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Princip kommt auch bei der Kunst der Zuchtwahl mit in’s Spiel; und wir können hiernach, wie ich an einer anderen Stelle erklärt habe,[1] die wunderbare Entwickelung der vielen Rassen von Thieren und Pflanzen verstehen, welche bloss zum Schmucke gehalten werden. Züchter wünschen immer einen jeden Character etwas vergrössert zu haben, sie bewundern keinen mittleren Maassstab; sicherlich wünschen sie keinen grossen und plötzlichen Wechsel in dem Character ihrer Rassen; sie bewundern allein, was sie zu sehen gewöhnt sind; aber sie wünschen eifrigst, jeden characteristischen Zug etwas mehr entwickelt zu haben.

Ohne Zweifel ist das sinnliche Wahrnehmungsvermögen des Menschen und der niederen Thiere so constituirt, dass brillante Farben und gewisse Formen ebenso wie harmonische und rhythmische Laute Vergnügen gewähren und schön genannt werden; warum dies aber so sein muss, wissen wir nicht. Es ist gewiss nicht wahr, dass es im Geiste des Menschen irgend einen allgemeinen Maassstab der Schönheit in Bezug auf den menschlichen Körper gibt. Indessen ist es möglich, dass ein gewisser Geschmack im Laufe der Zeit vererbt worden ist, obschon keine Beweise zu Gunsten dieser Annahme vorhanden sind; und wenn dies der Fall ist, so würde jede Rasse ihren eigenen eingeborenen idealen Maassstab der Schönheit besitzen. Es ist behauptet worden,[2] dass Hässlichkeit in einer Annäherung an die Bildung der niederen Thiere bestehe, und dies ist ohne Zweifel für civilisirtere Nationen wahr, bei welchen der Intellect hoch geschätzt wird; diese Erklärung lässt sich aber kaum auf alle Formen von Hässlichkeit anwenden. Die Menschen einer jeden Rasse ziehen das vor, was sie zu sehen gewohnt sind, sie können keine Veränderung ertragen, aber sie lieben Abwechselung und bewundern es, wenn ein characteristischer Punkt bis zu einem mässigen Extrem geführt wird.[3] Menschen, welche an ein nahezu ovales Gesicht, an einfache und regelmässige Züge und helle Farben gewöhnt sind, bewundern, wie wir Europäer es wissen, diese Punkte, wenn sie stark entwickelt sind. Auf der anderen


  1. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, S. 240; Bd. 2, S. 274.
  2. Schaaffhausen, Archiv für Anthropologie, 1866, S. 164.
  3. Mr. Bain hat (Mental and Moral Science, 1868, p. 304–314) ungefähr ein Dutzend mehr oder weniger verschiedener Theorien der Idee der Schönheit gesammelt; aber keine stimmt völlig mit der hier gegebenen überein.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/346&oldid=- (Version vom 31.7.2018)