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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.
Das heimliche Gericht - Teil 3

Westhausen. Zum erstenmal! O Sontheim, so tief warst du gesunken?

Mathilde. Vergeßt nicht, Unglücklicher, daß Ihr bis diese Stunde noch kein weibliches Herz sahet. Euer Freund war glücklich durch die Liebe. Aber sie starb dahin, und da erst trat die Reue an ihre Stelle.

Westhausen. In seiner Seele nur, des minder Schuldigen?

Mathilde. Soll ich mich der blutigen Bilder rühmen, die so oft den goldnen Schlaf aus meinen Augen verscheuchten? dieser langsam zehrende Wurm hat vor der Zeit Rosen auf meinen Wangen gebleicht. Aber ich war Weib und Mutter. Liebe hieß die schöne Kraft, die das traurige Schicksal von mir abwehrte, in der gähnenden Betrachtung des Vergangenen Gegenwart und Zukunft zu Einer ausgebrannten Wüste umgeschaffen zu sehen. Sie schuf neue Rosen, die der Wurm der Reue nicht bleichte; und überlebte selbst das Unglück, nicht mehr geliebt zu seyn.

Sontheim. Heinrich, dein staunender Blick sagt mir’s: du denkst nicht klein mehr von diesem Geschöpf.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)