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gegen den Feind des christlichen Glaubens, die Fortsetzung der Taten Barbarossas und der alten deutschen Kaiser überhaupt. Von hier schreibt er aber auch den berühmten Brief an Pirckheimer, in dem er den aufgehenden Tag des neuen, humanistisch aufgeklärten Jahrhunderts schildert und sich selbst im Kampf gegen die Barbarei seine Stelle sucht. – Man darf wohl sagen: soweit die nationale Romantik und die religiöse Aufklärung als Erscheinungsformen des deutschen Humanismus zu einer Verbindung gelangen konnte, hier ist sie gegeben.

Aber welche Dauer versprach diese Verbindung? Wir sahen: es war der eigentliche Vorzug der humanistischen Romantik, daß sie spezifisch national, daß sie volksnahe war. Es war ihr größter Mangel, daß sie trotzdem über die in Italien geschaffenen Bildungsideale des orator, des poeta, des philosophus nicht hinauskam, daß die Prinzipien der Formung und Normierung bei ihr auseinanderfielen. Diesen Mangel hatte die erasmische Aufklärung großartig überwunden. Die vorausgesetzte Harmonie zwischen den beiden Kreisen der antiken Humanität und der neuen Christianität ist zweifelsohne die genialste Lösung, die dieses Problem innerhalb einer christlichen Kultur finden konnte. Aber die erasmische Aufklärung bezahlte diesen Triumph damit, daß sie aristokratische Bildungsreligion wurde und es doch nicht sein wollte. Mochte Erasmus noch so beredt wünschen, daß alle Frauen das Evangelium und die Briefe des Paulus lesen sollten, daß aus der Schrift der Bauer ein Liedchen bei der Pflugschar summe, der Weber etwas sage an seinem Webstuhl, der Wanderer sich mit den heiligen Geschichten die Länge des Weges verkürze, – das alles war schließlich nach den ganzen Voraussetzungen dieser Entwicklung völlig unmöglich. Denn zu dem erasmischen Verständnis der Bibel gehörte die Kenntnis der drei heiligen Sprachen, die philologische und besonders die allegorische Auslegung der Unstimmigkeiten der Schrift und wieviel anderes noch. Nur der Optimismus der humanistischen Aufklärung konnte annehmen, daß diese Bildungsreligion volkstümlich sein könne.

Dies sah Erasmus schwerlich, eine solche Erkenntnis hätte ja sein ganzes Lebenswerk bedroht. Dagegen hatte er ein starkes Gefühl für den Gegensatz, der seine Bestrebungen von den Deutschen trennte. Er hat sich von den Elsässern das Bekenntnis

Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)