Riesenhirsches standen factisch acht Fuss aus einander! So lange das Geweih mit Bast überzogen ist, was bei dem Edelhirsche ungefähr zwölf Wochen lang dauert, ist dasselbe äusserst empfindlich für Stösse, so dass in Deutschland die Hirsche um diese Zeit ihre Lebensart in einem gewissen Maasse ändern und dichtere Wälder vermeiden, dagegen junges Gehölz und niedrige Dickichte aufsuchen.[1] Diese Thatsachen erinnern uns daran, dass männliche Vögel ornamentale Federn auf Kosten einer Verlangsamung des Flugvermögens und andere Zierathen auf Kosten eines Verlustes ihrer Kraft beim Kämpfen mit rivalisirenden Männchen erlangt haben.
Wenn bei Säugethieren, wie es häufig der Fall ist, die Geschlechter in der Grösse verschieden sind, so sind die Männchen beinahe immer grösser und kräftiger. Dies gilt, wie mir Mr. Gould mitgetheilt hat, in einer sehr ausgesprochenen Weise für die Beutelthiere von Australien, deren Männchen bis in ein ungewöhnlich hohes Alter fortwährend zu wachsen scheinen. Aber der ausserordentlichste Fall ist der von einer Robbe (Callorhinus ursinus), bei welcher ein ausgewachsenes Weibchen weniger als ein Sechstel des Gewichts eines ausgewachsenen Männchens wiegt.[2] Dr. Gill bemerkt, dass es die polygamen Robbenarten sind, deren Männchen bekanntlich wüthend mit einander kämpfen, bei welchen die Geschlechter bedeutend der Grösse nach von einander abweichen; die monogamen Arten weichen in dieser Hinsicht nur wenig ab. Auch Walfische bieten Belege dar für die Beziehung, welche zwischen der Kampfsucht der Männchen und deren, mit der Grösse der Weibchen verglichen, bedeutenden Grösse besteht; die Männchen der Bartenwale kämpfen nicht mit einander; sie sind auch nicht grösser, sondern eher kleiner, als ihre Weibchen. Andrerseits kämpfen männliche Spermacetiwale heftig mit einander, „ihre Körper tragen häufig narbige Eindrücke von den Zähnen ihrer Rivalen“, und sie sind doppelt so gross als die Weibchen. Die bedeutendere Kraft des
- ↑ Forest Creatures, by C. Boner, 1861, p. 60.
- ↑ s. den sehr interessanten Aufsatz von Mr. J. A. Allen in: Bullet. Museum Compar. Zoology of Cambridge, Mass. United States. Vol. II. No. 1, p. 82. Die Gewichte wurden von einem sorgfältigen Beobachter, Capt. Bryant, ermittelt. Gill in: The American Naturalist, Jan. 1871; Prof. Shaler über die relative Grösse der Geschlechter bei Walfischen, in: American Naturalist, Jan. 1873.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/256&oldid=- (Version vom 31.7.2018)