ausgesprochenen Resultate der unbewussten Zuchtwahl des Menschen in ihrer Anwendung auf domesticirte Thiere und cultivirte Pflanzen, so scheint es mir beinahe sicher zu sein, dass wenn die Individuen eines Geschlechts während einer langen Reihe von Generationen vorziehen sollten, sich mit gewissen Individuen des andern Geschlechts zu paaren, welche in irgend einer eigenthümlichen Weise characterisirt wären, die Nachkommen dann langsam aber sicher in derselben Art und Weise modificirt werden würden. Ich habe nicht zu verbergen gesucht, dass, ausgenommen die Fälle, wo die Männchen zahlreicher sind als die Weibchen oder wo Polygamie herrscht, es zweifelhaft ist, wie die anziehenderen Männchen es erreichen, eine grössere Anzahl von Nachkommen zu hinterlassen, welche ihre Superiorität in Ornamenten oder anderen Reizen ererben, als die weniger anziehenden Männchen; ich habe aber gezeigt, dass dies wahrscheinlich daraus folgt, dass die Weibchen und besonders die kräftigeren Weibchen, welche zuerst zur Fortpflanzung gelangen, nicht nur die anziehenderen, sondern auch gleichzeitig die kräftigeren und siegreichen Männchen vorziehen werden.
Obgleich wir mehrere positive Beweise dafür haben, dass Vögel glänzende und schöne Gegenstände würdigen, wie z. B. die Laubenvögel in Australien, und obgleich sie sicher das Gesangsvermögen würdigen, so gebe ich doch vollständig zu, dass es eine staunenerregende Thatsache ist, dass die Weibchen vieler Vögel und einiger Säugethiere mit hinreichendem Geschmacke versehen sein sollen, die Verzierungen zu würdigen, welche wir der geschlechtlichen Zuchtwahl zuzuschreiben Grund haben; und dies ist in Bezug auf Reptilien, Fische und Insecten selbst noch staunenerregender. Wir wissen aber in der That sehr wenig über die geistige Begabung der niederen Thiere. Man kann nicht annehmen, dass männliche Paradiesvögel oder Pfauhähne z. B. sich so viele Mühe geben sollten, ihre schönen Schmuckfedern vor den Weibchen aufzurichten, auszubreiten und erzittern zu machen ohne Zweck. Wir müssen uns der nach einer ausgezeichneten Autorität in einem früheren Capitel mitgetheilten Thatsache erinnern, dass nämlich mehrere Pfauhennen, als sie von einem von ihnen bewunderten Pfauhahne getrennt wurden, lieber das ganze Jahr hindurch Wittwen blieben, als dass sie sich mit einem anderen Vogel paarten.
Nichtsdestoweniger kenne ich keine Thatsache in der Naturgeschichte, welche wunderbarer wäre als dass der weibliche Argusfasan im Stande sein soll, die ausgesuchte Schattirung der Kugel- und
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/390&oldid=- (Version vom 31.7.2018)