Erregung der Sympathie. Mit socialen Instincten begabte Thiere empfinden Vergnügen an der Gesellschaft Anderer, warnen einander vor Gefahr und vertheidigen und helfen einander in vielen Weisen. Diese Instincte werden nicht auf alle Individuen der Species ausgedehnt, sondern nur auf die derselben Gemeinschaft. Da sie in hohem Grade für die Species wohlthätig sind, so sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden.
Ein moralisches Wesen ist ein solches, welches im Stande ist, über seine früheren Handlungen und deren Motive nachzudenken, – einige von ihnen zu billigen und andere zu misbilligen; und die Thatsache, dass der Mensch das einzige Wesen ist, welches man mit Sicherheit so bezeichnen kann, bildet den grössten von allen Unterschieden zwischen ihm und den niederen Thieren. Ich habe aber im vierten Capitel zu zeigen versucht, dass das moralische Gefühl erstens eine Folge der ausdauernden Natur und beständigen Gegenwart der socialen Instincte ist; zweitens dass es eine Folge der Würdigung, der Billigung und Misbilligung seitens seiner Genossen ist, und drittens, dass es eine Folge des Umstandes ist, dass seine geistigen Fähigkeiten im hohen Grade thätig und seine Eindrücke von vergangenen Ereignissen äusserst lebhaft sind, in welchen Beziehungen er von den niederen Thieren abweicht. In Folge dieses geistigen Zustandes kann es der Mensch nicht vermeiden, rückwärts und vorwärts zu schauen und die neuen Eindrücke mit vergangenen zu vergleichen. Nachdem daher irgend eine temporäre Begierde oder Leidenschaft seine socialen Instincte bemeistert hat, wird er darüber reflectiren und den jetzt abgeschwächten Eindruck solcher vergangenen Antriebe mit dem beständig gegenwärtigen socialen Instinct vergleichen; und dann wird er jenes Gefühl von Nichtbefriedigung empfinden, welches alle nicht befriedigten Instincte zurücklassen. In Folge dessen entschliesst er sich, für die Zukunft verschieden zu handeln, – und dies ist Gewissen. Jeder Instinct, welcher dauernd stärker und nachhaltiger ist als ein anderer, gibt einem Gefühle Entstehung, von welchem wir uns so ausdrücken, dass wir sagen, wir sollen ihm gehorchen. Wenn ein Vorstehhund im Stande wäre, über sein früheres Betragen Betrachtungen anzustellen, so würde er sich sagen: ich hätte jenen Hasen stellen sollen (wie wir in der That von ihm sagen) und nicht der vorübergehenden Versuchung, ihm nachzusetzen und ihn zu jagen, nachgeben sollen.
Sociale Thiere werden theilweise durch ein inneres Verlangen dazu
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/383&oldid=- (Version vom 31.7.2018)