Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes

Textdaten
Autor: Paul Joachimsen
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Titel: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes
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aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. S. 419-480
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Erscheinungsdatum: 1930
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[419]
Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes.[1]
Von Paul Joachimsen † (München).

Wer von dem Verhältnis des Humanismus zum deutschen Geiste in ihrer historischen Beziehung spricht, ist sich bewußt, daß er es mit zwei ungenügend umschriebenen, nach ihrem Sinn und Umfang umstrittenen Größen zu tun hat. Ich kürze den schwierigen und doch kaum zu einer Übereinstimmung der Meinungen führenden Weg der Begriffsanalyse ab, indem ich zunächst einmal sage, was in den folgenden Ausführungen unter Humanismus verstanden werden soll. Humanismus soll eine geistige Bewegung sein, die in einem Drang nach Wiederbelebung des klassischen Altertums wurzelt. Dabei ist Wiederbelebung im strengen Wortsinn genommen. Es wird vorausgesetzt, daß das Altertum einmal tot war, aber einer Wiederbelebung fähig und für die Menschen, die davon reden, bedürftig ist. Dazu ist nötig, daß diese Menschen zwischen sich und dem Altertum einen Abstand, besser gesagt, eine Kluft empfinden. Ferner, daß das Altertum für sie eine geschlossene Einheit ist. Es muß als solche einmalig und nicht wiederholbar sein, aber es muß die Prinzipien der Formung und der Normierung für die eigene Kultur der zu „einem“ Humanismus strebenden oder ihn bekennenden Menschen enthalten[2]. Endlich wird vorausgesetzt, daß diese geistige Einstellung [420] nicht die Einzelner, sondern die einer ganzen Zeit ist. Es ist weiter damit gegeben, daß Humanismus als geschichtliche Bewegung nur da möglich ist, wo in dem eigenen Leben ein Mangel gesehen wird, für den eben die wiederbelebte Antike Erfüllung bieten soll.

Ich füge hier gleich hinzu, daß es von dieser Bewußtseinshaltung aus zwei Einstellungen zu dem Problem des Humanismus gibt, die ich als die romantische und als die klassische bezeichnen will. Für die eine, die romantische, ist die Wiederbelebung der Antike eine Sehnsucht, die schon weil sie ja eine echte Palingenese sein müßte, niemals völlig erfüllt werden kann, ja deren Wert eben in ihrer Unerfüllbarkeit liegt; für die andere, die klassische, ist die Antike die Rechtfertigung des eigenen, bejahten Daseins unter einem überzeitlichen Aspekt; Wiederbelebung ist hier Erinnerung als Erweiterung des Selbstbewußtseins, Anamnese im platonischen Sinne. Das Problem des Humanismus ist aber beidemal das gleiche. Es ist ein Problem der Formung und der Normierung. Als Problem der Formung ist der Humanismus primär ästhetisch, aber so, daß in den ästhetischen Werten die ethischen als beschlossen gedacht werden. Wo dies beides auseinanderfällt, haben wir eine erste Umsetzung des Begriffs, die historisch, wie wir sehen werden, außerordentlich bedeutsam und für die Problematik des deutschen Humanismus entscheidend wichtig ist, aber bereits, das wollen wir hier betonen, eine Trübung des ursprünglichen Sinnes des Begriffs Humanismus darstellt.

Ist dies richtig, so gibt es im Mittelalter keinen Humanismus, keinen karolingischen, ottonischen, normannischen, und was man sonst noch etwa mit diesem Namen beehrt hat[3]. Es gibt eine größere oder geringere Hervorhebung der antiken Elemente, die sich mit dem Christentum schon durch seine Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und durch seinen Eintritt in das [421] römische Weltreich verbunden haben, es gibt Handschriftensucher und Inschriftensammler, Briefschreiber, die sich um ein reineres Latein bemühen, Schulen, in denen man die antiken Autoren liest, es gibt einen Aristotelismus und einen Platonismus im Mittelalter. Aber es gibt keinen Humanismus als kulturgestaltende und wertgebende geschichtliche Bewegung. Diese beginnt vielmehr erst mit Petrarca, und ich kann den Gegenstand dieser Abhandlung nicht so erleuchten wie ich möchte, ohne von ihm etwas ausführlicher zu reden.

In Petrarca[4] erscheinen sogleich alle Wesenszüge des Humanismus, allerdings nur als individual-psychologisches Problem, Petrarca ist der erste Mensch in der abendländischen Geistesgeschichte, der sein Leben auf ästhetischer Empfindsamkeit aufbaut. Er hat schon als Kind, bevor er noch den Sinn lateinischer Worte versteht, ein Ohr für die Schönheit der Perioden Ciceros und der Verse Virgils. Die antiken Sentenzen, in die der Lehrbetrieb der Grammatik- und Rhetorikschulen das antike Bildungsgut aufgelöst hatte, notiert er wie seine Altersgenossen in sein rapiarium, wie man so etwas später nannte. Aber er tut das nicht wie die andern um eine Phraseologie des Briefes oder der Rede zu gewinnen, sondern er hört aus diesen Lehrsätzen die Stimmen einer Vergangenheit zu sich selbst sprechen[5]. Sie sind ihm eine erste Bestätigung eines ursprünglichen, seelischen Zwiespalts, der ihn vereinsamt, von seinen Genossen trennt. Er fühlt sich früh alt, hat jugendliche Todesgedanken. Sie entstehen aus der Empfindung, daß er nicht imstande ist, das zu sein, was er möchte[6]. Die [422] Anfänge seines Weltschmerzgefühls, der ἀκήδεια. Das steigert sich mit den Jahren. Der Student der Rechte in Montpellier und Bologna, der Stutzer und Pfründenbettler in Avignon lebt in derselben Stimmung. Seine Liebe zu Laura entbindet in ihm den dichterischen Genius, aber sein canzoniere ist eine einzige Variation desselben Themas; wenn er heute und vor allem auf den Nicht-Italiener eintönig wirkt, so ist der Grund diese durchgehende Melancholie. Aber das ist nicht alles. Petrarcas Liebe ist ihrem Wesen nach eine Troubadourliebe, die mit dem Besitz der Geliebten aufhören würde. Was Petrarca von den Troubadours scheidet, ist zweierlei: das erste ist die Fähigkeit das Leben in seiner Buntheit, die Natur in ihrer Farbigkeit, die Menschen in ihrer Verschiedenheit zu sehen. Dadurch bleibt auch Laura selbst davor bewahrt, ein philosophisches Symbol zu werden, wie es Dantes Beatrice geworden ist. Das zweite sind die Losreißungen Petrarcas. Diese äußern sich doppelt, scheinbar entgegengesetzt: in seinen Reisen, die ihn ohne andern Zweck als den zu sehen[7], durch Frankreich, an den Rhein, nach Rom und nach Neapel führen, und in seinem Hang zur Einsamkeit, der ihn nach Vaucluse führt. Beidemale verstärken antike Reminiszenzen den natürlichen Hang eines unbefriedigten, noch immer nach Wirklichkeit verlangenden und sie nicht findenden Menschen. Petrarcas Reisen werden Entdeckungsfahrten nach Handschriften von Klassikern, und seine Einsamkeit wird ein ästhetisches, überall mit den Farben der Antike ausgeschmücktes Idyll. Petrarca schafft sich als erster eine ästhetische Umwelt, in der er lebt, procul ab hominibus, non ab humanitate alienus.

Was fehlt, ist die Zusammenfassung der disiecta membra antiquitatis, mit denen er sich herumschlägt, zu einem Weltbild, in dem sein Geist ruhen kann. Dies erfolgt auf einem Umweg, durch den Versuch einer Bekehrung[8]. Petrarca braucht dazu ein Vorbild und einen Beichtiger: Augustin. Dieser soll dem besseren Teil [423] seines Selbst gegen den schlechteren, den von Liebe und Ruhm geleiteten, zum Siege verhelfen. Das gelingt ihm nicht. Aber indem Petrarca sich ein Bild Augustins entwickelt, wie er es braucht, glaubt er zu erkennen, daß dieser Augustin nicht anders von der Weisheit des Altertums lebt, wie er selbst von ihr leben möchte[9]. Und daraus folgt ein Doppeltes, gleich Wichtiges. Indem sich Petrarca neben Augustin stellt, gewinnt er als erster dieselbe Aussicht in die Welt des Altertums, die Augustin als Letzter gehabt hat. Augustin bietet ihm die Vereinigung von Christus und Cicero, die er seit langem sucht[10]. Und er gewinnt die Fähigkeit, wiederum als Erster, nicht wie der wirkliche Augustin die Welt der Antike zu überwinden, sondern, wie er es von seinem Augustin voraussetzt, in ihr zu leben. Die Flucht in das Altertum wird für ihn ein anderer Weg der Flucht aus der Welt.

Den letzten Schritt tut Petrarca in Rom. In dem Rom der Barone und der gotischen Türme hat er schon bei seinem ersten Besuch das Rom der Scipionen, des Paulus und Petrus wiedergefunden. Das phantastische Abenteuer Cola di Rienzos belehrt ihn, daß eine reale Wiederbelebung dieses Rom unmöglich ist[11]. Aber nun gewinnt er in dem Rom seiner Vorstellung den idealen [424] Hintergrund, auf dem sich die avara Babilone, das päpstliche Avignon abhebt[12]. Er gewinnt den räumlichen Zusammenschluß einer Welt, in der es Dichter, Helden, Heilige gibt, die er in der Gegenwart vermißt.

Damit ist er am Ziel. Die Stimmen der Vorzeit, die ihm in der Jugend wie die des bösen Gewissens waren, klingen ihm jetzt als wären sie Ausdruck seines eigenen Wesens[13]. Er schreibt Briefe an Cicero, Seneca, Livius wie an Freunde und schließt mit ihnen die Sammlung seiner Briefe an die Zeitgenossen. Er sammelt um sich die viri illustres der Vergangenheit, das große Pantheon von Heldentum, Größe und Sittlichkeit. Er hat die andere Welt gefunden, in der er leben kann, und damit die Einheit seines Wesens, die er suchte. Dafür ist die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart unüberbrückbar aufgerissen. Nur der Flügel der Sehnsucht trägt hinüber.

Bemerken wir noch einiges bei diesem Vorgang. Petrarcas Streben nach dem Altertum als einer andern bessern Welt ist nach seinem Wesen und nach Petrarcas eigener Anschauung nicht verschieden von dem Streben nach der Ruhe der Seele in Gott. Wäre Petrarca ein anderer Mensch gewesen, so hätte dieses ihn, wie Unzählige vor ihm und nach ihm, ins Kloster geführt. Er selbst empfindet seine ganze Arbeit an sich selbst nicht anders als ein Mönch des Mittelalters sein Streben nach Vervollkommnung im Dienste Gottes. Das ist Petrarcas Religion, über die man so viel geschrieben hat. Sie ist keine Lüge und nicht einmal Selbsttäuschung. Diese Flucht in die Antike als Flucht aus der Welt ist soweit Religion, als sie bei einem nur ästhetischen Menschen möglich war. Aber eben diese Umsetzung des religiösen Triebs in den ästhetischen, des Sündengefühls in den Weltschmerz, der Hingabe an Gott in die Kultur der Seele als Selbstzweck – dies alles bezogen auf die Antike als eine bessere Welt, schafft den Humanismus als historische Bewegung in seiner ersten, individual-psychologischen Form, macht ihn, so dürfen wir hinzusetzen, als Kulturmacht in einer christlichen Welt überhaupt erst möglich.

[425] Wenn der Humanismus nun aber fähig ist von hier aus seinen Siegeszug in die abendländische Kulturwelt überhaupt zu unternehmen, so liegt das an zwei Momenten, die wir ebenfalls schon bei Petrarca finden. Das eine ist der Wirklichkeitssinn Petrarcas. Derselbe Sinn, der ihn hindert, Laura zu einem Symbol zu machen, der ihn in Vaucluse tausend entzückende Kleinigkeiten der Natur, auf seinen Reisen Menschen und Dinge in ihrer Eigenart sehen läßt, gibt auch seinem Bild des Altertums eine früher unbekannte Wahrheit und Bestimmtheit. Die Menschen des Altertums, mit denen er wie mit seinesgleichen lebt, sind doch zugleich in ihrer eigenen Zeit gesehen. Die „Realien“ des Altertums sind aus dem Wust von Fabeleien befreit, mit denen sie die Mirabilia, die Physiologi, die Bestiarii des Mittelalters umgeben hatten[14]. Die seelische Distanz, die Petrarca als Knabe zwischen sich und dem Altertum empfunden hatte, wird geschichtlicher Abstand. Mit Petrarca beginnt die kritische und die geschichtliche Betrachtung des Altertums, man könnte sagen, das geschichtliche Denken überhaupt. – Das Zweite, was hier in Betracht kommt, sind die Ablehnungen, mit denen Petrarca seinen errungenen Standpunkt sichert. Dahin gehört sein Kampf gegen die Scholastik, gegen die Jurisprudenz, gegen die Medizin, gegen den Averroismus. In Scholastik und Jurisprudenz bekämpft er die aristotelische Dialektik, die seine Gemütsreligion stört, in dem Averroismus die aufklärerische Betrachtung der Welt, die seiner mystischen entgegengesetzt und zugleich ebenso echt heidnisch ist, wie seine Antike in Wahrheit christlich, in der Medizin den Aberglauben, der sich vermißt, Dinge zu wissen, die man nicht wissen kann und den Menschen in einem falschen Verhältnis zur Natur sieht.

Das alles ist nicht mehr als der Dilettantismus des humanistischen Romantikers. Aber es ist der Weg zu einem neuen Verhältnis von Leben und Bildung überhaupt. –

Die erste Kultur, die der so entstandene Humanismus formend und normierend ergreift, ist die italienische Renaissance. Renaissance soll hier nicht eine Kunstrichtung heißen, es soll auch [426] kein Wechselbegriff zum Humanismus sein, und ebensowenig ein kulturphilosophischer Typenbegriff, sondern die Bezeichnung für eine Periode italienischer Geschichte, die etwa von 1250–1550 reicht. Ihr politisch–soziales Kennzeichen, das allein für die historische Begriffsbestimmung in Betracht kommt, ist das Emporkommen des Stadtstaats. Damit können wir die von der Kunstentwicklung hergenommene Bezeichnung Renaissance in einem andern historisch brauchbaren Sinne beibehalten. Denn was hier in Italien wieder auflebt, und zwar nur hier, ist die Polis der Antike. Wie diese, so beruht auch der Stadtstaat der italienischen Renaissance auf der Einschmelzung der Stände in den Bürgerbegriff. Damit und nur dadurch wird der Stadtstaat der Renaissance ein besonderes Gebilde innerhalb der feudal-hierarchischen Ordnung des Mittelalters. – Wie die Polis der Antike strebt der Stadtstaat der Renaissance zur Autonomie und Autarkie nach außen, zu einer ersten rationalen, nicht bloß auf Gewohnheit und Herkunft beruhenden Durchbildung seines Lebens im Innern. Damit wird die Renaissancepolis das erste individualistische Gebilde der abendländischen Welt. Das heißt, ein solches, welches innerhalb des transzendentalen organischen Systems des Mittelalters sich seinen Lebensspielraum nach den Interessen des eigenen Daseins absteckt, nicht nach seiner Stellung als Glied des Systems. Gleichzeitig entwickelt sich in diesem Italien der Kommunen ein neuer, individualistischer Menschentypus, der zunächst in den Tyrannen der Renaissance sichtbar wird. Es sind Menschen, die nicht etwa mehr „Individuen“ sind als die des Mittelalters, aber solche, die ihr egoistisches Menschentum zu bejahen und es zum Maßstab ihres Lebens zu nehmen wagen. Das will die berühmte Formel Jacob Burckhardts sagen, daß es hier in diesem Italien des 13. Jahrhunderts staatliche Gebilde gibt, Städte und Gewaltherrscher, „deren Dasein rein tatsächlicher Art war“, und die andere, daß hier zuerst der aus Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn gewobene Schleier in die Lüfte verweht sei, der den Menschen sich bisher nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder in irgendeiner Form des Allgemeinen habe erkennen lassen.

Ich halte diese Formel auch gegenüber allen modernen Mißverständnissen noch für vollkommen richtig und für die einzig zutreffende Bezeichnung dessen, was man den Geist der Renaissance – Renaissance als Kulturepoche genommen – nennen kann. Man [427] muß nur nicht glauben, daß diese „individualistische Kultur“ bedeuten solle, daß es früher weniger oder in geringerem Maße individuelle Gebilde und Menschen gegeben habe, und auch nicht, daß dieser Individualismus einen Bruch mit dem organischen System des Mittelalters bedeute. Im Gegenteil, der Individualismus der Renaissance setzt, wie jeder andere, das System voraus. Er braucht es, um zum Bewußtsein seines zunächst tatsächlichen Andersseins zu kommen. Dies Bewußtsein führt zu dem, was die individualistische Renaissance von den rein triebhaften Selbstbehauptungen der Urzeiten aller Völkerentwicklung unterscheidet, führt zu der rationalen Durchbildung des eigenen Lebenskreises, führt zu einem ersten Weltbild, das die Welt in die beiden Machtbezirke der ratio und der fortuna auseinanderlegt, und zu einem ersten Versuch der Sinngebung dieses rein tatsächlichen Daseins innerhalb des Systems durch die Idee der virtù.

Die Epochen in der Geschichte der Renaissancepolis sind nun zunächst solche ihrer sozialpolitischen Entwicklung. Wir unterscheiden hier mit den italienischen Historikern die Zeit der Kommunen, der Signorien und der Prinzipate. Dann solche der ökonomischen Entwicklung. Sie beruhen auf der Durchdringung dieser Gemeinwesen mit den Formen des Kapitalismus. Endlich – für uns das Wichtigste –, solche der ideologischen Rechtfertigung. Das Bedürfnis nach einer solchen ergibt sich aus der fortdauernden Zugehörigkeit der Polis zu dem kriegerisch-priesterlichen Gemeinwesen der abendländischen Christenheit, der res publica christiana, und ferner aus dem Verhältnis der neuen ratio zu der Tradition und den Autoritäten des transzendentalen Systems.

Eine erste solche Rechtfertigung findet die Renaissancepolis in einer Umbildung des römischen Rechts, wie sie die Praxis der Notare bietet, für uns am deutlichsten in der merkwürdigen Gestalt des Magister Boncompagno aus Bologna erkennbar[15], und in der Astrologie, die, aus der sizilisch-arabischen Mischkultur des letzten Hohenstaufenhofes sich erhebend, nun auch das Reich der fortuna berechenbar und damit bezwingbar machen soll[16].

[428] Diese Entwicklung füllt die erste Periode der italienischen Renaissance aus. Es ist die Zeit der Kommunen und der frühkapitalistischen Formen. Sie reicht etwa von 1250–1350. Sie ist vollständig abgelaufen, als der Humanismus fähig wird, und sich anschickt, diese Renaissance zu formen und zu normieren und ihr damit eine neue, die endgültige Rechtfertigung zu geben. Das Zeitalter der Kommunen wird abgelöst durch das der Signorien. Mit ihnen und mit den principati, wir pflegen zu sagen, mit dem ausgebildeten Renaissancestaat, hat es der Humanismus zu tun. Er findet also – und das ist für den Fortgang wohl zu beachten – nicht mehr die alte Polis mit ihrer Bürgerfreiheit, sondern den neuen Staat mit seinem Herrscher. Es gibt zwei scheinbare Ausnahmen von diesem Satz: Venedig und Florenz. Scheinbare, denn auch in Venedig, wo eine kaufmännische Oligarchie und in Florenz, wo eine Demokratie zur obersten Macht aufgestiegen ist, ist die theoretische Gleichheit des Bürgerbegriffs längst nicht mehr die wirkliche Form des staatlichen Daseins. Und nur in Florenz hat es der Humanismus noch mit der Formung eines Bürgergeists zu tun[17]. In der Hauptsache aber steht er vor den Problemen einer aristokratischen Menschenkultur und bringt sie in die klassische Form. Die Ruhmbegier ist schön, denn Horaz und Vergil haben sie besungen, der Genuß des Lebens nicht sündlich, denn Ovid und Epicur haben ihn empfohlen. Aber in dem all wirkt nun doch die antike Polis fort, denn diese Tugenden sind nicht mehr Tugenden eines Standes, sondern die eines neuen Menschentyps. Die neue humanitas als Bildungs- und Lebensgefühl, wie sie am deutlichsten Lionardo Bruni in Florenz entwickelt. Und hier in Florenz bleibt auch der Gedanke lebendig, daß es Bürgertugenden gibt, die mit den geistlichen Tugenden wetteifern können, denn Cicero und Aristoteles haben sie gelobt.

So ergibt sich, vom Humanismus aus gesehen, eine große Rückwärtsaufrollung der antiken Überlieferung. Von Augustin, der, wie wir sahen, noch für Petrarca der eigentliche Blickpunkt ins Altertum gewesen ist, schreitet man vor zu den großen spätantiken Schulen der Epicureer und der Stoiker, und von [429] da zu Plato und Aristoteles. Der eine wird vollständig neu gewonnen, der andere aus der Verknechtung gelöst, in die ihn die Scholastik und die Araber gebracht haben. Von der Renaissance aus gesehen, vollzieht sich eine immer bestimmtere Formung des öffentlichen und persönlichen Lebens nach der Antike, eine Formung, die überall zugleich Normierung ist. Gerade dadurch wird der Daseinsindividualismus der Renaissance fähig, sich dem transzendentalen System des Mittelalters einzufügen. Die virtù des Renaissancemenschen bekommt, je länger je mehr, die Züge der römischen virtus, ja bald die der griechischen ἀρετή. Das Heidentum, das diese Renaissance zur Schau trägt, ist fast überall Schein und Draperie. Schon bei Petrarca heißt der Gegensatz gegen die Antike nicht Christentum, sondern Scholastik, und je weiter die humanistische Formung der Renaissance fortschreitet, desto mehr will die neubelebte Antike christlich, will sie Religion sein[18]. Im Florentiner Piatonismus wird sie das wirklich für eine Gruppe von ästhetisch denkenden Menschen, die aber nicht mehr wie Petrarca von dem romantischen Sehnsuchtsgefühl getrieben werden, sondern eine Rechtfertigung sicheren Besitzes suchen.

Denn dies ist nun das eine Ergebnis der humanistischen Formung der Renaissance, daß die großen Gegensätze von Natur und Übernatur, die die scholastische Doktrin in einem kunstvollen Stufenbau mit transzendenter Zwecksetzung vereinigt hatte, in einer letztlich ästhetisch gedachten Harmonie gesehen werden, deren Mittelpunkt der jeder Vervollkommnung fähige Mensch ist. – Das andere Ergebnis ist, daß dieser Mensch sich einer neuen sozialen Bindung einfügt, indem er die erste moderne Gesellschaft schafft. Ihr Kennzeichen ist der consensus opinionum, die stillschweigende Übereinstimmung über die Formen des Lebens, normiert nach obersten Prinzipien, deren Anerkennung durch den „human“ Gebildeten vorausgesetzt, aber der Diskussion entzogen ist. Sie ist nicht mehr Gemeinschaft, die auf naturgegebenem Zusammenhang beruht, nicht mehr Standesgesellschaft mit bestimmten Zeremonien des Eintritts, wie noch die ritterliche Gesellschaft des Mittelalters, die sie ablöst. Sie ruht auf reiner Konvention. Ariost ist ihr Produkt und zugleich ihr glänzendster Schilderer.

Diese Gesellschaft der Renaissance stellt die neue kulturelle Einheit Italiens dar, die schon Lionardo Bruni empfindet. Sie überdauert [430] den Sturz der politischen Selbständigkeit Italiens, wiederum ganz wie im alten Griechenland, und schafft die fast zwei Jahrhunderte dauernde Kulturhegemonie Italiens im Abendland.

Bemerken wir, daß in dieser humanistischen Formung der Renaissance zu einer Gesellschaftskultur das geschichtliche Problem der Renaissance nicht rein aufgeht[19]. Was übrig bleibt, zeigen aus der letzten Generation der Renaissance die Namen Machiavell und Michelangelo, zu denen man noch zwei andere aus den vorhergehenden gesellen kann, Lorenzo Valla und Lionardo da Vinci. Valla erhebt die Frage, ob ein consensus opinionum möglich sei ohne eine Diskussion der Denkformen, nur durch eine Übereinstimmung über die Formen des Sagens und die Inhalte des Gesagten. Von ihm geht eine Linie zu Petrus Ramus und zu Descartes. Lionardo erhebt die Frage, ob auch nur die ästhetische Bewältigung der Natur möglich sei, ohne eine Ergründung ihres mechanischen Zusammenhangs. Machiavell fragt, ob die humanistische Ausgleichung von ratio und Transzendenz, wie sie die ästhetische Lösung des Platonismus bietet, gegenüber dem Daseinsindividualismus der Renaissance Geltung haben könne. Er greift auf das Grundproblem der Polis zurück, konstruiert sie als ein reines Ergebnis der ratio und schafft damit die neue Wissenschaft der Politik, in der der ästhetische Mensch keinen Platz hat. Endlich Michelangelo schreitet von dem künstlerischen Problem des Widerspruchs zwischen Idee und Erscheinung zu der Frage vor, ob die humanistische harmonische Individualität die letzte Form der Persönlichkeit überhaupt sein könne. – Aber auch diese Menschen kommen alle von der humanistisch geformten Kultur der Renaissance her und sind ohne sie nicht denkbar. Man braucht nur zu versuchen, sie auf den Hintergrund mittelalterlichen Geistes zu projizieren, um das einzusehen.

Aber anderseits enthüllen uns diese vier Namen auch die eigentlich geistesgeschichtliche Problematik des Humanismus. Er unternimmt es, Kultur zu formen und zu normieren, indem er sie auf eine vergangene und zwar eben als vergangene wertvolle Kultur bezieht. Er sammelt diese Formen und Normen zu einem so früher nicht gekannten Begriff der Bildung. Diese [431] Bildung schiebt sich als etwas Selbständiges zwischen die Menschen und das Leben, das sie umgibt und aus dem sie kommen. Sie wird an all den Punkten durchbrochen werden müssen, wo dieses Leben zu grundsätzlich neuen Gestaltungen drängt. Der neue Menschentypus, den die Renaissance erzeugt, ist der experimentierende Forscher, der Politiker, der homo religiosus, der subjektivistische Kritiker. Der Humanismus erzeugt den ästhetischen Literaten, der Lebensprobleme in Gedankendinge verwandelt. Petrarca ist sein Urbild.

Ich habe diese Dinge ausführlicher behandelt als mein Thema zu erfordern scheint. Aber wie man den deutschen Humanismus nicht behandeln kann, ohne den italienischen zu kennen[20], so ist es ganz unmöglich, die Problematik zu erkennen, die sich aus der Begegnung des Humanismus mit dem deutschen Geiste ergeben wird, wenn wir nicht vorher die humanistisch geformte Renaissance in Italien zu einer Anschauung verdichtet haben. Dies nicht nur deshalb, weil es eben diese humanistisch geformte italienische Renaissance ist, mit der sich Deutschland auseinanderzusetzen hat, sondern auch deshalb, weil die Formung der italienischen Renaissance durch den Humanismus die erste kulturpsychologische Erscheinung des Humanismus bedeutet, nachdem wir es bei Petrarca nur mit einem individualpsychologischen Problem zu tun hatten. Vor allem aber auch deshalb, weil hier in Italien ein Bildungsbegriff das ganze geschichtlich wirksame Leben eines Volkes in sich aufgenommen zu haben scheint. Das aber ist nur dadurch möglich geworden, daß der Humanismus als geschichtliche Kraft hier in der italienischen Renaissance auf ihm homogene Bedingungen traf. Die weltliche Diesseitigkeit italienischen Volksgeistes, wie wir sie gerade in der so ganz vergeistigten Gestalt Franz von Asissis wahrnehmen, das naive Verhalten zu den Wirklichkeiten des Lebens, wie es etwa Salimbene von Parma so köstlich zeigt, die Bejahung der nächsten Zwecke, die den Italiener in der Welt des Rittertums ebensowenig ganz heimisch hat werden lassen wie in der der Gotik und der Scholastik, endlich die Möglichkeit im Römertum, dem echten wie dem hellenisierten, die eigene Vergangenheit zu erkennen – es sind alle diese Momente, welche die in ihrer Art einzige, nicht [432] wiederholbare humanistische Formung der Renaissance in Italien möglich gemacht haben.

Von all dem gibt es nichts in dem Deutschland des 15. Jahrhunderts, in dem der Humanismus nun seinen zweiten Siegeszug beginnt, und auch in dem Gang der deutschen Entwicklung bis dahin führt nichts nach dieser Richtung. Das deutsche Staatswesen des ausgehenden Mittelalters ist so ziemlich das Gegenteil der antiken Polis. Statt der Einschmelzung der Stände in einen Gemeinbegriff ein vollständiges Auseinanderfallen desselben, statt der Rationalisierung des privaten und öffentlichen Lebens eine Traditionsgebundenheit, die ebenso in der Bewahrung germanischer Gemeinschaftsgedanken wie in dem Aufgehen in den hierarchischen Formen der christlichen Entwicklung begründet ist. Es gibt eine Ausnahme hiervon, das ist das Böhmen Karls IV. Hier gibt es einen Herrscher und einen Staat, die die auffälligsten Analogien zum italienischen Renaissancestaat und Renaissanceherrscher zeigen. Hier eine bewußte Kulturpflege, die fremde und einheimische Elemente zu einer neuen Einheit zusammenfaßt. Hier die merkwürdigen Berührungen des Herrschers und seiner Kanzlei und seines Hofes mit Cola di Rienzo und Petrarca, die auf eine humanistische Formung der Kultur hinzuweisen scheinen. – Aber wie dieses Gebilde in dem Deutschland des 15. Jahrhunderts ein Fremdkörper ist, so bleibt diese Entwicklung auch ohne Folgen für den Gang der gesamtdeutschen Kultur. Es ist symbolisch, daß das bedeutendste literarische Erzeugnis derselben, der Ackermann aus Böhmen, ganz vereinsamt steht. Soweit aus diesem „Humanismus“ sich eine Formungstendenz für die gesamtdeutsche Entwicklung herausgebildet, bleibt sie an die Kanzleischulen gebunden und hat hier lediglich zwei gleich bedenkliche Ergebnisse gehabt, den Kanzleistil unserer Schriftsprache und die Theorie des Meistergesangs. Was etwa von wirklicher Kulturformung sich auf dem böhmischen Boden, der eben der einer kolonialen Mischkultur ist, sich noch etwa hätte entwickeln können, wird abgeschnitten durch die Revolution des Hussitismus, der ihre eigentliche Voraussetzung, die Ausgleichung des deutschen und des tschechischen Volksbestandteils, dauernd unmöglich gemacht hat.

Sucht man nach den einheimischen Tendenzen des deutschen Geistes, wie sie sich nach dem Zusammenbruch der hohen Formen des Mittelalters darstellen, so wird man vielmehr [433] als die böhmische Zeit Karls IV. die unmittelbar vorausgehende Zeit Ludwigs des Bayern beachten müssen. Denn weder die Unzulänglichkeit dieses Herrschers selbst, noch die phantastische, scheinbar ganz von Reminiszenzen lebende Art seiner Politik dürfen uns dafür blind machen, daß sich in dieser Zeit die eigentümlichen Regungen des deutschen Geistes auf den verschiedensten Gebieten zeigen. Da haben wir in der deutschen Mystik die Anfänge einer deutschen Philosophie, zugleich die erste geistige Richtung, die in Deutschland nicht bloß empfangend ist, wir finden eine deutsche Naturbeschreibung, eine über Weltchronistik und novellistische Abenteuerschilderung hinausführende Betrachtung des geschichtlichen Zusammenhangs, eine Besinnung auf ein deutsches Reichsrecht, einen höchst merkwürdigen Versuch, die alte Ritterdichtung mit Zeitideen zu erfüllen.

Aber all diese Ansätze verkümmern in den politischen Wirren der Städte- und Ständekämpfe, des Schismas und der ersten Konzilszeit. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erscheint das deutsche geistige Leben zerfahren, überall unbestimmt. In der großen Diskussion über die Neubegründung der kirchlichen Einheit, die das Schisma hervorruft, ist Deutschland wohl durch Namen wie Heinrich von Langenstein und Dietrich von Niem vertreten, Männer die auch nicht ohne Bewußtsein ihrer Deutschheit sind, aber ihre Bildungsquellen liegen in Paris und Rom. Auf dem Konzil zu Konstanz ist Deutschland, gegen Frankreich und Italien gehalten, geistig passiv.

Aber unmittelbar darnach, in Basel, tritt nun derjenige Mann auf, in dem die eigentümlichen Tendenzen des deutschen Geistes verselbständigt, wissenschaftlich geformt, mit der ganzen Breite der Kultur auseinandergesetzt erscheinen. Nicolaus von Cues ist schon nach seinem äußeren Wirken ein universaler Mensch. Jurist und Theologe, Naturbetrachter und spekulativer Denker, Historiker und Politiker, überall an die Vergangenheit anknüpfend und kühn in die Zukunft weisend. So hat er, begreiflich, schon die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich gezogen und ist bis in die neueste Zeit immer stärker beachtet worden[21]. In einer [434] Geschichte des deutschen Geistes vor allem muß man ihn an den Beginn der großen Zeitwende stellen, die wirklich das deutsche Mittelalter von einer deutschen Neuzeit scheidet. Will man vom einem deutschen Renaissancebewußtsein sprechen, so kann man es noch am ehesten und jedenfalls am frühesten bei ihm finden. Auch wenn wir ihn mit seinen italienischen Zeitgenossen vergleichen, so wird man wenige nennen können, bei denen dieses Gefühl, im Aufgang einer neuen Zeit zu leben, ebenso deutlich zum Ausdruck kommt, wie in den Einleitungsworten seines staatsphilosophischen Hauptwerks ’De concordantia catholica’[22]. Ebenso deutlich aber zeigt er die deutschen „Renaissance-Probleme“ und man sieht sogleich, daß sie ganz anderer Art sind als die italienischen. Da handelt es sich nicht um die Absteckung des Bezirks der ratio im Leben des Individuums, des Staats oder der Gesellschaft, nicht um den Staat oder den Krieg als Kunstwerk. Sondern um die Tragweite der mens des Menschen, die als das Messende der empirischen Welt, ja Gott selbst seinen Wert gibt[23], um den Menschen, der gerade im Bewußtsein dieser Fähigkeit und der Unendlichkeit der aus ihr erwachsenden Aufgabe das Glück des [435] Daseins findet[24]. Es handelt sich um die Ausgleichung dieser rationalen Fähigkeit des menschlichen Geistes mit der auf Intuition beruhenden Gewißheit eines organischen Zusammenhangs der Welt in sich und mit dem Individuum, um die Probleme der theologischen und mathematischen Unendlichkeit; schließlich um die Widerspiegelung dieses Weltbildes in einer Staats- und Gesellschaftskonstruktion, die principaliter und finaliter transzendent ist und doch auf dem Naturrecht aller Glieder des Gemeinwesens ruhen soll.

Es ist nicht weniger charakteristisch für den deutschen Geist, daß ein solcher Mensch den lebendigsten Anteil an dem humanistischen Forschungstrieb des Italien seiner Zeit hat, wie daß er nicht das geringste Bedürfnis empfindet, sich aus der so geschauten Antike Formen oder Normen für die Gestaltung der Persönlichkeit oder ihres gesellschaftlichen und staatlichen Daseins zu entnehmen, daß der Cusaner in der Form seiner Schriften ein Scholastiker bleibt und daß sein letztes Ziel ein spezifisch „katholisches“, – dies Wort in seinem etymologischen Sinn genommen – ist, die coincidentia oppositorum[25].

Wir wollen nicht erörtern, ob nicht auch von hier aus eine humanistische Kulturforderung möglich gewesen wäre, etwa von der christlichen Antike her, die wir in ihrer Wichtigkeit für die Geschichte des deutschen Humanismus noch kennen lernen werden. Genug, daß es nicht geschehen ist, daß der Cusaner wohl eine neue Bewußtseinshaltung des deutschen Geistes bedeutet, aber nicht ein neues Prinzip der Bildung, wie es in Italien Petrarca geschaffen und zu einer neuen Lebensform entwickelt hat.

Der deutsche Humanismus als geschichtliche Bewegung beginnt erst mit einer Auseinandersetzung mit Italien, und in diesem Sinne bleibt Enea Silvio de Piccolomini wirklich sein Apostel in Deutschland[26]. Er ist sein eigentlicher Anfänger geworden. [436] Er bringt nach Deutschland die Erzählungskunst des Poggio, die historischen und biographischen Darstellungsmittel der Bruni- und Blondus-Schule, vor allem die durch Filelfo ausgebildete neue Kunst der Rede und des Briefes. Sein erster Wirkungskreis ist die Kanzlei. Unter den Notaren, den Schreibern und dann den Juristen findet er die ersten Anhänger, Verbreiter und Gegner seiner Lehre. Aber dann erfaßt er die ganze deutsche Bildungstendenz einer zu neuen Zielen strebenden Generation. Sehr wider seinen Willen erzieht er die Deutschen zur Rivalität mit Italien.

Die Unterschiede zwischen italienischer und deutscher Art der Entwicklung hat wiederum Enea mit dem Scharfblick des Menschen- und Völkerbeobachters gesehen: er findet bei den Deutschen eine Art von Freiheit, die er in Italien vermißt[27], und er meint, daß die Deutschen mehr nach der Natur als nach der „Meinung“ leben[28]. Nach ihm also fehlt in Deutschland sowohl die staatliche wie gesellschaftliche Entwicklung, welche in Italien durch die Renaissance der Polis geschaffen und durch den Humanismus geformt worden ist. Trotzdem übernimmt Deutschland – und das ist für den Fortgang der Bewegung entscheidend wichtig geworden –, sogleich die humanistischen Ideale, die der italienische Humanismus ausgebildet hatte, das des orator, des poeta und des philosophus. Ebenso sorgsam wie in Italien scheidet man diese in Deutschland von der alten Technik der Trivialschule und Artistenfakultäten. Weder den Redner noch den Dichter, noch den Philosophen soll man durch bloßes Erlernen von Regeln erreichen können. Zu jedem gehört ursprüngliche Anlage, ingenium, in jedem wohnt ein moralisches oder gar ein göttliches Element. Der orator ist der vir bonus, dicendi peritus des Cato, er ist vor allem Staatsmann und Staatskundiger[29]. Der poeta ist vates, der nächste Teilhaber der göttlichen Geheimnisse[30]. Der philosophus ist ebenso der göttlichen wie der natürlichen Dinge kundig, er ist der natürliche [437] Rivale des theologus, der besser theosophus heißt[31]. – Neben diesen Gemeinsamkeiten mit Italien gibt es aber in Deutschland sogleich Besonderheiten der Entwicklung. Die Ideale, die das Humanitätsideal spiegeln, werden sozusagen stärker mit Stoff bepackt. Der Dichter vor allem, der bei uns fast immer auch historiographus heißt. Und, das Wichtigste, sie werden fast alle ins Pädagogische gewendet. Daß dies geschieht, hat seinen Grund zunächst in dem Fehlen von Staat und Gesellschaft im italienischen Sinn. Denn sowohl der orator, wie der poeta, wie schließlich auch der philosophus wirkt wenigstens der Idee nach in der öffentlichen Sphäre, die das Altertum wirklich kannte, der italienische Stadtstaat immerhin vortäuschte. In Deutschland ist das anders. Und wenn auch schließlich der deutsche Humanist nicht viel weniger Gelegenheit findet als der italienische, Feste und politische Handlungen durch Prunkreden zu verschönen, so kann man doch von einer Wirkung dieser Rede auf das öffentliche Leben nicht sprechen. Es ist doch sehr charakteristisch, daß wir von dem stärksten staatsmännischen Talent des deutschen Humanismus, von Sleidan, nur fingierte Reden haben, und daß anderseits ein so recht eigentlich deklamatorischer Mensch wie Wimpfeling in der pädagogischen Paränese auf- und untergeht.

So wird das nächste Wirkungsgebiet des deutschen Humanismus die Schule, und vor allem die Universität. Und hier findet er ein günstigeres Feld als irgendwo anders. Denn die deutschen Universitäten sind Fürstenuniversitäten. Die Gründung der zweiten Periode, die mit 1456 beginnt, steht bereits unter dem Einfluß der Höfe, die sich der neuen Bildung zugewendet haben, und so wird das Stück Fürstenerziehung, das auch der deutsche Humanismus treibt, für ihn auch ein Weg in die Bildungsanstalten. Außerdem aber begünstigt noch ein anderes Moment die Eroberung der Universitäten durch den Humanismus. Den deutschen Universitäten fehlt die feste scholastische Tradition der französischen und der englischen. Und wenn auch der Kampf der „beiden Wege“ für die allgemeine Bildungsgeschichte Deutschlands weniger wichtig geworden ist, als man lange gemeint hat[32], so sehen wir doch, etwa [438] an der Agitation Wimpfelings, wieviel Angriffspunkte dieser Zustand dem Humanismus bot. Daß hinter dem noch Tieferes liegt, wird sich zeigen.

Die humanistische Bewegung hat es nun in Deutschland mit einigen besonderen Erscheinungen zu tun. Die allgemeine Reformationstendenz, die aus den Konzilien von Konstanz und Basel übrig geblieben war, erscheint in Deutschland in besonderer Stärke und besonderer Art. Die Absichten einer Reformation der Kirche verbinden sich, wie wir schon bei dem Cusaner sehen, den Plänen einer Reformation des Reiches. Die Hussitengefahr gibt ihnen Aktualität. Ein merkwürdiges Schriftchen, die Reformation des Kaisers Sigismund, zeigt, wie sie sich dann fast selbstverständlich die populär-demokratischen Tendenzen einverleiben. Was hier der Humanismus leistet, sehen wir an den Gravamina der deutschen Nation. Sie sind in ihrer ersten Fassung nichts als eine Aktion des höheren deutschen Klerus, diktiert von dem geistlichen Standesinteresse. Aber in der Fassung, die ihnen der Mainzische Kanzler Martin Mair, ein Schüler Gregor Heimburgs, in seiner Diskussion mit Enea Silvio gibt, erscheinen sie als der Aufschrei einer von ihrer früheren Größe herabgestürzten Nation, die jetzt einer fremden Macht, dem römischen Hofe, wehrlos preisgegeben ist: das eine große Thema des nationalen Humanismus ist angeschlagen, es wird weiter klingen bis zu Hutten.

Zu dieser allgemeinen Reformationstendenz kommt die monachale Reform. Sie ist ebenfalls ein Ergebnis der Konzilien und ebenfalls allgemein abendländisch. Sie soll wenigstens das wichtigste Glied der Kirche, den Mönchsstand, reformieren, nachdem die reformatio in capite et membris gescheitert ist. In Deutschland bedeutet auch diese Reform etwas Besonderes, nämlich die Wiederbelebung der alten Benediktinerkultur[33]. Zum erstenmal tritt eine Epoche der eigenen Vergangenheit, die Zeit Karls des Großen, mit ihrem Mittelpunkt Karl selbst, unter den Gesichtspunkt einer wertgebenden Betrachtung. Der wunderliche Abt Trithemius, der erste große Sammler und Kenner der Zeugnisse der alten deutschen Vergangenheit, kommt aus diesem Zusammenhang.

[439] Weiter führt die Elsässer Schule mit Geiler, Brant und Wimpfeling[34]. Sie stehen in einem gewissen Gegensatz zum Mönchtum, sind sogar gelegentlich in Konflikte mit ihm geraten, vor allem, weil sie nicht zugeben wollten, daß „die Weisheit in den Kutten stecke“. Aber sie haben die mönchischen Ideale: die Abgeschiedenheit von der Welt – alle drei haben wiederholt den Plan erwogen, sich in eine Schwarzwaldeinsiedelei zurückzuziehen – und daneben den Missionsdrang des Wirkens auf die Welt. Geistig sind sie Schüler des doctor christianissimus Jean Gerson. Seine theologia mystica et negativa mit ihrem rationalistisch verdünnten Mystizismus speist die ihrige. Sie bemühen sich um Gersons weniger bekannte Werke. Geiler macht eine Pilgerfahrt nach Frankreich an die Stätten seines Wirkens, und der Elsässer Kreis besorgt eine erste Gesamtausgabe seiner Schriften. Aber sie haben darüber hinaus ein bestimmtes Ideal der Reform des geistlichen Standes und des ganzen geistlichen Lebens. Sie betrachten diese Reform in erster Linie als Bildungsreform. Daher das Zurückgreifen auf die Kirchenväter, in beschränktem Maße auch auf die Bibel selbst. Daher die Auseinandersetzung mit den neuen Mitteln der humanistischen Rhetorik und Poetik, die bei Wimpfeling zu einem im Grunde ganz altmodischen „Neuen Weg“ der Bildung führt[35]. Dazu kommt ein lebendiger Patriotismus, der aus der jetzt zuerst stark empfundenen Grenzlage des Elsaß erwächst. Von da aus wird für diese Richtung Karl der Große als Deutscher wichtig. Endlich führen nie ganz abgerissene Fäden zur alten Mystik, Tauler lebt wieder auf. Aber vielleicht das Wichtigste ist die starke Berührung mit der Zeit und ihrem Leben. Aus dieser formt Geiler die lebendigen Menschentypen seiner Predigt, Brant ordnet sie zu einer primitiven Weltschau, Wimpfeling, ein chaotischer Kopf, hat doch eine Witterung für alle Zeitfragen und versteht sie agitatorisch zu gestalten.

Wir bemerken hier gleich einen Umstand, der diesen deutschen Humanismus nicht nur von dem italienischen unterscheidet, sondern ihn auch aus dem Begriff des Humanismus, den ich aufgestellt habe, herausfällen läßt. Es kann keine Rede davon sein, daß hier die [440] Antike irgendwie normgebend wirkt. Auch die ästhetischen Ideale Brants und Wimpfelings – Geiler kommt hier nicht in Betracht – sind trotz ihrer Kenntnis der Italiener und der Alten nirgendwo antik. Und doch stehen wir vor der Tatsache, daß ein uns so unhumanistisch dünkendes Werk wie Brants ’Narrenschiff’ von den Humanisten begeistert begrüßt, ins Lateinische übersetzt, mit Dantes divina Comedia verglichen werden konnte[36]. Dieser Vergleich erklärt uns aber auch die Sache selbst. Das Narrenschiff ist für diesen Anfang der deutschen humanistischen Bewegung ein erster Versuch, die Buntheit der Erscheinungen der Zeit, deren Sinnlosigkeit immer stärker auf die Menschen drückt, zu ordnen. Es ist zugleich eine freilich noch sehr naive Psychologisierung der menschlichen Leidenschaften und ihre Ausprägung, ein Versuch, der aus dem immerhin humanistischen Gedanken entspringt, daß auch Sünden und Laster Narrenwerk, d. h. Abfall von der natürlichen, dem Menschen gegebenen Vernunft seien. Daß das Gedicht daneben, wie fast die ganze Produktion der Elsässer, satirische Polemik ist, zeigt die problematische Stellung dieser Menschen zu ihrer Zeit überhaupt. Ja, man könnte sagen, in dieser elsässischen Gruppe spiegelt sich die ganze Problematik der Lage des großen geistlich-weltlichen Gemeinwesens, das sich eben damals heiliges römisches Reich deutscher Nation zu nennen begann. Ein wachsendes Bewußtsein nationaler Eigenart, das sich doch nur in universaler Form zu gestalten gewohnt ist, ein humanistischer Optimismus, der sich doch auf Schritt und Tritt Unmöglichkeiten des Lebens gegenüber sieht, eine starke Empfindung dafür, daß die Grundfrage [441] der Zeit die religiöse sei, daß es sich darum handle, so wie es schon die alte Mystik wollte, aus den immer stärkeren Verdinglichungen der Religion heraus den kurzen Weg zu Gott zu finden. Also eine erste restitutio christianismi, orientiert an einer freilich noch sehr undeutlich gesehenen christlichen Antike, aber als Mittel dazu nur eine nach allen Seiten kompromittierende Bildungsreform und als Heilung des Übels nur eine Bekämpfung der Symptome.

Man sieht nicht leicht, wie dieser Weg hätte weiterführen sollen. Die humanistische Bewegung in Deutschland ist denn auch nicht von dieser Gruppe halb humanistischer Theologen fortgeführt worden, sondern von einer anderen, den Poeten.

Bei ihnen sind die Wirkungen des italienischen Humanismus am deutlichsten. Für alle Mitglieder dieser Gruppe bedeutet die Italienfahrt nicht einen Studienaufenthalt, den man ebenso gut in Paris wie in Bologna nehmen kann, sondern ein Erlebnis. Bei ihnen allein ist das ästhetische Element das Primäre, erst von da aus schreiten sie weiter. Für die deutschen Verhältnisse ist es wiederum charakteristisch, daß sie Vaganten sind, d. h. daß sie in der Gliederung der deutschen Gesellschaft keinen Platz haben. Denn während in Italien die Erlebnis-Lyrik ihren Platz in der Gesellschaft niemals ganz verloren und durch Dante und Petrarca völlig gewonnen hatte, war sie in Deutschland mit der ritterlichen Poesie verfallen. Der Meistergesang, der den Minnegesang ablöst, bedeutet nicht nur die Beschränkung der Dichtung auf schulmäßige Themen, sondern auch die Verbürgerlichung des Dichters selbst und seiner Lebensführung. So erscheinen die humanistischen Poeten gerade in Deutschland als Außenseiter der Gesellschaft. Bei ihnen am ehesten kann man das humanistische Persönlichkeitsstreben beobachten, das in Italien den uomo singolare und den uomo universale erzeugt hat, das Streben nach Ausgleichung von Lebenstrieb und Allseitigkeit. Aber die gesellschaftliche Umwelt, die die Italiener vorfinden, müssen sich die Deutschen erst schaffen, und so nimmt bei ihnen der humanistische Wandertrieb, der ja schon Petrarca besessen hatte, und den man gern mit dem Beispiel des Orpheus, der alten Rhapsoden, oder gar der Apostel rechtfertigte, die Formen des Vagantentums, der fahrenden Schüler des Mittelalters an, und ein Stück von ihrem Geiste lebt in den Poeten wieder auf. Sie betrachten die neue Bildung, von der sie oft sehr [442] wenig gelernt haben, doch in einem ganz anderen Sinne als etwas ganz Neues, wie es die Juristen und die Theologen getan haben. Sie ziehen aus, um die Barbarei aus Deutschland zu vertreiben, die „ingenia zu polieren“. Sie führen den eigentlichen Kampf des Humanismus gegen die scholastischen Methoden an Schulen und Universitäten und führen ihn mit Unverschämtheit und Rücksichtslosigkeit zum Siege.

Unter ihnen ist wenigstens eine ganz geniale Persönlichkeit, Konrad Celtis[37], der deutsche Erzhumanist, wie ihn D. F. Strauß gut genannt hat. Er ist ein wirklicher Dichter. Hätte er deutsch gedichtet, man würde vielleicht weniger eifrig bei Hans Sachs die Züge eines dichterischen Ingeniums suchen. Jedenfalls kann man sie bei Celtis finden, und der Gegenstand seiner Dichtung ist sein Leben. Es hat keine großen Gegenstände. Widersacher, Weiber, Schulden, das ist etwa das Materielle. Aber dazu kommen die geistigen Inhalte. Als fahrender Poet entdeckt Celtis Deutschland aufs Neue, das Lebende und das Vergangene. Den Zeugen der Vergangenheit stöbert er in den Bibliotheken nach. Er sieht sie mit anderen Augen als Trithemius oder die humanistischen Mönche überhaupt, denen er manchen Fingerzeig verdankt haben mag. Er ist kein Forscher, sondern nur ein Finder, dem seine Beutezüge dasselbe bedeuten wie einem Ritter seine Abenteuer. Aber er entdeckt die römische Straßenkarte, die wir als die Peutingersche Tafel kennen, entdeckt die Roswitha und den Ligurinus, die in ihm die Meinung bestärken, daß die alten Formen der deutschen geschichtlichen Überlieferung poetische gewesen seien. Als Dozent in Ingolstadt und dann in Wien entwirft und verficht er das Programm der neuen Dichtung, die auf der Poesie als einer ästhetisch-philosophischen Allwissenschaft ruhen soll. Er ist spekulativ in der Erfassung des Verhältnisses von Natur und Menschenwesen, patriotisch in seiner betonten Gegensätzlichkeit gegen die Italiener, religiös in seiner Anknüpfung an die „druidische“ Urweisheit der Germanen.

Celtis ist es auch, der dieser neuen Bildung ihre Kampftruppen schafft, die humanistischen Sodalitäten. Sie sind Nachahmung [443] der italienischen Akademien, als solche gesellschaftliche Vereinigungen einer gleichgesinnten Bildungsschicht. Aber in Deutschland fehlt auch hier die Tradition, die Anknüpfung an die alten Liebeshöfe des Minnesangs und an die halbgelehrten Diskussionen der Fürstenhöfe der Provence und Unteritaliens, die dort zwanglos einen Standeszusammenhang und doktrinelle Beziehungen zu einer neuen gesellschaftlichen Bildungsgemeinschaft umgeschaffen haben. Die deutschen Sodalitäten werden aber auch nicht Gefolgschaften eines Schulhaupts, wie in Neapel, Rom und Florenz. Sie sind Propaganda-Organisationen für die neue „Humanitas“ als Bildungs- und Lebensform und vor allem für die neuen Bildungsinhalte.

Und hier sehen wir nun zum zweiten Male, auf höherer Stufe als bei der Elsässischen Schule, daß für den deutschen Humanismus die Probleme der Formung und der Normierung auseinanderfallen. Denn wenn auch für die Sodalen des Celtis die Antike in ganz anderer Geschlossenheit und Klarheit als ein ästhetisches Ideal erscheint als für die Elsässer, wenn man in diesen Kreisen den Geburtstag des Plato begeht, wie es die Florentiner tun, wenn man Statuten schafft, die den Eintritt in den Kreis der neuen Gebildeten an die Kenntnis der drei heiligen Sprachen, Latein, Griechisch und Hebräisch, binden, so ist doch das Reich der sittlichen Werte in dem Kreis des eigenen nationalen Lebens beschlossen. Denn dieses Leben hat jetzt seine eigene wieder zu belebende Vergangenheit. Und diese liegt nicht mehr in der Benediktinerkultur Karls des Großen, sondern in der germanischen Urzeit, die man durch die wiederaufgefundene Germania des Tacitus kennen gelernt hatte[38].

Der deutsche Humanismus tritt in die Periode der nationalen Romantik. Sie ist für die Geschichte des deutschen Geistes, wenigstens was die Vermehrung der Inhalte betrifft, vielleicht noch wichtiger geworden als die zweite Romantik, von der ich Name und Wesensbestimmung hierher übertrage. Denn was war nicht alles neu zu finden! Das erste ist die Anknüpfung der deutschen Geschichte überhaupt an die des Germanentums. Dieser Zusammenhang war für das Mittelalter verdeckt durch den Begriff der translatio imperii. Man fragte nach der Herkunft des Reiches, [444] vielleicht auch nach der origo der Franken oder Schwaben, aber nicht nach der Herkunft des deutschen Volkes. – Das Zweite ist die Erfüllung des Begriffs der deutschen Nation mit einer ethischen Vorstellung. Denn dieser Begriff war zunächst nichts als eine landsmannschaftliche Zusammenfassung, die auf den Universitäten und dann auf den Konzilien ihre Rolle spielte. Hier haben die Poeten die Arbeit der Juristen, die wir bei den Gravamina beobachten konnten, fortgesetzt. – Das Dritte ist die Herausarbeitung eines Idealtypus des deutschen Menschen, für den die Germania des Tacitus fast alle Wesenszüge liefert. Was hier die Vergangenheitsspiegelung einer Gegenwartssehnsucht ausmacht, kann man an dem Begriff der deutschen Einfalt sehen. Er war vorhanden, aus dem Gefühl des Gegensatzes zu den „schlauen Welschen“ geboren. Aber jetzt streift er das Stück Minderwertigkeitsgefühl ab, das ihm zugrunde liegt, und bekommt die Bedeutung eines ethischen Postulats für die Gegenwart[39]. Ein anderer Führer der Poeten, der schwäbische Bauernsohn Heinrich Bebel, entwickelt einmal recht kunstvoll, daß in den Worten des Tacitus: „plus apud eos boni mores valent quam alibi bonae leges“ die Erklärung dafür liege, daß den alten Germanen sowohl Philosophen wie Gesetzgeber gefehlt hätten. Er benützt das, um zu zeigen, daß die germanische Staats- und Lebensweisheit in den deutschen Sprichwörtern liege. – Das Vierte ist die neue Unterbauung des Begriffs des Imperiums. Es soll den Deutschen gehören, nicht weil es römische Päpste deutschen Kaisern verliehen haben, sondern weil die Germanen die Besitzer und Erben des römischen Reiches geworden sind. Ein junger Adept der Celtisschule, Franziscus Irenicus, spricht das in einem wunderlich-phantastischen Werke aus[40], aber schon bei Bebel ist dieser Gedankengang ganz deutlich.

All diese Gedanken verbinden sich in der Auswertung des taciteischen: Germani sunt indigenae. Damit ist der Begriff des deutschen Volkstums entdeckt. Es ist ein Altertum wie das [445] klassische. Es ist versunken wie dieses, von der Gegenwart durch eine nicht kleinere Kluft getrennt. Es enthält die Normen für die Gestaltung der nationalen Gegenwart, die politischen wie die sittlichen. Es ist zu erfassen und darzustellen durch die Gemeinschaft der neuen Gebildeten, die in dem von Celtis geplanten Bunde der deutschen Sodalitäten von den Alpen bis zur Ostsee, vom Rhein bis zur Donau zu reichen hätte. Diese Darstellung wird eine Germania illustrata werden, ein „Erläutertes Deutschland“, wie das 17. Jahrhundert gesagt hätte, eine deutsche Kulturgeschichte, die die germanische Vergangenheit in der deutschen Gegenwart wiederfindet. Wir besitzen davon nichts als ein paar Ansätze, einen genialischen in der Norimberga des Celtis, aber Grundgedanke und Plan lassen sich mit Sicherheit wieder herstellen[41].

Was wir hier haben, ist also eine nationale Romantik mit ganz fest umschriebenen Zügen. Sie scheint um so zukunftssicherer, als in ihrem Mittelpunkt die Person des Kaisers, Maximilians, steht. Dieser als Charakter und als Politiker so umstrittene Mensch ist von unbestreitbarer Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Geistes unter dem Einfluß der humanistischen Bewegung in Deutschland. Gerade seine fahrige Reizsamkeit – dieses Lamprechtsche Wort scheint mir auf ihn besser zu passen als irgend ein anderes –, die ihn zum politischen Dilettanten macht, hat ihn befähigt, sich allen lebendigen Regungen der Zeit zu öffnen, mehr noch, diese Regungen an sich heranzuziehen und wieder von sich ausgehen zu lassen, wie es nach ihm kein deutscher Kaiser mehr vermocht hat und wohl auch keiner vor ihm. Als Förderer der humanistischen Romantik hat er ein paar Vorläufer. Der wichtigste vielleicht ist Johann von Dalberg, der Bischof von Worms[42]. Ein allseitig aufgeschlossener Mensch, großartig im Gebaren und Planen, aber im Grunde ein fürstlicher Dilettant. Maximilian ist in seinen Fähigkeiten kaum mehr. Aber er steht in unvergleichlich größeren Beziehungen. Er erbt den habsburgischen Ehrgeiz, die burgundische Ritterlichkeit, die Überlieferungen des alten Kaisertums. Dies vereinigt sich in einem [446] Geiste von seltener Lernfähigkeit und noch seltenerer Agitationskraft. Mit den Ausschreiben und Reden, die all seine Handlungen begleiten, hat Maximilian ein großes Stück der deutschen öffentlichen Meinung geschaffen, deren sich dann die Humanisten bedient haben und die die Reformation in ihrer ersten Erscheinung getragen hat. – Die Formen seiner Fürstlichkeit sind die ritterlichen, aber sein Streben geht auf die Erfassung der Volkskräfte in ihrer ganzen Breite. Seine wichtigste Schöpfung, der „neue Orden“ der Landsknechte zeigt diesen Geist aufs kräftigste. – Sein Lebensinhalt ist das Abenteuer, ganz im Sinne des alten Rittertums. In der Phantasie der Artusromane bewegt er sich selbst in diplomatischen Verhandlungen[43]. Im ’Weißkunig’ und im ’Teuerdank’ hat er sein Leben denn auch in der Weise der alten ritterlichen Abenteuerdichtung dargestellt. Aber der tiefere Sinn dieser Werke – wir kennen ihn aus den Plänen, die seine Gelehrten dafür entworfen haben, – ist der Kampf zwischen ratio und fortuna[44]. Das Renaissanceproblem, und zwar in einer wohl unterscheidbaren deutschen Umformung. – Von dem italienischen Renaissancefürstentum hat er auch den Begriff des Ruhms, des Andenkens bei der Nachwelt, des Mäzenatentums mit der Draperie des Augusteischen Römertums. Das Collegium mathematicorum et poetarum, in dem die Bildungsideen des Celtis ihre erste selbständige Form unter staatlicher Autorisation erhalten sollen, schafft er „nach dem Vorbild unserer Vorgänger, der römischen Kaiser“. Es ist wie bei Petrarca, der sich einbildete, seine Dichterkrönung auf dem Kapitol sei eine altrömische Zeremonie.

Sehen wir seine Gestalt von der humanistischen Bewegung aus an, so ist fast nicht so wichtig, was er von ihr entnommen und was er an ihr gefördert hat, als was man von ihm erwartete. Und da sieht man ganz deutlich, daß er an Karl den Großen herangerückt wird. Er wird eine deutsche Grammatik und ein deutsches Recht schaffen, die Germania illustrata als deutsche Geschichte vollenden lassen und, vielleicht das wichtigste, die kirchlichen und religiösen Fragen der Zeit durch eine deutsche Pragmatik oder [447] gar eine deutsche Form des kirchlichen Lebens lösen. – Für alle diese Hoffnungen gibt es Ansätze in Bestrebungen und Entwürfen Maximilians selbst. Unter ihnen verdienen die phantastischen Religionsvorstellungen an seinem Hofe unsere besondere Aufmerksamkeit. Wir wissen jetzt durch die tiefgrabenden Forschungen von Giehlow, Saxl und Panofsky[45], daß auch hinter der wirren Allegoristik der großen Holzschnittfolgen, die Max als eine zweite Darstellung seines Lebens und seiner Taten veranlaßte, eine bestimmte Ideenwelt steckt. Daß hier die ägyptische Hieroglyphik, in der pythagoreisches Gedankengut mit orientalischer Mystik gemischt worden war, ihren Niederschlag gefunden hat. Um die Bedeutung dieser Dinge richtig einzuschätzen, muß man beachten, daß sich in derselben Welt auch Johann Reuchlin bewegt, der damals, in der Zeit der Hochblüte der deutschen humanistischen Romantik, als das eigentliche Haupt der Humanisten galt. Reuchlins Wiederbelebung des Hebräischen, nur von einem Teil der Humanisten ohne Bedenken aufgenommen, sollte ihm doch nicht bloß den Zugang zu dem Urtext des alten Testaments, sondern vor allem das Verständnis des „wundertätigen Worts“ erschließen, das in Wirklichkeit ein wundertätiges Zeichen war. Aus ihm sollte sich – das sprach das große Vorwort zu Reuchlius wissenschaftlichem Hauptwerk ’De arte cabbalistica’ aus – eine neue pythagoreische Philosophie erheben. Reuchlin gedachte sie neben die von den Florentinern neu geschaffene platonische und neben die von den Franzosen erneuerte aristotelische als eine dritte und zwar als eine eigentlich deutsche zu stellen[46]. – In der Tat hätten sich hier die phantastischen und mystischen Regungen des deutschen Geistes mit der humanistischen Gedankenwelt eigentümlich verbinden können. Es wäre die letzte Vollendung der humanistischen Romantik geworden, eine deutliche Fortbildung der „Druidenreligion“ des Celtis, nur ausgeweitet zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit den großen antiken Bildungssystemen und deshalb der ganzen Bewegung doch [448] viel entsprechender als die Auskunft der deutschen Sprichwörter, die Bebel gefunden hatte. Unzweifelhaft kamen diesen Bestrebungen, den deutschen Geist auch gegenüber dem italienischen selbständig zu machen, auch eigentümliche Anlagen des deutschen Geistes selbst entgegen. Schon bei dem Cusaner steht neben dem theologischen Unendlichkeitsproblem das mathematische. Es wird charakteristisch für den deutschen Humanismus der ersten Periode, daß neben den Poeten die Mathematiker stehen. Mathematik und Geographie werden recht eigentlich deutsche Wissenschaften. Die für den deutschen Geist so bezeichnende Verbindung von phantastischer Spekulation und technischem Denken kündigt sich an. In der geistigen Physiognomie Nürnbergs sehen wir von dieser Verbindung aus einen neuen Begriff der Ordnung sich über Leben und Welt ausbreiten, der selbständig neben der italienischen harmonierenden Symmetrie steht.

Es ist bedauerlich für unsere Vorstellung von dieser romantischen Phase des deutschen Humanismus, aber doch auch wieder ganz erklärlich, daß dieser ganze Reichtum von Ideen doch kein einziges abgeschlossenes Denkmal von letzter Formung hervorgebracht hat. Man wäre versucht als ein solches Aventins Bayerische Chronik zu nennen, wenn nicht hier schon eine spätere Stufe der Entwicklung sich spiegelte, die wir noch zu betrachten haben werden. Und so müssen wir vielleicht die stärkste Verdichtung des romantischen Geistes der aetas Maximilianea in dem Werk eines bildenden Künstlers suchen, in Dürers Melencolia.

Befreien wir uns dabei von den triologischen Anordnungsversuchen, die sie mit dem Hieronymus im Gehäus und dem Ritter, Tod und Teufel zusammenstellen, und sehen wir nur das Blatt als solches an. Dieses mächtige Weib, zunächst nichts weiter als eine schwere deutsche Frauengestalt, die von der Hausarbeit auszuruhen scheint, aber über das Irdische und Tägliche erhoben nicht nur durch die Flügel an den Schultern und den Kranz auf dem Haupte, sondern auch durch den Blick, der suchend ins Unendliche vorzudringen scheint, und durch das wunderliche Gerät um sie herum. Es zeigt, wie wir es auch immer deuten mögen, daß hier nicht ein gewöhnliches Tagwerk geschafft wird, Instrumente des Forschens jedenfalls, als Ganzes verständlich erst durch den Titel des Blattes. Es ist die Melancholie, so wie sie die Florentiner Platoniker verstanden haben, als die Gemütsstimmung der „Saturnischen [449] Naturen“, des schöpferischen Genies[47]. Aber kein Florentiner hätte so etwas schaffen oder auch nur erdenken können. Es ist die deutsche Schwere und Tiefe, das Verhaftetsein des Geistes im Göttlichen und im Kreatürlichen zugleich, die Ruhe, die nicht aus dem Erfüllthaben, sondern aus dem Erfülltsein hervorgeht, der menschliche Geist, der sich wirklich als Maß der Dinge fühlt. Nicht grundlos, wenn auch philologisch verfehlt, war es, wenn man Ideen des Cusaners zur Erklärung dieses abgründigen Werks herangezogen hat.

Damals als Dürer seine Melencolia schuf, war die nationale Romantik nicht mehr die einzige, ja nicht einmal mehr die herrschende Form des deutschen Humanismus. In demselben Jahr, 1514, erschienen die Clarorum virorum epistolae, die Reuchlin herausgab, um sich in seinem Streit mit den deutschen Dominikanern über die Judenbücher mit der literarischen Bundesgenossenschaft des humanistisch gebildeten Deutschland zu decken. Im nächsten Jahr erscheint der erste Teil der Epistolae obscurorum virorum, und dieser ist aus einem ganz andern Geist geboren, als ihn die maximilianische Romantik zeigt, aus dem Geist der religiösen Aufklärung. Diese wird die zweite Form der deutschen humanistischen Bewegung. Ihr Urheber und Führer ist Erasmus[48].

Betrachtet man den deutschen Humanismus in seiner Wirkung und Bedeutung für die nächste Generation und für das umwälzende Ereignis der Reformation, so gibt es keine Gestalt, die es an Wichtigkeit mit Erasmus aufnehmen kann. Daher ist die Frage nach dem Wesen des erasmischen Denkens und seinen Zielen fast eine Mittelpunktsfrage in der Diskussion über den deutschen Humanismus geworden. In der Tat ist sie außerordentlich verwickelt. Sie kann aber nicht von einer Betrachtung der bisherigen Entwicklung des deutschen Humanismus aus oder von der des deutschen Geistes gelöst werden. Denn Erasmus kommt von diesem nicht her. Sie ist vielmehr ein Problem der abendländischen Geistesgeschichte überhaupt, wie sie sich am Ausgang des Mittelalters darbietet, und auch da vielleicht das wichtigste für eine geistesgeschichtliche Betrachtung. Sie kann auch da nicht verstanden [450] werden, wenn man nicht zunächst sagt, was es mit dem Humanismus des Erasmus überhaupt auf sich hat.

Ich versuche, die Antwort von der allgemeinen Fragestellung aus zu geben, die ich für den Humanismus diesen Ausführungen vorangestellt habe. Dann lautet sie so.

Mit Erasmus tritt das Problem der Formung und Normierung eines gegebenen Kulturinhalts durch die Antike in sein zweites, oder wenn man will, in sein drittes Stadium. Es handelt sich nicht mehr, wie bei Petrarca, um ein individualpsychologisches Problem, von dem aus sich dann zunächst ein persönliches Bildungs- und Lebensideal ergibt. Nicht mehr wie bei der italienischen Renaissance und bei dem deutschen romantischen Humanismus um eine Formung und Normierung einer national bestimmten Kulturtendenz, sondern um die Neugestaltung der abendländischen Kulturgemeinschaft, wie sie sich in der res publica christiana darstellt, als eines Ganzen. Das Lebensziel des Erasmus ist es, diese res publica christiana in ihrer dreifachen Ausprägung, als Hierarchie, als sakramentale Heilsanstalt und als organisches System zu einer Bildungsgemeinschaft umzugestalten. Dann wird aus der Hierarchie eine Erziehungsanstalt auf Christus, aus der sakramentalen Heilsanstalt ein christlicher Gesellschaftsverband, aus dem organischen System ein philosophischer Moralismus, der auf dem consensus opinionum über ein christliches Gesellschaftsideal beruht. Das Mittel zu all dem ist eine neue Gestaltung der Lehre Christi, diese Lehre, die mit seinem Wesen identisch ist, gesehen auf dem Hintergrund der neu verstandenen Antike. Die Humanitas wird als Bildungs- und Lebensbegriff auf das von verfälschenden Zusätzen befreite Christentum bezogen, sie soll humanitas christiana werden.

Zu diesem Zweck muß Erasmus zunächst die christliche Antike als einen besonderen Bezirk innerhalb der Antike selbst umgrenzen und ihr einen besonderen Platz in seinem Denksystem geben[49]. Sie reicht von Origenes bis zu den lateinischen Kirchenvätern. [451] Ihr eigentlicher Repräsentant ist Hieronymus. Diese christliche Antike liefert die Mittel, die Lehre Christi in ihrem wahren Verstande zu erfassen. Sie liefert die Waffen, mit denen Erasmus die ganze scholastische Entwicklung als Verfälschung des wahren Christentums ablehnt, ohne doch das Dogma und seine weltanschaulichen Folgerungen in irgend einem Punkte direkt anzugreifen[50]. Sie ist gleichsam der innere Ring, der sich um die Lehre Christi herumlegt. Diesem entspricht ein äußerer, die humane Lebensweisheit. Sie ist von den Denkern des heidnischen Altertums klassisch formuliert. Sie bietet für das Leben des Christen in der Welt auch jetzt noch alles Notwendige. Sie kann zwanglos auf die Person und die Lehre Christi bezogen werden. Der Kreis, den diese Bildung um den der christlichen Antike legt, ist gegen ihn frei schwebend gedacht, aber er hat denselben Mittelpunkt, nämlich Christus selbst.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht möglich und auch nicht nötig, die einzelnen Bestandteile des erasmischen Gedankenbaus in ihrer Herkunft und in ihrer Stellung im System zu erläutern. Auch auf die wichtige Frage, wie sich die erasmische christliche Philosophie zur Theologie des Mittelalters verhält, kann ich nur mit einem Wort eingehen. Für unsern Zusammenhang kommt es zunächst darauf an, zu erkennen, wie Erasmus selbst zu diesen Ideen gelangt ist, also den geschichtlichen Ort seines Wirkens innerhalb der allgemeinen Geistesgeschichte zu bestimmen. Die Frage ist zunächst eine biographische. Eine Biographie des Erasmus, die letzten Ansprüchen genügte, besitzen wir noch nicht, sie wird vielleicht jetzt, wo sich die klassische Ausgabe seines Briefwechsels durch P. S. Allen ihrer Vollendung nähert, möglich sein. Aber auch da wird sie noch auf die Schwierigkeit stoßen, daß die geistige Atmosphäre, in der Erasmus gelebt hat, für uns kaum mehr ganz vorstellbar, jedenfalls für deutsche Menschen besonders schwer nachzuempfinden ist[51]. Was wir jetzt schon sagen können, ist etwa Folgendes:

Es gibt in der geistigen Entwicklung des Erasmus zwei negative und zwei positive Elemente. Die negativen sind sein Aufenthalt in dem Kloster Steyn bei Gouda und sein Studium in dem Collegue [452] Montaigu an der Sorbonne in Paris. Die positiven seine Aufenthalte in England und seine Fahrt nach Italien. Dabei soll der Klosteraufenthalt den Punkt bedeuten, wo Erasmus der Mönchsfrömmigkeit absagt, die Pariser Studienzeit den Punkt, wo er seinen Bruch mit der Scholastik vollzieht. In England tritt dann an Stelle der Scholastik das praktische und platonisch orientierte Christentum Colets, in Italien die volle Anschaung der griechischen Antike, vermittelt durch die Academia Aldina in Venedig, und die Bekanntschaft mit der Humanität als gesellschaftlicher Form, gewonnen in den Kardinalkreisen des Roms Julius II.

Doch muß man bei diesen Aufstellungen einige Einschränkungen und Zusätze machen. Daß Erasmus im Kloster ein Feind des Mönchstums, in Paris ein Gegner der Scholastik geworden sei, sind Vorstellungen, die er später selbst gehabt, nach denen er sein Leben in erinnerndem Rückblick pragmatisiert hat[52]. Die Zeugnisse, die wir aus dem Kloster und der Studienzeit selbst haben, bestätigen das nicht oder nur zum Teil. Und ebenso genügen Einflüsse, die wir von John Colet und dann von Italien aus aufzeigen können, nicht, um die Besonderheit des erasmischen Geistes zu erklären: eine im Grunde mystisch gedachte Frömmigkeit, die doch in rein aufklärerischen Denkformen und besonders mit rein aufklärerischen Tendenzen arbeitet. Auch wenn wir für den letzten Punkt die zweifellos stärkste Wirkung in Anschlag bringen, die Erasmus erfahren hat, nämlich die des Lorenzo Valla[53], so bleibt doch noch die Frage naheliegend und berechtigt, ob nicht dieser so eigentümliche Geist schon aus den einheimischen Tendenzen der Niederlande oder aus besonderen Formen ihrer geistigen Entwicklung erklärt werden müßte.

In der Tat zeigt die niederländische Geistesart noch heute diejenigen Züge, die wir bei Erasmus finden, einen starken Drang zu mystischer Frömmigkeit neben einer scharf rationalen Denkweise. Beide Tendenzen sind auch im 15. Jahrhundert schon [453] literarisch entwickelt. Neben dem Reinicke Fuchs steht eine religöse Lyrik, die an Innigkeit mit jeder andern wetteifern kann, sie an Volksnähe übertrifft. Aber für die Erklärung des erasmischen Geistes wird eine andere Frage wichtiger, die nach der Bedeutung der Brüder vom gemeinsamen Leben[54]. Sie für Erasmus zu stellen, sind wir schon deshalb berechtigt, weil er ja ihre Schule in Deventer besucht, sich seiner Lehrer Hegius und Agricola oft besonders gerühmt hat. Aber bekanntlich hat diese Frage noch eine weitere Bedeutung. Es hängt damit zusammen, ob wir annehmen dürfen, daß die Brüder vom gemeinsamen Leben allgemein wichtig für die Ausgestaltung des Humanismus geworden sind, ob man etwa gar von einer nordischen Wurzel des Humanismus reden kann, die der italienischen an Bedeutung gleichkäme. Es wäre dann also nötig, neben dem ersten von uns geschilderten Anfang des Humanismus mit Petrarca einen zweiten, selbständigen, mit Geert Grote zu stellen. Es käme auch in diesem Falle nicht darauf an, ob in den Vereinigungen und Schulen der Brüder mehr oder weniger antike Schriftsteller gelesen, abgeschrieben, späterhin gedruckt worden sind, sondern wiederum nur darauf, ob die Antike eine besondere Rolle bei der Formung und Normierung der Kulturwerte gespielt hat, welche die Brüder zu Idealen ihres Lebens erhoben haben. Und das läßt sich wenigstens für die christliche Antike, wenn auch mit Vorsicht und einiger Einschränkung, bejahen. Denn so sicher es ist, daß die Gründungen Geert Grotes und seines Schülers Florentius Radewinsson zunächst nichts als Schößlinge von dem großen Baum der monachalen Reform sind, und so wichtig es ist, daß die von den Brüdern gegründeten und beeinflußten Schulen zunächst ganz in den Bahnen der scholastischen Lehrtradition verblieben sind und auch später nichts Grundsätzliches reformiert haben[55], ebenso bestimmt können wir doch sagen, daß bereits die erste Absicht Geert Grotes – eine Nachahmung des apostolischen Lebens ohne Bindung an eine Regel, [454] ein Leben bei der Welt ohne Lösung von der Welt – aus einem bewußten Gegensatz gegen die mönchische Lebensführung hervorgegangen ist und ferner daß die so entstehende „devotio moderna“ mit ihrer Verbindung von praktischer Tätigkeit und mystischer Beschaulichkeit mindestens eine Zurückdränguug der scholastischen Denkprobleme bedeutete. In beiden Richtungen sagen uns die Angriffe der Zeitgenossen auf die neuen Gründungen der Brüder am besten, was hier neu war und als dem Zeitgeist widersprechend empfunden wurde. Sie richten sich auf zwei Punkte: man wollte nicht zugeben, daß eine Genossenschaft ohne Regeln in der vita communis lebe, und ebenso wenig hielt man für erlaubt, daß die Brüder sich gegenseitig beichteten.

Aber damit ist zunächst nichts weiter festgestellt, als daß es im Leben und in der Bildungswelt der Brüder einen Punkt gibt, wo die christliche Antike als normierendes und formendes Element aufgenommen werden konnte. Und vor allem, man sieht nicht, wie sie hier mehr werden könnte als in den andern Fällen einer: „Reformation“ im mittelalterlichen Sinne, die doch immer ein ridurre al segno war, also eine Besinnung auf das altchristliche Lebensideal und ein Versuch seiner Erneuerung. Immerhin könnte es genügen, daß wir feststellen: hier ist ein Lebensgrund geschaffen, der nur aufgewühlt zu werden braucht um etwas Neues, gegen die bisherige Entwicklung Gerichtetes hervorzubringen, und das Mittel der Aufwühlung wäre, wie bei Petrarca, das ästhetische Interesse gewesen. Dann hätte also Sehnsucht nach der christlichen Schönheit die erasmische humanistische Aufklärung aus der devotio moderna hervorbrechen lassen. Und das möchte ich annehmen.

Vielleicht läßt sich diese Annahme noch ein wenig fester stützen. Es gibt auf dem Wege, der von der Frömmigkeit der Devoten zur erasmischen Aufklärung führt, zwei Gestalten, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, Rudolph Agricola und Conrad Mutian.

Der Friese Agricola[56] gehört zu den merkwürdigsten Erscheinungen des deutschen Humanismus. Wollte man ihn geistig der Generation zuteilen, der er zeitlich angehört, so würde man [455] fehlgreifen. Denn mit den ersten humanistischen Vaganten vom Schlage Peter Luders, mit den halbhumanistischen Juristen von der Art Gregor Heimburgs, deren Zeitgenosse er ist, hat er gar nichts zu tun. Er ist geistig auch jünger als der Elsässer Theologenkreis, mit dem er in Beziehung steht, und jünger als der Dalbergkreis, in den er vorübergehend eintritt. Seine wirklichen geistigen Genossen sind die Männer und Frauen der italienischen gebildeten Gesellschaft der reifen humanistisch geformten Renaissancekultur, in der er in Ferrara am Hof der Este lebt, sind Leute wie Polizian und Codro Urceo. Mit einer nirgendwo in Deutschland zu findenden Energie und Begabung gestaltet Agricola sich zu dem uomo universale und singolare, der eigentlich ein genialer Dilettant und vor allem ein Lebenskünstler ist. Das Petrarcasche Ideal der Kultur der Seele als Selbstzweck, aber hier, wie bei den Italienern seiner Zeit überhaupt, ganz säkularisiert und gesellschaftlich normiert, tritt in Agricola großartig auf. Es ist nicht unwichtig, daß er eine Biographie Petrarcas geschrieben hat, in der man ohne Mühe Selbstbekenntnis-Stellen entdeckt[57]. Und dieser selbe Mann nun verbringt Jahre seines Lebens als Schulmeister und Stadtschreiber in dem heimatlichen Groningen und hinterläßt als den eigentlichen Ertrag seines Lebens ein Werk, das sich ausdrücklich die Aufgabe stellt, die aristotelisch-scholastische Denkmethode durch eine andere, aus der humanistischen Anschauung geschaffene zu ersetzen. Denn das ist der Sinn der drei Bücher ’De inventione dialectica’. Hier nimmt Agricola den Versuch Vallas wieder auf, die logischen Prinzipien der Scholastik zu revidieren, ein System von Begriffen zu schaffen, die aus der Erfahrung gewonnen sind und durch die anschauliche Evidenz ihres Zusammenhangs das Finden von Neuem ermöglichen. Das Ganze aber bezogen auf die Welt des Altertums, auf das Wissen, das man aus den besten Autoren schöpfen muß, und geschaffen zu dem Zwecke, eine allgemeine Überzeugung von den Gütern und den Werten des Lebens zu ermöglichen. Es ist das humanistische Gesellschaftsideal in der besonderen deutschen, pädagogischen Form. Es wäre eigentümlich wertvoll gewesen, wenn Agricola den Plan der letzten Jahre seines kurzen Lebens ausgeführt, sich dem Hebräischen und der Theologie zugewendet hätte. Wir hätten vielleicht schon auf dieser Stufe eine aufklärerische [456] Theologie erhalten. Dazu ist es nicht gekommen, und auch das Werk ’De inventione’ blieb zunächst ungedruckt. Dann aber zogen es holländische Anhänger des Erasmus ans Licht. Es wirkt auf Erasmus selbst, auf seinen getreuen Schildknappen Ökolampad, auf die Juristen der Zeit, auf Melanchthon. Und das von Agricola gegründete System der Loci als Fundstätten der Begriffe wird die Grundlage einer humanistischen Systematik, die, wie wir sehen werden, auch wesentlich für die Reformation wird. Ob und wie weit gerade durch Agricola die humanistische Bewußtseinsstellung in die Schulen der Brüder vom gemeinsamen Leben selbst eingedrungen ist, müßte erst noch einmal untersucht werden. Es spricht dafür, daß Hegius sein Schüler war.

Eine andere Abwandlung des Problems zeigt Mutian[58]. Er ist in Deventer Mitschüler des Erasmus gewesen, dann früh nach Italien gekommen. Sein Jugendleben scheint in den Bahnen des humanistischen Vagantentums zu verlaufen, aber das entspricht nicht seiner im Grunde beschaulichen Art. Er sucht ein Leben für sich. Zunächst scheint es sich bei ihm um einen ganz ähnlichen Fall zu handeln wie bei Petrarca. Die Kultur der Seele als Selbstzweck führt den Sekretär der hessischen Kanzlei in die beata tranquilitas beim Dom zu Gotha. Ein lebendiges Bildungsbedürfnis, rein ästhetisch orientiert, macht diese Einsamkeit zum Mittelpunkt einer literarischen Agitation, die in ihren Interessen ganz universal und in ihrer Haltung gegen die Umwelt ganz kritisch ist[59]. Der Unterschied Mutians gegen Petrarca liegt aber auch in der anderen räumlichen und geistigen Umgebung, in der beide leben. Es handelt sich bei Mutian nicht mehr um eine von ritterlichem Geist und Scholastik eingenommene Welt und ebenso wenig um ein erst noch zu entdeckendes Altertum. Was Mutian flieht, ist die Plattheit des Lebens, die sich ihm zunächst in dem eigenen Konvent, dann aber schließlich überall in der Welt zeigt. Und was er sucht, ist das Göttliche, das sich durch alle Zeiten hindurch gleich bleibt. Daher seine berühmten freigeistigen, pantheistisch klingenden Äußerungen, seine Kritik an den Zeremonien, [457] die er doch selbst abzuwerfen nicht imstande ist, seine ganze esoterische Religion. Sein Interesse am Reuchlinschen Streit[60] beginnt erst, als er hier eine neue „Sekte“ zu erkennen glaubt, die sich von dem Zeitgemäßen und Zeitgewohnten ebenso absondert wie er selbst. Er hat sich schließlich eine ganz eigene Art religiöser Diesseitigkeit zurecht gemacht. „Longe melius est“, schreibt er einmal, „ab ignorantia ad scientiam consurgere quam sperare futura. Si animum tuum noveris, in celo es“. An Mutian sehen wir vielleicht am deutlichsten, was in Deutschland ästhetische Religiosität sein konnte, und wohl auch dies, bis zu welchem Grade der Vereinheitlichung von Bewußtsein und Lebensführung es eine aufklärerische Religiosität in Deutschland vor Erasmus bringen konnte.

Es wird aber auch so vielleicht deutlicher geworden sein, was es bedeutete, daß die Frage einer christlichen Philosophie in humanistischer Formung und Normierung bei Erasmus nicht mehr ein individualpsychologisches Problem ist, sondern ein sozialpsychologisches, daß es sich um einen bewußten Versuch handelt, eine ganze Welt, eben die der res publica christiana, in eine neue Form zu bringen. Man hat diesen Versuch wohl eine „Renaissance des Christentums“ genannt, dazu aber bemerkt, daß Erasmus selbst niemals so sage, sondern von einer restitutio christianismi spreche. Ebensooft aber spricht er von den renascentes litterae. Beide Ausdrücke bezeichnen die Sache. Die „Renaissance der Wissenschaften“ ist die Tatsache, von der Erasmus ausgeht, auf der er aufbaut. Sie ist da, als er auftritt. Er wird ihr Führer, indem er die verschiedenen Bewegungen zusammenfaßt, seine Rivalen, wie etwa den Franzosen Budaeus mit Güte oder Überlegenheit zu sich hinüberzwingt. Das Christentum aber ist erst wieder herzustellen. Diese Wiederherstellung ist die Arbeit seines Lebens.

Wenn sie ihm so schnell und in so erstaunlichem Maße zu gelingen scheint, so liegt der Grund zunächst darin, daß diese neue christliche Philosophie die verschiedensten Ansprüche befriedigt. Sie entspricht dem mystischen Drang der Zeit, der eine Gefühlsreligion ohne Zeremonien und Umschweife sucht. Sie zeigt den [458] kurzen Weg zu Gott, den alle Mystiker gesucht hatten, sie will diesen Weg den Menschen, die guten Willens sind, leicht, nicht schwer machen. So zeigt ihn das Enchiridion militis christiani. Dieser christliche Streiter, den man doch wohl zu Unrecht auf dem berühmten Stich Dürers wiederzufinden geglaubt hat, hat mit Tod und Teufel sehr wenig zu tun. Seine Furchtlosigkeit ist nicht die des Kämpfers, der sich bedroht fühlt, sondern die des Weisen, der den Kampf mit sich selbst hinter sich gebracht hat und nun andere die „Kunst der Frömmigkeit“ lehren will. Es ist eine Imitatio Christi, bei der von dem Kreuz Christ fast nicht die Rede ist.

Aber diese christliche Philosophie des Erasmus befriedigt zugleich alle Ansprüche einer ästhetischen Bildung im Sinne der Zeit. Sie ruht auf philosophischer Gelehrsamkeit und strebt nach ästhetischer Schönheit und Würde. Wiederum ist dafür der Epicureus besonders bezeichnend. – Sodann aber: diese Philosophie vereinigt die gesamten aufklärerischen Tendenzen der Zeit und beraubt sie doch ihrer persönlichen Ressentiments. Das Lob der Torheit ist nicht eine Satire auf die Erscheinungen menschlicher Torheit, wie sie Brants Narrenschiff und die Wimpfeling-Reuchlinschen Komödien boten, sondern ein großartiger Versuch, die Torheit als das irrationale Element des Weltlaufs zu begreifen und von da aus die Welt vernünftig anzusehen, damit sie uns auch vernünftig ansehe. Sehr bezeichnend aber, daß Erasmus die Absicht hatte oder wenigstens später als seine Absicht erklärt hat, der laus stultitiae eine laus naturae und dieser eine laus gratiae folgen zu lassen[61]. Das Stufenreich des Aquinaten in der erasmischen Sicht.

Aber ebenso kommt nun die erasmische Philosophie dem kritischen antikirchlichen Geist entgegen. Wo war der Gegensatz gegen die scholastischen Quisquilien, in denen ein Teil des theologischen Betriebs aufging, gegen das müssiggängerische Mönchstum, gegen Volksaberglauben und Priestertrug, gegen die in Zeremonien aufgehende Religion überhaupt schärfer herausgestellt als in diesen glänzenden Pamphleten, mit denen Erasmus seinen Ruhm erreichte? Aber auch in den Paraphrasen zum Neuen Testament und in dem berühmten Methodus tritt derselbe Geist einer innerlichen [459] und grundsätzlichen Gegnerschaft gegen die Zeiterscheinung von Kirche und[WS 1] Christentum hervor. Und dabei, wie Erasmus später immer wieder hervorgehoben hat, nirgendwo die Gegner mit Namen genannt, kein Angriff auf Personen. Um so schärfer der auf die Institutionen, und wenn die gefährlichsten Feinde einer Institution nicht diejenigen sind, die von außen kommen, sie überhaupt verneinen, sondern die, welche in der Institution selbst die Idee gegen die Erscheinung erheben, so hat in der Tat das katholische Kirchenwesen vor der Reformation keinen gefährlicheren Feind gehabt als Erasmus.

So wurde Erasmus, wie Ranke gesagt hat, der erste große Autor der Opposition im modernen Sinne. Er wurde aber auch das Haupt und der Vereinigungspunkt aller Richtungen des deutschen Humanismus. Sie alle, von den konservativen theologisierenden Humanisten des Elsaß, aus denen jetzt das kritische Talent des Beatus Rhenanus herauswächst, über die vornehme Gelehrsamkeit des Peutinger-Pirckheimer Kreises in Augsburg und Nürnberg und über die Wiener Celtisschule, die jetzt durch drei so hervorragende Geister wie Aventin, Vadian und Cuspinian repräsentiert ist, bis hin zu dem aufklärerischen Kreise Mutians, finden ihre eigenen Bestrebungen in höherer Form und glänzenderer Darstellung bei Erasmus wieder. Es ist so, wie es später der Schweizer Johannes Keßler in seiner „Sabbata“ ausspricht: „Sein Name ist in ein Sprichwort verwandelt Was künstlich, fürsichtig, gelehrt und weis geschrieben ist, spricht man, das ist erasmisch, das heißt unfehlbar und vollkommen.“

Für den von mir zu erleuchtenden geistesgeschichtlichen Zusammenhang ist es das Wichtigste zu erkennen, wie sich nun die erasmische Aufklärung mit dem national-kämpferischen Geiste der deutschen humanistischen Romantik zusammenfindet. Man kann den Zusammenhang zunächst durch eine theoretische Erwägung verdeutlichen: Wir sahen, wie stark der religiöse Grundzug auch in den scheinbar ganz weltlichen Richtungen dieses romantischen Humanismus war. Auch hinter den völkischen Bestrebungen der Celtisschule steht ein religiöses Ideal. Wenn sie die Druiden für die alte germanische Kultur in Anspruch nimmt, so soll das nicht nur dazu dienen, den Vorwurf zu widerlegen, daß die Germanen von Wissenschaft und Kunst nichts verstanden hätten, sondern auch nachzuweisen, daß die Germanen Priester gehabt hätten, die nicht, [460] wie die der Gegenwart, mit „Eier- und Käsegaben“ um ihren Segen angegangen werden müßten[62]. Und überall, auch wo diese religiösen Vorstellungen heidnisch drapiert sind, ist die Absicht eine restitutio christianismi. Jetzt treten diese national gedachten Sehnsuchten unter das allgemeine Bildungsziel der erasmischen Philosophie, und die Deutschen fühlen sich berufen, in dem großen Kampf gegen die Mönchsbarbarei, zu dem Erasmus aufruft, den Vorstreich zu tun.

Doch hätte sich die Vereinigung der beiden Richtungen des Humanismus vielleicht nicht so schnell und so vollständig vollzogen, wenn nicht ein positiver Fall den Anlaß dazu gegeben hätte. Dies ist die wirkliche und große Bedeutung des Reuchlinschen Streits und seiner Durchführung als literarische Fehde in den Epistolae obscurorum virorum[63].

Denn an sich war ja der Anlaß zu diesem Streit – die Frage, ob man den Juden ihre heiligen Bücher wegnehmen und sie verbrennen oder sie zum Studium des Hebräischen verwenden solle, – so nichtig wie nur möglich, und Reuchlin war alles andere als ein Kämpfer. Wir können auch deutlich beobachten, wie die humanistische Umgebung Maximilians und ebenso der Mutiansche Kreis, wahrscheinlich aber auch Pirckheimer, zunächst Bedenken tragen, sich mit dieser Sache zu befassen. Die ästhetische Freude, die Reuchlin am Hebräischen empfand, teilten ohnedies nur wenige, mit seiner toleranten Schätzung der Juden stand er gerade in den humanistischen Kreisen fast allein. Aber als hinter den Ankläger [461] Pfefferkorn die Kölner Dominikaner traten, als aus dem Streit ein Ketzerprozeß zu werden drohte, als sogar die Gefahr bestand, daß das allverehrte Haupt des Humanismus nach Rom vor Gericht gezogen werden könnte, da wurde dieser Streit in der Tat ein Kampf des Humanismus gegen die scholastische Mönchspartei. Und hier nun zeigte sich, daß der Humanismus in Deutschland ebenfalls eine organisierte Partei war. Die Sodalitäten des Celtis werden die Cadres einer geschlossenen Kampftruppe, wie sie damals in keinem andern Lande hätte entstehen können. Und eben die eigentümliche Mischung von Rechtshandel und Gelehrtenpolemik, die schon längst den humanistischen Kämpfen anhaftete, bewirkte, daß die prinzipielle Seite des Kampfes mit aller Schärfe hervortrat. Hier liegt die Bedeutung der Dunkelmännerbriefe. Sie sind und bleiben das glänzendste Erzeugnis der satirischen Zeitkritik, welche der Humanismus geschaffen hat. Mit Recht hat man in ihm die Vereinigung dreier Elemente gefunden, der mittelalterlich-scholastischen Mönchsspötterei, die sich behaglich über sich selbst lustig macht, der volkstümlichen deutschen Satire, die das Lächerliche in den einzelnen Ständen heraushebt, und der aus Italien stammenden Charakterisierungskunst der Renaissance, die den Typus zum scharfumrissenen Individuum verdichtet. Und wenn es das Wesen der Satire ist, daß sie aus dem Gefühl geistiger Überlegenheit bei sozialer Gebundenheit entspringt, so nehmen auch in dieser Hinsicht die Dunkelmännerbriefe einen ersten Rang ein.

Für uns aber ist es das Wichtigste, daß hier die Vereinigung des aufklärerischen und des national-kämpferischen Humanismus in Deutschland sinnfällig wird. Denn man hat längst gesehen, und die neueste Forschung hat es so gut wie sicher gemacht, daß aus den beiden Teilen der Dunkelmännerbriefe ein verschiedener Geist spricht. Aus dem ersten einer, dessen Satire sich die Unwissenheit und Banausenhaftigkeit der Obscuri zum Ziel nimmt, immer mit einem geheimen Behagen an dem verspotteten Gegenstand, aus dem zweiten ein noch satirisch gebundener Zorn, der von der neuen Reformation spricht, deren Leuchten Reuchlin und Erasmus sein werden. Wir wissen auch, daß der Geist des ersten Teils der des Mutian, des zweiten der Geist Huttens ist.

Man hat in neuester Zeit versucht, die menschliche, geistige und geschichtliche Bedeutung Huttens zu verkleinern, oder überhaupt gar zu leugnen. Dieser Versuch kann jetzt schon als [462] gescheitert bezeichnet werden. Er hat nur das eine Gute gehabt, daß er die Huttenforschung neu belebt hat und daß wir jetzt durch Hajo Holborn eine heutigen Ansprüchen genügende Biographie dieses merkwürdigen Menschen bekommen haben, die die alte, in ihrer Art immer noch bewundernswerte von D. F. Strauß ersetzt[64]. Alles Wesentliche ist wohl jetzt ziemlich klar.

Was Hütten als Persönlichkeit für den unbefangenen Beobachter immer anziehend machen wird, das ist die Einheit von Leben und Wirken. Gewiß, er hat die kurzen, ihm zugewiesenen Lebensjahre durchstürmt. Daß er mit 35 Jahren gestorben ist, sollte man nicht vergessen; eine Natur wie die seine hätte, um auszureifen, viel längere Zeit gebraucht. Und sein Leben ist das eines Abenteurers gewesen. Er hat niemals aufgehört, der fahrende Ritter zu sein; daß er damit Sitten und Lebensführung des fahrenden Poeten verbunden hat, ist ihm nicht gerade zum Vorteil geworden. Aber er ist kein Ritter gewesen, der der Fortuna nachzieht, sondern sein Leben ist ein Kampf mit der Fortuna. Und sein Poetentum ist nicht bloß lyrische Formung eines Lebensinhalts, wie sie etwa Celtis gelingt, – Hutten war kein Dichter, – sondern das Ringen um eine Norm. Und hier zeigt sich die Bedeutung der humanistischen Geisteshaltung überhaupt aufs Deutlichste. Denn was ist es schließlich, was das Leben Huttens über das eines Götz von Berlichingen, aber auch über das eines Sickingen erhebt? Doch nichts anderes als daß er dem Begriff der deutschen Freiheit, die zunächst nichts als die zuchtlose Unbotmäßigkeit des deutschen Adels war, einen höheren geistigen Inhalt zu geben sucht. Die Stufen, in denen sich das bei ihm vollzieht, können wir zeigen. Ich nenne sie nicht ganz in der zeitlichen Reihenfolge, sondern versuche einen inneren Aufbau. Da sind zunächst die Eindrücke seiner beiden Italienfahrten. Sie sind ganz anders als sonst die der nach Italien fahrenden Humanisten. Sie fallen in die Zeit der Kämpfe Maximilians mit Franzosen und Venezianern und geben dem romantischen Patriotismus Huttens Richtung und Farbe. Dazu aber kommt zugleich die Anschauung des päpstlichen Hofes unter Julius II. und Leo X. Huttens Kampf gegen die „Romanisten“ beginnt. Die deutsche Einfalt und der [463] welsche Trug werden lebendige Mächte in seinem Geiste. – Dann kommt der Handel mit Ulrich von Württemberg, der seinen Vetter Hans Hutten erstochen hat. Er hilft dazu, in Huttens Geiste den Typus des Tyrannen zu formen. – Dann seine Bekanntschaft mit Erasmus in Mainz 1514. Die wichtigste in Huttens Leben. Zum erstenmal findet dieser zur Hingabe an andere geschaffene Mensch den anderen, dem er dienen kann. Er will der Alcibiades dieses Sokrates werden. Die antike Idee der Freundschaft, für Petrarca eine der Möglichkeiten, sein Ich zu spiegeln, für die meisten Humanisten nur ein Bestandteil ihrer Phraseologie, formt hier ein germanisches Treueverhältnis[65]. – Dann die Bekanntschaft mit Sickingen, 1519 geschlossen, die dann gleich durch den Feldzug gegen Ulrich von Württemberg Waffenbrüderschaft wird. In ihm findet Hutten die zugreifende Kraft, die der deutschen Freiheit gegen die römische Tyrannei zum Siege verhelfen wird. Nicht lange, und der neu gefundene Tacitus wird ihm auch für diese Vorstellung die humanistische Formung bieten, Arminius. – Dann der Reuchlinsche Handel, der durch die ganze Zeit geht. Für Hutten der Punkt, wo er die Romanisten in ihrer doppelten Eigenschaft, als Verderber der alten deutschen Tugenden und als die Feinde des neuen freien Geistes, angreifen kann. Daher sein Interesse und seine Mitarbeit an den Dunkelmännerbriefen, ihre Fortsetzung aus einem andern Geiste und denselben Mitteln, obgleich das Satirische seinem pathetischen Geiste eigentlich nicht liegt, und gleichzeitig sein Bestreben, auch Sickingen für diese literarische Fehde zu interessieren und daraus auch einen ritterlichen Fehdehandel zu machen. Daher dann sein fassungsloser Zorn, als er Reuchlin zurückweichen sieht. – Endlich der Eingriff in das große politische Leben auf dem Reichstag von 1518, wo er sich aus dem Auftreten Cajetans ein Zerrbild römischer Überhebung und römischen Prunks zurechtmacht, wo er die fressenden und saufenden deutschen Fürsten auf der Folie des taciteischen Germanentums sieht, halb liebend, halb zornig. Hier will er, als Redner der deutschen Nation, Kaiser und Fürsten zu einem Türkenkrieg begeistern, der kein geistliches, sondern ein nationales Unternehmen sein soll, eine Ableitung der deutschen Volkskraft, die sich im Innern verzehrt, [464] gegen den Feind des christlichen Glaubens, die Fortsetzung der Taten Barbarossas und der alten deutschen Kaiser überhaupt. Von hier schreibt er aber auch den berühmten Brief an Pirckheimer, in dem er den aufgehenden Tag des neuen, humanistisch aufgeklärten Jahrhunderts schildert und sich selbst im Kampf gegen die Barbarei seine Stelle sucht. – Man darf wohl sagen: soweit die nationale Romantik und die religiöse Aufklärung als Erscheinungsformen des deutschen Humanismus zu einer Verbindung gelangen konnte, hier ist sie gegeben.

Aber welche Dauer versprach diese Verbindung? Wir sahen: es war der eigentliche Vorzug der humanistischen Romantik, daß sie spezifisch national, daß sie volksnahe war. Es war ihr größter Mangel, daß sie trotzdem über die in Italien geschaffenen Bildungsideale des orator, des poeta, des philosophus nicht hinauskam, daß die Prinzipien der Formung und Normierung bei ihr auseinanderfielen. Diesen Mangel hatte die erasmische Aufklärung großartig überwunden. Die vorausgesetzte Harmonie zwischen den beiden Kreisen der antiken Humanität und der neuen Christianität ist zweifelsohne die genialste Lösung, die dieses Problem innerhalb einer christlichen Kultur finden konnte. Aber die erasmische Aufklärung bezahlte diesen Triumph damit, daß sie aristokratische Bildungsreligion wurde und es doch nicht sein wollte. Mochte Erasmus noch so beredt wünschen, daß alle Frauen das Evangelium und die Briefe des Paulus lesen sollten, daß aus der Schrift der Bauer ein Liedchen bei der Pflugschar summe, der Weber etwas sage an seinem Webstuhl, der Wanderer sich mit den heiligen Geschichten die Länge des Weges verkürze, – das alles war schließlich nach den ganzen Voraussetzungen dieser Entwicklung völlig unmöglich. Denn zu dem erasmischen Verständnis der Bibel gehörte die Kenntnis der drei heiligen Sprachen, die philologische und besonders die allegorische Auslegung der Unstimmigkeiten der Schrift und wieviel anderes noch. Nur der Optimismus der humanistischen Aufklärung konnte annehmen, daß diese Bildungsreligion volkstümlich sein könne.

Dies sah Erasmus schwerlich, eine solche Erkenntnis hätte ja sein ganzes Lebenswerk bedroht. Dagegen hatte er ein starkes Gefühl für den Gegensatz, der seine Bestrebungen von den Deutschen trennte. Er hat sich von den Elsässern das Bekenntnis [465] entreißen lassen, daß er ein Deutscher sei. 1521 hat er seinen Wohnsitz von den Niederlanden nach Basel verlegt und empfängt hier, wie schon vorher in den Niederlanden, die Pilgerfahrten seiner deutschen Anhänger, die jetzt fast die größte Gruppe seiner Weltgefolgschaft bilden. Basel wird durch ihn ein Mittelpunkt der humanistischen Bewegung, wie sie ihn bisher nicht besessen hatte. Aber Erasmus wird die Furcht vor der ferocia der Deutschen nicht los. Seinem Alcibiades-Hutten schickt er mit Bedacht ein Charakterbild seines englischen Freundes Thomas Morus als Muster einer vornehmen und ausgeglichenen Humanität. Im Reuchlinschen Handel hat er auch Partei genommen, aber vor allem, um zu verhindern, daß sich hier ein „Tumult“ erhebe, denn in einem solchen sah er die schwersten Gefahren für den Fortschritt der neuen Bildungsreligion. In der großen Vorrede zu der neuen Ausgabe des Enchiridion von 1518 an den elsässischen Abt Paul Volz hat er doch wohl den deutschen Freunden eine Art von Programm der humanistischen Bewegung, wie er sie wünschte, geben wollen. Die humanistische Überzeugung, daß die Wahrheit am besten in der Stille wirke, ist auch bei diesem ewig agitatorischen Geiste doch die Grundstimmung.

Bei den Deutschen fehlt das Bewußtsein dieses Gegensatzes. Wie bei Hutten, so sehen wir bei den allermeisten einen fast naiven Glauben, daß sie mit ihrem Kampf gegen Hierarchie, Romanismus und Courtisanenwesen einfach Partisane in dem großen von Erasmus geführten Kampf gegen die Barbarei seien und daß gerade Deutschland in diesem Kampf die erste Stelle gebühre.

Aber es gibt unter ihnen doch einen Mann, bei dem wir wenigstens den inneren Widerspruch zwischen der romantischen und der aufklärerischen Tendenz beobachten können. Das ist Aventin[66]. Freilich muß man bei der Beurteilung seines Wesens und seines Werkes zwei Dinge in Anschlag bringen, zunächst daß Aventin ein echter Sohn seines bayerischen Stammes ist. Er zeigt als Hauptzug die stammesmäßige Empfindlichkeit, die aus instinktmäßigen Abwehrgefühlen eines bäuerlichen Daseins entsteht und bei ihm zum erstenmal in die große literarische Form hineinwächst. [466] Sodann, Aventin lebt aus der maximilianischen Zeit hinüber in das Zeitalter des Bauernkrieges und der Religionskämpfe mit ihren großen Enttäuschungen für die Humanitätskultur.

Diese beiden Tatsachen erklären das Bissige und „Raunzende“ in der Kritik Aventins, und die Resignation in seiner Weltanschauung. Aber wir sehen dahinter nun doch die großen Tendenzen der Zeit – ohne sie wäre Aventin überhaupt nicht ein Historiker geworden –, und wir sehen sie in ihrem inneren Zusammenhang um so deutlicher, als sie sich eben in einem Geschichtswerk spiegeln, dessen Hauptkennzeichen ein großartiger moralischer Pragmatismus ist. Denn bei diesem treten sich der romantische Idealismus und die aufklärerische Zeitkritik gleichsam Leib an Leib gegenüber. Beide, wie bekannt, in einer fast grotesken Verzerrung. Und wie seltsam wirkt nun das germanische Pantheon, das Aventin der deutschen Geschichte vorgebaut hat und in dem sich all die großen Gesetzgeber, Helden und Weisen finden, die der völkische Humanismus gesucht hatte, in seiner Beziehung auf eine Gegenwart, in der Tugend und Sittlichkeit fast nur noch bei dem gemeinen Mann zu finden sind. Wie seltsam der Stolz auf die neu aufgeblühten Wissenschaften, durch die die ganze Scholastik zu „Haderei und Spiegelfechten“ geworden ist, gegen die Klage über die Unwissenheit der Geistlichen und Weltlichen, die Aventin überall um sich sieht. Am bemerkenswertesten ist vielleicht der Gegensatz zwischen der erasmischen Friedenstendenz, die durch Aventins ganzes Werk geht – Ninus, der Erfinder der Abgötterei, ist in seiner „Mythologie“ auch der des Eroberungskrieges –, und der naiven Freude an der kriegerischen Kraft der alten Germanen, die er mit sichtbarstem Behagen durch die Geschichte verfolgt. Denn Aventin bringt es weder zu der aufgeklärten Kulturbetrachtung des Beatus Rhenanus, der darin ein echter Schüler des Erasmus ist, noch zu der eingezogenen Selbstigkeit Sebastian Francks, dem die Welt als Gottes Fastnachtspiel nur die Exempla für die Überweltlichkeit des Lebens des inneren Menschen zu liefern hat[67]. Aventin liest seinen Deutschen den Text wie ein Bußprediger und schreibt ihnen doch eine neue Heeresordnung nach dem Muster der römischen vor, wie Machiavell den Florentinern. [467] Er entwirft für den neuen Wissenschaftsbetrieb ein System, das in genialer Weise die humanistischen Disziplinen zu einem Ganzen zusammenordnet, und hat doch gar keinen Glauben an die Vernünftigkeit des Weltgeschehens. In seiner Geschichtsdarstellung macht es ihm die schwersten Gedanken, wie es kommen konnte, daß die groben und unsinnigen Deutschen, die noch dazu Heiden waren, das große römische Reich, den Hort der Künste und Wissenschaften und damals auch schon Sitz des Christentums, haben unterwerfen können. Und seine Erklärung läßt für das eigene Volk doch keine andere Rolle übrig als die einer Zuchtrute in der Hand Gottes, dieselbe Rolle, die er in seiner Gegenwart den Türken zugeteilt sieht. –

Man würde die geschichtliche Bedeutung dieser Dinge doch wohl zu gering einschätzen, wollte man sie nur als Äußerungen eines leidenschaftlichen Gemüts ansehen, das umsonst nach Klärung der es bedrängenden Gedankenmassen ringt. Sie sind vielmehr die Signatur der Zeit selbst. Es ist der Zustand des deutschen Geistes an der Schwelle der Reformation. –

Und nun kommt die Reformation selbst. Die größte geistige Umwälzung, die je ein Volk des Abendlandes erlebt hat. Sie bringt wirklich eine Umwertung aller Werte. Sie zwingt alle alten Lebensmächte sich an ihr neu zu orientieren. Sie stellt auch die humanistische Bewegung vor ein neues Problem, das letzte in dem Gange unserer Betrachtungen.

Will man die Reformation in ihrer Bedeutung für den deutschen Geist würdigen, so muß man festhalten, daß sie in ihrem Ursprunge nicht Kirchenreform war, sondern Glaubenserneuerung. Man muß hinzunehmen, daß diese Glaubenserneuerung in ganz einziger Weise die Tat eines Einzelnen war und daß sie aus dem seelischen Bedürfnis, der seelischen Not dieses Einzelnen erklärt werden muß. In dieser seelischen Not war Luther zwar mit einem tiefsten Grundgefühl der Zeit, der Sündenangst, verbunden, – wie hätte er sonst ins Weiteste wirken können? – aber die Anliegen, mit denen er an die religiöse Überlieferung herantrat, waren von dem selbstbewußten, aufklärerischen Geiste der Zeit ebenso verschieden, wie es der Weg, den er in seinem Ringen um den gnädigen Gott suchte und schließlich fand, von dem Wege war, auf dem die religiösen Volksinstinkte ihre Befriedung suchten. Man muß dies Unzeitgemäße in Luther aufs stärkste betonen um die Problematik zu [468] verstehen, die uns die Reformation als geschichtliche Bewegung aufgibt. Das gilt in besonderem Maße für die Problematik, die in dem Verhältnis von Reformation und Humanismus liegt.

Wir sahen, die humanistische Religiosität hatte in ihrer letzten und reifsten Form, der erasmischen, das klar erkannte Ziel, die Religion zu vermenschlichen. Sie wollte den Weg zu Gott leicht, nicht schwer machen, die Nachfolge Christi in einen Bildungsvorgang verwandeln, die moralischen Forderungen der Erlösungsreligion zum eigentlichen Lebensinhalt für den Christen machen, sie wollte vor allem einen neuen Ausgleich zwischen dem Reich des Glaubens und dem der Vernunft schaffen, der auf einer prästabilierten Harmonie beider beruhte. Sie machte sich anheischig, mit den Mitteln der Allegorie dem Worte Gottes einen überall gleichen, überall vernünftigen Sinn zu geben.

Und nun Luther, der seine erste religiöse Sicherheit aus der paradoxen Erkenntnis gewinnt, daß die Gerechtigkeit Gottes zugleich seine Gnade sei, dessen Gott wieder der deus tremendus et abconditus ist, dessen Christus nicht der weiseste aller Philosophen, nicht der wahre Έπίκουρος ist, dessen Nachfolger ebensowenig „melancholisch“ sein dürfen, wie er selbst, sondern der einfach der Erlöser von Sünde und Tod ist. Luther, dessen Theologie sich auf einen vollständigen und durchgehenden Gegensatz von Vernunft und Glauben aufbaut, und dessen Vorstellung von der Einheit der Schrift darin ruht, daß Gottes Wort überall und immer von nichts anderm handeln kann als von dem Vorgang der Erlösung selbst, von dem Gegensatz von Sünde und Gnade, Gesetz und Evangelium.

Wie entgegengesetzt ist dies alles einer religiösen Humanität, die von der Würde des Menschen, von der Perfektibilität seines Geistes ausgeht! Es gehört zu den frühesten Erkenntnissen der Theologie Luthers, daß er sich dieses Gegensatzes bewußt wurde[68].

Dennoch ist dies nur die eine Seite des Verhältnisses von Humanismus und Reformation. Es ist bekannt, aber auch in allen Einzelheiten nachweisbar, daß die Reformation als geschichtliche Bewegung von dem Humanismus ein gutes Stück Weges getragen worden ist. Ohne den romantischen Patriotismus und die von ihm [469] geschaffene nationale Reizbarkeit wäre die Reformation kaum oder wenigstens nicht so schnell eine große deutsche Bewegung geworden. Ohne die Verbindung mit den erasmischen Tendenzen hätte sie nicht einen so großen Teil des europäischen Geistes ergriffen. Aber auch schon für die Zeit, wo Luther seine neue Glaubenserkenntnis zu einer Theologie ausbildete, also die Wittenberger Jahre von 1512–1517 bestehen Beziehungen zum Humanismus. Luthers Kampf gegen Aristoteles als den Verfälscher der Theologie hat seine nächsten Entsprechungen in den Positionen der erasmischen Aufklärung. Aber auch in den rein religiösen Fragen gibt es eine Art von natürlicher Bundesgenossenschaft zwischen Luther und der erasmischen Aufklärung. Wir können sie in direkten Entlehnungen bei Luther nachweisen. – Ebenso unverkennbar ist aber Luthers Anlehnung an die ältere deutsche Mystik, die wir als wesensbildend für den älteren deutschen Humanismus erkannt haben. Als er 1518 zum zweitenmal die ’Theologia teutsch‘ herausgab, dieses merkwürdige Schriftchen aus dem Kreise der rheinischen Gottesfreunde, in dem die Lehre von der Stillung des Willens ihren besonderen Akzent gefunden hat, preist er sich glücklich, daß er seine Theologie in der des alten deutschen Verfassers wiederfinde, und daß Gott hier nun also auch in deutscher Zunge geredet habe, deutlicher als seither in lateinischer, griechischer und hebräischer[69].

Die Annäherung Luthers an die beiden Richtungen des Humanismus, die romantische und die aufklärerische, hat bekanntlich in der Zeit zwischen der Leipziger Disputation und dem Wormser Reichstag ihren Höhepunkt erreicht, und sie ist gegenseitig gewesen. Das ist die Zeit, wo Erasmus in Köln dem Kurfürsten von Sachsen seine Axiomata vorträgt, daß Luther deshalb verfolgt werde, weil er dem Papst an die Krone und den Mönchen an den Bauch gegriffen habe und daß es jedenfalls unmöglich sei, die Wahrheit, die er vertrete, mit Feuerbränden zu unterdrücken. Es ist dieselbe Zeit, wo Hutten bereit ist, seinen Geist mit dem Luthers zu verbinden und Luther zu dem gleichen bereit ist, wo die deutsche und die evangelische Freiheit im Begriffe scheinen, einen Bund miteinander einzugehen.

Dann aber kam der Bruch, der kommen mußte. Es zeigte sich, daß die Freiheit des Christenmenschen, die Luther predigte, [470] etwas anderes war als die germanische Freiheit, deren Vorgänger Arminius sein sollte. Noch deutlicher, daß die hieronymianische Theologie des Erasmus durch eine Welt von der augustinischen Luthers getrennt war. Auch auf der Gegenseite hat das Bewußtsein einer Verschiedenheit, die Gegensatz werden konnte, nicht gefehlt. Hutten wußte auch in den Höhepunkten seiner Begeisterung für Luther, daß seine Absichten menschliche seien, während Luther ganz im Göttlichen schwebe. Er hat in einer seiner letzten Schriften dem ersten Warner, da, wo er seinem Sickingen die neue Lehre auseinandersetzen läßt, das Lutherische ex fide vivere in ein ex conscientia vivere geändert. Erasmus aber traf den Gegensatz, der die ganze humanistische Religiosität von der Religion Luthers trennte, in seinem Kern, als er nach langem Zögern die Schrift ’De libero arbitrio‘ gegen Luther schrieb. Auch wenn er damit nichts weiter erzielt hätte, als daß er Luthers großartige Entgegnung hervorrief, so würde das Zwiegespräch dieser beiden auf so verschiedenen Höhen stehenden Geister doch das klassische Dokument des Verhältnisses von Humanismus und Reformation bleiben. Es würde allein als Beweis dafür genügen, wie töricht die Meinung ist, die Reformation sei aus humanistischen Tendenzen entsprungen.

Dennoch ist jenes Getragenwerden der Reformation durch den Humanismus nicht nur ein äußerlich-politisches gewesen. Der Humanismus hat sich auch die Aufgabe gestellt, das neue Element, das die Reformation in die Welt gebracht hatte, zu formen.

Es gab zwei Punkte, von denen aus das möglich schien. Das eine ist der Rückgriff auf das Urchristentum. Er war schon in Luthers Zusammendrängung alles religiösen Bewußtseins in die Tatsache der Erlösung gegeben. Damit war aber auch eine geistige Lage gegeben, die der urchristlichen ähnelte: ein rein überweltlich gesehener Glaube mußte versuchen, die Welt der Kulturwerte, die er vorfand, von sich aus zu normieren. Es war die Bedeutung der „Renaissance der Wissenschaften“, daß sich diese Kulturwerte auch jetzt wieder für den ganzen Kreis der herrschenden Bildung in den Formen der griechischen Philosophie und des römischen Rechtsgedankens darstellten.

Der zweite Anknüpfungspunkt war das „Bibelerlebnis“ Luthers. In dem Augenblick, wo Luther seine erste Erkenntnis daß die Gerechtigkeit Gottes seine Gnade sei, in dem neuen Verständnis der Römerbriefstelle des Apostels wiederfand, wurde das [471] Problem der Gewißheit des Glaubens auf eine neue Ebene gehoben. Es wurde aus einer persönlichen Erfahrung eine Bezugnahme auf die Ur-Kunde der christlichen Religion. Glauben hieß jetzt nicht mehr bloß vertrauen, sondern auch für wahr halten. Und es lag in dem Vorgang des Bibelerlebnisses selbst begründet, daß die christliche Wahrheit jetzt an ein rechtes Verständnis der Schrift, an den Beweis ihrer Einheitlichkeit und Eindeutigkeit gebunden war. Daß dieser Beweis nur durch „die Sprachen“ erfolgen könne, hat Luther selbst nie bezweifelt. In einer berühmten Stelle seiner Schrift an die Ratsherrn deutscher Städte von 1529 hat er es klassisch ausgesprochen. Aber schon seine ersten Pläne einer Reform der Universität Wittenberg – sie sind vielleicht die Keimzelle seiner politisch-reformatorischen Absichten überhaupt – gingen von der gleichen Ueberzeugung aus und das Gleiche sehen wir am Schlusse der Reformschrift an den christlichen Adel.

Von diesen beiden Punkten aus konnte also eine humanistische Formung des neuen Glaubens versucht werden. Von dem einen Punkt ist Zwingli ausgegangen, von dem andern Melanchthon.

Zwinglis[70] Entwicklung vom erasmischen Humanisten zum Reformator ist bekanntlich so ohne Stöße und Anstoß verlaufen, daß er sogar den entscheidenden Einfluß Luthers auf sich geleugnet hat. Ebenso gehen bei ihm der schweizerische Patriot und der Kirchenmann widerspruchslos zusammen. Er ist nicht weit davon, Wilhelm Tell und Arnold von Winkelried in einer Reihe mit Niklas von der Flüe unter den Vätern der evangelischen Freiheit zu nennen. Jedenfalls ist er davon überzeugt, daß diese Freiheit nirgendwo natürlicher habe aufgehen können als in der freien Schweiz[71]. Damit bekommt auch sein ganzes Wirken als Reformator einen Bezug auf die Gegebenheiten seiner Züricher Gemeinde, der nirgendwo seinesgleichen findet, auch nicht bei den deutschen städtischen Reformationen. Erst bei Calvin sehen wir dasselbe Phänomen auf einer höheren Stufe. Man kann sagen: in dem Zürich Zwinglis sehen wir, wie eine deutsche Stadtgemeinde Polischarakter bekommt, d. h. zu demselben Bewußtsein ihrer Autonomie und Autarkie gelangt wie die italienischen Kommunen der Renaissance. [472] Dafür sind die sozial-politischen Bedingungen ebenso wichtig wie die geistigen. Zu jenen gehört der ganze Prozeß der Loslösung der Schweiz vom Reiche, außerdem aber der Versuch der größeren Städte, vor allem Zürichs und Berns, sich zu Territorien zu erweitern. Dazu kommt bei Zürich der von Zwingli persönlich geführte Kampf gegen das Reislaufen im allgemeinen und die französischen Pensionen im besonderen. Zu diesen gehört natürlich vor allem die Reformation selbst. Es ist doch höchst merkwürdig und bedeutsam, daß mit dem ersten Züricher Religionsgespräch eine Stadtgemeinde das wagt, was der deutsche Reichstag nicht gewagt hatte, die Entscheidung über die religiöse Wahrheit selbst zu treffen. Das ist dann das Vorbild für Nürnberg, Straßburg und viele andere Gemeinwesen geworden. Aber neben dieser religiösen Verselbständigung stehen, wenigstens in Zwinglis Geiste, die Bürgertugenden in ihrer antiken Form und ein ganz fester Gemeindebegriff. Die Gemeinde ist der Idee nach eine christliche Demokratie. Ihr Existenzgrund ist das aristotelische εὖ ζῆν als Bedürfnis des geselligen Menschen. Zwingli steht in ihr als der „Prophet“, der darüber zu wachen hat, daß der Gotteswille nicht durch den Willen der Gemeinde verfälscht wird. Die christianisierte Polis erzeugt eine geistig-geistliche Tyrannis, in der christliche, bürgerliche und antike Freiheit des Individuums nun wirklich in eins verschmolzen sind[72]. Das Ergebnis ist, wie ein schweizer Historiker sagt, die vom Staat geleitete Kirche, eine christliche Theokratie, die ihre Daseinsberechtigung aus der souveränen Entscheidung des Volkes schöpft.

Wollen wir die Mischung dieser Elemente in Zwinglis Weltanschauung, und zwar in ihrer spezifisch religiösen Form beobachten, so genügt es, wenn wir Zwinglis Schrift ’De providentia divina‘ aufschlagen. Sie ist die freie Wiedergabe einer Predigt, die Zwingli vor Philipp von Hessen anläßlich des Religionsgesprächs von 1529 in Marburg gehalten hat. Mit dem Hauptthema des Gesprächs, dem Sakramentsstreit, steht das Stück wenigstens durch seinen Grundgedanken im Zusammenhang. Zwingli will die Vergewisserung des Glaubens, die Luther wenigstens zum Teil aus der Realität der Symbole gewinnt, aus einer bestimmten Vorstellung von Gott und dem Zusammenhang der Welt ableiten, bei dem diese Vergewisserungen [473] überflüssig werden. Und daraus entsteht ein Weltbild, dessen wichtigstes Problem das Verhältnis des Naturzusammenhangs und der Gnadenwahl Gottes ist, dasselbe Problem, das sich aus dem Zusammenstoß der ersten Formen des Christentums mit der griechischen Philosophie ergeben und an dem das ganze Mittelalter bis auf Thomas von Aquin gearbeitet hatte. Zwingli aber löst es nicht wie Thomas mit aristotelischen, sondern mit platonischen Mitteln. Das heißt, Zwingli konstruiert einen Kosmos, dessen oberstes Prinzip die Güte Gottes ist. Sie schließt alle seine andern Eigenschaften ein, sie ist zugleich Licht, Gerechtigkeit, Einfachheit, Ganzheit, d. h. Wahrheit. Von dieser Güte Gottes soll alles Geschaffene durchwaltet sein, alle Dinge haben ihr wahres Sein in Gott und alle Dinge sind hinsichtlich ihres Seins und ihrer Existenz göttlich. Damit ist die göttliche Vorsehung zunächst einmal als Seinsgrund alles Geschaffenen, auch des Menschen gesetzt. Ein durchaus philosophischer Gedankengang. „Was verschlägt es“, sagt Zwingli, „das Göttliche und Religiöse philosophisch zu nennen?“ Es ist bekannt, wie stark hier auf ihn die Florentiner, speziell Pico, gewirkt haben. Diese kosmisch gesehene Vorsehung wird Prädestination im religiösen Sinne erst durch die Frage, wie denn nun der Mensch, dem Gott doch ein besonderes Gesetz gegeben habe, in dieser providentiell geordneten Welt stehe. Sie wäre für Zwingli überhaupt nicht lösbar, wenn er das Gesetz ebenso wie Luther nur als ein Mittel der επίγνωσις τῆς ἁμαρτίας, als Stachel zur Erkenntnis der Sünde ansehen würde. Zwingli polemisiert denn auch ausdrücklich dagegen. Für ihn ist das Gesetz nur ein anderer Ausdruck des beständigen Gotteswillens. Gott hat es den Menschen aus zwei Gründen gegeben: damit sie ihn in seinem Wesen genauer kennen lernen, und damit es ihnen möglich wird, schon auf Erden mit ihm Freundschaft zu schließen.

Ich denke, damit wird das Problem des Gesetzes bei Zwingli kein anderes als das platonische Problem der δικαιοσύνη und die Lösung ist hier wie dort eine pädagogische: der Weltlauf ist eine Erziehung des Menschengeschlechts auf Gott hin. Das ist bereits bei Erasmus so. Es ist die Auffassung der ganzen religiösen Aufklärung bis auf Lessing.

Zwingli biegt diese Anschauung in das echtreligiöse zurück durch die Beziehung auf den Sündenfall. Aber dieser ist nicht bloß ein Fall des Menschen, sondern auch einer der Engel und aller [474] Kreaturen. Gott hat ihn zugelassen, damit wir seine Gerechtigkeit auch an Beispielen der Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit sehen. – Eben dadurch aber wird Zwingli auch genötigt, die Erlösung zu einem Teil des göttlichen Schöpfungsplans, zu einem Urratschluß Gottes zu machen. Ich brauche für das Ganze dieser Konzeption nur an das Proömium von Klopstocks „Messias“ zu erinnern.

Und nun hören wir noch den Satz, in dem Zwingli seine Ansicht über die göttliche Vorsehung zusammenfaßt. Er lautet: „Wem es vergönnt ist, die Werke der Vorsehung tiefer zu betrachten, gute Götter, welche Freude wird dieser empfinden, wenn er überall die Güte und Weisheit Gottes wahrnimmt, so daß die Betrachtung der ganzen Welt, so schön sie ist, ihren Reiz verlieren muß, gegenüber dem Entzücken, das uns übermannt, wenn wir zu Gott emporsteigen und den Baumeister der ganzen Welt betrachten.“ Wir haben den amor intellectualis Dei des Spinoza. Zwingli hätte sich nicht noch ausdrücklich zu dem erasmischen Glauben an die frommen Heiden des Altertums, an die Christen vor dem Christentum, Sokrates, Plato usw. zu bekennen gebraucht, um uns dieses humanisierte Christentum in seinem Wesen zu zeigen. —

Auch Melanchthon ist Erasmianer gewesen, als er nach Wittenberg kam[73]. Er hat seine Professur des Griechischen dort mit einer Rede über die Verbesserung der Jugendbildung angetreten, die ein rein humanistisches Programm ist. Es gibt nur einen Weg zu allem Großen, das sind die Humanitätsstudien. Sie sind die wahre Philosophie und diese hat zum Inhalt die Kenntnis der Natur, der Grundlagen der Sittenlehre und der großen Muster der Sittlichkeit. Humanität ist also, wie die Antrittsrede deutlich sagt, zugleich Sittigung und Naturerkenntnis. Sie ist eben „Bildung“ in dem Sinne, den der Humanismus in einundeinhalb Jahrhunderten erarbeitet hat. Dann aber erfährt Melanchthon durch Luther eine Bekehrung zu Paulus und zu seiner Rechtfertigungslehre. Die Bekehrung muß stürmisch verlaufen sein, den ganzen, von Natur weichen Menschen umgewälzt haben. Melanchthon sieht nun seine nächste Aufgabe darin, die Überzeugung Luthers, daß die Schrift immer und überall von nichts anderem handelt, als von Sünde und Gnade, Gesetz und Evangelium, systematisch darzustellen. Das [475] Ergebnis sind die Loci Communes. Die Mittel der Beweisführung sind die Kategorien der humanistischen Rhetorik, wie sie Agricola zusammengefügt hat, mit Berücksichtigung der hermeneutischen Grundsätze des Erasmus, der aus den logischen Grundbegriffen theologische, aus den loci des Aristoteles loci communes im Sinne Ciceros gemacht hatte. Das Ergebnis ist eine Theorie der inneren Erfahrung, die ganz auf die reformatorische abgestellt ist und sich anheischig macht, diese Erfahrung in eine logische Deduktion von allgemein gültigem Charakter zu verwandeln.

Das Werkchen hat eine ungeheure Wirkung gehabt. Man sagt nicht zuviel, wenn man behauptet, daß der ganze wissenschaftliche Geist des älteren Protestantismus von ihm bestimmt worden ist. Die Wirkung war eine doppelte. Zunächst schien das System der Loci, wie es aus allgemein wissenschaftlichen, humanistisch kritischen Überlegungen hervorgegangen war, geeignet, nicht nur die Einheit der Schrift zu beweisen, sondern auch eine Wertlehre für den ganzen Bereich des weltlichen Daseins zu formen. Das hat Melanchthon selbst noch in den späteren Bearbeitungen der Loci und außerdem in seinen Lehrbüchern der Ethik, der Physik und so weiter getan. Sodann: die Loci sollten zwar kein Kommentar sein, der den Weg zur Schrift selbst verbaute, aber eine „Methode“, die einen sicheren Weg zu der Wahrheit der Schrift bot und damit zugleich einen Schutz gegen die „Prophetie“, die sich vermaß, mit Zungen zu reden und aus innerer Erleuchtung den Geist der Schrift gegen das Wort erhob. Damit sind die Loci ein Denkschema geworden, nicht weniger streng und nicht weniger verhängnisvoll als das scholastische, dem sie sich entgegensetzten, – Zwingli hatte sich das anders gedacht. Er schuf sich eine eigene „Prophezei“ in der schola tigurina, in der er einen höchst merkwürdigen Versuch machte, den humanistischen consensus omnium durch eine philologische Diskussion des Schriftworts zu einer Methode der religiösen Vergewisserung umzubilden. Es war die erasmische Welt in der reformierten Form.

Aber die siegreiche Lösung ist die Melanchthons gewesen. Es gibt ein melanchthonisches Wissenschaftssystem, das im Deutschland des 16. Jahrhunderts herrscht und erst nach langem Kampf gestürzt wurde. Lückenlos und bedenkenlos war es freilich schon zur Zeit seiner Herrschaft nicht. Die Verbindung von Glaubenserfahrung und logischer Deduktion erwies sich auf die [476] Dauer als unmöglich. Schon bei Melanchthon selbst melden sich die bei ihm ursprünglich wirksamen Kräfte des Moralismus und des Intellektualismus wieder, die nur der Sturm der ersten Begeisterung zu Luthers Lehre unterdrückt hatte. Sie führen bei ihm selbst zu einer immer stärkeren Verselbständigung der philosophischen Sittlichkeit, sie wird ein immer breiterer Unterbau der theologischen. Es entsteht eine neue protestantische Scholastik, in der Aristoteles wieder seinen Platz hat und Cicero neben ihm, beide propter certitudinem principiorum. Die Lehre vom natürlichen Licht und von den angeborenen Allgemeinbegriffen der Erkenntnis wird innerhalb des Systems selbst je länger je wichtiger[74]. Sie haben es schließlich gesprengt.

Das melanchthonische Wissenschaftssystem ist die letzte Form der Auseinandersetzung des reifen Humanismus mit dem deutschen Geiste. Um 1550 ist die humanistische Bewegung zu Ende. Was weiter lebt, vor allem in Schuldrama und Hofdichtung, ist Weiterschleppen von Formen ohne neuen Inhalt. Gleichzeitig geht die Fähigkeit des deutschen Geistes, fremde Stoffe einzudeutschen, zu Ende. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist zwar durchaus nicht so leer an geistigen Inhalten, wie man sie sich immer noch vorstellt, aber sie ist Epigonentum, Auflösung. Die neuen Richtungen, die in die Zukunft weisen, der Ramismus, der Cartesianismus, der Pietismus erfordern einen neuen Blickpunkt der Betrachtung.

Was ist nun das Ergebnis des humanistischen Jahrhunderts, das wir durchmessen haben?

Man hat es wohl als die eigentliche Wirkung des Humanismus auf den deutschen Geist bezeichnet, daß er Deutschland in die beiden Schichten der Gebildeten und Ungebildeten zerrissen, die alte Einheit der nationalen Bildung zerstört habe. Friedrich Paulsen hat diesen Vorwurf lebhaft erhoben. Er klingt in den Deklamationen der modernen Gotiker nach, die mit der bei ihnen üblichen Verwirrung der Begriffe eine angebliche Renaissance für den Verfall des deutschen Geistes verantwortlich machen. Es ist doch merkwürdig, wie diese Meinung hat entstehen können. Wo war denn [477] die Einheit der nationalen Bildung um 1450, als der Humanismus in Deutschland eindrang? Es gibt eine Einheit der nationalen Tendenz. Sie ist damals, das habe ich zu zeigen versucht, vielleicht stärker als vorher. Aber sie ist nirgendwo bildungsmäßig geformt. Es gibt dafür einen schlagenden Beweis. Das ist die deutsche Stadtchronistik. Sie bringt höchst anziehende Daseinsschilderungen hervor, die schönsten vielleicht in der Schriftstellerei des Augsburgers Burkhard Zink. Aber wo sie sich auch nur zu einem zeitgeschichtlichen Aspekt zu erheben versucht, versagt sie. Eine Ausnahme bildet, auch das ist bezeichnend, die Schweiz. Im übrigen schwankt diese Chronistik hilflos zwischen Notizensammlungen, Familienbüchern und Weltchroniken mit lokaler Tendenz. – Suchen wir dann weiter nach naiven Äußerungen des ungebrochenen Volksgeistes in dieser Zeit, so finden wir sie noch am ehesten im Volkslied und im Volksbuch. Es war ein gesunder Instinkt der Romantiker, daß sie diesen ihre Liebe und ihren Eifer zuwandten. Aber beide sind am Ende der humanistischen Periode nicht abgestorben oder verdorben. Im Gegenteil. Das Volkslied hat erst in der Zeit von 1450 bis 1550 seine große Periode gehabt. Erst da hat es sich der großen Weltereignisse bemächtigt, und nur in dieser Zeit kann man deutsches Leben im Volkslied schildern, wie es Rochus von Liliencron so hübsch getan hat. Das Volksbuch aber fährt während dieser ganzen Periode fort, das Bildungsgut der mittelalterlichen Fabel- und Erzählungskunst zu überliefern, es fügt die neuen antiken Stoffe in naiver Eindeutschung hinzu und gewinnt aus eigenem Geiste in der freilich so fragwürdigen Gestaltung der Faustsage die erste Beziehung auf ein zeitgenössisches und speziell deutsches Problem. Es gibt um 1550 ganze Verlage, die diese Literatur pflegen, aber auch die Schriftstellerei Jörg Wickrams ist ohne die Fortdauer der Volksbuchtradition ganz undenkbar.

Vergleichen wir aber den Zustand des deutschen Geistes im allgemeinen, wie er am Beginn und am Schluß des humanistischen Jahrhunderts war, so kann jedenfalls an der außerordentlichen Erweiterung des geistigen Horizontes des deutschen Volkes kein Zweifel sein. Jetzt gibt es eine deutsche Geschichtsbetrachtung, wenn es auch noch keine deutsche Geschichte gibt, es gibt eine deutsche Weltbeschreibung, wenn sie auch nur eine Verkümmerung des Gedankens der Germania illustrata ist, eine deutsche Naturkunde, [478] eine Physik des Himmels, die Anfänge einer selbständigen Bewältigung des Rechtsstoffs, eine Laientheologie in ihren verschiedenen Ausprägungen, eine freilich sehr naive, aber ganz deutsch orientierte Sprachwissenschaft. Und in all diesen Erzeugnissen ist ein Gefühl der Eigenständigkeit, so wie wir es am Anfang der Periode nirgendwo finden. Dem entspricht eine allgemeine Erweiterung der geistigen Interessen. Man sieht sie, wenn man auch nur den beängstigend langen Katalog der Lesestoffe durchblättert, die Hans Sachs auf seinem poetischen Hackbrett verarbeitet hat.

Was an jenem Vorwurf gegen den Humanismus berechtigt ist, glaube ich bereits in dieser Betrachtung gesagt zu haben. Es liegt in dem neuen Begriff der Bildung, den der Humanismus geschaffen hat. Einer Bildung, die sich zwischen die Menschen und das Leben schiebt, und sich anheischig macht, dieses Leben nach den Prinzipien der Bildung zu formen und zu normieren. Aber das ist ein allgemein europäischer Vorgang, und wir finden seine Auswirkungen viel deutlicher in der Naturphilosophie der Italiener, dem Skeptizismus und Rationalismus der Franzosen, dem Empirismus der Engländer, der Philologie der Niederländer, als in dem so ausgesprochen theologisch bleibenden Deutschland des ausgehenden 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts. Man würde eine solche Wirkung vielleicht gar nicht in Deutschland suchen, wenn nicht Goethe diesen Bildungsbegriff klassisch formuliert hätte. Ich meine die Worte:

 Wer Kunst und Wissenschaft besitzt,
 Der hat auch Religion.
 Wer diese beiden nicht besitzt,
 Der habe Religion.

Aber dies ist die Formel des zweiten Humanismus, der Humanität geworden war, d. h. von einem neuen Menschheitsbegriff ausging, und auch da sollte er nur für ein höchstes, sehr vergeistigtes Menschentum gültig sein. Dieses Menschentum hat der erste Humanismus nie besessen, mehr noch, er hat es nie erstrebt. Es gibt keinen Humanisten des ersten Humanismus, bei dem man es wirklich nachweisen könnte. Vielleicht ist es überhaupt ein Irrtum, wenigstens, so glaube ich, wäre es sehr bedenklich, wenn der dritte Humanismus, der heute verkündet wird, es unter so ganz anderen Verhältnissen erneuerte. Bildung als Religionsersatz hat heute – glücklicherweise – weniger Aussichten als je.

[479] Die wirklich verhängnisvolle Wirkung des Versuchs, den deutschen Geist zum ersten Male humanistisch zu formen und zu normieren, ist eine andere gewesen. Es ist das vollständige Auseinanderfallen von Stofftrieb und Formtrieb. Wir sehen das am deutlichsten an der zweifellos größten Einbildungskraft des ausgehenden 16. Jahrhunderts, an Fischart. Bezieht man den Gedankeninhalt seiner Werke auf die ihm überlieferten Bildungswerte, so sieht man, daß er sowohl die romantischen wie die aufklärerischen Tendenzen des Humanismus geerbt hat und sie fortzuführen bestrebt ist. Aber das scheitert alles an seinem Unvermögen zur großen Form. Wie erschütternd ist das, wenn wir ihn da betrachten, wo er sich ein ebenfalls formloses Genie, Rabelais, zum Vorbild nimmt.

Aber auch in diesem Punkte hat der Humanismus nur einen längst begonnenen Prozeß beschleunigt, der auch ohne ihn und gleichsam unterhalb seiner Sphäre weitergeht. Das sehen wir an Paracelsus. Er gehört mit seinem Leben und eigentlich auch mit seiner Wirksamkeit dem humanistischen Zeitalter an. Zu einer andern Zeit und unter andern geistigen Bedingungen hätte er nicht versuchen und nicht einmal daran denken können, aus der Medizin eine Philosophie, eine Allwissenschaft zu machen. Aber er gehört nicht unter die Humanisten. Er wollte nicht nur ein Eigener sein, der keiner Tradition etwas verdankte, sondern er war es. Und auch ein „philosophus nach der teutschen Art“, wie er sich nannte, ist er wirklich gewesen. Er ist seit dem Cusaner der erste deutsche Mensch, der um ein wirklich universales Weltbild ringt, und er hat damit über seine Zeit hinaus gewirkt. Der „Paracelsische Geist“ ist eine Macht in dem Deutschland vor dem dreißigjährigen Kriege. Damals hat ein Schwabe, Johann Valentin Andreae, selbst ein allen Regungen seiner Zeit aufgeschlossener Mensch, dem Paracelsus in seinen Apologen einen Platz im Palast der Fama, der Behausung der höchsten Geister, in Gemeinschaft mit Cardanus, Petrus Ramus und Copernicus angewiesen. Aber eben der Vergleich mit dem Cusaner zeigt die verhängnisvolle Wandlung, die der deutsche Geist seitdem erfahren hat. Ist Paracelsus in seinem „Paramirum“ wirklich über das Wunderbare, in seinem „Paragranum“ wirklich über die Splitter hinausgekommen? Hat er seine „Monarchei“ als ein geistige, Werk auch nur so hoch geführt wie etwa der viel weniger große Giordano Bruno? Ich kann das nicht bejahen, und ich glaube [480] daß es wirklich der Genialität eines Dichters unserer Gegenwart bedurft hat um die Größe des Menschen hinter seinem Werke hervortreten zu lassen, das doch eben nur eine Sammlung von „aphoristischen Traktaten“[75] ist.

Aber wir sehen hier doch wohl noch etwas anderes. Wenn die Begegnung des deutschen Geistes mit dem Humanismus in einer Reihe von halben Lösungen endet, so ist der Grund nicht ein Mangel, sondern die Fülle des deutschen Geistes. Es ist seine Abgründigkeit und seine Weite, die sich gegen jeden Versuch einer Formung sträubt, die zugleich Normierung ist. Aber es ist doch wohl mehr als ein äußeres Schicksal, das uns immer wieder diesem Problem entgegentreibt, das wir hier, in der Auseinandersetzung mit dem Humanismus, zum erstenmal in der deutschen Geistesgeschichte ganz deutlich sehen.

Fußnoten der Vorlage

  1. Erweiterte Wiedergabe eines auf der Salzburger Philologenversammlung September 1929 gehaltenen Vortrags. – Ich gebe von Literatur nur an, was mich gefördert hat, füge aber aus den Quellen einige Belegstellen bei.
  2. Man wird das hoffentlich nicht für eine neue Weisheit halten. Ich setze aber doch eine Stelle aus Ranke her, die 1874 geschrieben ist: „Eines der wichtigsten Momente (für den Wandel der Tendenzen bürgerlicher, künstlerischer, kommerzieller Entwicklung um die Wende des 15. Jahrhunderts) lag in dem veränderten Gange der allgemeinen Studien: es waren die Tage des emporkommenden Humanismus. Dabei kam es aber nicht etwa allein auf Sprache und Grammatik an. Durch die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum wurden [420] die großen Ideen, die dem menschlichen Leben in der Gesellschaft zugrunde liegen in Recht, Religion und bürgerlicher Gesellschaft ins Bewußtsein gerufen (Zwölf Bücher Preußischer Geschichte Bd. I, S. 147, Akademieausgabe [1930] I, 167).
  3. Ich unterscheide mich aber schon in der Terminologie grundsätzlich von den Forschungen Konrad Burdachs. Was ich im einzelnen gegen sie einzuwenden habe, habe ich in der Historischen Vierteljahrschrift 1921, S. 426 ff. gesagt und werde das an derselben Stelle demnächst mit Berücksichtigung der seitdem neu erschienenen Bände von Burdachs großem Forschungswerk ergänzen.
  4. Über ihn unterrichtet jetzt gut die neue Arbeit von Hans W. Eppelsheimer. Bonn 1926. Doch muß man dazu die Kritiken von Piur in der Deutschen Literaturzeitung 1927, Sp. 61 ff. und vor allem die von Calcaterra im Giornale storico della Litteratura italiana Vol. 91, S. 92 ff. lesen.
  5. Epistulae de rebus familiaribus XXIV, 1. Bd. 3, S. 251, Florenz 1863. Philipp von Cabussol: Notabam certa fide non verborum phaleras sed res ipsas, miserae scilicet vitae huius angustias, brevitatem, velocitatem. – Indomitae mortis inclementiam implacabilemque duritiem. Quae cum scholae atque aevi comitibus quaedam quasi somnia viderentur, mihi iam tunc ... et vera et pene praesentia videbantur. Et seu ille ille oris verus decor seu error esset aetatis, ... mihi non alteri dictum rebar, quotiens pastorium illud vel legerem vel audirem: O formose puer, nimium ne crede colori.
  6. Aus demselben Brief: Hoc intra me et coaequevos meos, quin etiam senes nostros intererat, quod ipsum illis certum et immensum erat mihi exiguum [422] atque ambiguum videbatur, de quo crebri sermones et iuvenilis altercatio, in qua senum praeponderabat auctoritas . . . Itaque fando victus in arcem silentii confugiebam. Hierüber vorzüglich F. de Sanctis, Saggió sul Petrarca, Napoli 1869.
  7. Epp. famil. I, 3: Gallias ego nuper, nullo quidem negotio, sed visendi tantum studio et iuvenili quodam ardore peragravi; vgl. III, 2: tulit et nos multa videndi ardor per terras et maria.
  8. Hauptquelle dafür sein Secretum. Eine Übersetzung von Hermann Hefele in Marie Herzfeld, Das Zeitalter der Renaissance I, 2. Jena, Diederichs 1910. S. 14 ff.
  9. Die entscheidende Stelle, im 1. Buch des Secretum gibt Anlaß zu einer sehr merkwürdigen Beobachtung: Petrarca preist seinem Beichtiger Augustin dessen Buch ’De vera religione’, das für ihn eine Entdeckung gewesen sei, und Augustin nimmt dies Lob an und bemerkt, er sei zur Abfassung hauptsächlich durch eine Zeile des von Petrarca so geliebten Cicero bestimmt worden, und nennt auf weiteres Befragen als diese Zeile Tusculan. I, 38: „Nihil enim animo videre poterant, ad oculos omnia referebant. Magni autem est ingenii sevocare mentem a sensibus et ad cogitationem ab consuetudine abducere.“ Die Stelle könnte an sich wirklich ein Programm für Augustin gewesen sein. Aber eigene Nachforschung und Erkundigung bei den besten Augustinkennern haben ergeben, daß Augustin nirgendwo etwas Ähnliches sagt. Woher Petrarca das hat, weiß ich nicht. Er wiederholt die Behauptung De vita solitaria Lib. I, sect. 9, cap. 8. Aber ob Petrarca das nun selbst erfunden oder irgendwo gelesen hat, es ist, meine ich, ganz deutlich, daß er Augustin nur auf der Folie des Altertums sieht und ihn damit natürlich total mißversteht. – Man sehe einmal, wie sich Burdach (Vom Mittelalter zur Reformation Bd. V [1926], S. 72) den Zusammenhang zurechtlegt.
  10. Die Formel ist: Christus equidem Deus noster, Cicero autem nostri princeps eloquii. Diversa fatear; adversa negem. (Epp. famil. XXI, 10.)
  11. Das ist die eigentliche Bedeutung der Rienzo-episode für den Humanismus. Petrarca hat sich das so zurechtgelegt, daß er bekennt, das geplante Epos auf Rienzo, um dessentwillen er seine Africa hatte liegen lassen, wäre eine satira geworden.
  12. Darüber Gutes in der neuen Ausgabe des ’Buch ohne Namen’ durch Paul Piur. Halle 1925.
  13. Epp. famil. XXII, 2 an Boccaccio: Haec (was er bei den Alten gelesen hat) se mihi tam familiariter ingessere et non modo memoriae sed medullis affixa sunt, unumque cum ingenio facta sunt meo.
  14. Um das zu sehen, muß man einmal sein Cicerobild mit dem Fra Guidotto von Bologna oder auch mit dem seines Freundes Wilhelm von Pastrengo in dessen Werk 'De originibus rerum' vergleichen
  15. S. über ihn C. Sutter, Aus Leben und Schriften des Magisters Boncompagno. Freiburg 1894. Dazu Baethgen in der Deutschen Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Bd. 5, S. 37 ff.
  16. Darüber Gutes bei Robert Davidsohn, Geschichte von Florenz. 4. Bd. Die Frühzeit der Florentiner Kultur. Berlin 1921.
  17. Darüber jetzt Hans Baron, Lionardo Bruni Aretino. Humanistisch-philosophische Schriften. Leipzig 1928. In der Einleitung Gutes über den Florentiner ’Bürgerhumanismus’. Über seinen Begriff der humanitas auch K. Brandi, Das Werden der Renaissance. Rede. Göttingen 1908.
  18. Selbst bei Valla ist das so, wie eine tiefergehende Analyse seines Traktats ’De voluptate ac de vero bono’ zeigt.
  19. Hierüber von anderer Fragestellung aus mancherlei Gutes bei E. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffs. Tübingen 1926.
  20. Dies ist für ein bestimmtes Gebiet nachdrücklich betont und gezeigt von E. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie. München 1911. S. 137 ff.
  21. Für das Biographische E. Vansteenberghe, Le cardinal Nicolas de Cues. 1920. Am förderlichsten für die hier verfolgte Linie der Betrachtung E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 1³. Berlin 1922. Derselbe, Individuum und Kosmos in der Philosophie der [434] Renaissance. Leipzig 1917. S. 203 ff. Hier eine kritische Ausgabe mit Übersetzung des Liber de mente des Cusaners. – Außerdem, eigenwillig, aber stark anregend Rudolf Stadelmann, Vom Geist des ausgehenden Mittelalters. Studien zur Geschichte der Weltanschauung von Nikolaus Cusanus bis Sebastian Franck. Halle 1929.
  22. Videmus per cuncta ingenia etiam studiosissimorum omnium artium liberalium ac mechanicarum artium vetera repeti eaque avidissime quidem, ac si revolutionis circulus proximo compleri speraretur. Verum et eloquio et stilo ac forma literarum videmus omnes delectari, maxime quidem Italos, qui non satiuntur disertissimo eloquio, sed primorum vestigia repetentes. Graecis litteris maximum etiam studium impendunt. Nos vero Germani, etsi non longe aliis ingenio minore ex discrepanti stellarum situ essemus effecti, tamen in ipso suavissimo eloquii usu aliis plerumque non nostro cadimus vitio, cum non sine labore maximo, tamquam resistenti naturae vim facientes Latinum recte fari valeamus. – Gerade daraus leitet er dann seine eigene Forschungsaufgabe ab. Vgl. A. Meister in den Annalen des hist. Vereins f. d. Niederrhein Bd. 63.)
  23. De ludo globi (bei Cassirer, Erkenntnisproblem I², 58¹): Dum profunde consideras, intellectualis naturae valor post valorem Dei supremus est. Nam in eius virtute est Dei et omnium valor notionaliter et discretive [begrifflich und unterschiedlich]. Et quamvis intellectus non det esse valori [dem Wert nicht zu seiner Existenz verhilft], sine intellectu valor discerni etiam, quia est, non potest. Semoto enim intellectu non potest scire, an sit valor. ..In hoc apparet preciositas mentis, quoniam sine ipsa omnia creata valore carerent.
  24. Complementum theologicum cap. 2 [Cassirer l. c. 26¹]: Est speculatio motus mentis de ’quia est’ versus ’quid est’ [Sein und Wesen]. Sed quoniam ’quid est’ a ’quia est’ distat per infinitum, hinc motus ille nunquam cessabit. Et hinc in se habet hic motus quietem; movendo enim non fatigatur, sed inflammatur.
  25. S. dazu auch Stadelmann 38¹.
  26. Wir sind für ihn über die große Monographie von Georg Voigt (Berlin 1856 ff.) noch wenig hinausgekommen. Für die Persönlichkeit Joh. Haller in der Deutschen Revue 1912. Ein paar Ansätze zu geistesgeschichtlicher Würdigung in Max Mells Einleitung zur Übersetzung der Briefe (Jena, Diederichs 1911).
  27. In der Germania.
  28. Im Pentalogus: magis natura quam opinione vivunt.
  29. Die Zusammenfassung der humanistischen Argumente für den orator am bequemsten in dem Valium humanitatis des Hermann v. d. Busche.
  30. Dies ergötzlich und populär, aber sehr charakteristisch in einem von G. Bauch, Gesch. d. Leipziger Frühhumanismus (1899) besprochenen Leipziger Quodlibet von 1497. Dazu die noch nicht gewürdigte Poetik Vadians von 1518 und die großartige Zusammenfassung der humanistischen Vorstellung vom Dichter bei Aventin, Chronik (S. W. IV) 422.
  31. Dafür vor allem Mutian; s. u. S. 456 f.
  32. S. G. Ritter, Studien zur Spätscholastik I und II (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie 1921 u. 1922) und Joh. Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen. Stuttgart 1927.
  33. Dazu meine Arbeit über Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus I (Leipzig 1920), S. 40 ff.
  34. Das Beste noch immer bei Charles Schmidt, Hist. liter, de l’Alsace. 2 Bde. Paris 1879. Dacheux, Geiler, und Knepper, Wimpfeling sind Rückschritte.
  35. Über den Isidoneus fehlt trotz mancherlei Bemühungen der pädagogischen Literatur eine genügende Arbeit.
  36. Der Übersetzer ist Jacob Locher Philomusos. In seinem Prologus in Narragoniam beißt es: Hanc scribendi libertatem ... Seb. Brant ad communem mortalium salutem lingua vernacula celebravit. Imitatus Dantem Florentinum atque Franciscum Petrarcham heroicos vates, qui Hetrusca sua lingua mirifica contexuere poemata. Vgl. seine Verse vor dem von Brant herausgegebenen Laienspiegel Ulrich Tenglers (Augsburg 1511): Quod potuit Dantes Etrusca dicere lingua, Cum fingit manes Tartareosque deos, Cum causas rerum, coeli scrutatus et arces Grandisonis rhytmis magnaque facta canit ... Atque ut conticeam Brantum sermone pedestri Qui navem duxit per mare stultivagam, Nonne si vulgari Germanoque ore recenset Stultorum mores fataque et interitus? – Zum Vergleich der Auffassung ist von Interesse, daß man im 14. Jahrhundert in Paris erzählte, Dante habe während seines Pariser Aufenthalts den Entschluß gefaßt, seine Divina comedia nach dem Muster des Rosenromans zu dichten (F. A. Huhn im Jahrbuch d. kunsthist. Sammlungen d. allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 31, S. 1).
  37. Das Beste über ihn noch jetzt der Aufsatz von Friedrich von Bezold, zuerst Histor. Zeitschrift Bd. 49, jetzt in der Sammlung der Aufsätze Bezolds, Aus Mittelalter und Renaissance. München 1918.
  38. Vgl. meine Arbeit, Tacitus im deutschen Humanismus (Neue Jahrbücher für d. klass. Altertum 1911. 1. Abt. XIV, 697 ff.).
  39. Eine erste Stufe der humanistischen Formung der Begriffe ist die Rede Gregor Heimburgs auf dem Mantuaer Kongreß 1459, wo Heimburg zum Papste als Entschuldigung der Spitzen und Grobheiten seiner Rede sagt: „Ignosce theothonico ritui, qui etsi a stilo romano paululum declinet, tamen a pietate naturae non abhorret“. Voigt, Enea 3, 78². – Die ausgebildete Vorstellung dazu in Huttens Arminius, wo sich Arminius weigert seine Taten selbst zu verkünden, weil das der deutschen Bescheidenheit widerspreche.
  40. Darüber meine Arbeit über Geschichtsauffassung S. 167 ff,
  41. l. c. S. 155. Ausgabe der Norimberga durch Werminghoff, Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg. Freiburg 1921.
  42. Die Monographie von Morneweg (Heidelberg 1887) ist veraltet und greift auch im Urteil fehl.
  43. S. H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. Stuttgart 1884. Bd. 1, S. 573 ff.
  44. Cuspinian, Vita Maximiliani: Fingens invidiam et curiositatem, quasi personas quasdam comicas, quas ratione et prudentia sua vitaverit viceritque ac prostraverit, ut olim Hercules, qui relicta voluptate laborem secutus est per saxa, per ignis.
  45. K. Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus und die Allegorien der Renaissance an der Ehrenpforte Maximilians (Jahrbuch der Kunstsammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 32 [1915], Heft 1). Saxl-Panofsky, Dürers Melencolia I (Studien der Bibliothek Warburg) 1923.
  46. Italiae Marsilius Platonem reddidit, Gallis Aristotelem Jacobus Faber Stapulensis restauravit. Implebo numerum et Capnion ego Germanis per me renascentem Pythagoram ... exhibebo.
  47. Die Beziehungen zu Ficinos Temperamentslehre hat wohl zuerst Giehlow gesehen (Mitt. d. Gesellschaft f. vervielfältigende Kunst 1903).
  48. Hierüber wird demnächst die Arbeit eines meiner Schüler Näheres bringen.
  49. Eine neue Epoche in der Erasmusforschung bedeutet die mustergültige Ausgabe des Briefwechsels durch P. S. Allen seit 1906, Oxford. Die neueste Arbeit über ihn in deutscher Sprache I. Huizingas Erasmus, deutsch von Werner Kaegi, Basel, Schwabe 1918 ist reich an geistvollen Einzelbeobachtungen und zeigt ein besonderes einfühlendes Verständnis für die niederländischen Elemente im Wesen des Erasmus. – Für die Baseler Zeit des Erasmus ausgezeichnet R. Wackernagel, Humanismus und Reformation in Basel, in ’Gesch. der Stadt Basel’, Bd. III, 1924.
  50. Darüber der auch für alles Folgende zu vergleichende Aufsatz von Gerhard Ritter, Die geschichtliche Bedeutung des deutschen Humanismus (Histor, Zeitschrift Bd. 127 [1923], S. 393 ff.).
  51. S. bes. Allen nr. 1436 und die Bemerkungen Huizingas.
  52. Darüber bis jetzt das Beste bei Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus (Leipzig 1917) S. 29 f. – Die sehr solide Vita di Lorenzo Valla von Girolamo Mancini (Firenca 1891) sieht doch die Dinge zu sehr vom Standpunkt des (damals) modernen italienischen Liberalismus.
  53. S. im allgemeinen die vorzügliche Darstellung bei W. Pirenne, Gesch. Belgiens. Deutsch von Arnheim. Bd. 3 (Gotha 1907), S. 360 ff. ’Die Renaissance’. Dazu etwa Kalff, Westeuropeesche Letterkunde. 2 Bde. Groningen 1923.
  54. Die älteren Ansichten über die Brüder vom gemeinsamen Leben diskutiert erschöpfend L. Schulze in der Realenzyklopädie f. prot. Theologie u. Kirche Bd. 3 und 23 der dritten Auflage. Dazu wiederum Mestwerdt und für das neue phantastische Buch von Hyna, The christian renaissance, die Besprechung von Hans Baron in der Hist. Zs. Bd. 132 (1925) S. 413 ff.
  55. Das geht auch aus den Angaben des Erasmus über seinen Bildungsgang hervor, z. B. Allen Bd. I, S. 48.
  56. Für das Biographische H. E. I. M. van der Velden, Rudolphus Agricola. Diss. Leiden 1911; für das Geistesgeschichtliche meine Studie: Loci communes (Lutherjahrbuch 1926).
  57. Kritische Neuausgabe von L. Bertalot in ’La Bibliofilia’ hrsg. von Olschki, 1928, S.382 ff.
  58. Zeugnis der Briefwechsel Mutians, der zweimal, von Krause und Gilbert, herausgegeben ist. Die Ausgaben ergänzen sich gegenseitig. Fr. Hallbauer, Mutianus Rufus und seine geistesgeschichtliche Stellung, Leipzig 1929, bietet für dieses Problem wenig.
  59. Briefe ed. Gilbert Nr. 93, S. 134.
  60. Das urkundliche Material für den Streit bei Boecking, Opera Hutteni. Supplementum Bd. II (Leipzig 1869/70). Neueste Darstellung in der kritischen Ausgabe der Epistolae obscurorum virorum von Aloys Boemer (Heidelberg, Weissbach 1924). Eine kritische Überprüfung der einzelnen Phasen des Streits wäre recht notwendig.
  61. So in dem Lebensabriß von 1523 Allen I, 8. 19: Conceperam id temporis animo tres simul declamationes, Encomium Moriae, Naturae et Gratiae: sed quorundam morositas fecit ut verterem consilium. – Für die Idee des miles christianus bei Erasmus bes. Huizinga S. 218, Anm. 54.
  62. Amores, Buch II, Stück 9, Nürnberg 1500: Ad Elsulam a priscis et sanctis Germania moribus degenerantem. Da heißt es:
    Horrida tunc rarus fuerat per rura sacerdos
    Terra peregrinis nec fuit acta deis.
    Sed druides castis cecinerunt carmina silvis,
    Carmina Teutonico quae placuere deo.
    Nemo Italos novit voluit nec nosse penates,
    Qui totiens nostris aera tulere plagis.
    Sed deus unus erat, a quo sunt nomina genti,
    Hic cultus patria religione fuit.
    Hic non poscebat sibi vendere caseum et ovum
    Nec butyrum nobis vendidit ille Deus.
  63. W. Brecht, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum (Straßburg 1904) S. 76. Die Ergebnisse dieser ausgezeichneten Abhandlung sind von Boemer nur in Einzelheiten korrigiert worden. Vgl. oben. S. 457, Anm. 1.
  64. Hajo Holborn, Ulrich von Hutten (Leipzig, Quelle u. Meyer 1929). Daselbst auch Aufschluß über die bisherige Forschung und die Quellen.
  65. Darüber vortrefflich W. Kaegi, Hutten und Erasmus. Ihre Freundschaft und ihr Streit (Hist. Vierteljahrsschrift 22 [1925], S. 200 und 461 ff.).
  66. Eine einigermaßen genügende Biographie fehlt. Das Beste hat Sigmund Riezler im Nachwort zu seiner Ausgabe der Annalen (Johannes Turmair’s Sämtliche Werke. München, Kaiser 1891 ff.) Bd. 3 und in seiner Geschichte Baierns Bd. 6 (Gotha, Perthes 1903), S. 389 ff. gegeben.
  67. Darüber habe ich in den Blättern für deutsche Philosophie Bd. 2 (1928) S. 1 ff. gehandelt.
  68. S. den berühmten Brief an Spalatin vom 19. Oktober 1516. Enders, Luthers Briefwechsel Bd. 1, Nr. 28. Für die angemeinen Gegensätze zwischen Renaissance, Humanismus und Reformation siehe meinen Aufsatz in der Zeitwende 1928, S. 402 ff.
  69. S. den Abdruck der Vorrede in Luther, Ausgewählte Werke, ed. H. H. Borcherdt, Bd. 7, S. 343 ff. (München, Müller 1925) mit meinen Anmerkungen.
  70. Grundlage die große Biographie R. Stähelins, Huldreich Zwingli, sein Leben und Wirken nach den Quellen dargestellt. 2 Bde. Basel 1895–97. Dazu zahlreiche Arbeiten von Walther Köhler.
  71. Charakteristisches in Zwinglis ’Archeteles‘, (Werke I, 1905, S. 249 ff.).
  72. Hierfür bes. wichtig die Vorreden zum Iesias- und Ieremiaskommentar von 1531.
  73. Für das Folgende muß ich auf meinen oben zitierten Aufsatz über die Loci communes verweisen, wo die Belege stehen.
  74. Hier schlagen die Forschungen Diltheys ein (jetzt Ges. Schriften Bd. II, Leipzig, Teubner 1914), bes. Das natürliche System der Geisteswissenschaften, die aber jetzt erheblich zu korrigieren sind.
  75. Dies ist ein Ausdruck von Fr. Gundolf, Paracelsus (Berlin, Bondi 1927), der diese Form aber ganz allgemein für die humanistische Weltbetrachtung in Anspruch nehmen möchte. Aber ich denke, es ist doch ein Unterschied, ob man wie Montaigne in dieser Form den gemäßen Ausdruck seines Geistes findet, oder ob man sie aus Not wählt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd