmer umher, ließ es Tische, Stühle und Commoden erklimmen, und nur von Zeit zu Zeit machte sich ein kurzer Moment der Ermüdung geltend, in welchem das Kind sich auf den Fußboden legte, und sichtlich nach kühlen Stellen suchte, an welche es die heiße Stirn fest andrückte. Alle Bewegungen aber wurden von ihm entweder mit wildem, schallendem Gelächter oder mit trällerndem Gesange begleitet. Oft geschah es bei diesem ruhelosen Treiben, daß das Kind heftig sich stieß oder auch fiel, doch kein Laut verrieth Schmerz oder sonst Bewußtwerden oder Beachtung des Geschehenen, ja der Vater des Kindes versicherte mir sogar, daß es einmal mit bloßen Füßen durch ein Gewächshausfenster getreten sei, sich bedeutend verletzt habe, doch ohne Schmerz zu äußern mit blutenden Füßen im sandigen Boden weiter gelaufen sei. Wie vergeblich auch alle Bemühungen schienen, des Kindes Aufmerksamkeit auf seine Umgebung zu lenken, so gab es doch auch selbst für diese umnachtete Seele ein Mittel, eine Sprache, welche Eindruck zu machen im Stande war, und dieses Eine war die Musik. Ein einziger Accord auf dem Pianoforte angeschlagen, verscheuchte die Aufregung und Unruhe des Mädchens. Still setzte es sich dann neben das Instrument, und erst die Töne mit rhythmischen Bewegungen des Kopfes begleitend, dann sogar leise, bald immer lauter die Töne nachahmend, kam Ruhe und Frieden über das kleine unglückliche Wesen. Doch kaum, daß der letzte Ton verklungen war, so stellten die alte Unruhe und das zwecklose Umhertreiben sich wieder ein. Weitere Beobachtungen machte ich an diesem Kinde bei meinem ersten Besuche nicht, sondern folgte dem Vater in ein anderes Zimmer, und machte hier die Bekanntschaft des 21/2jährigen Bruders des eben verlassenen Mädchens.

Die Sorgen der Eltern um dieses Kind waren weit geringer, sie bezeichneten mir den Kleinen nur als körperlich leidend; ich aber erkannte doch sofort, daß auch hier, wie bei der Schwester, Blödsinn sich vorbereitete. Der Knabe, bleich und schwächlich, saß am

  1. Unsere geehrte Mitarbeiterin steht bekanntlich einer „Heilanstalt für geisteskranke Kinder“ (in Meißen) vor und hat also hinlänglich Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln.      D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Köperbau
  2. Vorlage: pfeischnell
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_206.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)