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dass die Rhythmen und Cadenzen der oratorischen Sprache aus vorher entwickelten musikalischen Kräften herzuleiten sind.[1] Auf diese Weise können wir verstehen, woher es kommt, dass Musik, Tanz, Gesang und Poesie so sehr alte Künste sind. Wir können selbst noch weiter gehen und, wie in einem früheren Capitel bemerkt wurde, annehmen, dass musikalische Laute eine der Grundlagen für die Entwickelung der Sprache abgaben.[2]

Da die Männchen mehrerer quadrumanen Thiere viel höher entwickelte Stimmorgane besitzen als die Weibchen, und da ein Gibbon, eine Art der anthropomorphen Affen, eine ganze Octave musikalischer Töne erklingen lässt und, wie man wohl sagen kann, singt, so scheint die Vermuthung nicht unwahrscheinlich zu sein, dass die Urerzeuger des Menschen, entweder die Männchen oder die Weibchen oder beide Geschlechter, ehe sie das Vermögen, ihre gegenseitige Liebe in artikulirter Sprache auszudrücken, erlangt hatten, sich einander in musikalischen Tönen und Rhythmen zu bezaubern versuchten. In Bezug auf den Gebrauch der Stimme bei den Quadrumanen während der Zeit der Liebe ist so wenig bekannt, dass wir kaum irgend ein Mittel zur Beurtheilung besitzen, ob die Gewohnheit zu singen zuerst von unsern männlichen oder von unsern weiblichen Urerzeugern erlangt wurde. Man nimmt allgemein an, dass Frauen lieblichere Stimmen besitzen


  1. s. die sehr interessante Erörterung über den Ursprung und die Function der Musik von Herbert Spencer in seinen gesammelten Essays, 1858, p. 359. Mr. Spencer kommt zu einem, dem genau entgegengesetzten Schlusse, zu welchem ich gelangt bin. Er folgert, wie es früher Diderot that, dass die in der erregten Rede benutzten Tonfälle die Grundlagen darbieten, von welchen sich die Musik entwickelt hat; während ich schliesse, dass musikalische Töne und Rhythmus zuerst von den männlichen oder weiblichen Urerzeugern des Menschen erlangt wurden zu dem Zwecke, das andere Geschlecht zu bezaubern. Hierdurch wurden musikalische Töne fest mit einigen der stärksten Leidenschaften verbunden, welche zu fühlen ein Thier fähig ist, und werden nun in Folge dessen instinctiv oder durch Associationsbewegung benutzt, wenn starke Erregungen in der Rede ausgedrückt werden. Mr. Spencer bietet keine irgendwie befriedigende Erklärung dar, ebensowenig kann ich es, warum hohe und tiefe Töne beim Menschen und bei den niederen Thieren als Ausdrücke gewisser Gemüthserregungen bezeichnend sein sollen. Auch gibt Mr. Spencer eine interessante Erörterung über die Beziehungen zwischen Poesie, Recitativ und Gesang.
  2. Ich finde in Lord Monboddo’s Origin of Language, Vol. I. (1774), p. 469, dass Dr. Blacklock gleichfalls glaubte, „dass die erste Sprache unter den Menschen Musik war und dass, ehe unsere Ideen durch articulirte Laute ausgedrückt wurden, sie durch Töne mitgetheilt wurden, welche in entsprechender Weise je nach ihrer Höhe oder Tiefe abgeändert wurden“.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/331&oldid=- (Version vom 31.7.2018)