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würde die Frau sein ohne das Palelé? Sie würde mit einem Munde wie ein Mann, aber ohne Bart, gar keine Frau sein“.[1]

Kaum irgend ein Theil des Körpers, welcher in unnatürlicher Weise modificirt werden kann, ist verschont geblieben. Die Grösse der hierdurch verursachten Leiden muss wunderbar gewesen sein, dann viele der Operationen erfordern zu ihrer Vollendung mehrere Jahre, so dass die Idee von ihrer Nothwendigkeit ganz imperativ sein muss. Die Motive sind verschiedenartig; die Männer malen sich ihre Körper an, um sich im Kampfe schrecklich aussehend zu machen. Gewisse Verstümmelungen stehen mit religiösen Gebräuchen in Verbindung oder bezeichnen das Alter der Pubertät oder den Rang des Mannes, oder sie dienen dazu, die Stämme zu unterscheiden. Da bei Wilden dieselben Moden für lange Perioden herrschen,[2] so gelangen Verstümmelungen, aus welcher Ursache immer sie auch zuerst gemacht wurden, bald zu dem Werthe von Unterscheidungszeichen. Aber Schmückung, Eitelkeit und die Bewunderung Anderer scheinen die häufigsten Motive zu sein. In Bezug auf das Tättowiren sagten mir die Missionäre in Neuseeland, dass, als sie einige Mädchen zu überreden versuchten, den Gebrauch aufzugeben, diese ihnen antworteten: „wir müssen wenigstens ein paar Linien auf unsern Lippen haben, denn wenn wir alt werden, würden wir sonst so sehr hässlich sein“. In Bezug auf die Männer von Neuseeland sagt ein äusserst fähiger Beurtheiler,[3] dass es für die jungen Männer ein grosser Punkt des Ehrgeizes sei, „schön tättowirte Gesichter zu haben, sowohl um sich für die Damen anziehend als im Kriege auffallend zu machen“. Ein auf die Stirn tättowirter Stern und ein Punkt auf dem Kinn werden in einem Theile von Africa von den Frauen für unwiderstehliche Anziehungsmittel gehalten.[4] In den meisten, aber nicht in allen Theilen der Welt sind die Männer bedeutender verziert als die Frauen und oft in einer verschiedenen Weise; zuweilen, wenn auch selten, sind die Frauen beinahe gar nicht


  1. Livingstone, British Association, 1860; Auszug im Athenaeum, 7. Juli 1860, p. 29.
  2. Sir S. Baker (a. a. O. Vol. I, p. 210) spricht von den Eingeborenen von Central-Africa und sagt: „Jeder Stamm hat eine bestimmte und unveränderliche Art, sich das Haar zu frisiren“. s. Agassiz (Journey in Brazil, 1868, p. 318), über die Unveränderlichkeit des Tättowirens bei den Indianern des Amazonen-Gebiets.
  3. R. Taylor, New Zealand and its Inhabitants, 1855, p. 152.
  4. Mantegazza, Viaggi e Studi, p. 542.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/336&oldid=- (Version vom 31.7.2018)